Liliannas Geist war trüb geworden. Sie wusste nicht, wie lange und wie oft sie gequält worden war. Letztlich lag sie nur noch zuckend da, in ihrem Erbrochenen und besudelt von ihren Ausscheidungen. Ihr Verstand war ein mickriger Rest, an den sie sich stolz und verzweifelt klammerte, ihr Körper ein Inferno der Schmerzen, dass sich mehr wie eine unförmige Masse als wie ein Leib anfühlte. Als Demians warme Stimme voll Anerkennung, ,,Du unglaubliche Bestie, du hast tatsächlich all die Stunden durchgehalten”, sprach, dauerte es einen Moment, bis Lilianna begriff, dass sie es überstanden hatte. Erst langsam wurde sie sich der Strigoi um sich wieder bewusst. Doch der Hass in den Gesichtern schien gewichen. Ihre Peiniger umringten sie. Sie wirkten abgekämpft und erschöpft. Sie hatten sich an ihr verausgabt und Lilianna hatte sie bezwungen. Stolz stieg in ihr auf. In den Blicken der Strigoi, selbst in dem der schwarzhaarigen Minna, lag Respekt. ,,Sie hat sich einen Platz unter uns verdient”, entschied der Graf. Seine Stimme machte klar, dass er keinen Widerspruch duldete. Und niemand widersprach. Behutsam hob er sie auf, als wöge sie nicht mehr als das besudelte Seidengewand, das an ihr klebte. Lilianna wurde auf eine Bank hinter dem Blutbecken, das zentral auf dem Emporium im hinteren Bereich der Halle lag, gebettet. Irgendwie fühlte sie sich an das Allerheiligste des Klosters erinnert. Wie dort rahmten Buntglasfenster den Abschnitt. Nur, dass die Szenerien unheilig und finster waren und anstatt lichter Göttlichkeit dem Becken etwas machtvoll Finsteres verliehen. Behutsam tauchte der Graf einen Kelch in das Blut und wusch ihren Körper damit, nahm das Seidengewand von ihr. Lilianna schauderte unter seiner unendlich liebevollen Berührung. Ihre Augen fanden die seinen und ein glühend warmes Gefühl füllte ihren Bauch. Sie lächelte. Er lächelte zurück. Dann, liebkosend ihr Haar zurückstreichend, fanden seine Lippen ihren Hals. Die Erinnerung an die Nacht des Überfalls, ihre Flucht durch den Wald und ihre Rettung aus dem See, wie er genau wie jetzt ihren Hals geküsst hatte, überkam sie. Seine Zähne fanden ihr Fleisch. Sie spürte keine Angst und keinen Schmerz. Dann floss ihr Blut aus ihr. Erschrocken verkrampfte Lilianna, doch er hielt ihren Kopf und sie wusste, dass sie ihm vertrauen konnte. Lilianna zwang sich, die Augen zu schließen. Kälte breitete sich in ihr aus, doch die Wärme in ihrem Bauch blieb. Panisch schlug ihr Herz, als der Blutmangel ihm zusetzte. Lilianna ließ es geschehen. Sie fühlte, dass es richtig war, auch, wenn ihr Körper rebellierte. Dies war ihr Weg, ihre Wahrheit. Sie zuckte, das Atmen wurde ihr schwer und selbst wenn sie es gewollt hätte, hätte sie die Lider nicht öffnen können. Kein Geräusch drang mehr an ihr Ohr, da war nur ein anschwellendes Rauschen. Ein Rauschen wie von Meereswogen, die sie in den unendlichen Ozean der Zeit aufnehmen, sie forttragen wollten in die Ewigkeit. Strahlendes Licht tanzte vor ihren Augen, immer heller wurde ihre Welt. Ein rauschendes Meer aus Licht und das Gefühl zu fallen. Da plötzlich ein Geschmack. Wie ein Messer zerschnitt er den lichten Schleier und schuf eine tiefrot lockende Finsternis. Sie wusste, sie könnte nun in diesem friedvollen Ozean davonschwimmen, dem Kampf der Welt entfliehen, aufhören, Lilianna zu sein und einfach nur sein. Lilianna stürzte sich in das Rot. Berauschende Leidenschaft durchflutete sie, Lebenshunger, Lust, Gier, Kampfeswille, alles zugleich, pulsierendes Leben, brach durch ihre Adern. Plötzlich war da wieder ein Körper. Unter brennendem Schmerz spürte sie, wie ihre Gliedmaßen in ihre Erlebniswelt zurückkehrten. Intensiv wie nie fühlte sie jedes Stück ihres Leibes. Lilianna riss die Augen auf. Eine dunkle Farbenpracht ließ sie ekstatisch zucken, während ein unendlicher Hunger nach Leben in ihr brannte. Und das Leben floss in seiner reinsten Form aus der geöffneten Ader Sorins, der sein Blut über ihre Lippen rinnen ließ, leidenschaftliches Feuer in den Augen. Lilianna biss zu. Es war keine Überraschung für sie, als sie fühlte, wie reißzahnhafte Eckzähne sich ihren Weg bahnten und ihr erlaubten, tief in den Arm des Grafen zu beißen. Mit unfassbarem Durst sog sie das Leben in vollen Strömen ein. Nie hatte sie so gelebt! Von einer Woge der Ekstase hinweggerissen bäumte sich Lilianna auf und fühlte hundert Orgasmen gleichzeitig. Ein unbändiger Zorn, der Wille, die ganze Welt niederzustrecken um ihr Blut zu saufen bis nichts mehr existierte, überkam sie, als Sorin plötzlich seinen Arm von ihr riss. Rasend vor Wut sprang sie auf, da packten sie seine starken Arme und stießen sie vor. Lilianna tauchte erneut in Leben ein. Sie trank und trank, dann wurde sie zurückgerissen. Unendlich entrüstet kämpfte sie gegen den Griff an, wollte mehr vom Leben trinken, wieder zum Becken, in dem ihr Kopf eingetaucht war, und es wieder und wieder leeren, als gäbe es nichts anderes in der Welt. Schreiend warf sie sich hin und her. ,,Es genügt”, befahl da eine Stimme. Etwas in Lilianna wollte sich weiter erwehren, weiter toben, doch da wurde sie sich plötzlich einer Wärme in ihrem Bauch bewusst. Wie aus einem fremden Leben drang die Erinnerung an ihre Zeit im Kloster, an die Versklavung, und schließlich an Sorin an sie. Erstmals wieder wurde sich Lilianna ihrer selbst und ihrer Umgebung gewahr. ,,Ich dachte, sie verliert den Verstand. Passiert bei den meisten”, kommentierte Demian spöttisch. Lilianna sah ihn zornig an. Plötzlich überkam sie eine unbändige, animalische Lust nach dem Schönling. Ohne, dass sie es beabsichtigt hatte, hatte sie sich mit einer unnatürlichen Geschwindigkeit auf ihn geworfen. Gierig presste sie ihr Becken an ihn, wollte seinen Hals schmecken. Amüsiert ließ er es geschehen, ,,Diese Leidenschaft wäre wahrlich ein Verlust gewesen”. Doch Minna riss sie mit unbändiger Kraft von ihm, sodass sie hart gegen die Wand geschleudert wurde. ,,Erst sagst du mir, wo Raoul ist!”, herrschte sie Lilianna an. Es kostete Lilianna alle Willenskraft, das innere Toben für einen Moment herunterzukämpfen um eine klare Aussage zu machen. Sie nannte die Kiste, in der sie ihn versteckt hatte. Dann überkam sie wieder der Rausch. Als Lilianna sich später in einem Sarg wiederfand, waren die Erinnerungen der Nacht nur noch Schemen. Unendlich erfüllt blickte sie zu Sorin, der neben ihr ruhte. Zusammengeschlungen lagen sie unbekleidet in der Dunkelheit, die kein Problem mehr für Liliannas Augen war. Rasend hatte sie sich über Demian hergemacht, der ihre Leidenschaft erwidert hatte. Kleidung war zerrissen worden, Blut geflossen. Schon bald waren sie alle wild übereinander hergefallen. Es war ein unfassbar ausgelassenes Fest der Fleischlichkeit gewesen, bei dem den Kontoren der Körper verschwommen waren in der Masse der sich windenden Leiber. Welch Unmengen Blut sie aus dem Becken getrunken hatten! Irgendwann tauchte sogar Raouls Gesicht auf. Lilianna erinnerte sich an den Schreck, den er in ihr ausgelöst hatte. Doch erstmals hatte sie ein ehrliches Lächeln auf seinen Zügen erkannt. Unfassbar verwirrt war sie, als grausame der Mörder Marlens sie beglückwünschend in die Arme geschlossen hatte, stolz war er auf sie, hatte er gesagt. Lilianna war durcheinander und doch erfüllt wie nie zuvor. Irgendwie spürte sie, dass die Sonne sich erhoben hatte und mit ihr fiel eine gewaltige Müdigkeit über sie. Sich eng an Sorin schmiegend gab sie sich dem Schlaf hin. Getragen von dem Wissen, endlich ihre Wahrheit erreicht zu haben.