Kapitel 14 – Andere Angst
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Paul war gute fünf bis zehn Minuten aus Alans Blickfeld verschwunden sein, als der sich abwandte, und in sein Auto stieg. Bis sieben waren einige Stunden Zeit. Wie sollte er sich so lange beschäftigen? Er wollte nicht allein sein. Aber im Grunde war alles, was er jemals gewollt hatte, Paul beizustehen. Ihn nicht wenigstens im Arm halten und trösten zu können, zerriss etwas in Alan.
Aber Paul hatte ihn weggeschickt.
Deshalb fuhr er zunächst absolut ziellos durch die Gegend. So wurde das nichts! Er musste mit jemandem reden und ihm fiel nur eine Person ein, an die er sich mit diesem Problem wenden konnte. Kurz entschlossen lenkte Alan den Wagen rechts in eine Parklücke und kramte sein Handy aus der Tasche. Schnell hatte er den Kontakt gefunden und drückte auf das Anrufsymbol. Während es wählte, schlugen seine Finger nervös auf das Lenkrad.
„Alan?“, ertönte es schon nach dem zweiten Klingeln.
„André! Entschuldige, wenn ich störe. Hast du vielleicht kurz ein paar Minuten?“
Der hatte, wie sich herausstellte, genau genommen sogar jede Menge Zeit, weil er an diesem Tag keinen Dienst hatte. Allerdings war seine Lust, sich ausgerechnet heute stören zu lassen vergleichsweise gering. Den Grund dafür hörte Alan kurz darauf im Hintergrund nach seinem Freund rufen. Sofort regte sich das schlechte Gewissen in ihm, aber etwas anderes trampelte es postwendend nieder und bestand drauf, dass André schließlich schon deutlich länger mit ihm befreundet war und er hier wirklich dringend einen Rat brauchte.
„Es ist Alan“, erklärte André hörbar enttäuscht, als Ricky viel zu schnell Interesse an seinem Telefonat fand. Der sollte gefälligst weiter aufreizend und halb nackt durch Andrés Wohnung zu traben, um seine von eben diesem mit großer Sorgfalt versteckten Klamotten zu finden.
„Hi, Alan! Wie geht’s Paul?“, rief Ricky stattdessen laut genug, dass man es schlicht hören musste. „Grüß ihn von mir!“
Alan grinste, während André beleidigt grummelte, dass er Rickys Freund war und heute alleiniges Besitzrecht an ihm auszuüben gedachte.
„Sei nicht albern!“
Alan konnte hören, wie Ricky André einen Kuss gab und anschließend offenbar wieder vom Telefon verschwand.
„Also, was willst du?“, fragte André – augenblicklich besser gelaunt.
Was doch so ein liebender Partner alles bewirkte. Der Gedanke versetzte Alan einen weiteren Stich in den Magen – und womöglich ebenso in gewisse andere Organe, die er lieber nicht näher bezeichnen wollte.
Alan erklärte also seinem alten Freund kurz, dass sie in der Augenklinik waren und er dringend jemanden zum Reden brauchte. Für einen Augenblick schwieg André, überlegte wohl, was er tun sollte. Langsam fing Alan an, sich schuldig zu fühlen. Offensichtlich hatte sein alter Studienfreund diesen Tag für sich und seinen Partner verplant. Es wäre besser, wenn Alan sich bei ihm entschuldige und es sein ließ. Jemand anderen würde er aber nicht zum Reden finden und das führte dazu, dass der Egoismus erneut aufflammte. André war neben Paul Alans einziger Freund. Und er brauchte ihn. Jetzt. Hierfür. Schließlich hatte André ihm dereinst versprochen, dass er stets für ihn da sein würde.
Bevor einer von ihnen sich zu einer Entscheidung durchringen konnte, mischte sich erneut Ricky ein. Alan konnte hören, wie André diesem in knappen Worten den Grund des Anrufs erklärte. Kaum war der damit fertig, hörte Alan ein Geräusch, das verdächtig danach klang, als ob Ricky seinem Freund gerade auf den Kopf geschlagen hätte.
„Was musst Du Hornochse da überhaupt noch überlegen?“, hörte er Andrés Partner am anderen Ende keifen. „Sag gefälligst endlich ja. Was bist Du denn für ein Freund?!“
„Einer, der Pläne mit seinem Freund gehabt hat“, murrte André beleidigt zurück und hoffte vermutlich, dass Alan den Wink verstand und auflegte. „Solche, die kein Publikum brauchen.“
Der blieb aber stur, egal wie egoistisch das war.
„Deine Pläne können warten. Allerdings hätte dein Freund gern was zum Anziehen, bevor der andere Freund hier aufschlägt!“, tönte es aus dem Telefon. „Ich steh nämlich auch nicht so auf Publikum.“
Alan grinste blöde und versuchte krampfhaft, das Bild eines splitterfasernackten Ricky aus dem Kopf zu bekommen.
„Du hast ihn gehört …“, antwortete André beleidigt. „Aber tu mir einen Gefallen. Lass Dir noch mindestens dreißig Minuten Zeit.“
Alans Grinsen wurde breiter, als er auflegte und den Kopf schüttelte. Die beiden waren eine Welt für sich. Deshalb passten sie allerdings so perfekt zusammen. Paul war ihm gegenüber inzwischen deutlich aufgetaut, aber von einer Ungezwungenheit, wie sie zwischen André und Ricky herrschte, davon waren sie gefühlte Lichtjahre weit entfernt.
Vermutlich war das der Grund, warum die beiden planten, in Kürze zusammenzuziehen während Alan sich nicht einmal traute Paul einen Vorschlag in diese Richtung zu machen. Dabei war ihm nach diesem halben Jahr längst klar, dass es zumindest von seiner Seite aus nicht mehr nur eine einfache Liebelei war.
Und schon war er wieder da, dieser Stich in seinem Magen. Alan schluckte und sah auf seine Uhr. Dreißig Minuten. Er würde etwa zehn davon bis zu André brauchen. Da er vermeiden wollte, dass Ricky sein Auto vor dem Haus entdeckte, beschloss Alan, lieber hier zu warten und erst später loszufahren. Wenn er seinen alten Studienfreund schon an einem freien Tag störte, wollte er wenigstens dessen Wunsch nach einer weiteren halben Stunde respektieren.
Als er vierzig Minuten später bei André ankam, konnte Alan es sich trotzdem nicht nehmen lassen, einen neugierigen Blick durch das Wohnzimmer zu werfen. Leider hatte die Zeit offenbar gereicht, um alle verdächtigen Gegenstände außer Sichtweite zu bringen – so es jemals, welche gegeben hatte.
Wobei Andrés gehetzter Ausdruck Alan deutlich zeigte, dass er sich ruhig etwas mehr Zeit hätte lassen können. Schade, eine Gelegenheit, André in Verlegenheit zu bringen, ließ Alan sich nur ungern entgehen. Andererseits war er hier, weil er dessen Hilfe brauchte. Ricky hatte scheinbar ebenfalls ausreichend viele Sachen gefunden – oder zurückbekommen – sodass er nicht mehr nackt durch Andrés Wohnung hüpfte.
Etwas, was der mit einem recht erregten Blick auf Rickys Kehrseite offensichtlich bedauerte. Mit Selbigem hatte André dessen Gemurmel nach Pläne für heute. Die würde er aber garantiert genauso wenig wie seinen Freund mit Alan teilen. Worüber der durchaus nicht undankbar war.
„Also, was ist passiert?“, fragte André, kaum dass er mit Alan im Wohnzimmer saß.
Rick verschwand derweil in der Küche, um etwas zu Trinken für sie alle zu besorgen. Vermutlich auch, um ihnen mehr Privatsphäre zu lassen. Ein Zug, den Alan sehr zu schätzen wusste.
Trotzdem sah er seinen alten Freund zunächst einen Augenblick nachdenklich an, bevor er langsam anfing, zu erzählen, was passiert war. Schweigend hörte André zu. Rick setzte sich ebenfalls zu ihnen, nachdem er die Gläser und zwei Flaschen Wasser auf dem Couchtisch abgestellt hatte. Als Alan fertig war, trat zunächst kollektives Schweigen ein. Weder Rick noch André wussten augenscheinlich, was sie darauf entgegnen sollten.
„Was ... erwartest du für einen Rat von mir?“, fragte André dennoch nach.
Schulterzuckend sank Alan in sich zusammen. „Ich weiß nicht, ob ich ihm sagen soll, was ich mir wünschen würde“, meinte er irgendwann verhalten.
Ihm wäre es lieber, Paul würde das Risiko nicht eingehen, sondern die OP zumindest vorerst vergessen. In ein paar Jahren sah es womöglich anders aus. Weniger Risiken, mehr Chancen auf Erfolg. Dann könnte Paul sich doch immer noch operieren lassen.
„Weil du nicht willst, dass er die Operation macht?“, fragte Ricky stirnrunzelnd nach.
Alan antwortete nicht, sah auch nicht auf. Je länger er hier saß, desto klarer wurde ihm, wie das aussah, wie es wirkte und klang. Er wollte Paul nicht einengen, ihn nicht einsperren in der Dunkelheit. Der Gedanke fühlte sich beschissen an. Wie kalte Hände legte er sich um sein Innerstes. Den Teil von Alans, der durch Paul doch überhaupt erst wieder angefangen hatte, zu leben.
„Ich kapier’s nicht“, meinte Rick zögerlich. „Warum willst du das nicht? Weil die winzige Möglichkeit besteht, dass bei der Narkose etwas schiefgeht? Die gibt es bei jeder Operation, soweit ich weiß.“
„Aber diese OP ist nicht überlebenswichtig“, widersprach Alan augenblicklich und mit einer Spur Trotz in der Stimme. „Er kommt doch gut allein zurecht. Paul brauchte kaum noch Hilfe im Bad, beim Anziehen, Essen. Er hat so große Fortschritte gemacht. Es war sogar jemand da, der ihm Braille beibringen könnte. Die erste Stunde lief gut. Das ist doch alles für ihn normal inzwischen.“
„Aber er kann trotzdem nicht sehen“, gab André zu bedenken. „Sein ganzes bisheriges Leben über konnte Paul das. Dann war das mit einem Schlag weg. Du bist der Psychotherapeut, Alan. Korrigiere mich, falls ich falschliege, aber meinst du nicht, dass für Paul sein Leben erst zu ‚normal‘ zurückgekehrt ist, wenn er wieder etwas sehen kann? Oder er diese Hoffnung eben endgültig aufgeben muss?“
Natürlich war Alan klar, dass André damit recht hatte, aber er war nicht bereit, sich das selbst oder irgendjemandem sonst gegenüber einzugestehen. Zu groß war die Angst, vor den Konsequenzen, die diese Entscheidung womöglich haben würde. Alan sank weiter in sich zusammen und automatisch ob er seine Linke und rieb sich über die Wange.
„Alan?“, fragte André sofort.
Erschrocken zuckte dieser zusammen und ließ schnell seine Hand sinken.
„Er hat mich, ich kann ihm bei allem helfen, was er nicht mehr alleine schafft“, flüsterte Alan mit belegter Stimme.
„Du meinst das hoffentlich nicht so, wie es klingt“, hakte Rick prompt mit einem entrüsteten Schnauben nach.
Der erboste Unterton gefiel Alan gar nicht. Trotzig presste er die Lippen aufeinander, antwortete jedoch nicht.
„Und wenn Du Dich entscheidest, irgendwann nicht mehr da zu sein? Was dann?!“
Rickys Stimme klang noch kälter als zuvor. Sie bebte förmlich vor Wut. Nachdem Alan den Kopf hob, hatte er für einen Moment das Gefühl, als würde ihn der Blick aus diesen sonst so freundlichen grünblauen Augen geradezu aufspießen.
„Ich werde nicht gehen“, antwortete Alan entschieden. „Ich habe es Paul versprochen.“
Die Vorstellung wirkte mehr als absurd. Er würde Paul garantiert nicht verlassen. Der Gedanke allein bereitete Alan Übelkeit. Zurück in diese Einsamkeit in seine ganz persönliche Leere, aus der er erst durch Paul herausgefunden hatte. Erneut war er versucht, seine Hand zu heben, doch diesmal bemerkte Alan die unterbewusste Bewegung und stoppte sich selbst. Stattdessen rieb er mit der Rechten über seinen linken Arm, so als wolle er sicherstellen, dass der ihn nicht ein weiteres Mal betrog.
„Vielleicht liegt ein Problem darin, wie ihr euch kennengelernt habt“, gab André zu bedenken. „Paul war immerhin dein Patient. Ich habe dir damals geraten, dass du dich zwischen ihm und deinem Job entscheiden solltest.“
„Und das habe ich!“, gab Alan hastig und allmählich wütend zurück. „Ich habe gekündigt, eine neue Stelle. Ich habe mich für Paul entschieden! Mit allen Konsequenzen. Und ich würde es wieder tun!“
Ricky und André sahen sich kurz an, bevor sie zu Alan zurückblickten. Andrés Stimme war bewusst zurückhaltend, als er fortfuhr: „Aber ein Teil von dir behandelt ihn immer noch.“
Alan zuckte unter dem Vorwurf zusammen, trotzdem wollte er es André gegenüber nicht zugeben. Ja, manchmal konnte er nicht verhindern, dass er darüber nachdachte, wie er Pauls angeschlagenen Geist wieder ins Gleichgewicht bringen könnte. Aber er tat das nur, um diesem einen Weg zu zeigen, und meistens geschah es nicht einmal bewusst. Es war nicht so, dass er versuchte, Paul absichtlich zu therapieren.
„Ich versuche, ihm zu helfen“, krächzte Alan wieder leiser. Und auch wenn er wusste, dass es albern klang, konnte er nicht verhindern, dass ihm die nächsten Worte ebenso herausrutschten. „Es ist anders. Ich liebe ihn …“
André zog bei der Wortwahl zischend die Luft ein. Erst als er das Geräusch hörte, wurde Alan klar, was er gesagt hatte. Er verzog das Gesicht und senkte erneut den Kopf. Sie kannten sich lange genug. André würde nur zu genau wissen, was es für Alan bedeutete, dass er diese Worte tatsächlich aussprach.
Als er verstohlen nach oben lugte, konnte Alan sehen, dass André den Kopf gedreht hatte und nun seinerseits zu Rick sah. Dieser hob lediglich eine Augenbraue und zuckte kaum merklich mit den Schultern.
Die Kälte in Alan wurde größer, fraß sich durch seine Eingeweide. Er musste hier raus. Die beiden so zu sehen war unerträglich. Sie hatten längst das, was Alan für sich selbst als unmögliches Ziel eingestuft hatte – bis er Paul kennenlernte. Jetzt, wo er zum ersten Mal jemanden hatte, beidem es sich nicht falsch anfühlte, von Liebe zu sprechen, drohte alles zu erbrechen. Und niemand wollte das verstehen.
Bevor Alan tatsächlich aufstehen konnte, fragte André jedoch weiter: „Hat Paul sich denn schon für die OP entschieden?“
Einen Moment lang überlegte Alan. Sicher war sich nicht. Im Gegenteil. Nachdem sie die Augenklinik verlassen hatten, war Paul so schweigsam gewesen, dass Alan ehrlicherweise keine Ahnung hatte, was in seinem Freund vorgegangen war. Genau genommen machte ihm das nur noch mehr Angst. Das und die Tatsache, dass Alan selbst nicht wusste, was danach passieren würde.
Seit dem Unfall hatte Paul sich niemand anderem gegenüber geöffnet. Schlicht, da er sich jedem verwehrt hatte. Wenn sich das änderte, dann würde Paul nicht nur Alan sehen, sondern auch all die übrigen Menschen um sie herum. Seiner eigenen Gefühle war Alan sich sicher, aber wie viel von dem, was Paul für ihn empfand, war tatsächlich etwas wie Liebe?
„Ich will ihn nicht verlieren“, wisperte er und schaffte es diesmal nicht den Impuls kontrollieren, als sein linker Arm erneut nach oben schnellte.
„Wieso gehst Du ständig davon aus, dass Du Paul verlieren könntest?“, fragte Rick mit einem Stirnrunzeln. „Wie groß ist das Risiko bei so einer OP wegen der Narkose denn?“
Etwas irritiert sah Rick zu André, der das daraufhin als Frage an ihn auffasste: „Jede Narkose birgt ein gewisses Risiko“, antwortete er ausweichend. „Aber ich würde davon ausgehen, dass es in diesem Fall vergleichsweise gering ist.“
„Dann verstehe ich es um so weniger. Weshalb solltest du Paul verlieren?“
Alan kniff die Augen zusammen, brachte allerdings keine Antwort heraus.
Plötzlich hörte er Rick keuchen: „Du meinst jetzt aber nicht ...? Ich bin sicher, dass Paul dich genauso liebt, wie du in ihn. Wie kannst du daran zweifeln?!“
Bei den harschen Worten zuckte Alan nur noch mehr zusammen. Es schnürte ihm die Kehle zu, machte jede Antwort unmöglich.
„Alan?“, setzte André nach, als der weiterhin nicht antwortete. „Himmel, Alan. Sag was!“
„Ich … ich weiß nicht, wie Paul tatsächlich zu mir steht.“
„Jetzt mach aber mal halblang!“, mischte sich Rick geradezu erbost wieder ein. „Er wäre garantiert nicht mit dir zusammen, wenn er nichts für dich empfinden würde! So ist Paul nicht.“
Alan antwortete nicht sofort. Er hatte sich etwas anderes von dem Gespräch mit André erhofft. Anstatt ihm zu helfen, zeigte es ihm nur um so mehr, wovor er sich sowieso schon fürchtete.
„Ich sollte gehen … Tut mir leid, dass ich Euch gestört habe.“
Sofort sprang André auf und stellte sich seinem Freund in den Weg. „Warte!“
Alan schüttelte den Kopf. „Nein. Ich … habe schon genug von deiner ... eurer Zeit verschwendet.“
„Tu das nicht, Alan“, flüsterte André und hielt diesen an den Schultern fest, als der sich anschickte an ihm vorbei zu drängen, um zu verschwinden. „Geh nicht an diesen Ort zurück.“
Alan warf einen unsicheren Seitenblick zu Rick, doch als der irritiert zu ihnen zurücksah, wandte er sich schnell wieder ab. Er mochte Andrés neuen Partner echt gern. Aber befreundet war er nun einmal mit André selbst. Und diesen Seelenstriptease vor jemandem aufzuführen, den er effektiv kaum kannte, widerstrebte Alan immer mehr. Er musste hier raus. Es war ein Fehler überhaupt herzukommen.
Doch bevor er einen Schritt in Richtung Tür setzte, drückte André ihn plötzlich in einer kräftigen Umarmung an sich. Er hob die Hand und packte Alans Hinterkopf, um ihn zu sich zu ziehen.
„Rede erst einmal mit Paul, bevor Du Dich weiter in irgendwas reinsteigerst. Bitte, Alan!“, flüsterte André ihm eindringlich ins Ohr.
Der nickte stumm, drückte seinen Freund dann aber von sich, um sich aus dessen Armen zu befreien. Ein weiteres Nicken in Rick Richtung, danach verließ Alan schweigend die Wohnung.
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Einen Moment lang starrten die beiden Männer ihm hinterher, bevor Ricky aufstand und sich hinter seinem Freund aufbaute.
„Gibt es da etwas, das Du mir sagen möchtest, André?“
Der zuckte zusammen, vermied es aber vorsorglich, sich umzudrehen.
„Hattet ihr eigentlich mal was?“
André lachte, es klang allerdings nicht sonderlich belustigt – eher reichlich verunsichert. Mit einem Seufzen schüttelte er schließlich den Kopf.
„Wir sind Freunde. Ich … habe ihm vor langer Zeit geholfen … sich selbst etwas besser zu verstehen.“
„Oh, mein Gott“, lachte Rick und trat um André herum, um diesem mit einem hämischen – kilometerbreiten – Grinsen ins Gesicht zu sehen. „Du hast tatsächlich mit ihm geschlafen.“
„Ricky …“
„Nein!“, fuhr dieser seinen Freund mit einer Spur Ärger in der Stimme an.
Doch das hinterhältige Grinsen war weiter auf seinen Lippen, sodass André genau wusste, was als Nächstes passieren würde. Ricky war alles andere als sauer, eher ein Jagdhund, der Blut gerochen hatte. Im Augenblick konnte das allerdings niemand gebrauchen.
„So einfach kommst Du mir nicht davon, mein Lieber. Ich will alles wissen. Und ich meine wirklich alles. Diese Story lasse ich mir bestimmt nicht entgehen!“
„Das ist keine Geschichte, die ausgerechnet ich dir erzählen sollte, Rick.“
Der runzelte die Stirn und sah ein weiteres Mal zur geschlossenen Wohnungstür. Anschließend wanderte sein Blick zurück zu André, doch dessen Ausdruck versetzte Rickys Hoch einen herben Dämpfer.
„Okay. Vorerst“, stimmte er wieder ernst zu. „Aber versprich mir eins.“ André sah ihn fragend an. „Er wird Paul nicht wehtun.“
André seufzte und küsste diesen auf die Stirn, bevor er ihn an sich zog. „Du solltest inzwischen wissen, dass Alan gefährlicher aussieht, als er ist.“
Ricky boxte ihn in die Seite und verzog seinen Mund zu einem süßen Schmollen. „Du weißt genau, was ich meine.“
Lächelnd zog André ihn erneut an sich. „Ja, weiß ich. Und ich mache mir ehrlich gesagt mehr Sorgen darum, dass Paul Alan wehtun wird.“
Ricky runzelte die Stirn, schmiegte sich aber zufrieden an den Mann, mit dem er, seit mehr als anderthalb Jahren glücklich war. Trotz aller Höhen und Tiefen, die sie erlebt hatten. Genug, um sich dazu zu entscheiden, aus der Wohnung seiner Tante auszuziehen, um stattdessen bei André zu leben.
Vielleicht wünschte Ricky sich in diesem Moment also lediglich, dass Alan und Paul diesen Zustand ebenso erreichten. Insbesondere Letzterer hatte seiner Meinung nach endlich etwas Glück verdient.
„Alan sieht nicht aus, als ob ihm jemand so einfach wehtun könnte“, murmelte Rick nachdenklich, während er in die Küche schlurfte, um sich einen bitternötigen Kaffee zu machen.
Es erschien allerdings ebenfalls unmöglich das Bild dieses kräftigen Hünen mit dem zusammengesunkenen Häufchen Elend, das vorhin auf ihrem Sessel gehockt hatte in Einklang bringen. Also womöglich konnte er diesen ungewöhnlichen Kerl namens Alan trotz der Zeit, die sie in den letzten Monaten zusammen verbracht hatten, noch immer nicht ganz einschätzen.
„Ja“, antwortete André mit einer Spur Wehmut in der Stimme. „Das ist jedes Mal das Problem.“