Du bist Allyster der Sehende.
Schritt für Schritt wagst du dich an die Arena heran. Es stehen viele Druiden an den Seiten und vor den hölzernen Mauern. Du hältst dich am Rand und findest eine Art Lücke in der Wand. Das sieht ein bisschen aus wie ein Astloch, dass sich tief in die hölzerne Wand zieht. Die Platten darüber sind etwas abgesplittert, reichen aber fast bis zum Boden. Dahinter ist es dunkel, staubig und eng.
Du zögerst einen Moment. So eine Kriecherei wäre eher was für Aji. Wenn überhaupt. Dann raffst du deine Gewänder widerwillig zusammen und steigst in den dunklen Tunnel.
Auf Händen und Knien kannst du durch den staubigen Gang kriechen. Für die Druiden wäre das hier so etwas wie ein Abflussrohr, allerdings scheinen sie diese Lücke nicht zu nutzen oder gar zu beachten. Wie eine Ratte schleichst du dich durch die Wand.
Dann kannst du in das Gerüst der Arena eintauchen. Diese ist oval und besteht offenbar aus einem Ring gestapelter Tribünen, die alle zu einem offenen Platz in der Mitte weisen. Nun befindest du dich unter den großen Sitzflächen, die für Druiden gedacht sind, und schleichst leise immer weiter vor. Die Tribünen bieten dir nicht so viel Deckung, wie du es gerne hättest. Zwar gibt es vorne eine Wand, die den Platz umgibt und vermutlich verhindern soll, dass man aus der Arena entkommt, aber ansonsten ist der Bereich unter den Tribünen offen, nur durchbrochen von verästelten Stützbalken, die wie natürlich gewachsene Bäume, jedoch ohne Blätter, aussehen.
Die Vielfalt der Stämme bietet dir immerhin etwas Deckung, und du arbeitest dich vor in den Schutz der Mauer. Du hörst merkwürdige Geräusche auf der anderen Seite. Das Johlen der Zuschauer übertönt sie größtenteils, doch es klingt nach Stöhnen, Wimmern und … Knarzen?
Du huschst an der Mauer entlang, bis du eine Öffnung findest, ein etwa kopfgroßes Loch. Als du hindurchsiehst, stockt dir der Atem.
Aji steht in der Mitte der Arena. Der Junge trägt den Ametrin offen auf der Brust, und der Stein leuchtet blutrot. Mehrere Leichen wanken durch die Arena. Die meisten sind skelettiert. Sie tragen Schmuck aus Holzperlen oder Pflanzenfasern um Arme und Beine und teilweise Kronen aus trockenen Zweigen. Einige sind frischer und haben noch Fleisch auf den Knochen. Du erkennst Menschen und Elfen, bemalt mit grüner und blauer Farbe und mit dem gleichen Schmuck. Sie sind unverletzt, bis auf blutige Schnitte an der Kehle.
Offenbar Menschenopfer, die mit der Macht des Totensteins wiederbelebt wurden.
Neben Aji steht ein weiterer Druide. In der Hand hält er einen weiteren Stein. Dieser glüht noch roter als Ajis. Der Blutjaspis! Zum Glück hast du nicht versucht, ihn zu finden. Natürlich sind die beiden Dinge, die du suchst, zusammen hier in der Arena.
„Lass sie kämpfen!“, befiehlt der Druide neben Aji mit dröhnender Stimme. „Na los! Wir wollen einen Krieg sehen.“
Ajis Antwort kannst du nicht verstehen, doch du siehst, dass er um Gnade fleht. Als Antwort schließt sich Eis um seine Füße, kriegt hinauf, bis Aji sich dem Befehl beugt. Die Druiden zwingen ihn mit der Macht des Blutjaspis, seine Kraft aufzubrauchen. Sonst würden sie ihn erfrieren lassen!
Wie kannst du ihm helfen? Vor deinen Augen gehen die wiederbelebten Toten aufeinander los und schlagen nach einander. Aji wendet den Blick ab, als morsche Knochen Fetzen alten Fleisches von Rippen ziehen. Ein bestialischer Verwesungsgestank erhebt sich, doch die Druiden scheinen ihn nicht wahrzunehmen oder sogar zu begrüßen. Sie jubeln laut, während sich die Leichen gegenseitig zerfetzen. Die Macht des Ametrins lässt sie jedoch nicht los, egal, wie schlimm ihre Wunden sind. Einzelne Gliedmaßen kriechen und krabbeln durch die Arena, deren Holzboden mit einer Schicht Sand bedeckt ist. Der gelbliche Sand hat sich bräunlich-orange verfärbt.
Dir ist übel, aber deine Gedanken gelten Aji. Der Junge steht inmitten des Chaos und schwankt bereits bedrohlich. Die Druiden zwingen ihn, seine Kräfte zu erschöpfen. Aji kann sich nicht wehren.
Was für eine finstere Macht der Stein besitzt! Du musst ihn bekommen. Schon allein, damit er nicht gegen Kalynor eingesetzt werden kann. Und natürlich musst du Aji retten.
Nur wie? Am liebsten würdest du einfach mitten in die Arena stürmen. Du bist ausgeruht, deine Kraft würde dich also eine Weile überleben lassen. Vielleicht lang genug, um den Druiden mit dem Blutjaspis abzulenken und Aji die Zeit zu verschaffen, die er benötigt.
Aber wenn du dich verschätzt, werdet ihr beide sterben. Der Druide mit dem Schöpferstein muss nur ein Wort sagen, damit Aji dich mit seinen Zombies angreift. Und ihr wärt in der Mitte der Arena, umringt von Druiden …
Du siehst dich fieberhaft um. Welche andere Option bleibt dir denn? Du hast nicht besonders viel Zeit, bevor es für Aji kritisch wird. Aber vielleicht kannst du für eine ordentliche Ablenkung sorgen. Du hast hier unten mehrere Türme gesehen, auf denen große Gongs sind, und vielleicht kannst du auch Feuer legen oder mit ein bisschen Magie für Aufruhr sorgen. Womöglich reicht das, damit dein Lehrling seinen Peiniger überwältigen kann.
Aber wenn du Pech hast, ist Aji nicht schnell genug oder der Druide durchschaut den Plan.
Du entscheidest dich, …
- … nach einer Möglichkeit zur Ablenkung zu suchen. Lies weiter in Kapitel 42.
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- … direkt einzugreifen. Lies weiter in Kapitel 43.