Kapitel 22 – Neue Hoffnung
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Ricky hielt sein Versprechen und holte Paul am nächsten Tag pünktlich um zwei Uhr ab. Glücklicherweise war es bis zum Marktplatz von Alans Wohnung aus nicht weit. Deshalb liefen sie zu Fuß. Paul mochte Ricky und vertraute ihm, was dessen Meinung anging. Mit jemand anderem als Alan in ein Auto zu steigen war für ihn aber weiterhin etwas, zu dem er sich nur schwer – um nicht zu sagen gar nicht – durchrang.
Sie waren zunächst über den Weihnachtsmarkt geschlendert und hatten sich eine ‚anständige‘ Tasse Glühwein gegönnt, wie Ricky es nannte. Paul hatte gelacht, aber gern nachgegeben, denn zu Hause gab es immer nur Kinderpunsch.
Manchmal fragte er sich, ob Alan überhaupt jemals Alkohol trank. Bei ihren Verabredungen hatte er stets nur Cola getrunken. Allerdings hatte Paul dabei angenommen, dass er das machte, weil sie immer mit dem Auto fuhren. Inzwischen war er sich nicht mehr sicher, ob sein Freund nicht prinzipiell auf Alkohol verzichtete.
„Sag mal, Ricky, wie lange kennst du Alan jetzt schon?“, fragte Paul mit einem Mal, während sie an eine kleine Mauer gelehnt ihren Glühwein schlürften.
„Ich weiß nicht genau. So lange wie dich? André hatte von ihm erzählt und die beiden hatten sich mehrmals verabredet, nachdem Alan aus München zurückgekommen war. Aber ich glaube, persönlich getroffen, habe ich Alan zum ersten Mal an dem Abend, als ich auch dich kennengelernt habe.“
Paul überlegte. Auf der einen Seite würde er gern mehr über Alan erfahren, auf der anderen kam es ihm komisch vor jemanden nach seinem eigenen Freund auszufragen. Er sollte diesen schließlich besser kennen als Ricky. Oder nicht? Trotzdem hatte Paul immer wieder das Gefühl, als wäre da irgendetwas, das der über Alan wusste, genau wie André. Nur wollte das augenscheinlich niemand Paul erzählen.
„Er trinkt nie, oder?“, fragte er das Erste, was ihm in den Sinn kam.
Ricky überlegte. „Jetzt, wo du es sagst. Nein, ich glaube nicht. Jedenfalls kann ich mich spontan nicht daran erinnern, dass er mal was getrunken hat. Aber wenn wir uns mit dir getroffen haben, seid ihr meistens mit dem Auto gekommen und da würde er schon allein deshalb keinen Alkohol anrühren.“
Paul schwieg und probierte vorsichtig, ob der Glühwein inzwischen genug abgekühlt war.
„Warum fragst du?“, hakte Ricky irgendwann nach.
Mit den Schultern zuckend nahm Paul einen weiteren Schluck. „Manchmal habe ich das Gefühl, ich weiß gar nichts über Alan. Vielleicht fällt es mir deshalb so schwer, ein Geschenk für ihn auszusuchen.“
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Ricky überlegte. So viel mehr wusste er ebenfalls nicht. Jedenfalls nicht über Alans Vergangenheit, oder den Menschen, der hinter der Fassade steckte. Ja, er wusste, dass Alan und André eine offenbar recht turbulente gemeinsame Studienzeit verband, über die Ricky selbst auch nur zu gern ein paar mehr Details erfahren hätte. Leider schwiegen sich die beiden dazu hartnäckig aus.
Um ehrlich zu sein, hatte Ricky aber auch nicht gefragt. Denn die Art und Weise, wie André ihm ausgewichen war, hatte deutlich gezeigt, dass sie dieses Thema nicht besprechen würden. Zumindest nicht so lange Alan es nicht zur Sprache brachte und davon erzählte.
„Wie sieht er aus?“, hauchte Paul leise. „Ich meine ... Ich weiß, dass er ein ganzes Stück größer ist, als ich es bin. Ich weiß, dass er recht kräftig sein muss, aber ich habe so gar keine Vorstellung von ihm.“ Einen Moment lang schwieg Paul, bevor er hinzufügte: „Von keinem von Euch. Ich würde gern wissen, wie ihr ausseht.“
Ricky lächelte und dachte einen Augenblick lang darüber nach. „Hm… Also ich finde, André hat was von Brat Pitt in jungen Jahren“, gab er grinsend zu. „Selbstverständlich schaut André noch besser aus.“
Paul lachte.
„Ich selbst …“ Ricky überlegte, aber ihm fiel niemand ein, mit dem er sich vergleichen würde. „Ich weiß nicht. Ich glaube, ich bin zu normal. Definitiv kein Schauspielertyp, den man sich merken würde.“
„Du bist größer als ich, oder?“
Ricky musterte Paul einen Augenblick, bevor er nickte. „Ein paar läppische Zentimeter vielleicht, aber nicht wirklich. Ach ja! Ich finde, ich hab ein Mondgesicht. André sagt natürlich, ich wäre hübsch. Muss er schließlich auch. Weiß auch nicht, wie ich mich beschreiben soll. Einfach ‚normal‘. Wenn ich sie nicht gerade dank André blau färben darf, habe ich dunkelblonde Haare. Etwas dunkler als deine.“
„Was ist mit Alan?“
„Alan? Schwierig. Er ist rein körperlich mehr so der Chris-Hemsworth-als-Thor-Typ nur ... mehr in Bad Boy.“
Paul lachte.
„Na ja, du weißt schon. Bisschen kantigeres Gesicht und Muskeln, wohin das Auge reicht“, erklärte Ricky lächelnd und eine Spur verträumt.
„Sag bloß, er ist dein Typ“, feixte Paul belustigt.
Ricky lachte ebenfalls. „Na ja, nicht wirklich. Hemsworth würde ich vermutlich nicht von der Bettkante schubsen, aber um deinen Alan brauchst du dir bei mir keine Sorgen zu machen. Der geht dir garantiert nie fremd. Außerdem bin ich mit André was die Muskeln angeht ausreichend versorgt. Danke.“
Sie lachten beide, bis sie wieder in Schweigen verfielen.
„Es ist verdammt schwer, mit diesen gesichtslosen Vorstellungen von Euch zu leben. Ihr seid mir in den paar Monaten so wichtig geworden. Aber ich habe immer das Gefühl, als seid ihr nur eine Illusion, die verschwindet, sobald ich versuche danach zu greifen.“
Ricky schwieg und senkte den Kopf. Es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, wie es war, wenn man gar keine Anhaltspunkte hatte, wie der eigene Gesprächspartner aussah. Versuchsweise schloss Ricky die Augen und lauschte in die Menschenmenge. Da waren jede Menge Stimmen, die alle durcheinander sprachen. Aber wenn er versuchte, sich jemanden nur aufgrund des Klangs vorzustellen, scheiterte er schon im Ansatz. Wie mochte das für Paul sein, der in dieser Dunkelheit die ganze Zeit gefangen war?
Da riss Ricky schlagartig die Augen auf. „Weißt Du inzwischen, was du Alan schenken willst?“
Paul schüttelte, scheinbar etwas irritiert über den plötzlichen Themenwechsel den Kopf.
„Ich hätte da vielleicht eine Idee. Aber es ist … nun ja, nicht ganz konventionell, um es mal so zu sagen.“
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Paul runzelte die Stirn. Bevor er ohne Geschenk vor seinem Freund stand, wollte er sich Rickys Vorschlag wenigstens anhören. Verschwörerisch beugte der sich zu Paul hinüber und flüsterte ihm seine Idee ins Ohr. Schlagartig lief der rot an und wusste nicht so recht, ob das wirklich so eine gute Idee war.
„Es ist perfekt. Glaub mir! Er wird es lieben!“, flüsterte Ricky ihm erneut zu und diesmal nickte Paul.
Ja, in gewisser Weise war es wohl ideal und womöglich würde es ihm sogar helfen, Alan etwas ganz anderes zu schenken – das Geschenk, das er ursprünglich geplant hatte.
„Okay!“
~
Der Weihnachtsabend war schneller gekommen, als Paul es sich erträumt hatte. Aufgeregt saß er im Wohnzimmer auf der Couch und lauschte nicht nur der leise dudelnden Weihnachtsmusik, sondern ebenso den Geräuschen aus der Küche. Immer wieder hörte er unterdrückte Flüche, als irgendetwas nicht so lief, wie Alan sich das vorgestellt hatte.
Helfen ließ dieser sich freilich nicht. Wobei Paul bezweifelte, dass er überhaupt eine sonderlich große Hilfe wäre. Alleine auf der Couch zu sitzen und Alan zuzuhören war aber langweilig – wie die meisten seiner Tage.
Paul seufzte und sank tiefer in die Kissen. So sehr er sich auf die gemeinsame Zeit mit Alan freute, es graute ihn davor, was nach den Feiertagen kommen würde. Alan würde wieder auf Arbeit gehen und Paul würde erneut sein Dasein in der Tagesklinik vor sich dahinfristen. Vorsichtig tastete er über die Augenklappe, die sein rechtes Auge verdeckte.
Alan hatte am Morgen darauf bestanden, dass er keinen Verband brauchte. Immerhin war er nicht verletzt und wenn er vorsichtig war, konnte die Klappe nicht verrutschen, sodass versehentlich starkes Licht auf sein zu empfindliches Auge fiel. Paul hatte gehofft, dass zumindest das allmählich besser werden würde, wenn ihm schon kaum mehr als vor der Operation erkennen konnte. Zwar war der Schmerz inzwischen deutlich erträglicher, aber immer noch da. Im Gegensatz zu seiner Sehfähigkeit, an der sich leider nichts verändert hatte – jedenfalls nicht zum Besseren.
Paul lächelte sanft, während er mit den Fingern über den weichen Stoff der Augenklappe fuhren.
„Was ist?“, fragte Alan überraschend nah, ließ Paul dabei überrascht zusammenzucken.
Paul hob den Kopf, als wolle er Alan ansehen, während er mit der rechten Hand auf sein Gesicht deutete. „Normalerweise tragen Piraten ihre Augenklappen doch da, wo sie kein Auge mehr haben. Meine ist auf der falschen Seite.“
Alan lachte leise, gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Kopf, bevor er ihn in seine kräftigen Arme schloss und sich mit Paul auf seiner Brust der Länge nach auf dem Sofa ausstreckte.
„Hm … vielleicht hätte ich dir noch einen passenden Hut dazu besorgen sollen.“
Zufrieden kuschelte sich Paul in die so vertraute Umarmung und ließ seine Finger über Alans T-Shirt gleiten. Nur zu gern hätte er sie in diesem Moment unter dem dünnen Stoff verschwinden lassen. Aber sie hatten beschlossen, dass sie die Bescherung erst nach dem Abendessen abhalten würden.
Außerdem war das Geschenk, das Paul mit Ricky zusammen besorgt hatte, etwas für das er Zeit benötigen würde. Entsprechend würde er sich gewisse Dinge lieber für den späteren Abend aufheben. Vorfreude war schließlich eine der schönsten Freuden – sagte man zumindest.
„Bist Du glücklich?“, fragte Alan mit einem Mal. Unter anderen Umständen hätte Paul es für eine Floskel gehalten. Aber Alans Stimme klang zu ernst.
Langsam schob Paul seine Arme um den breiten Oberkörper seines Freundes und drückte sich fest an ihn. „Ja“, antwortete er nach kurzem Überlegen. „Ich glaube, das bin ich tatsächlich.“
Zwar fühlte er noch immer eine Sehnsucht in sich, den Traum danach endlich alles von seinem Freund und Partner zu wissen, aber sie war nicht mehr so unbändig wie vor zwei Tagen.
‚Oder vor drei Wochen, einem halben Jahr.‘
Warum sich das gerade in den letzten paar Tagen geändert hatte, wusste Paul nicht. Zumindest war er sich nicht sicher. Womöglich war es der Ausflug mit Rick zum Weihnachtsmarkt gewesen. Das Geschenk, das er besorgt hatte und die Erwartung darauf, es endlich mit Alan teilen zu können.
Was auch immer es war, dieser Drang in Paul war inzwischen erträglich geworden. An seinem Wunsch hatte sich nichts geändert, aber ein Teil von Paul hatte angefangen, zu akzeptieren, dass er sich womöglich nicht ausgerechnet dieses Jahr erfüllen würde. Vielleicht auch nie so, wie er sich das vorgestellt hatte. Aber jeder Tag, den er mit Alan verbrachte, lernte er diesen besser kennen. Also war es doch letztendlich nur eine Frage der Zeit, bis Paul selbst ohne seine Augen endlich wissen würde, was er so unbedingt hatte sehen wollen.
Und bis dahin? Würde er glücklich sein.
Also, ja, vielleicht hatte er schlichtweg angefangen, den Gedanken zu akzeptieren, dass er nie wieder wirklich irgendetwas sehen würde. Selbst wenn er ein paar Prozent Sehfähigkeit zusätzlich erlangen würde, wäre er offiziell trotz allem ‚blind‘. Aber hier, in diesem Augenblick, in Alans Umarmung, machte Paul das nicht mehr so viel Angst wie vor einem Jahr – zu der Zeit als es keinen Alan in seinem Leben gegeben hatte.
„Danke“, flüsterte Paul heiser.
„Wofür?“
Er zuckte mit den Schultern und ließ seine Hände langsam über Alans Seiten gleiten. „Dafür, dass du mich nicht aufgegeben hast.“
„Ich werde dich nie aufgeben“, wisperte der mit rauer Stimme zurück und küsste ihn diesmal auf die Schläfe. „Mich wirst Du so leicht nicht mehr los.“
„Aha! Obsession heißt das, oder?“
Alan lachte und Paul lächelte, als der tiefe, raue Ton in dem Brustkorb unter seinem Ohr vibrierte. „Ja. ‚Süchtig‘ könnte man auch sagen“, antwortete Alan und seine Stimme hatte dabei einen merkwürdigen Klang, den er nicht so recht zuordnen konnte. „Vielleicht bin ich süchtig nach Dir.“
Paul den Kopf und versuchte, den irritierenden Unterton in Alans Stimme einzuordnen, aber es gelang ihm nicht. „Ist das schlimm?“, fragte er zögerlich.
Statt eine Antwort zu geben, zog Alan ihn zu einem sanften Kuss herunter. Ein Seufzen war zu hören, als sie sich voneinander lösten.
„Nein. Süchtig nach dir ist nichts Schlimmes. Besser kann man nicht abhängig sein.“
Paul war versucht die Stirn zu runzeln, aber ein weiterer Kuss lenkte ihn von dem Gedanken ab, der anfing, sich in seinem Hirn zu formen. In einem Augenblick wollte sein Verstand ihm sagen, dass er eine bestimmte Frage stellen sollte, im nächsten Moment setzte eben selbiges Hirn aus und überließ mal wieder den Hormonen die Führung.
~
Obwohl Paul selbst nicht so recht wusste, wie sie es geschafft hatten, bis zum Abendessen ihre Klamotten anzubehalten, war genau das erstaunlicherweise passiert.
So genossen sie einen ausgezeichneten Salzbraten, Kartoffeln und Sauerkraut. Paul war begeistert und konnte insbesondere von dem wunderbar zarten Fleisch gar nicht genug bekommen. Erst als er das Gefühl hatte, er würde jeden Moment platzen, schob er den Teller von sich und streckte sich zufrieden nach hinten.
„Oh wow, das war so etwas von lecker“, gab Paul stöhnend zu.
Er konnte das Klappern von Geschirr und Besteck hören, während Alan abräumte. Einer plötzlichen Eingebung folgend richtete Paul ebenfalls auf und tastete über den Tisch, bis er einen großen Teller fand. Vorsichtig stand er auf und nahm diesen dann hoch. Er lag schwer in seiner Hand, vermutlich war der Rest vom Braten darauf. Eben machte er einen Schritt, als er Alan aus der Küche kommen hörte.
„Ich dachte, ich helfe dir etwas.“
Paul wurde rot. Zum ersten Mal war ihm an diesem Abend bewusst geworden, dass er die ganze Hausarbeit bisher komplett seinem Freund überlassen hatte. Im Grunde hatte er hier weiterhin wie im Pflegeheim gelebt – mit Alan als Pfleger. Aber das wollten sie ja beide nicht. Paul gegenüber hatte dieser immer betont, dass sie zusammenlebten, gemeinsam, als Partner, Gleichberechtigte. Dann sollte er endlich selbstständiger werden und seinen Teil zu dieser Gemeinschaft beitragen.
Paul konnte das Lächeln in Alans Stimme hören, als der ihm erklärte: „Der Weg ist frei.“
Er kannte die Wege zur und in der Küche in- und auswendig, war allerdings nicht sicher, ob das gleichzeitige Balancieren des Tellers ihn aus dem Takt bringen würde und er sich mit Richtung oder Schrittzahl vertat. Tatsächlich erreichte Paul die Küche aber ohne Probleme und grinste zufrieden über das, was er geschafft hatte.
„Auf dem Herd ist noch Platz“, erklärte Alan leise und schob sich bereits hinter Paul vorbei, um seinerseits die restlichen Sachen abzuladen.
Nickend trat dieser vor und wandte sich nach links. Wo der Herd war, wusste er genau, denn Alan hatte ihn oft genug darauf hingewiesen, bloß nicht in dessen Nähe zu kommen, damit er sich nicht versehentlich verbrannte. Da er die Anzeige vom Cerankochfeld, ob die Platte heiß war, nicht sah, konnte eine unbedachte Tastbewegung dort folgenreich sein. Aber aktuell war der Herd sicher aus. Paul fand diesen ohne Probleme und konnte den schweren Teller endlich abstellen.
Mit einem selbstzufriedenen Grinsen drehte er sich in die Richtung, in der er Alan vermutete. Der stand aber schon direkt vor ihm und stahl sich einen Kuss, bevor Paul den Ansatz eines Protests zeigen konnte.
„Ab nächster Woche kannst Du auch gern gleich den Abwasch erledigen“, murmelte Alan und wischte Paul sanft die blonden Haare aus der Stirn.
Der lächelte und zog seinerseits Alans Hüften näher zu sich heran. Langsam schoben sich seine Finger an dessen Rücken unter das T-Shirt. Er ließ seine Fingernägel von Alans Schulterblatt an abwärts an der Wirbelsäule entlanggleiten und genoss, wie ein raues Stöhnen durch diesen durchtrainierten Körper zu vibrierte. Er konnte die Gänsehaut spüren, die sich über Alans Rücken ausbreitete und diesen sonst so kräftigen und harten Körper in seinen Händen förmlich zu Wachs werden ließ.
Ein kurzes Kreischen war zu hören, als Alan Paul plötzlich schnappte und auf seine Arme hob. „Zeit für den Nachtisch!“, zischte der und stürmte aus der Küche ins Wohnzimmer.
Dort lief er aber nicht zur Couch, sondern in die Richtung, in der Alans Schreibtisch stand. Irritiert klammerte sich Paul an dessen Hals fest und wusste nicht so recht, was sein Freund schon wieder vorhatte. ‚Auf dem Schreibtisch‘ stand – selbst wenn es eine neue Erfahrung wäre – nicht unbedingt auf Pauls Top-10 Todo Liste in Sachen Sex.
Anstatt auf dem Tisch landete er jedoch auf einer weichen Unterlage auf dem Boden. Verwundert ließ er seine Hände durch den flauschigen Stoff gleiten. Was war das denn? Und wohin war der Schreibtisch verschwunden? Doch bevor Paul fragen konnte, wurde jedes Wort, das ihm entkommen wollte, von einem weiteren Kuss erstickt.
„Warte!“, keuchte Paul atemlos, als Alan anfing, sich über seinen Hals abwärts zu arbeiteten.
Sofort stoppte der, doch Paul spürte, wie viel Überwindung es Alan kostete, sich ruhig zu verhalten. Die Schultermuskeln unter seinen Fingern waren zum Zerreißen gespannt und der Schritt, der gegen seinen eigenen drückte, zeigte mehr als deutlich, was Alan vorhatte. Aber Paul war dafür noch nicht bereit. Er hatte andere Pläne für diesen Abend und die wollte er durchziehen.
„Erst … erst Bescherung“, presste Paul keuchend heraus, bemühte sich um Beherrschung, damit er nicht doch Alans drängenden Händen nachgab.
Der knurrte protestierend, rollte sie aber beide auf die Seite. Er vergrub sein Gesicht an Pauls Schulter. Die vertraute Umarmung war zurück. Kräftige Arme, die sich um Pauls wesentlich schlankeren Körper schlangen, als wollten sie ihn nie wieder loslassen. Hörbar tiefe Atemzüge neben Pauls Ohr. Fast so, als wären sie das Einzige, was Alan bei Verstand hielt.
„Ich brauche dich“, raunte dieser heiser, das Gesicht an Pauls Hals vergraben, offenbar unfähig diesen anzusehen.
Die Verzweiflung, die in Alans Stimme mitklang, ließ Paul erschauern. Er verstärkte den eigenen Griff um Alans Oberkörper, zog diesen fester an sich, schaffte es allerdings nicht, eine Antwort zu finden. Warmer Atem kitzelte über Pauls Ohr, während die Worte, die daneben erklangen, etwas in ihm zu zerreißen drohten.
„Auf mir, unter mir, in mir, überall. Was immer du willst. Wie du willst. Wann du willst. Aber ich will dich. Ich brauche dich, Paul. Jeden. Verdammten. Tag!“