Was ich sah:
„Nicht schon wieder.“ Wir standen alle am Steg unseres Kajakvereins und sahen aufs Wasser des Sees, welcher vor unserer Haustür lag. „Sind das Decathlonboote?“ wollte Klaus entgeistert wissen. Ich nickte. „Seit Corona sind die da im Laden wohl ausverkauft.“
Ungefähr zehn solcher sogenannter Schlauchkajaks tummelten sich in der Seemitte. In jeden saßen zwei ca. 20 jährige Männer und tranken Bier. „Alle ohne Schwimmweste.“ stellte ich entgeistert fest. Warum mich das immer noch wundert, keine Ahnung. Dieser sogenannte Wassertourismus hatte die letzten Jahre stark zugenommen. Und seit Corona war es eine Katastrophe. Immer mehr Anfänger wagten sich aufs Wasser. Vorwiegend um sich zu betrinken. Dass sie dabei keine Ahnung hatten, wie gefährlich selbst unser ruhiger See werden konnte, erschrak mich immer wieder. Die Unfälle hatten auch schon zugenommen. Von den SUP ganz zu schweigen.
Denn auch wenn die Lufttemperatur bei 38 Grad lag, die Wassertemperatur war wesentlich niedriger. Man brauchte nur einmal mit erhitzten, auch nicht alkoholisierten, Körper ins Wasser zu fallen und schon hat dieser einen Schock: Bestenfalls legt dieser den Körper nur wenige Sekunden lahm. Das sind die Sekunden, die ohne Weste hinterher fehlen. Schlechtestensfalls- nun ja. Eine Weste zieht einen in den Sekunden an die Wasseroberfläche, wo man die Orientierung verliert. Sie hält dich oben, auch wenn du einen Kälteschock hast oder durch die Temperaturunterschiede paralysiert bist. Aber das der Partygemeinde oder naiven jungen Familien zu erklären, war vergebliche Lebensmüh. Wir haben es irgendwann aufgegeben. Die gleichen Leute fuhren wahrscheinlich auch ohne Helm Fahrrad oder gingen mit unter der Nase liegender Atemmaske einkaufen. Passiert ja nie was. Bis es doch passiert.
So wie jetzt.
„Hat eins der Boote ein Loch?“ Karen hatte sich zu uns gesellt. Tatsächlich, eins schien zu sinken. Der einzige Insasse versuchte verzweifelt mit den Händen Wasser raus zu schöpfen. „Ach du je.“ Ich konnte ein Lachen nicht zurück halten. „Immerhin sind sie nicht zu weit vom Ufer entfernt.“ Mitleidlos sah Klaus sich das Debakel an. Nachdem wir die letzten Jahre immer mehr Bierflaschen aus dem See fischen mussten und immer mehr geschützte Ufergebiete zertreten und vollgepinkelt wurden, war unsere Toleranz den Freizeitpaddlern gegen null gesunken. Immerhin versauten die auch unseren Ruf. Immer mehr Städte fingen schon an, Wasserflächen für Kanuten zu schließen. Nur weil irgendwelche Idioten sich nicht an die Regeln halten konnten.
Einen jetzt absinken zu sehen war eine kleine Kompensation - auch wenn ich im Hinterkopf mir schon den Kopf zerbrach, wie lange ein Gummiboot auf den Seeboden braucht, bis es zerfällt.
„Wieso treibt er da auf das Wehr zu?“ Am Ende des Sees war ein Wehr. Eigentlich wussten die Freizeitpaddler, dass sie da gehörig Abstand halten mussten. Und das kriegten die auch meistens hin. Die Unterströmung konnte sehr stark sein und wenn man einmal davon erfasst wurde, war ohne Sicherheitsausrüstung eine Rettung auch gefährlich für den Retter. Nicht umsonst kurvte das DLRG so häufig bei uns über den See. Nur heute war keiner von denen zu sehen.
„Der ist zu weit weg, der kann nicht auf das Wehr drauf zutreiben.“ „Doch, sieh mal!“ Karen streckte entsetzt den Arm aus. Tatsächlich, der Mann schien immer schneller auf das Wehr zuzutreiben. Er war noch zu weit weg, als dass es gefährlich sein könnte, aber er schien auch nicht in der Lage zu sein, selbst da raus zu kommen. Und seine Kumpane wussten nicht, wie sie ihre Boote steuern sollten und irrten ebenfalls auf das Wehr zu.
„Verdammt.“ Laut rufend machten wir denen klar, dass sie auf der Stelle sich entfernen sollten. Zum Glück schienen sie die Gefahr zu verstehen.
Klaus hatte sich derweil hastig eine Wildwasserweste angezogen. Diese Westen besaßen einen breiten Bergegurt, der um der Hüfte lag. Ein eiserner Ring erlaubte es, da Sicherungsleinen einzuhängen. Normalerweise wurde das in reißendem Fließgewässer benutzt, um einen gekenterten Kanuten zu retten. In diesem Fall sollte es hoffentlich den Schiffbrüchigen zu helfen.
„Hier!“ Er hakte von seinen Wurfsack den Paddelkarabiner an den Ring fest. „Sichert mich!“ Er warf uns den Sack zu und rannte mit seinen kleinen Wildwasserboot auf den Schultern zum Steg. Aus dem Sack glitt derweil ein langes gelbes Seil, was mit dem Karabiner an seiner Weste verbunden war.
Eilig warfen wir das Seilende um eine Pfosten und sicherten es auf der anderen Seite mit unseren Gewicht. Eins der Kinder hatte gesehen, was passiert war und stand am Ufer mit einen zweiten Wurfsack in der Hand. Es hatte den schon zu den Schwimmer rausgeworfen, ein Ende in der Hand, aber der Treibende hatte den Sack verpasst.
Zwischenzeitlich war jedoch Klaus mit seinen Kajak an ihn herangekommen und sicherte ihn. Mit vereinten Kräften gelang es uns, den Mann an Land zurück zu ziehen.
Was Kurt sah
Kurt wollte eigentlich nur mit seinen Freunden auf dem Wasser Party machen. Sie hatten sich extra schon früh verabredet, um das gute Wetter nutzen zu könnten. Gestern hatte er sich eben noch im Decathlon eins der letzten Schlauchkajaks gekauft und jetzt trieb er gemütlich mit seinen Freunden auf dem See und genoss das gute Wetter.
An einen der Ufer lagen mehrere langschnittige Kajaks und ein paar Kinder spielten darum herum.
„Schaut euch diese Weicheier an.“ lachte sein Kumpel Stefan. „Das sind ja keine richtigen Kanuten. Die haben Boote, aber trinken kein Alkohol.“
„Ja.“ Kurt verstand nicht, wie man sich so ein schönes Wetter entgehen lassen konnte. Die hatten schon Boote, warum nutzten die diese nicht zum richtigen Feiern?
„Gib mir mal eine Flasche Bier rüber.“ Seine war leer und Stefan hatte noch den vollen Vorrat.
„Hier!“ Er schmiess die Flasche zu ihm rüber. Blöderweise verfehlte er das Boot und die Flasche sank.
„Sollte die nicht schwimmen?“ fragte Stefan entgeistert. „Egal." Er schmiss eine weitere Falsche rüber. „Verdammt.“ Auch diese sank.
„Alle guten Dinge sind drei- aber fang die ja.“
„Ziel du besser!“ Stefan kniff die Augen zusammen, zielte und warf die Flasche. Kurt war genau in Flugbahn. Er hätte die Flasche fangen sollen, aber plötzlich bewegte sich sein Boot mit einen Ruck flussabwärts. Verdammt. Das war ja wie verhext.
„Dude, ich glaube dein Boot sinkt.“
„Was?“ Entgeistert sah Knut nach unten. Tatsächlich! Panisch fing er an Wasser aus dem Boot raus zuschaufeln. Aber es sank immer schneller. Als er im Wasser war, versuchte Stefan an ihn heran zu kommen, um ihn rauszuziehen. Aber irgendwie drehte sich sein Boot immer im Kreis.
„Hey, hier bin ich!“. Umsonst - irgendwas schien ihn unter Wasser zu erfassen und Richtung wehr zu ziehen.
„Kurt, schwimm doch!“ Er versuchte es ja. Aber er kam gegen die plötzlich auftretende Strömung nicht an. Was Rotes flog über seinen Kopf. Eine Art Sack mit einer grell gelben Leine dran. Am Ufer stand ein kleiner Junge und deute an, dass er sich an der Leine festhalten sollte. Aber er kam absolut nicht da dran.
Erst als ein muskulöser Mann mit wütenden Gesicht in einen orangen Kajak ihm beistand, gelang es ihm ans Ufer zu kommen. Entgeistert sah er schwer atmend aufs Wasser. Ja, eindeutig verhext.
Was keiner von uns sah:
Auf dem Grunde des Sees sammelte ein grummeliger Wassermann leere Bierflaschen ein. Die Vollen hatte er sich schön säuberlich in die Ecke gestellt. Diese wollte er nicht verschwenden. Den Rest würde er den Heinis da oben an den Kopf donnern, sobald die zu besoffen waren, um sich darüber zu wundern.
Paar kaputte Schlauchboote stapelten sich am Grund. Gute Deko für seinen Garten. Er brauchte noch zwei, dann würde die Undine von nebenan vor Neid erblassen, wenn sie den schönen Plastikzaun um seine Seerosen sah. Skeptisch sah er nach oben. Da dümpelten noch 9 weitere. Wenn er da noch ein paar anritzen würde, hätte er seine Sammlung schnell beisammen.