Du bist Aji.
„Frühstück ist doch unwichtig, das brauchen wir nicht.“
„Wie bitte?“ Arthrax wirbelt zu dir herum. „Wieso fällst du mir denn jetzt in den Rücken?“
„Es ist vielleicht unangenehmer, aber auch vernünftiger, wenn wir auf das Frühstück verzichten.“
„Dass wir es nicht brauchen, kann man jetzt auch noch sagen“, wirft Allyster ein. „Das Frühstück macht den Tag!“
„Also stimmst du mir zu?“
Allyster sieht Arthrax irritiert an. „Nein, keinesfalls, ich …“
„Perfekt! Wir treffen uns morgen zum Frühstück!“, stellt Arthrax fest und marschiert davon.
Fassungslos sehen du und dein Mentor dem Krieger nach. Wie ist das denn jetzt passiert? Ihr werft einander einen ratlosen Blick zu, dann zuckt Allyster mit den Schultern. „Darum kümmern wir uns morgen früh.“
Du gähnst und nickst. Wenig später wirfst du dich auf dein Bett.
„Schuhe aus!“, zischt Allyster durch die Wand, die viel zu dünn ist.
Innerhalb des großen Steinraumes wurden die Zimmer nur mit Holzverschlägen voneinander abgetrennt. Du bist ganz in der Ecke, sodass du auf der einen Seite die kalte Steinwand hast. Außer dem Bett bietet das Zimmer dir kaum Raum. Am Fußende ist etwas Platz, wo du deine Sachen abstellen konntest und nun auch deine Schuhe und den Überwurf hinwirfst, und es gibt einen schmalen Weg zwischen der Wand zum Bett. Alles in allem ähnelt der Raum eher einer Besenkammer.
„Sehr gut“, kommentiert Allyster, nachdem er gehört hat, dass du deine Schuhe ausgezogen hast. Du kuschelst dich unter die Decke und drehst ihm den Rücken zu.
Du hörst genau, wie Allyster sich streckt und es sich im Bett gemütlich macht. Schließlich mischt sich sein Schnarchen mit dem der anderen Gäste, und auch deine Lider werden zunehmend schwer. Jedenfalls, bis du mal auf die Toilette musst. Du streckst einen Arm aus dem Bett und tastest unter dem Bett, doch du stößt auf keinen Nachttopf. Na toll! Grummelnd schlägst du die Decke zurück und tapst barfüßig über den eiskalten Boden.
Der lange Gang führt an unzähligen Türen vorbei, doch keine davon scheint zu einem Klosett zu führen. Ob es überhaupt eine Toilette im Gebäude gibt? Du schleichst eine Treppe im Turm herunter und siehst dich auf dem Burghof um. Endlich entdeckst du ein kleines, hölzernes Außenhaus.
Die Luft draußen ist noch aufgeheizt vom Tag und damit wärmer als drinnen. Du öffnest die Tür und trittst in den Abort, um dich dann auf den hölzernen Rahmen zu setzen.
In diesem Moment hörst du Schritte draußen. Du kneifst die Pomuskeln zusammen und erstarrst. Dein Instinkt scheint dich nicht zu täuschen, denn wenig später erklingt eine Stimme.
„Könnt ihr mich hören?“
„Ja“, erwidert eine kühle Stimme mit zischelndem Unterton. Du hältst nun auch noch den Atem an. Was ist hier los?
„Ich habe da etwas belauscht, das euch interessieren könnte …“
„Verschwende meine Zeit nicht, Mensch. Komm zur Sache.“
Der zischelnde Gesprächspartner ist offenbar kein Mensch. Du schluckst.
„Es sind heute Abend noch drei Gäste gekommen. Ich konnte ihr Gespräch zufällig belauschen, und es klang so, als wollten sie eurem Volk nur sehr ungerne auffallen“, verrät der Mensch.
Du schließt die Augen. Wer ist der Kerl bloß?
„Und? Wer sind sie? Warum wollen sie nicht entdeckt werden?“
„Das weiß ich leider nicht. Ich konnte sie nicht sehen, nur hören. Aber morgen finde ich mehr heraus.“
Das denkt er sich so! Du harrst aus, bis die beiden Unbekannten ihr Gespräch beendet haben und Schritte sich entfernen. Dann – nachdem du losgeworden bist, wofür du überhaupt erst nach unten gegangen bist – trittst du vorsichtig heraus.
Du hast nur ein Paar Schritte gehört, die sich entfernen. Doch als du sich umsiehst, ist nichts von einer zweiten Person zu entdecken. Sogar auf dem Boden erkennst du nur ein paar Fußspuren im Staub, wobei du dich täuschen könntest. Das Mondlicht reicht nicht aus, um viel zu erkennen, doch die frischeste Spur scheint einfach vor einen großen Stein und wieder zurück zu führen.
Du musst Allyster dazu befragen! Aber ihn in der Nacht noch zu wecken erscheint dir zu gefährlich. Dieser unbekannte Spion hat euch vor eurer Zimmertür belauscht. Er schläft also nicht weit entfernt und könnte alles hören, was ihr in Allysters Zimmer besprecht.
Und Arthrax kriegst du sowieso nicht geweckt, wenn der Krieger einmal schläft.
Entschlossen schleichst du zurück bis in dein Zimmer und legst dich ins Bett. Morgen früh musst du das alles mit deinem Meister besprechen.
Schlaf findest du in dieser Nacht nicht mehr, obwohl du dich bemühst.
Sobald es etwas heller wird, stehst du auf und ziehst dich leise an. Nicht leise genug, denn als du auf den Gang trittst, öffnet dein Mentor verschlafen die Tür. „Aji, was machst du hier?“
Du zuckst zusammen. Du würdest Allyster gerne die Wahrheit sagen, aber obwohl alle noch zu schlafen scheinen, bist du dir nicht sicher, ob der Verräter euch nicht hören würde. Aber wie kannst du ihn warnen?
„Ich wollte schon mal das Frühstück suchen“, behauptest du und legst gleichzeitig warnen den Finger an die Lippen.
Dein Mentor runzelt die Stirn und gähnt. „Frühstück?“ Deinen Wink hat er wohl nicht mitbekommen.
„Ja, ich gehe zu Arthrax“, erklärst du gespielt fröhlich und winkst dabei wie wild.
Allyster blinzelt und scheint endlich wach zu werden. „Oh nein, das werdet ihr nicht tun! Ich komme mit“, verkündet er laut, offenbar verstehend, dass ihr vielleicht belauscht werdet. Er rauscht zurück in sein Zimmer, wirft sich die Robe über, schnappt sich seine Taschen und nimmt die Schuhe in die Hand.
Seite an Seite lauft ihr den Gang entlang. Allyster hat sich gemerkt, in welchem Zimmer Arthrax untergebracht ist, klopft und stürmt auch direkt rein.
„Wa…?“, fragt der Krieger schlaftrunken.
Allyster ergreift Arthrax‘ Sachen und zieht ihm die Decke weg. Du legst den Finger an die Lippen. Arthrax versteht und schlüpft zurück in die Hose.
Nur fünf Minuten später steht ihr im Stall und sucht nach euren Pferden. Allyster hüpft auf einem Bein, während er sich fluchend den zweiten Schuh überzieht und seinen steifen Rücken verwünscht. Während Arthrax die Sättel nimmt, ergreifst du die Trensen.
Es ist noch dunkel, als ihr hinausreitet. Du sitzt wieder hinter deinem Mentor und lehnst den Kopf aufatmend an seinen Rücken, als ihr durch das Tor der Burg hinausreitet.
„Was war denn los, Aji?“, fragt Allyster über die Schulter. „Kannst du jetzt reden?“
„Ich denke, schon.“ Du richtest dich wieder auf und reibst dir müde die Augen. „Da war jemand in der Burg, der den Druiden von uns berichtet hat“, beginnst du dann, die Ereignisse der Nacht zu wiederholen.
Allyster reibt sich nachdenklich den Bart, als du fertig bist.
„Dieser Mistkerl!“, flucht Arthrax.
„Sei nicht so hart mit dem Mann“, murmelt Allyster. „Die Menschen hier müssen auch irgendwie überleben. Sie haben sich mit den Druiden arrangiert. Von den Plänen der Jenseitsvölker wissen sie ja nichts, und auch nichts darüber, warum diese nach uns suchen.“
„Und deshalb ist es in Ordnung, wenn sie uns verraten? Und damit ganz Kalynor?“
„Seid wann bist du so ein Patriot?“
Arthrax schnaubte nur.
Mit einem Schnalzen trieb Allyster den Schimmel an. „Lasst uns reiten. Wir haben noch ein Stück Weg vor uns, und wir sollten eindeutig keine Zeit mehr verlieren.“
Im Galopp fliegen die beiden Pferde über die Ebene, Melréd voran, Atesh dicht dahinter, zuletzt das Maultier mit eurem zusätzlichen Gepäck.
Schließlich überquert ihr Kalynors Grenze irgendwann am Mittag und erreicht etwas kühlere Wiesen. Erschöpft werden die Pferde langsamer.
„Wollen wir den ganzen Tag so weiterhetzen?“, fragt Arthrax.
„Ja. Und die Nacht am besten noch dazu. Die Druiden wurden gewarnt, dass wir kommen, du hast Aji doch gehört! Wir nähern uns dem Wald im Schutz der Nacht.“
„Und dann? Irgendwann wird es Tag. Dann sind wir zu erschöpft, um noch irgendwas zu unternehmen. Leichte Beute.“
„Was sollen wir sonst tun? Wenn wir erst rasten, verlieren wir einen vollen Tag. Das können wir uns nicht leisten!“
Arthrax greift unter sein Hemd und zieht einen der Schöpfersteine hervor. „Wir haben den hier.“
„Was tust du da, Narr?“, zischt dein Mentor und sieht sich panisch um. „Steck das weg!“
„Das ist der Ammonit“, beharrt Arthrax. „Er macht unsichtbar, und Karja sagte, er gehorcht mir. Wir nutzen den Stein, um uns im Tageslicht reinzuschleichen!“
„Zu gefährlich!“ Allyster schüttelt wild den Kopf.
„Es ist die einzige Chance.“
Oh nein! Die beiden Sturköpfe streiten schon wieder! Du solltest eingreifen – und hoffen, dass es mit deiner Entscheidung besser läuft als gestern Abend.
Du bist dafür, …
- … weiterzureiten und den Schutz der Nacht zu nutzen. Lies weiter in Kapitel 6.
[https://belletristica.com/de/chapters/212691/edit]
- … zu rasten und den Ammoniten zu verwenden. Lies weiter in Kapitel 7.