Wie erstarrt bleibe ich liegen. Wer ist da? Wie viel Uhr ist es? Verdammt, ich kann mich nicht bewegen… Wieso überhaupt? Ich meine, wenn man jemanden beraubt guckt man doch erstmal ob derjenige irgendwas Wertvolles hat, und das wertvollste in diesem Haus ist meine Playstation. Ich versuche so ruhig wie möglich zu bleiben, halte meine Augen geschlossen. Ich höre schwere Schritte die langsam auf mein Bett zu kommen. Wenn ich mich nicht irre kniet derjenige gerade neben mir nieder. Eine große, raue Hand packt mich an der Schulter und dreht mich auf den Rücken. Ich tue immer noch so als würde ich schlafen, obwohl meine Atmung etwas anderes verrät. Besagte Person nimmt mein Handgelenk. Moment… Ich kenne diesen Griff. Ich kenne diese Hände.
Ich öffne meine Augen, lehne mich auf und bin nur noch wenige Zentimeter von Damons Gesicht entfernt. Eine kurze Weile ist es ruhig, dann weicht er zurück und setzt sich auf den Boden. Ich sehe ihn nur verwirrt an.
"Was… War das denn?", frage ich, immer noch etwas perplex. Er sieht mich nur ernst an.
"Gar nichts." Er steht auf und sucht den Ausgang. Dann komme ich erst richtig zu Bewusstsein.
"Hey, warte!" Ich springe auf und halte ihn am Handgelenk fest. Er dreht sich zu mir um. Schnell lasse ich los. "Was machst du hier?"
"Gar nichts.", wiederholt er sich.
"Das glaube ich dir nicht."
"Man ist doch egal." Damon findet meine Tür und zack, ist er weg. Ich bleibe einfach nur da stehen.
Ich schüttele mich kurz und setze mich dann in mein Bett. Einschlafen kann ich nicht. Danke Damon. Wieder mal. Ich lege mich hin und sehe auf mein Handy. In einer halben Stunde klingelt mein Wecker. Ich seufze und stehe auf. Ich gehe an mein, jetzt kaputtes, Fenster. Ich sollte heute Nachmittag mal jemanden anrufen um das zu reparieren. Heute kann man sogar die Sterne sehen. Da ist Orion. Hi.
Als mein Wecker mich aus meinem 'Tagtraum' reißt gehe ich ins Badezimmer und wasche mein Gesicht. Da fällt mir mein Handgelenk auf. Es ist rot angeschwollen und hat Bisspuren. Etwas beängstigt sehe ich mich um, dann wieder auf mein Handgelenk. War er hier? War er vorher hier? Was zur Hölle ist passiert in dieser Nacht? Und wenn er schon getrunken hat, was hat er dann gerade gemacht? Als ich in den Spiegel sehe bemerke ich, dass mir schwindelig ist und stütze mich am Becken ab. Verdammt Damon! Halb bei Bewusstsein ziehe ich mich um und mache Frühstück. Eine halbe Stunde später sitze ich im Bus. Draußen ist es eiskalt. Und das im April. Ich schlafe fast ein. An der Schule stubst mich jemand an und ich gehe nach draußen.
Maria erwartet mich wie gewöhnlich am Spind und schließt mich in ihre Arme.
"Jessie! Ich hab mich so sehr gefreut dich zu sehen! Lisa kommt bald!" Ach ja… Das habe ich ganz vergessen.
"Das habe ich dir doch gestern selber gesagt.", erkläre ich ihr mit einem sanften Lächeln. Sie streift mir eine Strähne aus dem Gesicht. Sie sieht besorgt aus.
"Oh je, Süße, was ist denn mit dir passiert? Hast du schlecht geträumt?" Aus Reflex umschließe ich das angeschwollene Handgelenk mit meiner Hand. Ich schüttele den Kopf.
"Ja… Nein… Wahrscheinlich… Irgendwie sowas." Ich öffne meinen Spind und packe meine Tasche.
Sie lacht leicht. "Was jetzt?"
"Ich hatte einfach eine unruhige Nacht." Sie nickt einverstanden.
"Wie auch immer. Hast du Mathe gemacht?" Ich nicke, noch im Halbschlaf. Mathe… Verdammt, da sitzt Damon neben uns. Maria nimmt mich an die Hand und zusammen gehen wir zu den Matheräumen. Wiedermal fällt mir auf wie groß unsere Schule eigentlich ist. Beim Raum angekommen sehe ich mich unsicher nach Damon um. Und da ist er. Umringt von vielen Mädchen. Lachend. So ein scheinheiliger Freak.
Maria kommt mir etwas näher. "Weißt du, er hat mir erzählt das er bei dir so sein kann wie er wirklich ist. Ist das nicht romantisch?" Ich kann meinen Blick von Damon nicht lösen. Verdammt. Der Typ macht mir Angst. "Jessie?" Diesmal klingt sie etwas besorgt. "Hey Jessie, alles in Ordnung?"
Ich sehe zu ihr. Naja eher an ihr vorbei. "Hm? Ja… Alles klar."
"Das war nicht wirklich überzeugend." Ich nicke nur. "Ist dir kalt, Jes?"
Jetzt schaffe ich es ihr in die Augen zu sehen. Maria macht sich wohl echt Sorgen. "W-wieso?"
"Na du zitterst!" Ich sehe an mir herunter.
"Ich… Ich fühle mich auch nicht wirklich gut… Kannst du mich bitte einfach weg von hier schaffen?"
"Natürlich." Maria hält mich ganz fest und begleitet mich zum Treppenhaus. Dort setze ich mich auf eine Stufe. "Ach Süße, was ist denn mit dir passiert?"
Ich höre wie die Tür hinter uns sich öffnet. Maria dreht sich um. Ihr erst etwas angespannter Körper beruhigt sich jetzt. "Ah, hey Damon. Alles in Ordnung?" Ich erstarre. Nein… Nicht Damon! Ich krümme mich zusammen und suche Schutz bei Maria.
"Was hat sie?" Ich zucke zusammen als er spricht.
"Ich weiß es auch nicht. Bei den Spinten wirkte sie noch relativ normal, aber jetzt kann sie sich kaum noch bewegen." Sanft streichelt sie meinen Rücken. Dadurch schaffe ich es mich ein bisschen zu beruhigen. Ich starre auf das angeschwollene Handgelenk. Dann fange ich an zu weinen. Damon kommt angerannt und drückt auf die Schwellung. Au… Das tut weh Damon… Wo… Wo bin ich?
Ich öffne die Augen. Ich bin im Krankenzimmer. Hier war ich in meiner ersten Schulwoche ganz oft. Ich sehe nach draußen. Noch ist es hell. Ich sehe auf mein angeschwollenes Handgelenk. Jemand hat ein Tuch darum gewickelt. Es ist das Tuch, das Damon mir vor etwas mehr als einer Woche für meinen Hals gegeben hat. Ruckartig fasse ich an die Narbe an meinem Hals und fahre zusammen. Einige Momente später kommt die Sekretärin rein.
"Bist du wach?", fragt sie mich. Ich nicke. "Okay. Möchtest du nach Hause?" ich schüttle den Kopf und setze mich auf.
"Ich gehe in den Unterricht.", sage ich schwach. Die Sekretärin kommt zu mir und reicht ein Glas Wasser. Ich trinke es aus. Nach dem ich noch ein bisschen an Bewusstsein erlangt habe gehe ich relativ sicher in den Mathe-Unterricht. Als Maria mich zur Tür hinein kommen sieht, rennt sie mir entgegen und führt mich zum Platz. Ich setze mich ruhig hin, versuche Damon soweit es geht zu ignorieren. Ich hole mein Zeug raus und lege es auf den Tisch. Die ganze Zeit beobachte ich Damon. Ich kann ihn einfach nicht aus den Augen lassen. Maria sitzt die ganze Zeit etwas angespannt da. Als der Lehrer dann aus dem Raum geht, während wir was bearbeiten müssen, spricht sie mich direkt an.
"Jessie, du musst mir jetzt sagen warum du gestern so gut drauf warst und du heute einen Nervenzusammenbruch hast!" Ich sehe zu ihr, dann zu Damon. Er hat mich ebenfalls nicht aus den Augen gelassen. Ich spüre einen Tritt an meinem Schienbein. Das heißt wohl ich sage besser nichts.
"Jessie!" Endlich bemerkt Maria die Spannung zwischen Damon und mir und wendet sich an ihn. "Damon? Weißt du was los ist?" Er zuckt mit den Schultern.
"Lügner.", murmele ich.
"Was?", gibt er zurück, und tritt mir auf den Fuß. "Was meinst du mit Lügner?" Ich sage nichts mehr. Maria gibt mir einige ihrer Brote ab und lässt mich ne ganze Menge Wasser trinken. Danach geht es mir schon besser. Ich halte mein Handgelenk fest.
Nach dem Unterricht muss Maria noch was mit Herr Kühlenbach besprechen, deswegen lehne ich mich an die Wand neben der Tür und warte. Da taucht Damon vor mir auf. Sofort fange ich an zu schwitzen, ich spanne mich an und rutsche etwas an der Wand herunter.
"Was hast du gemacht…. Damon?", frage ich mit zittriger Stimme. Wow. Das ist sogar besser als die in den Filmen.
"Gar nichts." Ich sehe auf mein mit dem Tuch umwickeltes Handgelenk. Es packt es und sorgt dafür dass ich ihn wieder ansehe. "Gar nichts. Verstanden?" Ich nicke unsicher. Damon… Hör auf mir so viel Angst zu machen! Maria kommt aus der Tür heraus. Sie sieht etwas schockiert aus, als sie uns beide da stehen sieht, dann lächelt sie. Sofort löst sich Damon von mir, nickt Maria zu und geht weg. Sie kommt lächelnd auf mich zu.
"Was war das denn?", fragt sie mit einem Grinsen auf dem Gesicht.
Mein kleiner Schock legt sich, ich packe meine Tasche und gehe an ihr vorbei. "Gar nichts." Deine Worte Damon. Gar nichts. Sie läuft mir aufgeregt hinterher. "Ich glaubs nicht! Habt ihr was am Laufen? Wieso erzählst du mir nichts davon?"
"Da ist nichts!", gebe ich genervt zurück. "Glaubst du ernsthaft das würde ich Lisa antun? Glaubst du ernsthaft das würde ich unserer Beziehung antun? Würdest du mir sowas wirklich zutrauen?"
"Oh…" Maria stockt leicht, holt mich dann aber wieder ein während ich die Treppen runter stapfe. Jetzt bin ich wieder wach. Dann lacht sie leicht. "Hach, ich war so sehr damit beschäftigt euch zu verkuppeln, da habe ich ganz vergessen dass du mit Lisa zusammen bist!" Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Ich seufze einfach nur laut. Maria verstummt. "Ähm… Ich muss hier lang Jessie…", sagt sie kleinlaut. Ich drehe mich zu ihr um.
"Was ist los mit dir Maria? Was zur Hölle ist hier passiert als ich im Krankenhaus war? Wie kannst du vergessen das ich mit Lisa zusammen bin, wo ich mich doch kaum auf den Unterricht konzentrieren kann weil ich an sie denken muss?! Ich verstehe das nicht!"
Maria weicht zurück. Sie sieht mich einfach nur beängstigt an. Ich habe zu viel gesagt. Ich bin so sehr ausgerastet das sie Angst bekommen hat. Als ich das dann endlich realisiere klingelt es schon zum zweiten Mal.
"Wir sehen uns beim Essen." Ich drehe mich um und gehe. Eigentlich möchte ich zurück gucken, aber das kann ich jetzt nicht machen. Dafür bin ich zu stur. Wir sehen uns beim Essen. Das heißt, Maria hat ein einhalb Stunden Zeit über meine Fragen nach zu denken.
Geschichte. Ich setze mich an meinen Platz und lasse die Stunde über mich ergehen. Die Hausaufgaben habe ich nur halb gemacht und so richtig komme ich noch nicht mit, aber das schaffe ich schon. Immerhin habe ich das Glück hier nicht von Maria oder Damon gestört zu werden. Ich zucke leicht als mir das von letzter Nacht einfällt, aber ich beruhige mich wieder. In der Pause sehe ich Maria nicht, nur Damon scheint mich zu verfolgen. Aber ich versuche ihn einfach so weit es geht zu ignorieren. Was natürlich nicht funktioniert. Im Unterricht setze ich mich so weit weg von den anderen wie es geht. Damon ist natürlich im Mittelpunkt. Was finden die eigentlich alle so toll an ihm?!
"Jessie?" Ich sehe auf. Aha. Eine von diesen B*tches, die sich immer für was Besseres halten, mit ihrem Sidekick.
"Was?"
"Sind du und Damon zusammen?"
"Was?!", ich schreie schon fast. "Nein, wie kommst du darauf?!"
"Nur so." Und dann drehen sie sich um und kichern. Ich seufze leicht.
In der Cafeteria setze ich mich zu Maria und esse schweigend meine Pommes. Maria sieht mich an.
"Jessie…" Ich sehe sie an.
"Es tut mir Leid, okay? Ist ein bisschen mit mir durch gegangen.", sage ich.
"Nein, mir tut es leid." Sie sieht mir unschuldig in die Augen. "... Freunde?" Dann lächelt sie als ich nicke.
Wir verbringen die Pause zusammen und arbeiten noch an der Präsentation für Deutsch. Die läuft dann auch relativ gut und wir bekommen eine 2+. Nur weil ich nicht flüssig gesprochen habe. Aber es scheint, als hätten Maria und ich uns nie gestritten. Die ganzen Geschehnisse von der letzten Woche sind wie weggewischt. Maria ist süß und hibbelig, ich bin ruhig und muss lächeln wenn sie sich freut. Ich vergesse ganz das es Damon gibt und denke ab und zu an Lisa, und dass ich sie bald wieder sehen werde. Das macht mich so glücklich.
An der Bushaltestelle entdecke ich Maria auf der gegenüber liegenden Seite. Wir tauschen einige Blicke aus und müssen lachen, dann kommt Damon auf sie zu. Es versetzt mir einen Stich als ich in sehe. Maria begrüßt ihn. Ich stecke meine Kopfhörer ein und versuche mich mit der Musik etwas zu beruhigen. Damon grinst mir zu. Nein, er kommt auf mich zu. Er überquert die Straße und läuft zu meiner Bushaltestelle. Ich drehe die Musik auf. Ich gehe ans Ende der Haltestelle und dann kommt mein Bus. Zuhause packe ich meine Tasche um und rolle zu Mason. Er empfängt mich herzlich bei sich Zuhause und dann fangen wir mit Üben an.
"Okay, wir müssen viel nachholen.", sagt er und führt ich in sein Zimmer. "In dieser Woche scheinst du viel verlernt zu haben."
"Yes, Sir!" Ich salutiere und setze mich auf sein Bett. Er schaltet seine Konsole ein, wir nehmen uns die Controller und Üben.