Kapitel 3
„Was soll ich bloß anziehen?!“, stöhne ich verzweifelt, während ich vor meinem Kleiderschrank stehe und allerhand Klamotten heraus ziehe. Doch nichts, was ich anprobiere, scheint richtig zu sein für das Date mit Lio heute. Als ich mich schon völlig hoffnungslos auf mein Bett schmeiße, kommt mir auf einmal eine Idee. Ich springe auf, reiße meine Zimmertür auf und renne runter in die Küche, wo meine Mutter gerade das Mittagessen kocht. Es riecht nach Milchreis und obwohl es mein absolutes Lieblingsessen ist, ahne ich, dass ich vor Aufregung nicht runter bekomme.
„Hey Mama, kann ich mir das lavendelfarbene Sommerkleid ausleihen, von dem du immer sagst, dass du zu dick dafür bist?“, frage ich schnaufend. „Heeyy, das sage ich gar nicht!“, sagt sie entrüstet und stemmt ihre Arme in die Hüfte. „Doch! Und zwar jedes mal, wenn du daran vorbei gehst. Aber ist ja auch egal. Darf ich oder darf ich nicht?“ „Ja, okay. Mach das“, gibt sie schließlich nach. Freudestrahlend hüpfe ich um die Theke herum und drücke ihr einen Kuss auf die Wange. „Danke, danke, danke.“
Anschließend sprinte ich wieder hoch. Diesmal ins Schlafzimmer meiner Mutter, wo das Sommerkleid an einem Bügel im Schrank hängt. Als ich das Kleid schließlich in der Hand halte, hüpfe ich wieder, wie ein kleines Kind in mein Zimmer zurück. Noch bevor ich es betrete, höre ich meinen Laptop klingeln. In freudiger Erwartung stürze zu meinem Schreibtisch. Sofort drücke ich auf 'Anruf annehmen', als ich die Nummer erkenne. „Hey Papà“, rufe ich überschwänglich, als ich das freundliche Gesicht meines Vaters erkenne. „Naa, wie geht es meinem kleinen Spatz? Wie ich sehe, hast du heute noch was vor.“
Wie schon so oft, bemerke ich, wie gut mein Vater mich kennt. Denn obwohl ich noch in meinen Schlafsachen bin, sind meine Haare noch in einem Handtuch eingewickelt und am Wochenende mache ich nie mehr als das Nötigste.
„Mir geht’s blendend. Äh, ja...ich...ähm...ich...habe heute noch ein...ähm...ein Date“, antworte ich verlegen. „Ein Date?Ach...meine kleine Prinzessin wird erwachsen. Aber sag, wer ist denn der Glückliche, der dich heute ausführen darf?“
„Er heißt Lio.“ Sobald sein Name fällt, wird der Blick meines Vaters kalt. Das überrascht mich, da er die Freundlichkeit in Person ist. „Etwa...Lio Moretti? Ich finde nicht, dass er der richtige Umgang für dich ist!“ „Äh...Ja, so heißt er. Du kennst ihn? Und warum sagst du, dass er nicht der richtige Umgang für mich ist? Er ist ein wunderbarer Mensch!“, sage ich schockiert. Mein Vater schließt für einen Moment die Augen und schüttelt dann den Kopf. Als er sie wieder auf macht, ist sein Blick wieder weich, so wie ich es von ihm gewohnt bin. „Du hast recht. Tut mir leid.“ Immer noch verwirrt über sein Verhalten, frage ich: „Woher kennst du ihn?“
Erneut schließt mein Papà seine Augen und seufzt tief. „Ich kenne ihn nicht persönlich. Aber seine Eltern. Und wir hatten keine so prickelnde Vergangenheit. Wenn du ihn so sehr magst, wie mir deine Mutter erzählt hat, kannst du natürlich mit ihm ausgehen." Als er das sagt, blitzt ein Ausdruck in seinen Augen auf, den ich nicht deuten kann. Irgendwie ein Funke Abscheu. Aber dann auch wieder Trauer und Verzweiflung. „Danke Papà. Das bedeutet mir viel. Aber was ist passiert, dass du Lio's Eltern so...hasst?" „Ach, weißt du meine kleine...Das ist eine lange Geschichte und die erzähle ich dir ein andern mal. Eigentlich habe ich dich aus einem anderem Grund angerufen. Ihr habt doch bald Sommerferien, habe ich gehört. Hast du Lust für ein paar Wochen zu mir nach Italien zu kommen? Ich bezahle dir auch das Flugticket."
Ich setze ein strahlendes Gesicht auf um meine mittlerweile im Endstadium angekommene Verwirrung zu überspielen, allerdings fällt mir das nicht weiter schwer, da ich mich riesig über den Vorschlag freue. Als ich ca. 2 Monate alt war, haben meine Eltern sich getrennt und mein Vater Antonio Marnici ist zurück in sein Heimatland Italien gezogen. Ich selbst bin ebenfalls dort geboren. In Venedig um genauer zu sein. Nach der Trennung, haben sie beschlossen, dass es besser sei, wenn ich bei meiner Mutter Clara in Deutschland aufwachse. Sie hat ihren Mädchenname Augustin angenommen. Ich habe den Nachname meiner Mutter als auch den meines Vaters bekommen. Somit heiße ich Valentina Augustin-Manici.
„Unglaublich gerne, Papà. Ich frage schnell Mama." Ich will schon aufspringen, doch er sagt: „Warte. Ist alles schon mit Clara besprochen. Wenn du mir sagst wann du Zeit hast, buche ich den Flug und maile dir das Ticket rüber."
Ich überlege kurz und antworte dann: „Eigentlich habe ich in kompletten Ferien Zeit, aber wie wäre es mit der dritten und vierten Woche?" „Das klingt super", lächelt mein Vater warm. „Ich maile dir dann später das Ticket." „Danke Papà. Du bist der beste Vater der Welt", strahle ich ihm durch den Bildschirm entgegen. „Viel Spaß bei deinem Date. Ich habe gleich noch ein wichtiges Meeting. Ich rufe dich heute Abend nochmal an. Bis bald mein Schatz." „Bis Bald. Ich hab dich Lieb", antworte ich. Einen Moment später ist das Bild von Papà verschwunden. Anstelle dessen steht nun 'Anruf beendet'. Ein paar Sekunden lang starre ich noch auf den Bildschirm, tanze dann aber samt Kleid zu einem Ohrwurm, den ich schon den ganzen Tag habe, ins Badezimmer.
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