Standesamt. Wir heirateten im kleinsten Kreis. Das mit den Trauzeugen war erst ein kleines Problem, dann entschied Lis, dass unsere Väter es übernehmen sollten. Die waren natürlich geschmeichelt. Nur die Familie war da, zu der natürlich auch Kristin und Axel zählten. Kim sowieso.
Wir wurden aufgerufen. Der Freund von Pop übernahm die Zeremonie. Wir saßen an dem großen Tisch, neben uns saßen unsere stolzen Väter, Pop neben Lis und Papa neben mir. Dann kam der große Moment: Wir standen auf, als die bewusste Frage gestellt werden sollte. Lis packte fest meine Hand, wie damals in Persien.
Da hörte ich ganz kleine Schritte hinter mir, dann die leise Stimme von Mom: „Lis, ich stehe hinter dir, wie du es mir befohlen hast.“
Lis zerquetschte mir die Hand, wodurch mein Ja eher ein schmerzerfülltes Brüllen wurde. Ihr Ja kam dafür sehr tränenerstickt. Wir steckten uns die Ringe gegenseitig an, dann durften wir uns küssen. So einen harmlosen Kuss habe ich selten von ihr bekommen, vor allem keinen so salzigen. Das fiel mir aber erst etwas später auf, als Lis neben mir zum Ausgang schwebte. Ihre Haltung glich der nach ihrem ersten Mal, damals in Teheran, stolz schwebend.
Draußen stand ein weißer Mercedes 600. Extra lang. Rote Rosen, rote Lederpolster, rote und weiße Schleier. Papa schob uns hinein. Mom und Mama gleich mit. Auch er und Pop passten noch gut rein. Ich sah aus dem Augenwinkel heraus, dass Axel, Kristin und Kim in unseren Mercedes stiegen.
Dann ging es los. Nur ... wohin?
„Papa, was habt ihr vor, wohin geht es?“, fragte Lis ganz leise.
„Zur kirchlichen Trauung natürlich. Heute Mittag um 16 Uhr im Münster ...“ Kurze Pause „von Konstanz“, grinste er dann.
„Ahnten wir es doch, es wird was Großes“, stöhnte ich. „Aber warum ausgerechnet Konstanz?“
„Ihr habt da wohl etwas vergessen?“, lachte Mom fröhlich. „Ihr seid Graf und Gräfin im Zweig der Prinzessin Rama Radama und eure Stammmutter wohnt nun mal in Konstanz.“
„Und sie ist, außer dir selbst Paul, an sehr vielem Schuld. Diese Ehre steht dem Haus Radama ganz einfach zu“, ergänzte Papa.
Pop und Mama nickten zustimmend.
„Und wie geht es jetzt weiter?“, konnte Lis es einfach nicht lassen. Ihre Neugier gewinnt immer.
„Wir fahren ins Inselhotel. Dort zieht ihr euch um. Alles ist vorbereitet, danach geht es ab ins Münster. Ihr werdet ein paar Bekannte dort sehen. Nach der kirchlichen Trauung kommt das Fest. Albert hat den großen Saal gemietet. Ihr könnt euch jedoch vorher noch frisch machen, in eurer Suite. Das Fest beginnt um sieben. Ende offen“, informierte uns Pop.
***
Wir brauchten uns wirklich um nichts kümmern. In einer prachtvollen Suite zogen wir uns um für die kirchliche Trauung. Auf der Fahrt in die Kirche waren wir alleine in der Limousine. Lis kuschelte sich so eng an mich, wie es ihr wunderschönes Hochzeitskleid nur zuließ. Ihre Augen strahlten. Das Münster in Konstanz. Eine prächtige Kirche. Ich hatte sie schon mal besucht, dass ich hier einmal heiraten werde, daran hätte ich nie gedacht.
Orgelmusik ertönte. Das Portal öffnete sich für uns. Leila, Traudl, Kim und Wanda traten von irgendwoher hinter uns. Die Brautjungfern. Voraus lief ein kleines Mädchen und streute Blumen. Papa stand ganz vorne am Altar und erwartet uns. Wir waren insoweit instruiert, dass er es war, der dort seine Tochter in meine Hände gab. Wir liefen los. Lis hatte dicke Backen so presste sie die Zähne zusammen. Das war eine gute Idee, es half wirklich, denn feucht glänzende Augen waren jetzt nicht unbedingt angesagt.
Aus den Augenwinkeln heraus sah ich bekannte Gesichter. Mein Verstand wollte sie nicht einordnen. Schock. Ich sah Marni. Sie raffte sich also auch auf, zu unserer Hochzeit zu kommen? Mit Mann. Lis schluckte deutlich, dann quetschte sie heraus „Renate und Hans.“ Rama mit Gefolge, das war erwartet. Schulfreunde, war das nicht gar ... es konnte nicht sein. Dann erkannte ich auch frühere Models. Was sollten die hier, wer wusste was. Wer zum Teufel hat sie eingeladen.
Lis und ich waren völlig durch den Wind. Die Zeremonie bekamen wir nur in Teilen mit. Beinahe verpasste ich meinen Einsatz. Beim Küssen blickte ich in die Menge. „Scheiße“, flüsterte ich in das Ohr meiner jetzigen Frau: „Die haben wirklich alle eingeladen, die wir lieben und mögen. Alle!“
„Ich hab es gesehen. Ich werde Papa wieder hassen, dass er uns das antat“, flüsterte sie zurück. „Ich wollte doch nicht heulen, da komme ich jetzt aber wohl kaum mehr drum rum.“
***
Das Fest, im Ballraum des Inselhotels, rauschte. Lis war jetzt plötzlich völlig gelassen. Zu viele alte Erinnerungen überschwemmten dagegen mich. Meine Jugend konnte ich in Gedanken kaum verdrängen, da alle meine frühen Sünden da waren. Ich stellte bei mir fest: Unsere Familien sind eine Plage. Wir hatten zu viel erzählt und die Familie hatte sich alles gemerkt - alle meine Sünden.
Zuerst kam Familie Radama zum Gratulieren. Erst Rama, dann Marni. Wie damals bei Renate war die Hochzeitsgabe des Hauses ein ganz kleines Häuschen - das Schloss bei Neapel.
„Deswegen solltest du es nicht kaufen. Wir hatten deinen Pop beauftragt herauszubekommen, was ihr euch wünscht“, sagte Marni lächelnd.
„Ich hören, Haus nix gut Möbel. Papa Bronner und ich werden viel möblieren nach eurem eigenen Wunsch“, bekundete Rama.
Von Pop kam wieder ein selbst gemaltes Bild. Drei Putten schwebten über einem großen Bett. Die Gesichter waren die von Renate, Kim und Kikki; im Bett schliefen Lis und ich. Es war ein riesiges Gemälde. Pop wurde prompt von Lis abgeküsst. Kikki und Mitzi standen in der Reihe der Gratulanten. Von ihnen nur ein kleines Stadtauto für Lis. Das Küssen durfte hier ich übernehmen.
Wir waren überwältigt von so viel Anteilnahme. Tante Rösle und Onkel Franz waren da, ebenso wie Familie Hartmann. Hellen mit Mann. Dorle und Inge aus Stuttgart. Rosa mit Mann. Auch Toni, inzwischen verlobt. Mein erstes Opfer. Schulfreunde. Dr. Ottmar, im Namen des Kollegiums. Mikel und Willi mit Frauen. Das Mädchen, das die Blumen streute, ist die Tochter von Willi und Blondi. Es wurde wieder heftig. Renate und Hans überbrachten uns einen Gutschein: Lebenslang zwei Wochen im Jahr in der besten Suite ihres Hotels. Da hatte auch Lis wieder jemand zum Küssen. Es lenkt zumindest ab.
***
Die Abendunterhaltung begann. Wer eigentlich sonst, fragte ich mich später: Terry und ihre Girls waren da. Aus New York, vom Broadway eingeflogen. Sie müssen morgen wieder los, erfuhr ich. Neben dem Limbo hatten sie schon wieder ein paar neue Nummern drauf. Das Insel Hotel bebte vom Beifall. Ich sah die Angestellten, wohl alle, hinten an der Türe stehen. Sie wippten im Rhythmus der Musik.
Es war eine Privatparty und ich hatte diesmal zuerst alle acht nackten Girls an mir hängen, dann verteilten sie sich völlig ungeniert im Publikum. Ich sage nackt, diesen String, den sie trugen, kann ich nicht als Kleidung akzeptieren. Die Limboboys hatten ebenfalls nur winzige Höschen. Sie gingen in der Menge der Damen unter, nachdem Lis von jedem geküsst wurde. Sie findet küssen, auch als Ehefrau, immer noch gut, sagte sie.
Sie und ich hatten uns inzwischen gefasst. Wir schüttelten Hände und Hände und Hände. Lisl hatte, mit allen meinen Mitarbeitern, eine neue Nummer drauf. Sondersolo, ich musste mich an Lis festklammern: Jutta Berger, blauäugig, übernahm sie den Part auf Englisch. Ich brauchte Ende September und am Abend jetzt doch meine Sonnenbrille. Spanisch übernahm nicht Terry, nein: Diana aus Barbados war dran. Dass Heidi aus Martinique eine gute Stimme hat, das konnte ich zwar ahnen, dass sie den Part auf Französisch sang aber nicht. Ich hatte in der Kirche also richtig gesehen.
Die Party war ein Knaller. Meine Hand tat vom Händeschütteln weh, Lis jammerte deswegen auch ein wenig. Mickimäuse - D-Girls. Endlich, obwohl man es so ja auch nicht sagen kann, war alles zu Ende. Sehr spät kamen wir in unsere Suite. Scheiße! Abdallah wachte, in voller Kriegsausrüstung mit Lanze, davor. Devote Begrüßung, aber ohne Knuddeln kamen weder ich noch Lis rein. Wer hat uns das nur wieder angetan? Dabei stand uns das Schlimmste noch bevor: Ich hatte mich auch hier nicht geirrt; ich glaubte sie bereits in der Kirche und später, aus der Ferne, auf der Party zu sehen - Kitty!
Jetzt stand sie im Wohnzimmer unserer Suite. Sehr devote Begrüßung. Dann sagte sie, oh wie gut kannten wir die Worte: „Mögen Bad? Mögen Duft? Mögen Champagner? Mögen Kitty?“, dann hing sie mir und Lis am Hals. Lis war nun doch geschafft. So richtig heulte sie aber erst los, als wir in unser Schlafzimmer kamen. Damals in Persien, bei ihrer ersten Nacht mit mir, als es geschah, da war es ein Nichts. Hier heizten 101 rote Kerzen den Raum. Statt Orchideen gab es Rosen. Eine Tonne Blütenblätter lag in unserem Bett. Weder Lis noch ich konnten einen klaren Gedanken fassen. Es war plötzlich wieder ihre erste Nacht. Wir hielten uns an die Regeln, wie wir sie lernten. Kitty schnitt uns vorsichtig in den Daumen. Dann band sie ein Tuch darum und sagte: „Jetzt verheiraten wie alte Sitte und Brauch“, wurde uns gesagt.
Ich habe natürlich vieles unterschlagen. Die erste Nacht mit Lis habe ich recht ausführlich beschrieben, die Hochzeitsnacht gehört nur uns. Lis arbeitete liebevoll jede Perle der grauen Perlenkette ab, wie sie es vor ein paar Jahren versprach. Sie hatte es nicht vergessen. Die Dienste von Kitty wurden nicht mehr benötigt. Inzwischen hat meine Frau genug eigene Erfahrung.
Am Morgen, die Amsel sang noch ein letztes Lied im Herbst (nur für uns, sagte Lis), kamen wir zu dem Schluss, dass wir verdammt viele und verdammt liebe Freunde haben. Über die Diskussion zum Thema schlief sie ein. Kurz davor murmelte sie noch: „Wo ist eigentlich Kim? Ich vermisse sie.“
Ich ging zum Telefon und rief sie. Lis kuschelte sich am Morgen genüsslich an sie, keiner von uns fand es seltsam. In der Hochzeitsnacht! Obwohl - diese war schon vorbei, als Kim gerufen wurde. Sie schlief heute auch auf der anderen Seite von Lis, nicht neben mir. Später sagte sie, sie benötige dringend neue Kerzen für ihren Buddha. Für diese trivialen Dinge hält sie immer noch ihre Familie für zuständig, es gehört für sie zum Haushalt.
Später, zu Hause, musste dann auch Lis mit auf Kims Zimmer, um den Buddha zu besuchen. Kim schrieb uns auf, was sie von Buddha für uns erflehte. Auf thailändisch. Wenn wir nach Thailand kommen, sollen wir es einem Priester geben. Der würde dafür sorgen, dass alles in die richtigen Wege geleitet wird.
Lis liebt meine Schwester Kim. Dass ich Kim auch liebe, daran habe ich wohl keinen Zweifel gelassen. Sie ist jetzt meine Nummer Zwei, seit Renate verheiratet ist.
Das Tuch, jenes berühmte, hatte blutrote Flecken, als es Kitty mit zum Frühstück brachte. „Ich bezeuge, dass die Ehe würdevoll vollzogen wurde“, rief sie in den großen Raum und zeigte dabei das Tuch. „Frau Elisabeth Oktober war Jungfrau. Sie gehörte nur ihrem Mann!“ Kitty hatte es auf Deutsch gelernt. Sie hatte auch nicht gelogen, nur der Termin stimmte nicht so richtig. Die paar, die es wussten, klatschten am lautesten Beifall. Lis heulte schon wieder.
Axel ging raus. Wie sagte er mal? „Ich kann heulende Weiber einfach nicht um mich haben. Gleich gar nicht in dieser Menge.“ Ich konnte leider nicht mit, es war ja auch meine Hochzeit, da muss der Bräutigam wohl bleiben.
Unsere Freunde aus Teheran mussten ebenfalls zurück. Marni küsste mich, als sei ich ihr Mann. Der küsste Lis, als sei ich gar nicht da. Renate und Hans lösten die beiden ab. Wir sind wirklich eine große Familie, mit viel Liebe im Herzen. Nur Kitty blieb verschwunden. Ich hörte später, sie wollte keinesfalls unseren Status kränken, indem sie vor uns in Tränen ausbricht. Und - sie hätte leider vergessen den Dank ihrer Schwester zu überbringen, von Gillian der Hure. Lis wird schimpfen, wenn sie dies liest. „Es ist ein Scheißberuf, aber einer muss es machen. Kitty erklärte, auch dabei kann man seine Ehre bewahren, wenn man es ehrlichen Herzens tut“, hat sie mir halt mal gesagt, und ich denke, ich kann ihr nur beipflichten.
***
Lis Oktober, meine Frau, hasst ihren geliebten Vater natürlich nicht. Sie bedankte sich aber überschwänglich bei ihm für die Ausrichtung der Hochzeit. Ich natürlich auch. Papa schien irgendwie gerührt:
„Ach ihr beiden, ich bin ja so froh, dass meine Kleine gut versorgt ist. Wenn sie als Zweitgeborene schon kein großes Erbe erhoffen kann, hat sie doch einen guten Mann und der hat wohl auch schon ein paar Mark gespart. Wenn du, Elisabeth, trotzdem Geld brauchst, dann komme zu deinem Vater, er ist immer für dich da. Das Hochzeitsfest habt ihr aber auf alle Fälle verdient. Ohne Paul hätte ich es mir in dieser Größe nicht leisten können. Mit Paul kann ich mir sogar noch die Taufe eures ersten Nachwuchses leisten. Dann wieder im Bären.“
***
Zu Hause hatten wir reichlich damit zu tun unsere Geschenke zu verstauen. Papa hatte zum Glück einen Firmenbulli nach Konstanz beordert. Wegen des Autos von Lis muss eine Doppelgarage her. Das Bild von Pop muss auch angebracht werden. Roland half, er wusste zwar ein wenig Bescheid, so manches hat er wohl auch meinen privaten Bildern entnommen. Seine dumme Bemerkung musste ich trotzdem hinnehmen. Nun ja, er ist ein Freund.
Dann, es blieb uns nichts anderes übrig, kam die Arbeit wieder auf uns zu. Die Hochzeitsreise war ja verschoben und Kim drängte, dass weiteres Geld in die Kasse floss. Wir hatten zwar keine Schule mehr, aber Hausfrauen und Nachbarn für Nachbarn. Die relativ wenigen Studioaufnahmen fielen kaum mehr ins Gewicht, höchstens soweit es meine - unsere Einnahmen anging.
Der Termin für Russland stand schon lange fest. Das Visum war ebenfalls schon da. In einer Woche soll es losgehen. Dieses Mal war es Kim, die etwas aufgeregt war. Ich erwischte sie mit einem Lehrbuch für Russisch.