Du bist Allyster der Sehende.
Am liebsten würdest du einfach sitzenbleiben und Arthrax seinem Schicksal überlassen. Doch ganz so abgebrüht bist du dann auch nicht. Du bist zwar sauer auf ihn, aber du brauchst den Krieger.
Also springst du auf und rennst ihm nach. Es ist nicht schwer, seinen Fußspuren zu folgen. Als du nah genug heran bist, taucht Arthrax vor dir auf – er ist für dich sichtbar, weil du auch in den Zauber eingetreten bist.
Mit einem spöttischen Grinsen empfängt er dich. Du widerstehst mühsam dem Verlangen, ihm dieses mit der Faust aus dem Gesicht zu wischen. Du hättest auch keine Chance gegen ihn.
„Lass uns gehen.“
Arthrax ist wenigstens klug genug, dich nicht weiter zu reizen. Also nähert ihr euch den Druiden, die inzwischen einen dichten Ring um Aji bilden. Blätter rauschen in den Wipfeln der falschen Bäume, während sich die Wesen in ihrer eigenen Sprache verständigen. Ihr schleicht so nah heran, wie ihr es wagt, doch das hilft euch nichts. Es gibt keine verständlichen Worte zu hören.
Leise klettert ihr über die Dornen, deren Hecke sich immer höher schließt. Ihr erreicht das Steinrund mit seinem Kreis aus Findlingen und dem großen Stein in der Mitte, auf dem Blüten, Knochen und Federn liegen. Und mehrere Edelsteine.
Dann jedoch kommt Bewegung in die mit euch eingesperrten Druiden. Einer ergreift Aji und marschiert mit langen Schritten davon. Weitere folgen. Einer nimmt einen großen, roten Edelstein von dem Altar in der Mitte des Steinrunds.
Ihr tauscht einen alarmierten Blick, dann folgt ihr dem Druiden, der Aji trägt. Der zweite, der den Edelstein trägt, folgt diesem. Im letzten Moment könnt ihr durch eine Lücke der Hecke schlüpfen, ehe sich diese verschließt.
Offenbar ist das abgeriegelte Steinrund nur noch eine Ablenkung. Der rote Edelstein ist mit Sicherheit der Schöpferstein. Doch selbst, wenn er es nicht wäre – Aji ist im Moment wichtiger.
Euch steht ein beträchtlicher Schock bevor. Denn ihr folgt den Druiden durch einen hohen Gang ins Innere des Berges, wo euch mit einem Mal klar wird, wie groß die Stadt wirklich ist.
Als Baumwesen bauen die Druiden keine Hütten und du bist davon ausgegangen, dass sie einfach im Freien schlafen, so wie es eure Begleiter während der Reise hierher getan haben. Doch der lange, in den Stein geschlagene Pfad windet sich immer tiefer, bis er sich am Ende zu einer gewaltigen Höhle öffnet.
Dir bleibt der Mund offen stehen. Eine solch riesige Höhle hast du noch nie gesehen. Es ist ein Wunder, dass der Boden des Steinrunds nicht unter euch eingestürzt ist!
Der Boden ist eben und kreisrund, darüber erhebt sich eine gewaltige Kaserne, die wie die obere Hälfte eines Eis geformt ist. Die Spitze muss dicht unter dem Steinrund ruhen, während der Boden selbst von eurer Position aus noch mehrere hundert Meter nach unten reicht. Der Pfad von oben führte euch etwa auf dem unteren Drittel heraus.
Erleuchtet wird die Höhle von gewaltigen, gelblichen Pilzen. Aus den Wänden ragen mächtige Wurzeln, die dicker sind als die Druiden hoch. Es muss sich um die Überreste eines gewaltigen Baumes handeln, die hier unten in jahrelanger Arbeit freigelegt wurden.
Offenbar haben die Druiden diesen Ort geschaffen, mit nichts weiter als ihren Wurzel-Muskeln.
Im schwachen, goldenen Licht seht ihr euch staunend um. Dann allerdings reißt du dich zusammen und packst Arthrax‘ Arm.
„Wir müssen Aji finden!“
Grunzend lässt sich der Krieger mitziehen. Du folgst den Druiden wie zuvor, die jedoch schon ein ganzes Stück weiter unten sind. Wege und Brücken, die in den Stein geschlagen sind, führen nach unten. In den Wänden öffnen sich immer wieder kleine, runde Kammern, in denen Pilze, Häute und getrocknete Blumen lagern – vermutlich auch noch anderes Zeug, doch du achtest nicht groß darauf. Ihr seid damit beschäftigt, den Druiden auszuweichen, von denen hier tausende herumwimmeln wie Ameisen in ihrem Bau.
Auf dem Boden der Höhle, der von feinen, gewundenen Rillen durchzogen ist, erhebt sich an einer Seite eine große, runde Arena mit Sitzen aus Stein. Dorthin bringen die Druiden Aji.
Einer der Druiden stellt sich auf eine erhöhte Bühne im Ring der Sitze.
„Kommt her!“, dröhnt er zu eurer Überraschung in verständlichen Worten. „Heute gibt es eine besondere Vorstellung!“
Die Stimme des Druiden vibriert durch den Boden und lässt deine Zähne klappern.
„Wir haben einen Spion aus Kalynor geschnappt. Einen Wandling. Seht euch an, welche Macht er mit dem gestohlenen Schöpferstein der Dunkelelfen entfesseln kann. Und seht, wie lange er durchhält!“
Der Druide beginnt, seine Einladung zu wiederholen. Überall setzen sich Druiden in Bewegung, um sich an der großen Arena zu versammeln. Viele überholen dich und Arthrax, ohne zu ahnen, dass ihr mitten unter ihnen seid.
„Sollen wir da wirklich rein?“, fragt Arthrax keuchend, nachdem ihr euch ein weiteres Mal in letzter Sekunde davor retten konntet, zertrampelt zu werden.
„Willst du Aji da allein lassen?“, fragst du zurück.
„Nicht gerne. Aber da sind so viele Druiden und das Ganze riecht nach einer Falle. Wir sollten besser versuchen, den Blutjaspis zu kriegen, jetzt, wo alle abgelenkt sind.“
Erstaunlich – der Idiot hat mal nachgedacht. Ihr könnt ja nicht einfach mitten in die Arena marschieren.
Oder doch? Wenn ihr doch unsichtbar seid?
Du entscheidest dich, …
- … zur Arena zu gehen. Lies weiter in Kapitel 34.
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- … nach dem Blutjaspis zu suchen. Lies weiter in Kapitel 35.