Kapitel 18 – Andere Selbstsicht
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Es war kalt geworden in den letzten Tagen. Offenbar machte sich der Winter jetzt doch allmählich auf den Weg. Kein Wunder, immerhin war heute der erste Adventssonntag in diesem Jahr. Und als wollte Petrus sichergehen, dass jeder Bescheid wusste, was in vier Wochen auf ihn zukam, hatte er eine Kaltfront geschickt. Diese blies eisigen Wind durch die Straßen ihrer im Weihnachtstrubel erwachenden Stadt.
Aber die wenigsten schien das abzuschrecken, denn selbst wenn der Wind kalt war, weckte die Sonne die Lebensgeister und lockte die Leute auf die ersten Weihnachtsmärkte. Unter diese hatten sich auch Alan und Paul gemischt, wie so oft begleitet von Ricky und André.
„Geh jetzt!“
„Nein!“
„Nimm … deine … Wichsgriffel …“
„Pass auf!“
„Ich kann das alleine! Pfoten weg!“
„Aua! Verdammt!“
Paul grinste glücklich vor sich hin. Selbst wenn er nicht sehen konnte, was auf der Eisfläche vor ihm passierte, hatte er aufgrund der Wortfetzen von André und Alan, die zu ihm herüberwehten zumindest eine vage Vorstellung. Okay, er hatte irgendeine wahnwitzige Idee, was dort abging. Aber die war ausgesprochen unterhaltsam und das war das Wichtigste.
„Kann einer von beiden eigentlich wirklich Schlittschuhlaufen?“, fragte er feixend an Ricky gewandt, der wie so oft bei ihm geblieben war, während ihre Freunde sich wie Kinder aufführten.
„Uhm … Nein.“
Paul lachte erneut, diesmal sogar lauter. Allerdings waren genau das auch die Momente, in denen ihm wieder schmerzlich bewusst wurde, dass ihm etwas fehlte. Nur zu gern würde er sehen, wie die beiden ‚Jungs‘ über das Eis stolperten. Nein, um genau zu sein, wäre er am liebsten selbst dort. Es juckte ihn geradezu in den Beinen, sich Schlittschuhe überzustreifen und drauflos zu fahren – wie er es früher schon so oft getan hatte.
„Warum bist du nicht auf dem Eis, Ricky?“
„Damit ich genauso dämlich aussehe wie die beiden Kindsköpfe? Sicher nicht!“
Erneut konnte Paul das Kichern nicht unterdrücken: „Kannst du auch nicht fahren?“
„Nee, du etwa?“
Paul zuckte mit den Schultern. „Mein Papa hat Eishockey gespielt …“
Bei dem Gedanken an seinen Vater und dass der genau wie die anderen jetzt schon über zwölf Monate tot war, ließ Paul automatisch den Kopf hängen. Es war komisch, anders als letztes Jahr. Damals war der Unfall zu frisch in seinem Kopf gewesen und er hatte nicht einmal mitbekommen, dass es Weihnachten geworden war. Dieses Jahr würde er deshalb das erste Mal bewusste ohne seine Familie feiern.
„Tut mir leid“, unterbrach Ricky leise seine Gedanken. „Ich wollte dich nicht … du weißt schon … dran erinnern.“
Paul grinste schief und schüttelte den Kopf. „Alles gut. Es ist weder deine noch meine Schuld und ändern kann es jetzt ohnehin niemand mehr.“
„Uff!“, hörte man plötzlich vom Eis. Paul war sich sicher, dass das laute Stöhnen von André kam.
„Hast Du dir was gebrochen?“, tönte schon Alans Stimme mit einem unüberhörbaren Grinsen.
„Nein, alles gut.“
„Schade!“
Paul lachte ein weiteres Mal. Wenn man die beiden so hörte, kam vermutlich niemand auf die Idee, dass sie beste Freunde waren. Aber das Gezanke erinnerte Paul ebenso an die Streitereien, die er immer mit seiner kleinen Schwester gehabt hatte. Auch die würde jetzt nicht mehr mit ihm feiern … Wieder legte sich ein schwarzes Band um sein Herz und schürte es zu. Es erschien manchmal mehr als unfair, dass er als Einziger überlebt hatte.
„Alles klar bei euch beiden?“, rief Alans Stimme plötzlich besorgt zu ihnen hinüber.
Schnell hob Paul den Kopf und mühte sich ein Lächeln ab. „Natürlich!“, schrie er betont fröhlich um seinen Freund nicht weiter zu sorgen. Vermutlich hatte der ihn hier mit hängendem Kopf sitzen sehen und war deshalb zu ihnen gekommen.
„Wir wundern uns nur, wer von euch beiden schlechter fahren kann“, fügte Ricky mit einem Hauch Herausforderung hinzu.
„Eindeutig Alan!“
„Vergiss es! Du fährst doch wie ein Opa!“, schoss der sofort zurück.
Wütend entgegnete daraufhin André schnaubend: „Wen nennst du hier Opa?! Ich bin gerade mal ein Jahr älter als du!“
„Ich sagte, du fährst wie ein Opa …“
Paul lachte erneut und unterbrach damit das wiederaufkeimende Wortgefecht der beiden Freunde. „Also mein Opa konnte echt verdammt gut Schlittschuhlaufen“, rief er feixend in die Runde.
„Ha!“, triumphierte André sofort. „Siehst du. Ich fahre besser!“
„Von wegen! Hey, Paul! Das ist gemein! Du solltest auf meiner Seite sein.“
Mit jedem Wort war Alans Stimme nähergekommen. Kurz darauf spürte Paul, wie sein Freund sich neben ihn setzte und ihn von der Seite leicht mit dem Arm anstieß. Das leise Lachen drang diesem direkt ins Herz und erfüllte es mit Wärme.
„Willst du auch mal? Ich halt dich fest.“
Paul grinste und schüttelte den Kopf. „Lieber nicht.“
Als Alan sich zu ihm rüber beugte. Um ihm ins Ohr zu flüstern, kitzelte dessen Atem Paul verführerisch am Ohr: „Ich halt dich auch ganz bestimmt gut fest.“
Da wurde dessen Grinsen sogar breiter. „Danke, aber ich habe das Gefühl, dass ich besser fahren kann als du. Trotzdem möchte ich ausgerechnet heute nichts riskieren.“
Alan sah Paul prüfend an und nickte wohlwissend, dass der es nicht sehen würde. „Alles klar. Dann bleib du einfach ruhig sitzen und ich zeig André noch mal, wie man das hier wirklich macht!“
„Ganz schön große Klappe …“, kommentierte der sofort die Herausforderung und dann konnte Paul hören, wie die beiden zurück zur Kunsteisbahn staksten.
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Alan konnte es sich nicht verkneifen, immer wieder prüfend zu Paul zu schauen. Er wurde das Gefühl nicht los, dass es richtig Spaß gemacht hätte, mit seinem Freund im Arm über das Eis zu gleiten.
Aber Alan wusste genau so gut, dass Paul recht hatte, wenn er sagte, er wolle im Augenblick lieber keine Knochenbrüche riskieren. In drei Tagen stand seine Augenoperation an. Der Gedanke ließ Alan erschaudern, aber er unterdrückte die aufsteigende Finsternis und wand sich wieder seinen Albereien mit André zu. Der war ein wahrer Meister darin, Alan von seinen Sorgen wenigstens für eine Weile abzulenken.
„Ist Paul schon aufgeregt?“, fragte André mit einem Mal, als hätte er geahnt, wohin Alans Gedanken desertiert waren.
Der zuckte mit den Schultern, schüttelte schließlich den Kopf. „Ich glaube nicht, dass er extra aufgeregt ist. Eher ungeduldig.“
Er seufzte und fuhr an die Bande, um besser mit André reden zu können. Da sie hier auf der anderen Seite der Eisfläche waren, war es für Ricky und Paul unmöglich, sie zu belauschen. Und Alan hatte im Augenblick durchaus das Bedürfnis nach einem Gespräch mit seinem alten Freund – wo der das Thema ja selbst angesprochen hatte.
„Er ist zappeliger als sonst und ich glaube, er würde sich lieber heute als morgen unters Messer legen.“
André nickte. „Wie viel Hoffnung macht er sich?“
Alan überlegte. Diese Frage war nicht so leicht zu beantworten, schon gar nicht für ihn. „Ich weiß es nicht“, gab er leise zu. „Er versucht, es runterzuspielen und sagt, dass er realistisch wäre. Aber ich bin mir sicher, dass er fest damit rechnet, dass er hinterher sehen kann.“
„Was passiert, wenn das nicht der Fall ist.“
Der Blick, den Alan André zuwarf, sagte diesem hoffentlich, dass das nach Alans Einschätzung für Paul längst keine Option mehr war. Lächelnd hob André seine rechte Hand und schlug damit sanft gegen Alans linke Wange.
„Hab ich Dir schon mal gesagt, dass mir dein neuer Haarschnitt gefällt?“
Etwas beschämt sah Alan zu Boden, doch das Grinsen auf seinem Gesicht war unverkennbar. „Du hattest recht, weißt Du“, antwortet Alan leise.
„Natürlich hatte ich recht. Ich habe zwar keine Ahnung, womit. Aber ich habe schließlich immer recht.“ Andrés Grinsen wurde ebenso breiter. „Er liebt dich genauso, das weißt Du, Alan.“
Der zuckte mit den Schultern und sah zu Ricky und Paul rüber. „Ich hoffe es …“, murmelte er so leise, dass André es fast nicht verstanden hatte.
„Lässt dich etwas zweifeln?“
Wieder zuckte Alan mit den Schultern, bevor er seinen alten Freund ernst anblickte. „Er hat bisher nie was in die Richtung gesagt.“
„Nicht einmal ansatzweise?“ Das kaum merkliche Kopfschütteln ließ André die Stirn runzeln. „Du verarschst mich.“
Diesmal schüttelte Alan deutlich den Kopf. Sichtbar verwirrt sah André zu ihren beiden Freunden auf der anderen Seite der Eisfläche hinüber.
„Paul vertraut niemandem so wie Dir, Alan. Das weißt du.“
Der grinste schief. Er versuchte nicht einmal, zu verstecken, wie nahe ihm gerade dieses Thema ging. Bei Paul mochte das funktionieren, aber André kannte ihn zu gut, um die Fassade nicht zu durchschauen. Alan räusperte sich, bevor er den Kopf hob und dem Mann in die Augen sah, der vor etlichen Jahren sein Leben in die richtige Bahn gerückt hatte.
„Ich vertraue dir auch, André. Bedingungslos. Aber Vertrauen allein, das ist keine Liebe. Das haben wir doch schon einmal festgestellt.“
Erneut rieb der mit dem Daumen über Alans linke Wange, bevor er ihm einen flüchtigen Kuss auf die andere hauchte. „Er wird Dich nicht enttäuschen“, flüsterte André ihm leise ins Oh. Kurz darauf stieß André sich von der Bande ab. „Komm schon, Du Trantüte. Du wolltest mir doch zeigen, wie man Schlittschuh läuft!“
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Es war laut im Rush-Inn, aber zur Abwechslung störte Paul sich überhaupt nicht an der Lautstärke. Seit er in dieser Dunkelheit gefangen war, mochte er es nicht, wenn seine verbliebenen Sinne gestört wurden – allen voran sein Gehör. Aber heute Abend war es ihm egal, denn er war hier um sich genau von diesen Gedanken abzulenken.
Deshalb lehnte er sich zufrieden gegen Alan, der hinter Pauls Barhocker stand und ihm, gutmütig wie er war, seine breite Brust als Lehne zur Verfügung stellte. Da das Rush-Inn an diesem Abend extrem gut besucht war, hatten sie keinen freien Tisch mehr gefunden und so mit zwei Plätzen an der Bar vorliebgenommen. Galant wie André und Alan manchmal waren, überließen sie die Stühle ihren Freunden, die das Angebot sicher nicht ausschlagen wollten.
„Oh Mann, ich hätte nicht gedacht, dass es heute so voll ist. Wie wird das erst, wenn Weihnachten tatsächlich ansteht?“, murmelte Alan hinter ihm und legte beschützend einen Arm um Pauls Brust.
„Hat Alex schon geschmückt?“, fragte der neugierig nach.
Alan sah sich kurz um, bevor er antwortete: „Ich glaube nicht, jedenfalls nicht ernsthaft.“
„Schade. Ich hoffe, Alex holt das noch nach.“
„Was soll ich nachholen?“, mischte sich eine fröhliche und gut gelaunte Stimme in ihr Gespräch ein.
„Du hast nicht für Weihnachten dekoriert!“, warf ihm Paul direkt an den Kopf und zog einen Schmollmund. „Es ist der erste Advent!“
Alex lachte und schüttelte nur ungläubig den Kopf. „Ja, ja, aber das heißt, es sind noch vier Wochen bis Weihnachten … Jede Menge Zeit!“
Paul schmollte weiter und sah blind in die Richtung, in der Alexander stehen musste. „Versprich mir, dass Du noch schmückst!“
Einen Moment herrschte Schweigen, bevor Paul Alex lachen hörte. „Okay, ich verspreche es“, gab er nach. „Wenn mein einziger blinder Gast unbedingt eine Weihnachtsdeko möchte, kann ich das doch nicht einfach ablehnen. Könnt ihr sonst noch was gebrauchen?“
„Ein Wasser“, bestellte Paul schnell.
„Eine Cola“, fügte Alan hinzu.
„Heute alle von euch alkoholfrei unterwegs? Was ist mit euch zwei?“
Paul drehte den Kopf nach links, wo Ricky neben ihm saß und André ebenfalls stehen musste. Er wollte schon antworten, dass sie auf ihn keine Rücksicht nehmen bräuchten, da erklang bereits Andrés Stimme.
„Warum nicht“, antwortete der mit einem Schulterzucken. „Was hast Du denn außer Wasser und Cola an Alkoholfreiem?“
Offenbar musste Alex erst überlegen, bevor er zögerlich antwortete: „Ginger Ale und Apfelsaft. Ich fürchte, mit mehr kann ich aktuell nicht dienen. Oder … Moment. Torin? Ist noch was von dem alkoholfreien Bier da?“
Die nach mehreren Besuchen hier vertrauer gewordene Stimme des Juniorchefs ertönte: „Alkoholfrei? Ist heute Kindergartenausflug?“
„Der Kunde ist König“, rief Alex lachend zurück.
Tori schnaubte, antwortete aber gehorsam: „Ich glaube, es ist noch eine Kiste von dem 0,0%-Zeug, das Du ausprobieren wolltest hinten im Lager.“
„Also, was darf’s sein?“
André und Ricky entschieden sich für eines der alkoholfreien Biere und ein Ginger Ale. Nachdem alle vier ihre Getränke hatten, waren sowohl Alex als auch Torin wieder mit den übrigen Gästen beschäftigt und kehrten an ihre Arbeit zurück.
Ein Gespräch kam zwischen den Freunden an diesem Abend aber nur schwer in Gang. Alan und Paul waren offensichtlich mit den Gedanken schon am kommenden Mittwoch verankert, für den Pauls OP angesetzt worden war. André war sich nicht sicher, ob er die Sache in dessen Beisein erneut ansprechen sollte, und Ricky versuchte krampfhaft, ein Thema zu finden, über das sie nicht schon am Nachmittag an der Eisbahn gesprochen hatten. Es half alles nichts, und so beschlossen sie den Abend vorzeitig für beendet zu erklären.
Auf dem Weg nach draußen half Alan Paul, wie immer unauffällig zwischen den Stühlen hindurch zu navigieren. Doch als jemand ihn anrempelte, passte Alan einen Moment lang nicht auf und Paul stieß direkt mit einem anderen Mann zusammen. Nachdem der dabei seine Drinks verschüttete, mault er Paul wütend an.
„Pass doch auf oder bist Du blind?!“
Da war ein merkwürdiges Blubbern in Pauls Bauch. Keine Wut, keine Scham. Ehe er es sich versah, lachte er laut auf und zuckte mit den Schultern.
„Ja … um ehrlich zu sein bin ich das. Tut mir leid.“
Es kam zunächst keine Antwort. Aber in seinem Rücken konnte Paul die Wärme von Alans Körper spüren. Eine stetige Versicherung, dass er nicht alleine war – weder hier noch sonst irgendwo in Pauls neuen Leben.
„Schon gut“, murmelte der Fremde. „Kann ja jedem einmal passieren.“
Paul lachte noch immer glucksend, während Alan ihn vorwärts schob. Das war das erste Mal, dass Paul einem Fremden gegenüber ohne Scham hatte zugeben können, dass er nichts mehr sah. Und das war nicht einmal so schwer, wie er immer gedacht hatte. Es hatte sich weder falsch noch schlimm angefühlt. Als Paul an die frische Luft trat, hob er sein Gesicht zum Himmel und genoss die kalte Nachtluft.
Ja, es war okay.
Zum ersten Mal seit die Dunkelheit über Paul gekommen war, fühlte es sich nicht wie ein Fluch an. Natürlich hoffte er, dass die Operation gut verlaufen würde und die Ärzte sein Augenlicht wiederherstellen konnten. Und wenn nicht?
Jetzt, wo Paul Alan wirklich dauerhaft an seiner Seite wusste, fühlte sich der Gedanke an einen Fehlschlag nicht mehr so furchtbar an. Es würde trotzdem weitergehen. Das Einzige, was Paul in diesem Fall bedauern würde, war, dass er niemals den Blick in Alans Augen sehen würde, wenn er dem sagte, dass er ihn ebenso liebte.
„Alles klar bei Dir?“
Paul lächelte zufrieden. „Bestens!“
„Wir verabschieden uns für heute“, meinte André, als er mit Ricky dazu kam.
Der trat seinerseits auf Paul zu und umarmte ihn heftig, während er ihm ins Ohr flüsterte: „Ich rufe Dich vor Mittwoch noch einmal an.“
Dann waren die beiden bereits weg und Alan und Paul alleine.
„Gehen wir nach Hause?“, fragte Ersterer und legte seinem Freund den Arm um die Schultern. Der nickte lächelnd und schlang seinen eigenen Arm um Alans Hüften.
„Nach Hause …“
Es fühlte sich weiterhin merkwürdig an, Alans Wohnung so zu bezeichnen.
‚Nein‘, korrigierte Paul sich und sein Lächeln wurde breiter. ‚Es ist jetzt ebenso deine.‘
Selbst wenn er kaum eigene Sachen dort hatte, war Alan stets darauf erpicht, ihm Tag ein Tag aus zu sagen, dass Paul nicht ‚bei‘ diesem wohnte, sondern mit ihm zusammen in dieser Wohnung lebte.
Ein wohliges Kribbeln breitete sich in Paul bei dem Gedanken aus. Alans fröhliche Art hatte ihn von ihrem ersten Treffen an von den Füßen gefegt. Es war zweifellos allein diesem ungewöhnlichen Arzt zu verdanken, dass Paul aus seiner selbst erwählten Einsamkeit gefunden hatte. Und obwohl er die Dunkelheit vor seinen Augen nicht vertreiben konnte, war es Alan trotzdem gelungen, wenigstens einen Teil der Finsternis in Pauls Herzen auszulöschen.
„Danke“, murmelte dieser, während sie in die Richtung liefen, in der Alans Auto stand.
„Wofür?“
Paul war sich selbst nicht sicher, aber er hatte das Gefühl, als müsste er genau das Alan endlich einmal sagen. Denn immerhin hatte er dafür nach Mittwoch womöglich nicht mehr die Gelegenheit. Eine kalte Angst, die er bisher erfolgreich ignoriert hatte, erfasste Paul. Er schluckte und senkte den Kopf. Es war alles so schnell gegangen, nachdem er sich für die Operation entschieden hatte.
In Absprache mit der Heimleitung hatten Alan und er seine Sachen in dessen Wohnung gebracht und Paul war von einem Tag auf den anderen nur noch als Patient der Tagesklinik ins Pflegeheim gefahren.
Kurz darauf kam der Anruf in der Augenklinik und nach einem gefühlt stundenlangen Aufklärungsgespräch war Paul mit dem Termin für den kommenden Mittwoch wieder herausgekommen. Schlagartig war seine Welt ein zweites Mal aus den Fugen geraten, denn in diesem Moment schien sein größter Wunsch zum Greifen nah zu sein.
Aber Rickys Worte von eben hallten in ihm nach und diesmal klangen sie nicht aufmunternd, sondern eher wie ein Abschied. Was, wenn doch etwas schiefging? Das Risiko der Narkose war da, obwohl verhältnismäßig klein. Man würde versuchen, die Operation in lokaler Anästhesie durchzuführen, aber falls er in Panik geriet oder die Chirurgen feststellten, dass es länger dauerte, würden sie auf eine Vollnarkose wechseln.
„Für alles. Dafür, dass Du hier bist, dass Du mir beistehst“, flüsterte Paul heiser.
Alans Griff um seine Schultern verstärkte sich. „Du weißt warum“, antwortete er ebenso leise. Paul lächelte versonnen und schmiegte sich fester an seinen Freund. „Guter Sex und du meckerst nie an meinen Klamotten rum.“
Lachend schlug Paul ihm gegen den Bauch. „Du bist blöd!“
Da hielt Alan an und drehte ihn zu sich. Er nahm Pauls Gesicht in seine Hände und rieb leicht mit beiden Daumen über seine Wangen. „Es wird alles gut gehen.“
„Das weißt du nicht.“
Sanft legten sich weiche Lippen auf Pauls und sofort wanderten seine Gedanken aus der Dunkelheit zurück ins Licht. Alans Stimme zittert und streichelte dennoch Pauls Seele ebenso, wie dessen Daumen seine Wange: „Aber ich glaube daran und das ist alles, was zählt.“