Ein leichtes Klopfen am Fenster lenkte mich von der Arbeit ab. Ein winziges Köpfchen lugte an der Fensterecke in meinen Raum. Clarissa. Ich seufzte und öffnete das Fenster.
„Hat wieder der Nachbarshund eure Wohnungseinrichtung geklaut?“ Das würde bedeuteten, das sie mich wieder quer über die Straße scheuchten, nur um in der Hundehütte des kleinen Schäferhundes nebenan nach den kleinen Spielzeugmöbeln zu suchen. Nicht zum ersten Mal verfluchte ich den Tag, an dem meine längst verstorbene Großmutter einen Stamm Pixies Asyl in ihrem Garten gewährt hatte. Als Kind war das noch spannend - häufig lag ich auf den Bauch vor den Erdlöchern und versuchte, aus verschiedenen Positionen einen Blick auf das unterirdische Nest zu erwischen. Leider fand der Nachbarshund das auch sehr interessant und mehr als einmal hatte er sich ins Wohnzimmer der Pixies vorgebuddelt und war mit den einzelnen Möbeln abgehauen. Der einzige Hund, den ich kannte, der auf Puppeneinrichtung steht.
Clarissa schüttelte aber ihr kleines Köpfchen. Ein grünes Hütchen aus Blättern saß auf ihren kastanienbraunen Haar und wippte bei ihre Kopfbewegung mit.
„Nein. Aber wir brauchen deine Hilfe!“
„Hat das nicht Zeit?“ Wenn es kein Hundenotfall war, würde ich gerne den aktuellen Bericht fertigstellen. Mein Chef drängelte schon.
Clarissa flog mit ihren winzigen Flügeln auf meinen Schreibtisch und zog an meinen Arm. „Komm bitte sofort, es ist ein Notfall!“ Entnervt blockierte ich meinen Bildschirm, denn auf den Trick mich wegzulocken damit sie heimlich meinen Amazonaccount missbrauchen können, falle ich nicht noch mal rein. Danach ging ich vors Haus, wo Clarissa schon aufgeregt in der Luft auf und ab schwebte.
„Also was ist los?“
„Komm mit!“ Sie legte die Flügel an und schoss vor mir her um die Ecke des Hauses rum. Auf der anderen Seite des Hauses angekommen, stemmte ich ungläubig die Hände in die Hüften. „Wie habt ihr dass denn hingekriegt?“ fragte ich verblüfft.
Der halbe Pixistamm flog in einen Zustand der hysterischen Erregung um einen Baum herum. In dem Wipfel des Baumes hing ein riesiger roter Papierdrache, dessen Seil sich da anscheinend verfangen hatte.
„Der Papierbruder ist im Baum gefangen.“ Clarissa schaute mich mit großen traurigen Augen an. „Wir kriegen ihn nicht los.“
„Und ich soll jetzt da hochklettern?“ Und das war locker in drei Metern Höhe, wo der Drache hing.
„Bitte! Wir haben versucht mit ihm zu reden, aber er antwortet nicht.“
„Er kann nicht antworten, das ist ein Papierdrache.“ grummelte ich. Aber aus Erfahrung wusste ich, dass es nichts brachte, Pixies von den jeweils aktuellen Gedanken abzubringen, den sie in ihren winzigen Köpfchen gefasst hatten. Dann passte da nichts anderes in ihr Gehirn rein, bis die Sache erledigt war. Und eher würden sie mich auch nicht in Ruhe lassen. Also holte ich aus dem Schuppen meine Leiter und kletterte vorsichtig am Baum hoch. Gut, das ich überhaupt nicht schwindelfrei war. Und die ständig durch die Gegend schießenden Pixies machten das Ganze nicht einfacher. Selene schoss so schnell gegen mich, dass sie mich trotz ihres minimalen Gewichtes fast von der Leiter gestoßen hätte.
„So. Dass reicht.“ Entnervt scheuchte ich meine nervigen Mitbewohner vom Baum weg. „Ich hole ihn runter, aber ihr müsst jetzt alle mal Platz machen. Sonst rühre ich keinen Finger.“ Erstaunlicherweise ließen sich die Pixies ausnahmsweise alle auf einen der Rosenbüsche nieder. Das jetzt 20 kleine Augenpaare unverwandt auf mich gerichtet waren, löste eine andere Art von Nervosität aus. „Hilft ja nichts.“ Entschlossen kletterte ich von der Leiter aus auf einen Ast, um besser an den Drachen dran zu kommen. Seine Leine hatte sich richtig fest um einen Zweig gewickelt. Mehr als einmal verlor ich fast das Gleichgewicht, dann hatte ich den Drachen befreit und er segelte zu Boden.
Mit einen Aufheulen stürzte sich der Pixiestamm da drauf. Wie eine Horde Kinder wuselten sie um den Drachen herum, um ihn schließlich mit lautem Gejubel in Richtung ihres Nestes zu schleppen.
Als ich wieder auf dem Boden angekommen war, waren sie schon dabei, den Drachen halb zusammengefaltet in das Eingangsloch zu ziehen.
„ Ihr müsst den Drachen steigen lassen.“ Entgeistert versuchte ich das Treiben zu stoppen.
„Der Papierbruder ist müde und soll sich bei uns ausruhen.“ Frido flatterte kurz hoch auf meine Nasenhöhe und sah mich mahnend an. „Im Gegensatz zu euch Menschen sind wir gastfreundlich!“ verkündete er stolz.
„Dann steckt den Drachen eben unter die Erde.“ Ich war eigentlich nur froh, wieder an meine Arbeit zurück zu kehren. Nicht zum ersten Mal war ich über HomeOffice froh. So fiel nicht sofort auf, wenn ich wieder auf eine hochdringliche Rettungsmission ausrücken musste.