Es klingelte und Lia stürmte zur Tür, um diese zu öffnen. Isabelle stand in der Tür und grinste.
„Hey“, sagte diese und betrat die Wohnung.
„Hallo“, grüsste Lia sie und schloss die Tür hinter ihr. „Wollen wir die Matratze hochholen?“, fragte sie.
„Ja, wo ist sie?“ Das zweite Mädchen hatte die Hände in den Hosentasche vergraben und wippte vor und zurück.
„Unten im Gästezimmer.“
Lia ging voraus die Treppe runter und ins Zimmer, in dem sich die Matratze befand.
Die beiden hoben sie an und versuchten sie ins Wohnzimmer hochzutragen.
„Meine Güte! Die wiegt ja ’ne Tonne“, stöhnte Isabelle, während sie das schwere Ding die Treppe hochschleiften.
„Mindestens“, grummelte Lia.
Mit einigem Gemurkse schafften es die beiden dann doch noch bis ins Wohnzimmer. Sie liessen die Matratze auf den Boden fallen und setzten sich auf diese.
„Hat die einen Kern aus Gold oder was habt ihr mit der gemacht“, grummelte Isabelle weiter.
„Keine Ahnung.“
Die beiden grinsten sich an und setzten sich auf. Es tat so gut, einfach mit Izzy rumzublödeln, fand Lia. „Ich ziehe mir mein Pyjama an“, meinte Isabelle und stand auf. Sie ging aus dem Wohnzimmer zu ihrem Rucksack.
Lias Mund fühlte sich auf einmal furchtbar trocken an, als sich das andere Mädchen den Pullover über den Kopf zog. Sie starrte sie an und beobachtete wie sie sich auszog. Isabella kriegte nicht mit, wie sehr es Lia erregte, als diese sich umzog.
Auf den Hoodie folgte der BH und darauf die Hose und Unterhose. Für eine kurze Sekunde war Isabelle komplett nackt und Lia wendete den Blick etwas betreten ab.
Eine Minute später kam das dunkelhaarige Mädchen in einer langen Pyjamahose und einem grünen T-Shirt zurück ins Wohnzimmer. Auf dem Arm trug sie den Hoodie von vorhin.
„Welchen Film wollen wir zuerst schauen“, fragte Isabelle und schaute Lia an.
„Ich wäre für Brokeback Mountain“, antwortete die Blonde und versuchte nicht mehr über die Narben am Arm ihrer besten Freundin nachzudenken.
„Find’ ich gut.“
Während Lia den Film einstellte, lehnte sich Isabelle auf dem Kissen zurück.
Die beiden waren sich am Ende des zweistündigen Filmes einig, dass das ein gewöhnungsbedürftiger Film war.
„Ich brauch’ jetzt unbedingt was, das weniger traurig ist“, meinte Lia verstimmt. „Ich auch“, stimmte die Andere ihr zu.
„Pride?“ Die Blonde hob fragend die Augenbrauen und Isabelle stimmte ihr mit einem Nicken zu.
Der Film lief kaum zwei Minuten, da fanden sie den Film schon klasse.
Zwischendurch warf Lia einen Blick auf das Mädchen neben sich und musste dem Drang widerstehen, sie zu küssen.
„Die beiden sind so verdammt süss“, schwärmte Isabelle in Bezug auf Jonathan und Gethin.
„Ja das sind sie.“
„Du hast das immerhin. Ich bin ganz allein“, schmollte die Dunkelhaarige halb ernst, halb zum Spass.
„Ich seh’ meine Freundin alle zwei Monate, wenn’s hochkommt“, erwiderte Lia trocken. Sie wünschte sich, dass sie Saskia öfter sehen könnte.
„Na und immerhin? Ich bin in meine beste Freundin verliebt und die ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent hetero.“
Das war ein Schlag in die Magengrube.
Sie hatte irgendwie vermutet, dass ihre beste Freundin auf Aria stand, aber das jetzt so ins Gesicht gesagt zu bekommen, tat trotzdem weh.
Sie versuchte sich nichts weiter anmerken zu lassen und beschloss das Thema nach dem Film wieder aufzugreifen.
Inmitten des Films sagte Izzy auf einmal: „Mark hat AIDS.“
„Was?“ Sie war völlig verwirrt und hatte überhaupt nichts mitbekommen. „Er hat AIDS“, sagte sie überzeugt.
„Meinst du?“ Wirklich überzeugt war Lia nicht.
Als sich Mark jedoch verpisste, glaubte sie, dass es gut sein könnte, dass er AIDS hatte. Doch dann kam er zurück und Isabellles Überzeugung schwand dahin.
„Ich wusste es! Ich wusste es! Er hatte doch AIDS!“, schrie die Dunkelhaarige am Ende des Filmes, als eingeblendet wurde, dass Mark Ashton an AIDS erkrankt war und im Alter von 26 starb.
„Das macht keinen Spass mit dir! Ich schaue nie wieder einen Film, wenn du dabei bist“, schmollte Lia.
„Wieso?“ Verwirrung war in das Gesicht der Dunkelhaarigen geschrieben.
„Weil du so intelligent bist! Du hast in der Mitte des Filmes schon gewusst wie es endet.“
In Wahrheit fand sie es einfach nur bewundernswert wie schlau ihre beste Freundin war. Und es machte sie noch anziehender. „Ich bin gar nicht so schlau“, wehrte die Andere schüchtern ab. Das war auch etwas, dass Lia unglaublich süss an Isabelle fand. Sie war immer total verlegen, wenn man ihr ein Kompliment machte.
Sie fragte sich wieso das so war.
„Wieso müssen so coole Leute immer so früh sterben?“, fragte Isabelle trotzig.
„Keine Ahnung. Die Guten sterben immer früh.“
„Er hätte so viel erreichen können.“
Ja da hatte sie Recht.
Die beiden gingen Zähne putzen und legten sich nachher nebeneinander auf die Matratze.
„Und was ist jetzt mit Aria?“ Lia versuchte ihre Stimme möglichst normal klingen zu lassen.
„Ich bin in sie verliebt und sie nicht in mich. Da lässt sich nichts ändern“, kommentierte Isabelle bitter.
„Seit wann bist du denn in sie verliebt?“, fragte Lia neugierig. „Keine Ahnung. Von Anfang an schwärmte ich für sie und seit zwei, drei Monaten sind es ernsthafte Gefühle.“ Die Stimme der Anderen bröckelte ein wenig am Ende des Satzes.
„Wie hast du es gemerkt?“ Die Blonde drehte den Kopf zu der Dunkelhaarigen und sie wirkten wie Yin und Yang als sie sich so gegenüberlagen.
„Wenn sich unsere Hände zufällig berührt haben, hat mein ganzer Körper angefangen zu kribbeln. Oder wenn ich sie zum Lachen gebracht habe, überkam mich plötzlich ein so warmes Gefühl.“ Sie lief rot an und vergrub den Kopf im Kissen. „Du bist so süss“, meinte Lia mit einem Quieken.
Isabelle hob den Kopf und schaute ihre beste Freundin ungläubig an.
„Ich bin ja schon als so ziemlich alles bezeichnet worden, aber süss kam nicht vor.“
„Doch, wie du…ach keine Ahnung…du bist einfach süss.“ Sie zuckte mit den Schultern. Und das war wirklich so. Wie sich ihre Wangen rot verfärbt haben, als sie von Aria erzählt hat, war einfach süss.
„Gab’s bei dir noch mehr Mädchen?“, fragte Lia Isabelle.
„Ja, aber nicht viele. Du?“, antwortete sie.
„Und wen?“ Die Neugier packte sie und sie wollte unbedingt wissen, an wem ihre beste Freundin sonst noch Interesse zeigte.
„Ich…ich will nicht darüber reden.“ Ihre Wangen nahmen schon wieder eine rötliche Färbung an und ihre dichten, schwarzen Wimpern bedeckten ihre gold-grünen Augen, als sie die Augen niederschlug.
„Komm schon, Izzy“, bettelte sie.
„Verrätst du mir dann auch, wen es bei dir gab?“
„Vielleicht.“
„Das ist mir zu ungenau.“ Die Schwarzhaarige lachte.
„Ja“, erwiderte Lia zögerlich.
„Das ist mir zu wenig überzeugt.“ Sie lachte wieder.
„Na gut. Ja.“ „Bei mir gab es eigentlich nur jemanden. Sie ist zwei Jahre älter als wir und sie steht auf Frauen. Sie ist hübsch, aber sie hat `ne Freundin…deshalb hat sich das schnell erledigt“, erzählte Isabelle. Es war schwer zu erraten, ob es sie sehr verletzte, dass die andere eine Freundin hatte oder nicht.
„Jetzt du.“
„Na gut. Ich war letztes Jahr in Mila verliebt. Aber nicht sehr stark und nur sehr kurz.“
Überrascht drehte sich die Dunkelhaarige auf die Seite und schaute die Andere an.
„Mila aus unserer Klasse?“
„Ja.“ Verunsichert schaute Lia in das Gesicht ihrer besten Freundin. Sie fand keinen Hinweis darauf, was sie dachte. Aber das war auch etwas, das sie mittlerweile über Izzy wusste. Man merkte ihr nirgends an, was sie fühlte oder dachte, ausser an ihrer Stimme.
Ihre Stimme verriet sie immer.
Ihr Gesicht war so nah und der Drang sie berühren zu wollen, wurde immer grösser.
„Und sonst? Gibt es jemanden, der abgesehen von Saskia aktuell ist?“
Lia wusste nicht, ob sie lügen sollte oder die Wahrheit sagen sollte. Sie entschied sich für etwas dazwischen.
„Ja, aber es ist kompliziert.“
„Inwiefern? Ist sie aktuell oder nicht?“
„Jain. Es ist kompliziert.“ Sie würde so gerne mit Isabelle drüber reden, aber was, wenn sie nicht gleich empfand.
„Du musst nicht drüber reden, wenn du nicht willst“, flüsterte die Andere leise und tastete nach der Hand der von Lia. Dabei streifte sie versehentlich ihre Brust, die sofort auf die Berührung reagierte. Sie zog scharf die Luft ein. Es hatte auch seine Vorteile, dass ihre beste Freundin eine Brille trug und zudem auch noch nachtblind war.
Isabelle fand die Hand und drückte sie sanft.
Lias ganzer Körper fing an zu kribbeln und ihr Herz schlug schneller.
„Gute Nacht“, sagte die Dunkelhaarige sanft und drehte sich mit dem Rücken zu Lia.
Diese hob leicht die Hand und strich sanft über den Rücken von Isabelle und wünschte ihr ebenfalls eine Gute Nacht. Die Andere zuckte bei der Berührung zusammen, ob vor Überraschung oder weil es ihr unangenehm war, konnte Lia nicht sagen.
Ein weiterer Punkt, der merkwürdig war, an ihrer Freundin. Sie schien irgendwie Angst vor körperlichen Berührungen zu haben. Vor allem vor zärtlichen.
Woher das wohl kam?
Isabelle schlief bereits tief und fest.
Sie hatte die Arme fest um ihre zwei Kuscheltiere geschlungen und sah vollkommen friedlich aus.
Im Schlaf wirkte sie wie ein wunderschöner, zerbrechlicher Engel.
Ein Engel mit furchtbar vielen Geheimnissen.