Prompt vom 3. November 2019
Ich sollte nicht überrascht sein, dass es hier draußen so kalt ist. Kleine Wölkchen sammeln sich bei jedem Atemzug vor meinem Mund und ich muss mir die Arme reiben, um mich wenigstens ein bisschen warm zu halten. Trotz der Kälte ist es schön, den Schnee unter meinen nackten Füßen zu zerdrücken. Ihn unter meiner Körperwärme schmelzen zu lassen, bis er wenige Momente später wieder gefriert. Langsam ziehe ich ein Bein vor das andere und gehe Schritt für Schritt in die eisige Nacht hinein. Die Stille tut fast schon weh in meinen Ohren; Nicht ein Blatt traut sich, zu rascheln. Die Welt hält den Atem an, wagt es nicht, einen Ton von sich zu geben. In einigen Häusern brennt noch Licht, aber niemand schaut nach draußen. Niemand sieht mich.
"Ich frage mich, ob die Sterne leuchten, damit jeder eines Tages seinen findet", sagt der kleine Prinz einmal zum Piloten. Warum erinnere ich mich ausgerechnet jetzt an dieses Buch, welches ich zuletzt in meiner Kindheit in den Fingern hatte? Unwillkürlich lege ich den Kopf in den Nacken und sehe nach oben, in das schwarze Nichts. Ist dort überhaupt irgendwo ein Stern, auf dem ich zu Hause sein könnte?
Zitternd setze ich meinen Weg fort. Als ich klein war, hat mein Vater ganz viele dieser selbstleuchtenden Sterne an meine Zimmerdecke geklebt, und an die Wand haben wir zusammen den kleinen Prinzen mit seinem Fuchs und der Rose gemalt. Ich hatte meinen eigenen kleinen Sternenhimmel und ich habe Stunden damit verbracht, ihn anzustarren, bevor ich friedlich eingeschlafen bin. Das war eine schöne Zeit. Eine warme Zeit.
Der Schnee verschlingt die ganze Welt. Ich kann nicht mehr sehen, was Straße und was Bürgersteig ist. Nur manchmal ragt noch ein Laternenpfahl aus der weißen Decke heraus und lässt die Erde unter sich funkeln wie tausende Diamanten. Ich sehe noch einmal nach oben. Je länger ich in den dunklen Nachthimmel starre, desto mehr silberne kleine Punkte tauchen auf. Einer nach dem anderen schüttelt seinen schwarzen Schleier ab und lächelt mich an.
Ich frage mich, ob die Sterne leuchten, damit jeder eines Tages seinen findet.
Von irgendeinem anderen Planeten aus gesehen, der ganz weit weg durch das Universum wirbelt, ist die Erde auch nur ein Stern. Vielleicht wandert dort ebenfalls jemand alleine durch die Nacht und fragt sich, ob es jemals einen Ort gibt, an dem er sich zu Hause fühlt. Und dann sieht diese Person in seinen Sternenhimmel, und mir damit direkt in die Augen.
Lächelnd lasse ich mich zu Boden sinken. Vielleicht ist da draußen ein kleiner Prinz, wie in der Geschichte, der genauso verloren ist wie ich. Oder ich bin der kleine Prinz und wenn ich weg fliege, dann treffe ich auf einen Piloten, der niemals die Person sein durfte, die er sein wollte.
Ich betrachte den Sternenhimmel noch lange. Inzwischen ist er übersäht mit tanzenden kleinen Pünktchen, jeder von ihnen ein Gesicht, das nach Hause will. Und mit dem Gefühl, nicht alleine zu sein, schlafe ich schließlich ein.