Die Explosion erschütterte die Zeche. Karl konnte sich gerade noch auf den Boden werfen und die Hände über den Helm falten, als die Druckwelle durch den Tunnel wehte. Das Licht fing an zu flackern und fiel aus. Die Pumpen, die bisher die Tunnel mit Sauerstoff versorgten, stotterten noch ein paar Mal und verstummten dann ebenfalls. Sein Helm hatte ihn zwar vor herunterfallenden Brocken geschützt, aber seine Stirnlampe war beschädigt. Es war auch gerade erst sein zweiter Tag unter Tage, so dass die Tunnel ihn noch fremd waren. In seiner alten Zeche war das anders- da kannte er jeden Stollen, jeden Schacht. Aber sein Vater war krank geworden, also hatte er eine neue Arbeitsstelle näher an der alten Heimat gesucht. Er hatte mit seiner Frau noch gescherzt, dass bei einen Grubenunglück er aktuell nicht im Dunkeln den Weg zum Schutzraum finden würde. Er hätte wissen sollen, dass die heilige Barbara das persönlich nehmen würde.
Seine Frau. Er biss die Zähne zusammen. Versuchte der Panik her zu werden, die Besitz von ihm nehmen zu drohte. Seine Kassandra. Sie war schwanger, im 7. Monat. Er konnte sie nicht alleine lassen. Vorsichtig schob er sich im Dunkeln tastend über den Schutt. Aufstehen traute er sich nicht. Wer weiß, worüber er stolpern würde. Der Schutzraum müsste irgendwo am Ende des Tunnels sein. Ein Ort mit unabhängiger Sauerstoffversorgung, Erste Hilfeausrüstung und Wasser sowie Nahrung. Jedes Bergwerk hatte welche. Er musste nur dahin kommen. Aber ohne Licht, in einen unbekannten Stollen ein Risiko. Also krabbelte er. Immer das Lächeln seiner Frau vor den Augen, wenn er abends durch die Türe nach Hause kommt. Ihr Strahlen. Ihr gewölbter Bauch. Die Bewegung schmerzte in seinen Rücken. Eins seiner Beine schien verwundet zu sein. Beim Tasten fühlte er Feuchtigkeit. Aber er durfte nicht aufgeben. Keuchend krabbelte er im Dunkeln nach vorne.
Er versuchte zu rufen. Zwei seiner Kumpels waren mit ihm in diesem Teil des Stollens gewesen. Sie sollten ihn einarbeiten. Aber keiner antwortete. Nach wenigen Metern stieß er gegen eine Hand. Sie wurde schon kalt. Aber der Köper, ein vorsichtiges Tasten zeigte anhand des Bartes, dass das nur Michel sein konnte, lag quer über den Weg. Es kostete all seine Kraft, über diesen hinweg zu kriechen.
Schließlich stießen seine Finger gegen eine Tür. Der Schutzraum. Mit zitternden Fingern versuchte er sie zu öffnen. Nur langsam gelang ihm das. Mit letzter kraft zog er sich hinein. Das Licht hier funktionierte. Aber er war alleine. Kein andere hatte geschafft, hierhin zu flüchten. Er wusste, dass andere Trupps in der Nähe waren. Er hatte sie arbeiten gehört. Vielleicht waren sie in einen anderen Schutzraum geflüchtet. Er hoffte es.
„Ich stehe hier an der Zeche Cornelia in Unterwittenstein an der Havel.“ Der Reporter klopfte gegen sein Mikro. „Geht das Teil?“
Er räusperte sich. „Eine gestrige Gasexplosion verursachte das Einstürzen eines Stollens. Ein Trupp Bergarbeiter konnte sich gerade noch retten. Aktuell werden allerdings noch drei Personen vermisst. Man hofft, dass sie es noch geschafft, haben, sich rechtzeitig in einen Schutzraum unter Tage zu flüchten. Leider ist der Untergrund durch die Explosion noch so unsicher, dass Bohrarbeiten zu weiteren Einstürzen führen können.“
„Holt diesen Idioten da von der Kamera weg.“ Der Zechenbesitzer stand hinter dem Kameramann und musste an sich halten. „Wir haben eine Verwerfungszone, die das Bergen gefährdet, nicht irgendwelche Probleme durch die Explosion.“
„Er wird es nicht verstehen.“ Sein Assistent reichte ihm ein Glas Wasser. „Sie versuchen jetzt, sich seitwärts an die Schutzkammer heran zu bohren. Aber wir haben nicht so viele Bohrer mit Diamantköpfen mehr. Das sind die Einzigen, die durch diese Gesteinsschicht kommen. Es wird schwierig.“
Der Grubenbesitzer sah zu einer Gruppe Personen hinüber. Sie befanden sich in einen kleinen Zelt, weg von der Presse. Sein Blick blieb an einer rothaarigen Frau hängen, offensichtlich schwanger. „Wir müssen es versuchen. Kontaktiere unsere anderen Zechen. Wir brauchen mehr Bohrköpfe. Solange es einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt, will ich, dass gebohrt wird.“
„Ja, Chef.“ Sein Assistent zog das Telefon aus seiner Jackentasche und fing an zu telefonieren.
Der Grubenbesitzer atmete tief durch. So sehr er selber mit anpacken wollte, er wusste, er würde mehr stören als helfen. Aber seine Gegenwart wäre woanders vielleicht hilfreich. Auch wenn er sich wünschte, er könnte das irgendwie delegieren. Aber der Anstand gemahnte, dass er die Verantwortung übernahm. Und das bedeutete auch, die panischen Angehörige seiner Mitarbeiter zu beruhigen und zu versichern, dass alles menschenmögliche getan wurde, um diese zu retten.
Karl hatte schon kein Wasser mehr. Auch die Luftaufmischer schienen langsam an ihre Grenzen zu kommen. Er wusste nicht, wie viele Tage er schon hier war. Viele. Zu viele. Oben an der Oberfläche mussten sie ihn schon tot glauben. Seine Kassandra. Schwach vergrub er das Gesicht in den Händen. Er wollte sich nicht ausmalen, was diese gerade durch machte. Aber dann hörte er das Bohrgeräusch. Erst leise, dann lauter werdend. Dann brachen Felsbrocken durch die Stollenwand vor seinen Schutzraum.
Sie konnten ihn nicht sofort rausholen. Das Bohrloch war zu klein, zu instabil. Aber sie konnten Nahrungsmittel und Wasser zu ihm runter schicken. Und nach einen Tag eine kleine Rettungskapsel. Er hatte davon im Fernsehen gehört. Aber er dachte nie, dass er eines Tages mal selber in so einer kleinen Kapsel an die Oberfläche fahren würde.
Das erste was er an der Luft sah, bevor die Sanitäter seine lichtempfindlichen Augen mit einen Schutz abdeckten, war rotes Haar. Ganz kurz nur. Aber es hatte gereicht, um seine Frau so warm lächeln zu sehen, wie jedes Mal, wenn er nach Hause kam.