Kapitel 19 – Panik
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„Habe ich die richtige Entscheidung getroffen?“, fragte Paul krächzend.
Er saß in einem dieser ekelhaften Krankenhauskittel, die sobald er aufstand freien Blick auf seinen Allerwertesten gewährten, im Krankenbett. Mit der Linken klammerte er sich an die weiche Decke auf seinen Knien. Seit zwei Tagen wuchs in ihm die Panik und sein ursprünglich felsenfester Entschluss, diese Operation durchzuziehen, geriet ins Wanken.
„Woher die plötzlichen Zweifel?“, kam prompt die etwas verwunderte Antwort aus seinem Handy.
Paul seufzte und löste die Umklammerung seiner Hand um die Decke, nur um kurz darauf zögerlich darüber zu streichen. „Ich weiß nicht … Was, wenn sie doch eine Vollnarkose machen müssen?“
„Dann träumst du einen ‚blauen Traum‘ und bist hinterher hoffentlich gesünder als vorher.“
Paul lächelte als ihn die Redewendung an ein Buch erinnerte, das seine Mutter ihm als Kind so oft vorgelesen hatte. Ricky hatte eine unglaubliche Leichtigkeit in seiner Art das Leben zu sehen. Sie war ansteckend und befreiend. Vielleicht mochte Paul diesen deshalb so gern. Weil man, wenn Ricky mit einem sprach, stets das Gefühl hatte, dass alles gut werden würde. Und dass die Probleme, die man sah, gar nicht so unüberwindlich waren, wie man glaubte.
Aber heute schien die Wirkung auf Paul nicht einzusetzen. „Ich habe Angst, dass ich nicht mehr aufwache.“
Ricky schwieg einen Moment. Paul konnte hören, wie eine Kaffeetasse über die Kücheninsel in Rickys und Andrés Wohnung geschoben wurde. Offenbar stand Letzterer in der Nähe und versorgte seinen Freund mit dringend benötigtem Koffein.
„Tut mir leid, dass ich dich mal wieder so früh rausgeklingelt habe“, entfuhr es Paul sofort. Er wusste ja, dass Ricky kein Morgenmensch war und es ihm schwerfiel vor neun – und erst recht ohne Kaffee – überhaupt in die Gänge zu kommen.
„Paul, lass das!“, fuhr Ricky ihn fast augenblicklich wütend an. „Du weißt genau, dass du mich immer anrufen kannst.“
Ein leises Lächeln schlich sich auf dessen Lippen. Ein weiterer Punkt, der an Ricky so speziell war. Fast selbstlos hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, Paul ein Freund zu sein – in einer Zeit, in der dieser nicht mehr an Freundschaft geglaubt hatte. Abgesehen von Alan jedenfalls. Trotzdem waren Ricky und André ein Teil seiner neuen Familie.
‚Familie.‘
Das Wort erschreckte Paul für einen Augenblick. Aber das waren Alan, André und Ricky für ihn im Laufe des letzten Jahres geworden.
„Na ja, fast immer“, unterbrach dieser Pauls Gedanken plötzlich. „Es wäre hilfreich, wenn ‚immer‘ nach Möglichkeit nicht vor Sieben in der Früh ist, aber ich bin zu Kompromissen bereit.“
Das Lächeln auf Pauls Gesicht wurde breiter. Ricky machte es schon wieder. Er versuchte ihn mit Humor von seinen Problemen abzulenken. Und obwohl Paul genau wusste, was Rick da tat, funktionierte es trotzdem.
„Wovor hast du wirklich Angst?“, fragte der und seine Stimme klang diesmal gar nicht mehr so fröhlich.
Er war wieder ernst, bereit Paul auf die einzige Art zu helfen, die diesem etwas bringen würde. Aber der konnte diese Art nicht leiden – jedenfalls nicht immer. Er schwieg und seine Hand glitt über die Decke auf seinem Schoß. Hätte er sehen können, wäre er versucht, einem möglichen Muster zu folgen. Doch das war unmöglich, eben weil er es nicht sah. Und wäre er nicht blind gewesen, hätte Paul letztendlich festgestellt, dass die Decke gar kein kompliziertes Muster hatte, sondern nur blassgelb und weiß gestreift war.
„Paul?“
Er seufzte und senkte den Kopf, bevor er leise zugab: „Ich habe Angst, dass die Dunkelheit nie endet.“
Schweigen. Paul ‚sah‘ förmlich über das Telefon und seine Blindheit hinweg, wie der Rick den Kopf hängen ließ und sich über die müden Augen rieb.
„Du wirst nicht sterben“, antwortete Ricky mit fester und selbstsicherer Stimme.
„Das weißt du nicht.“
„Doch!“, rief Rick laut und für einen Moment war sich Paul nicht sicher, ob er ein Zittern in der Stimme am anderen Ende des Telefonats gehört hatte. „Doch“, wiederholte Ricky ein weiteres Mal und diesmal war sich Paul sicher, dass er hörte, wie sein Freund die eigenen aufwallenden Emotionen herunterschluckte. „Sterben ist keine Option hier, kapiert?“
Paul lachte ob des trotzigen, fast schmollenden Tonfalls. „Ist nicht mein Plan, Ricky …“
„Das will ich dir auch geraten haben!“, zischte es erbost zurück. Einen Moment lang herrschte Schweigen zwischen ihnen, dann setzte Ricky erneut an: „Und was den Ausgang angeht … Du hast dreißig Prozent. Das ist gut ein Drittel.“
Paul schluckte und versuchte, den Kloß in seinem Hals loszuwerden. „Und wenn das nicht reicht?“
Ein Seufzen am anderen Ende, dann ein Schlürfen, als Rickys Kaffee offenbar abgekühlt genug war, um endlich getrunken zu werden.
„Ah, verdammt! Heiß!“
Oder auch nicht. Erneut drängte sich ein Lächeln auf Pauls Lippen und er fragte sich, was genau er überhaupt von Ricky hören wollte. Warum hatte er dort angerufen? Sie hatten sich doch am Vorabend schon per Telefon verabschiedet. Aber als Paul vor einer halben Stunde diesen dummen Fetzen Stoff, der hier als Nachthemd durchging, anzog, war die Panik in ihm heraufgekrochen. Alan war keine Hilfe. Der war mindestens genauso aufgeregt wie er selbst – wenn nicht mehr. Deshalb hatte Paul seinen Freund in die Cafeteria geschickt, damit der sich dort erst einmal etwas zum Frühstück holte und sich beruhigte, bevor er Paul völlig verrückt machte.
„Was, wenn ich hinterher immer noch nichts sehen kann?“
Ricky schwieg für einen Moment. „Dann hast du nicht mehr verloren, als du ohnehin schon vermisst“, antwortete er endlich leise. „Wir haben bereits festgelegt, dass sterben hier keine Option ist. Und die Wahrscheinlichkeit dafür ist glücklicherweise extrem gering. Also kannst du nur gewinnen.“
Paul runzelte die Stirn. „Du hast recht“, stellte er fest. „Ich habe nichts zu verlieren.“
„Dann gib Alan noch einen Kuss und zieh es durch.“
Erneut lächelte Paul nickend. „Danke, Ricky.“
„Immer gern“, kam es sofort aus dem Handy zurück. Eine kurze Pause bevor er feixend hinzufügte: „Wir sehen uns.“
„Jetzt geht’s los, Herr Feldmann!“, begrüßte ihn eine fröhliche Stimme wenige Minuten nach dem Gespräch mit Ricky.
„Was?“, keuchte Paul überrascht.
Aber davon ließ sich die gut gelaunte Frau nicht abhalten. Flinke Finger fuhren über seinen Arm. „Alles gut. Ich bin Schwester Monika“, erklärte sie und drückte seine Hand leicht, wie um ihm zu zeigen, dass sie da war.
„Hi …“, stammelte Paul, fühlte sich aber etwas überfahren. War es denn bereits soweit? Wo war Alan? Er war noch nicht wieder da! „Ich … Wo ist …?“
„Sie brauchen keine Angst haben. Ich fahre Sie jetzt runter zum OP und dann geht’s auch schon los. Sind Sie aufgeregt?“
Ein leichtes Zittern fuhr durch Pauls Körper und prompt drückten warme Finger erneut auf seine. „Keine Sorge, Herr Feldmann. Sie sind hier in ausgezeichneten Händen.“
„Wo ist Alan?“, presste er endlich heraus.
Er wollte nicht gehen, ohne sich zu verabschieden. Was wenn …
‚Sterben ist keine Option hier, kapiert?‘, hallte es plötzlich in seinem Kopf wider und er lächelte. Trotzdem verschwand das eiserne Band um Pauls Herz nicht. Er wollte, dass Alan hier war.
„Sch, alles gut“, murmelte es da auf seiner anderen Seite und eine warme Hand legte sich auf seine Schulter. Erleichtert schluchzte Paul und sofort wurde die einzelne, verräterische Träne, die ihm entkommen war weggewischt. „Alles gut, Paul. Ich bin da. Wie versprochen. Ich bin da.“
Er nickte, brachte aber keinen Ton raus. Jetzt, wo es so weit war, zitterte er vor Aufregung und Angst. Paul wünschte sich so sehr, dass es funktionierte, dass er endlich wieder etwa sah! Seine Hand tastete nach Alan und der ergriff sie sofort. Mit einem kräftigen Händedruck versuchte er, Paul Mut zuzusprechen.
„Bereit?“, fragte die Frau, die sich als Schwester Monika vorgestellt hatte.
„Nein“, antworteten Paul und Alan zugleich, was ihr ein belustigtes Lachen entlockte.
„Okay.“ Sie klopfte Paul auf die Schulter und drückte diese. „Ich ... hab noch was vergessen. Bin gleich wieder da.“
Kurz darauf hörte Paul die Zimmertür ins Schloss fallen und atmete erleichtert auf. Jetzt, wo es endgültig so weit war, ging die Panik mit ihm durch. Dabei konnte Paul gar nicht so genau sagen, wovor er Angst hatte. Nein, das war so nicht richtig.
„Es wird alles gut“, flüsterte Alan ihm zu und hauchte einen Kuss auf seine Lippen.
Paul fand Alans T-Shirt und krallte sich daran fest. „Mache ich das Richtige hier?“, fragte er kaum hörbar.
Langsam legte sich Alans Hand auf seine Wange und streichelte mit dem Daumen darüber. „Na klar“, antwortete der, als wäre es das Einfachste auf der Welt. Aber Paul konnte den Kloß im Hals seines Freundes hören.
„Ich will Weihnachten bei dir sein“, krächzte Paul trotzig.
„Natürlich, was denkst du denn? So lange behalten die dich garantiert nicht hier.“
„Ich will den Baum sehen und die Lichter.“ Wieder lief eine dieser verfluchten Tränen über seine Wange und erneut war es Alans Hand, die sie wegwischte.
„Sch … Bleib ruhig, Paul. Alles wird gut.“
„Ganz viele Lichter!“
Alan lachte und gab ihm einen weiteren Kuss. „Ganz viele Lichter, versprochen.“
Paul hob seine zitternde Hand und fand nach kurzem Suchen seinerseits Alans linke Wange. „Ich will dich sehen können.“
Der drehte seinen Kopf ein Stück und hauchte einen weiteren Kuss auf seine Handfläche. Einen Moment zögerte Alan, Pauls Herz sich zusammenkrampfte, aber schließlich antwortete er: „Du weißt doch ... Man sieht nur mit dem Herzen gut, Paul. Alles Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Da lachte dieser leise und mit einem Mal fiel ein Großteil der Anspannung von ihm ab. „Ist das dein Ernst? Du zitierst ausgerechnet jetzt den ‚Kleinen Prinzen‘?“
Paul spürte, wie Alan unter seiner Hand lächelte, bevor er sie von seinem Gesicht zog. Kurz darauf fand er sich in einer festen Umarmung wieder, die die letzten Zweifel aus Pauls Gedanken vertrieb. Das hier war seine Chance und er hatte sich dafür entschieden, sie zu ergreifen.
„Dreißig Prozent …“, murmelte er, als Alan sich von ihm löste.
„Das ist verdammt viel“, hauchte der zurück. „Du bist ein Kämpfer, Paul. Also gib jetzt nicht schon vor dem Kampf auf.“
Ebendieser nickte und wollte etwas sagen, doch da öffnete sich die Zimmertür und Schwester Monikas gut gelaunte Stimme kam zurück.
„So … Herr Feldmann. Dann geht’s jetzt los?“
Ein weiteres Zittern durchlief Pauls Körper, doch er nickte tapfer.
„Sie können noch bis zur Schleuse mitkommen, wenn Sie wollen“, fuhr sie offenbar an Alan gewandt fort.
Sofort nickte Paul, denn Worte kamen ihm in diesem Augenblick nicht mehr über die Lippen.
„Keine Angst, Paul“, flüsterte Alan. „Ich bin die ganze Zeit in der Nähe.“
Mit dieser Zusicherung im Herzen ließ Paul die Anspannung aus seinem Körper entweichen und versuchte, sich in dem plötzlich so kalt und einsam erscheinenden Bett zu entspannen.
Als würde sie seine Gedanken lesen, fuhr Schwester Monika schon fort: „In der Schleuse wartet der Anästhesist. Da sie etwas aufgeregt sind, gibt er Ihnen wahrscheinlich etwas, was Sie entspannt. Klingt das gut?“
„Ja“, krächzte Paul, darum bemüht der Frau wenigstens eine Reaktion auf ihre gut gemeinten Worte zu geben.
„Sie brauchen keine Angst haben, Herr Feldmann.“
Alan drückte ebenfalls erneut Pauls Schulter, als wollte er der Aussage der Schwester zustimmen und gleichzeitig klarmachen, dass er immer bei ihm war. Es wirkte. Mit jedem Meter, den sie dem Operationssaal näherkamen, fühlte Paul sich wieder sicherer in seinem Entschluss.
„So …“, sagte Monika gedehnt. „Ihr Bodyguard muss jetzt leider draußen bleiben.“
Erneut spürte Paul Alans Hand auf seiner Wange, dessen Lippen auf seiner Stirn während er ihm einen kurzen Kuss darauf hauchte. „Es wird klappen“, flüsterte Alan heiser.
Paul schaffte es nicht, zu antworten. Er hatte genug damit zu tun, seine Hand dazu zu zwingen Alan loszulassen. Sprechen war im Augenblick unmöglich. Stattdessen atmete er tief durch, um sich zu beruhigen, und nickte.
Er hörte eine Schiebetür, die sich öffnete und wieder schloss. Die Decke wurde von seinem Bett genommen und er musste auf eine andere Liege wechseln. Dort bekam er statt seiner normalen eine Wärmedecke. Trotzdem zitterte er, so sehr, dass sich wieder Schwester Monikas beruhigende Hand auf seine Schulter legte und leicht drückte.
„Ganz ruhig, Herr Feldmann. Der Anästhesist ist gleich bei Ihnen.“
Noch immer konnte Paul nicht antworten. „Ich klebe Ihnen schon einmal das linke Auge ab, okay? Wir wollen doch nicht, dass jemand aus Versehen am falschen rumschnippelt, oder?“
Paul lachte leise. „Da ist nicht mehr viel da zum Schnippeln …“
„Tatsächlich? Oh, stimmt. Wow. Die ist gut“, antwortete Monika mit einer Spur Bewunderung in der Stimme.
Er lächelte. So lange hatte Paul geglaubt, dass sein Glasauge furchtbar und entstellend aussehen würde. Aber im Laufe des letzten halben Jahres hatte er mit Alans Hilfe gelernt, zu akzeptieren, dass dem nicht so war. Dass die Prothese sogar ausgesprochen natürlich wirkte. Und dass man nur bei genauem Hinsehen erkannte, dass es kein sehendes Auge mehr war.
„Ich muss es trotzdem abkleben, okay?“ Er nickte. „Da haben Sie wohl in gewisser Weise zwei genauso besondere Augen. So wie Ihr Freund, nicht wahr?“
Paul runzelte die Stirn. „Was?“ Wie war das denn gemeint?
„Entschuldigung, ich wollte nicht … Tut mir leid“, antwortete Sie hastig und etwas nervös.
„Nein. Was mei…“
„Herr Feldmann!“, unterbrach ihn da eine weitere unverschämt gut gelaunte Stimme. Diesmal war es die eines Mannes – tief und weich. Ein bisschen erinnerte sie ihn an seinen Vater. „Ich bin Doktor Hindrichsen und werde heute dafür sorgen, dass Sie ihr Äuglein da nicht so viel bewegen.“
„Hallo“, krächzte Paul vorerst von seiner Frage an Schwester Monika abgelenkt. Eine weitere Hand legte sich beruhigend auf eine Schulter.
„Wir sind etwas aufgeregt, was?“
Paul nickte heftig.
„Ach Sie auch?!“, rief Doktor Hindrichsen mit gespieltem Entsetzen.
Ein Lachen platzte aus Paul heraus und mit einem Schlag war ein Teil der Anspannung von ihm abgefallen.
„Keine Sorge, Herr Feldmann“, fuhr der Arzt fort und beugte sich scheinbar zu ihm herunter, denn Paul konnte plötzlich einen warmen Atem an seinem Ohr spüren. „Wir Anästhesisten haben die wirklich guten Sachen. Ehe Sie es sich versehen sind Sie schon wieder draußen und alles ist vorbei.“
„Ich habe Angst“, gab Paul dennoch zu, als trotz der guten Stimmung, die die beiden um ihn herum verbreiteten ein erneutes Zittern durch seinen Körper lief.
„Ach was, das ist nur die Arschkälte hier drinnen“, scherzte der Arzt weiter und Paul spürte einen Druck in seinem rechten Handrücken. „Die sollten endlich mal die Heizung reparieren!“
Paul gluckste leise lachend.
„Ja, lachen Sie ruhig, Herr Feldmann. Sie sind hier in Nullkommanix wieder raus. Meine Schicht hat gerade erst angefangen!“
Erneut gelang es Paul nicht, das merkwürdige Glucksen zu unterdrücken. Dabei wusste er gar nicht so recht, warum er überhaupt lachte. Etwas kribbelte seinen Arm entlang und breitete wohlige Wärme darin aus, die sich immer weiter in seinem Körper verbreitet.
‚Viel besser als die Wärmedecke!‘
Danach spürte er, wie jemand sein rechtes Auge öffnete und etwas hinein tropfte. Er zuckte kurz zusammen, aber da war das Gefühl schon wieder vorbei.
„Was auch immer das war, damit wird einem viel wärmer“, murmelte Paul und erntete mit dem Kommentar zwei Grinsen, die er aber leider nicht sah.
„Ja, allerdings bekommen das nur die Ehrengäste“, antwortete Doktor Hindrichsen und drückte einmal mehr seine Schulter. „Gleich geht’s los, Herr Feldmann. Ich bin die ganze Zeit bei Ihnen.“
Paul spürte, wie sich die Liege unter ihm erneut in Bewegung setzte, hörte eine weitere Schiebetür. Ein zweites Mal, als die sich wieder schloss. Paul wusste, dass er aufgeregt sein sollte, dass er Angst haben müsste. Aber das Gefühl war weg. So als hätte sein Körper keinen Platz mehr dafür, weil alles mit einer wohligen Blase aus Zufriedenheit und Wärme ersetzt war. Eine kräftige Hand ergriff seine linke und drückte leicht zu.
„Alles klar, Herr Feldmann, es geht gleich los“, hörte er die Stimme des Anästhesisten. „Wenn irgendetwas für Sie nicht in Ordnung ist, Sie Schmerzen haben oder Ihnen schlecht wird, sagen Sie einfach Bescheid. Oder drücken Sie meine Hand. Okay?“
„Ja“, antwortete Paul langsam und war selbst erstaunt, wie ruhig und gelassen seine Stimme klang. Einen Moment lang horchte er in sich hinein, doch die Angst und die Unruhe waren verschwunden. Alles, was blieb, war die Hoffnung und das wohlige Gefühl, dass er in guten Händen war. So wie man es ihm versprochen hatte.
„Guten Morgen“, begrüßte ihn eine andere, bekannte Stimme. „Ich würde ja sagen ‚so sieht man sich wieder‘ aber ich glaube, das verschiebe ich auf das nächste Mal.“
Paul war sich sicher, dass sich dank der Worte des alternden Professors zumindest ein kleines Lächeln auf seine Lippen gestohlen hatte. Seine Aufregung stieg erneut, doch sie wurde von der wohligen Wärmeblase in ihm unten gehalten, sodass sie keine wirkliche Unruhe auslöste. Statt der Sorge war da lediglich die Hoffnung – und die Vorfreude.
‚Weihnachten…‘ dachte er. ‚Nicht einmal mehr vier Wochen bis heilig Abend.‘
Und wenn alles so lief wie erhofft, hatte er bis dahin die Dunkelheit überwunden. Er würde neben einem strahlenden Baum sitzen und die Zeit mit Alan genießen. Sobald er nach diesem einen Jahr in Dunkelheit endlich in der Lage war, Alan in die Augen zu sehen, würde Paul es auch sagen können.
Die Worte, die er selbst unter der Angst vor dieser Operation nicht herausgebracht hatte. Er wollte Alan wirklich sehen, ihm ins Gesicht schauen, das Funkeln in dessen Blick genießen, dass Paul sich zumindest immer vorstellte. Den Glanz und dieses verschmitzte Lächeln, das er so oft in Alans Stimme zu hören glaubte. Das alles wollte Paul sehen, wenn er diesem zum ersten Mal sagte, dass er sich ebenso verliebt hatte.
„Wir fangen jetzt an“, vermeldete der Professor und Paul atmete tief durch. Es war so weit. Hoffentlich würde es einen neuen Anfang und gleichzeitig das Ende seiner Dunkelheit bedeuten.
Ende Teil 3