Prompt vom 29. September 2019
Der Himmel hatte einen azurblauen Ton, der sich in der Morgendämmerung leicht grünlich verfärbte. Rosafarbene Feen flogen kichernd durch die Luft und auch der schimmernde Regenbogen, den ein Kobold in die Luft geschickt hatte, versprach einen weiteren wunderschönen Tag. Detlef gähnte ausgiebig, bevor sie sich von den orangefarbenen Farnblättern, die so etwas wie ihr Bett darstellten, erhob und zu den anderen Einhörnern in die Sonne trat. Kaum hatte sie die Lichtung betreten, hüpften auch schon die Zwillinge aufgeregt auf sie zu. "Guten Morgen, Detlef!", riefen sie und sprangen um sie herum. "Was macht du heute mit uns?"
Detlef lachte die Kinder heiter an. "Ich weiß nicht", lächelte sie, "wie wäre es mit einem Ausflug zu den Wasserfällen?"
Die Zwillinge blieben augenblicklich stehen. "Meinst du die großen Wasserfälle, wo wir noch nie hindurften?"
Detlef nickte freundlich. "Da müsst ihr nur eure Eltern fragen."
Noch nie waren die Zwillinge so schnell davon gerannt. Immerhin hatte Detlef so ein wenig Zeit, um zu frühstücken. Genüsslich nahm sie einen Bissen von dem bunten Obst, das von den Bäumen am Waldrand hing. Viel davon konnte sie allerdings nicht genießen, denn bald schon kamen die zwei kleinen Einhörner zurück. "Wann gehen wir los?", riefen sie energetisch.
Detlef schluckte schnell den letzten Happen runter. "Wie wäre es mit jetzt?", schlug sie vor.
Also machten die drei Einhörner sich auf den Weg. Sie trabten durch den Wald, den sie ihre Heimat nannten, über die blassroten Hügel, galloppierten an dem Horizont vorbei und durch einen weiteren kleinen Wald, in dem die Blätter alle erdenklichen Farben trugen, bis sie das Tosen der herabstürzenden Wasser vernahmen.
"Wir sind da!", riefen die Zwillinge und rannten noch schneller den Geräusch entgegen.
"Nicht so schnell", rief Detlef ihnen nach, doch sie waren bereits im Unterholz verschwunden. Sie wusste, dass die Zwillinge zwar ein wenig hyperaktiv, aber auch verantwortungsvoll waren, also ließ sie sich ein wenig zurückfallen und trabte langsamer hinterher. Durch die bunten Blätter schickte die Sonne ein Farbenspiel auf die Erde, das wirklich genossen werden wollte. Nach einer Weile trat sie zwischen den Bäumen hinaus und befand sich auf einer Klippe, die steil nach unten ging und Platz für eine gigantische Menge schäumenden Wassers machte, das sich über Jahrhunderte hinweg seinen Weg durch den silbernen Stein geprägt hatte. Nur die Zwillinge fehlten. Suchend sah Detlef sich um.
"Suchst du die zwei kleinen Einhörner, die hier vorhin gespielt haben?"
Erschrocken drehte Detlef sich um. "Wer ist da?", fragte sie, als sie nicht erkennen konnte, zu wem die Stimme gehörte.
Aus einem Felsen schälte sich eine Gestalt. Zunächst wirkte sie flach, doch dann faltete sie sich auseinander, bis sie beinahe so groß war wie Detlef selbst. Es sah beinahe so aus wie ein Einhorn, allerdings hatte es statt einer Nüster einen Rüssel und Ohren wie ein Häschen.
"Benjamin", erkannte sie.
"So heiße ich", bestätigte Benjamin. "Die zwei Kleinen sind dieses Mal da runter geflogen."
Hastig drehte Detlef sich zu der Klippe. "Da runter!?"
"Nein, etwa da, wo du jetzt stehst", korrigierte Benjamin. "Die Felsen verschwinden manchmal."
Von der Klippe aus ging es eine Ewigkeit steil bergab, so tief, dass das Ende des Wasserfalls im Nebel verschwand. Unwillkürlich wich Detlef ein paar Schritte zurück. "Manchmal denke ich, es wäre besser, wenn Einhörner fliegen könnten", murmelte sie.
"Können sie das nicht?" Benjamin trat zu ihr vor.
"Nein, offensichtlich nicht." Detlef drehte sich einmal um sich selbst und machte dann einen kleinen Sprung, wovon sie wieder hart auf den Boden knallte. Mit schmerzverzerrten Nüstern stand sie wieder auf. "Siehst du? Aber ich muss da runter, um nach den Zwillingen zu sehen!"
Benjamin sah sie kritisch an. "Aber wenn ihr fliegen könnt, sind sie doch sicher auf der anderen Seite gelandet."
"Wir können aber nicht fliegen", brummte Detlef missgünstig. "Wir haben ja auch keine Flügel." Vorsichtig lief sie die Klippe ab, um nachzusehen, ob nicht irgendein Weg nach unten führte.
"Also, ich weiß ja nicht, ob ihr derselben Art abstammt, aber die zwei konnten fliegen", meinte Benjamin. "Sie stehen da drüben." Mit seinem Rüssel zeigte er auf die andere Seite des Wasserfalls.
Detlef sah hin. Tatsächlich zeichneten sich hinter dem spritzenden Wasser zwei Silhouetten ab, die herumtollten. Detlef rief nach ihnen, doch sie schienen sie nicht zu hören.
"Das ist die andere Seite", erklärte Benjamin. "Von dort können sie nie wieder zurück. Das kann niemand."
Detlef gähnte ausgiebig, bevor sie sich von den orangefarbenen Farnblättern, die so etwas wie ihr Bett darstellten, erhob und zu den anderen Einhörnern in die Sonne trat. Kaum hatte sie die Lichtung betreten, hüpften auch schon die Zwillinge aufgeregt auf sie zu. "Guten Morgen, Detlef!", riefen sie und sprangen um sie herum. "Was macht du heute mit uns?"
"Heute bleiben wir einfach hier und genießen die Sonne", entschied Detlef. Vielleicht würde auf diese Weise endlich einmal niemand sterben.