Julia sah sich um. Der Raum, in dem Joon und sie nun standen war riesig. In der Mitte stand ein großes, klobiges schwarzes Ledersofa, das ein wenig so wirkte, als sei es aus der Zeit gefallen. Julia konnte sich nicht erklären, wie Joon, da ran gekommen war. Das letzte Mal, dass sie ein solches sah, war in einem alten Film. Auf dem Boden, neben dem Sofa, lagen Hanteln in verschiedenen Gewichten. Weiter hinten im Raum, sah Julia einen Computer auf einen Schreibtisch verbunden mit drei Bildschirmen. Dabei stand ein Mikrofon, das ziemlich neu und fast unbenutzt aussah. Zudem führten noch einige Kabel unter den Schreibtisch zu anderen Geräten, deren Nutzen sie auf den ersten Blick nicht erkennen konnte. Die aber sicher ihren Sinn hatten.
Als Julia in die andere Richtung sah, erkannte sie eine kleine Küchenecke. Zwei Herdplatten, eine kleines Spülbecken und im Gegensatz dazu ein ein riesiger Kühlschrank, wie so ziemlich alles im Raum in Schwarz. Wie ihr jetzt auch auffiel hatte der Raum keine Fenster. Was sie zunächst gar nicht bemerkte, da es durch das Licht der Lampen an der Decke angenehm hell war. Noch weiter hinten, sah sie zwei weitere Türen. Diese waren sogar mit zwei Codepads ausgestattet.
»Lass uns hoffen, dass wir die beiden nicht brauchen«, hörte sie Joon neben sich sagen.
Julia nickte. »Wenn du meinst.«
»Ja, das meine ich.« Er sah sie von der Seite mit einem Blick an, den sie nicht zuordnen konnte. Für einen Moment war sie sich nicht sicher, was sie sagen sollte. »Mach dir keine Sorgen. Du hast den Platz auf dem Sofa ganz für dich alleine«, durchbrach Joon die Stille.
Sie wusste, dass er das sagte, damit sie sich besser fühlte. Doch das Gegenteil war, was er erreichte. »Wo schläfst du? Wieder auf dem Boden?«, Julia versuchte die Situation mit etwas Humor aufzulockern. Ob es klappte, war sie sich aber nicht so sicher.
Joon schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn überhaupt, dann vermutlich auf dem Stuhl am Schreibtisch. Ich brauche meistens nicht viel Schlaf.« Er sagte dies in einem Ton, der klar machte, dass er es dabei belassen wollte.
Also nickte Julia. »Wenn du meinst.«
»Ja.« Er runzelte die Stirn. »Ich weiß, dass das hier nicht optimal ist, okay?« Joon seufzte. »Aber es ist eine gute Notlösung, bis wir wissen ob es bei mir zuhause sicher ist.«
»Ich habe auch eine Wohnung in der Stadt-«, setzte Julia an, doch er unterbrach sie sofort.
»Das kommt auf gar keinen Fall in Frage. Eclipse ist bestimmt längst schon dort gewesen«, überlegte er. »Hier bist du sicherer.«
Julia biss sich kurz auf ihre Unterlippe. »Es gibt da etwas, dass ich dir sagen muss...«
»Ja, natürlich.« Joon sah sie an, ein Lächeln auf den Lippen. Seine braunen Augen blickten sie sanft und besorgt an. »Du kannst mir alles sagen. Ich weiß der Tag war hart für dich.«
Julia zwang sich dazu, sein Lächeln zu erwidern, doch gleichzeitig zog sich ihr Magen vor Schuldgefühlen zusammen. »Ich dachte nur ... Ich weiß, dass du gut mit Computern bist aber vielleicht kann ich dir helfen?« Sie räusperte sich kurz. »Zwei Köpfe denken besser, als einer.«
»Ich denke nicht, dass du mir da viel helfen kannst.« Sein Lächeln wurde etwas milder. »Aber danke, dass du mir deine Hilfe angeboten hast«, entgegnete Joon.
»Hast du denn schon eine Spur?« Julia hoffte, dass sich ihre Stimme nicht so schrill anhörte, wie sie ihr vorkam.
Joon schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht. Wer immer das war, hat entweder erstaunliche Hackerfähigkeiten oder verdammt gute Kontakte.« Er ballte die Hände zu Fäusten.
Julia schluckte unwillkürlich. Zu sehen, dass es ihn so wütend machte, jagte ihr Angst ein. Sie wollte ihm die Wahrheit sagen, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken. Stattdessen hörte sie sich sagen: »Ich... ich werde uns einen Tee machen, in Ordnung?«
»Tee klingt gut.« Joon lächelte noch immer. »Der Wasserkocher steht im unteren Schrank rechts.«
»Oh, gut. Danke für den Tipp.« Julia erwiderte sein Lächeln. »Ein Tee ist genau das, was ich jetzt brauche.«
Julia ging zur kleinen Küchenecke und öffnete den unteren Schrank rechts. Dort fand sie, einen modernen Wasserkocher, der im Kontrast zu dem altmodischen Sofa stand. Während sie Wasser einfüllte, spürte sie Joons Blick in ihrem Rücken. Es kam fast so vor, als wolle er mit diesem durchbohren. Julia kämpfte mit dem Drang, sich umzudrehen und ihm alles zu gestehen. Doch ihre Angst hielt sie davon ab.
»Hast du eine Lieblingssorte?«, fragte sie, um sich und ihn abzulenken. »Hier sind so viele.«
»Grüner Tee, wenn du einen findest.« Julia zuckte kurz zusammen. Seine Stimme hörte sich deutlich näher an, als sie erwartete. Sie drehte sich um.
Joon stand direkt vor ihr. Ihre Blicke trafen sich und Julia konnte fühlen, wie weich ihre Knie wurden. Die Intensität seines Blickes ließ sie für einen Moment alles vergessen. Es lagen Besorgnis und Neugierde darin. Und noch etwas weiteres. Misstrauen? Sie könnte es jedenfalls verstehen. Aber sie hatte schon andere Menschen gesehen, die ihr misstrauisch gegenüber standen. Und die hatten sie nie so angesehen, wie er. Konnte es vielleicht sein das... Sie wagte es nicht, den Gedanken zu Ende zu denken.
Julia schluckte hart und versuchte, ihre Fassung wiederzuerlangen. »Ich... ich glaube, ich habe hier einen grünen Tee gefunden«, stammelte sie und griff blindlings nach einer Packung im Schrank hinter sich und zog sie hervor und hielt sie ihm hin.
Die Spannung zwischen ihnen war fast greifbar. Julia spürte, wie ihr Herz schneller schlug, und sie war sich sicher, dass Joon es hören konnte. Sie wollte etwas sagen, irgendetwas, um die Stille zu brechen, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken.
»Julia?« Hätte schwarzer Samt einen Tonfall, dann wäre es der, wie Joons Stimme sich anhörte.
»Ja?« Sie schluckte, als ihr auffiel, dass Joon einen kleinen Schritt auf sie zu machte und hielt unwillkürlich den Atem an. Für einen Moment dachte sie, er würde noch näher kommen, vielleicht sogar ...
»Das da ist Früchtetee.« Er deutete auf die Schachtel in ihrer Hand.
Wieso fielen ihr eigentlich erst jetzt auf, wie schön geschwungen Joons Wimpern waren? Was dafür sorgte, dass ihr Herz nur noch schneller schlug. »Was?«, hauchte sie.
Sie hörte wie Joon leise lachte. Seine Augen funkelten schalkhaft, aber mit einer Wärme, die Julia den Atem raubte. »Der Tee«, sagte er sanft und nahm ihr vorsichtig die Schachtel aus der Hand. »Du hast Früchtetee erwischt, nicht Grünen Tee.«
Julia spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg und ihre Wangen heiß wurden. »Oh«, murmelte sie verlegen und wünschte sich ein Loch herbei, in dem sie hätte versinken können. »Ich war wohl etwas... abgelenkt.«
»Kein Problem.« Joon trat neben sie, dabei streifte sein Arm den ihren. »Lass mich mal kurz.«
Sie nickte immer noch überwältigt und als er sich neben ihr hinkniete, um in den Schrank zu sehen, konnte sie den herben Duft seines Aftershave wahrnehmen, der ihr vorhin schon beim Motorrad fahren auffiel.
»Ah, hier ist er«, sagte Joon triumphierend und zog eine Schachtel mit grünem Tee hervor. Er drehte sich zu ihr um, immer noch so nah, dass Julia jede seiner Wimpern zählen konnte. »Alles in Ordnung?«
Julia nickte stumm, unfähig zu sprechen. Sie wusste, dass sie ihm die Wahrheit sagen und ihm vertrauen musste. Aber in diesem Moment gefangen, konnte sie an nichts anderes denken als an die Wärme seiner Nähe und das sanfte Lächeln auf seinen Lippen.