Spoiler: Samsas Traum (stark)
Ich hatte gerade einmal meine Tasche aufs Bett geworfen, da klopfte es bereits an der Tür und Lance kam ohne Aufforderung herein. »Endlich erwisch ich dich mal allein. Oder zumindest so allein, wie ich dich diese Tour wohl treffen werde.«
»Ich kann euch gern allein lassen«, bot Trevor an. Er war mir seit dem Morgen nur von der Seite gewichen, als ich mich im Bus für eine Weile in meine Koje gelegt hatte.
»Nee, von mir aus nicht notwendig. Ich will nur kurz mit Isaac meckern und dann lass ich euch auch wieder in Ruhe.«
Müde sah ich meinem besten Freund ins Gesicht, um ihm zu zeigen, dass ich zuhörte. Mir war heute nicht nach mehr Worten als unbedingt notwendig.
»Ich versteh ja, dass du gestern nach dem Konzert Abstand brauchtest, aber das nächste Mal solltest du uns echt besser vorbereiten, wenn du die Freunde deines missbräuchlichen Ex zu einem Konzert einlädst, bei dem du genau darüber singst. Claire und ich wussten nicht wirklich, was genau wir ihnen sagen dürfen oder sollen, als sie uns konfrontiert haben.«
Zu spät hatte ich bemerkt, worüber Lance reden wollte und konnte ihn nicht mehr rechtzeitig stoppen.
Sein erschrockener Blick zu Trevor verriet mir, dass er seinen Fehler selbst sofort bemerkte. »Verdammt, ich dachte, Trevor wäre eingeweiht!«
Frustriert schüttelte ich den Kopf. Nein, Trevor hatte von dem ganzen Plan keine Ahnung gehabt. Aber ich verstand, warum Lance das annahm. Er war ein sehr guter Freund von Claire, hatte viele organisatorische Aufgaben bei der Tourplanung übernommen und seit dem ersten Abend klebten wir förmlich aneinander. Vermutlich hätte ich ihn sogar einweihen sollen.
»Scheiße, Isaac, das tut mir furchtbar leid. Das wollte ich nicht!«
»Ist okay. Ich weiß, dass es keine Absicht war.«
»Absicht oder nicht, das hätte nicht passieren dürfen.«
»Ich hab gesagt, es ist okay. Lieber passiert es vor Trevor als vor jemand anderem.« Erstaunlicherweise war ich Lance wirklich nicht böse. Dennoch vermied ich es bewusst, Trevor anzusehen. Ich wollte gerade nicht wissen, wie er das aufnahm. »Und du hast recht. Sorry, ich hätte klarer machen sollen, dass ihr ihnen das direkt sagen könnt. Wie ist es denn mit Angel und Zulu gelaufen?«
Aufgebracht berichtete Lance von dem Gespräch, dass er mit meinen ehemaligen Bandkollegen am Vorabend geführt hatte. Außer dass Angel scheinbar etwas geahnt hatte, überraschte mich nichts von dem, was er mir berichtete.
»Kein Wunder, dass du ihnen gegenüber nie etwas gesagt hast. Ich hab mich immer ein wenig gefragt, warum nicht. Bei Zombie hab ich es sofort verstanden, aber sie schienen mir nie so eng mit dem Arschloch zu sein.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Sind sie nicht, aber sie sind genauso von ihm abhängig, wie ich es war. Selbst wenn ich etwas gesagt hätte, sie hätten kaum etwas unternehmen können.«
Verstehend nickte Lance.
Nach einem kurzen Moment der Stille schaltete sich Trevor ein: »Seid ihr dann fertig, über vergangene Arschlöcher zu reden und können wir dann über aktuelle Arschlöcher reden?«
Ich konnte das frustrierte und genervte Stöhnen nicht zurückhalten. »Glaub mir, ich weiß, wie das aussah – insbesondere mit dem, was du gerade erfahren hast – aber es ist nicht so, wie du denkst.«
»Ich bilde mir also ein, dass er dir wahnsinnige Angst gemacht hat?«
»Nein. Aber ...«
»Wovon redet ihr?«, unterbrach mich Lance alarmiert.
Trevor ließ mir keine Chance, zuerst zu antworten. »Von Samsas Mitbewohner/Partner.«
»Tino? Was ist passiert?« Lance klang nicht so ungläubig, wie ich es gerne gehabt hätte. Traute er Tino wirklich zu, wie Peter zu sein?
Ich stand auf. Zum einen hielt ich es zwischen ihnen nicht aus, ich fühlte mich bedrängt, zum anderen konnte ich so beiden ins Gesicht sehen. »Tino hat einfach nur den schlechtestmöglichen Zeitpunkt für eine echt beschissene Aktion gewählt, okay?«
»Schlecht, weil jemand es mitbekommen hat?«
Wütend starrte ich Trevor an. Warum wollte er so dringend, dass Tino in einem schlechten Licht dastand? »Schlecht, weil ich von gestern eh getriggert war und mich einfach alles daran erinnert hat, wie es damals angefangen hat.«
»Also siehst du es selbst, ja?«
Erneut ächzte ich frustriert. »Ja, ich weiß, wie das aussieht! Scheiße, ich kann an nichts anderes denken! Ich hab eine scheiß Angst, dass ich meinem Urteil nicht trauen kann. Dass ich mich noch einmal in genau dieselbe Situation manövriert habe, vor der ich all die Jahre Angst hatte. Und ich kann noch nicht einmal mit ihm darüber reden, weil ich fürchten muss, dass er mich genauso manipuliert und um den Finger wickelt wie Peter.« Ich legte die Hände vor Mund und Nase und atmete ein paar Mal tief ein. »Aber indem du mir noch mehr Angst machst und mich an mir selbst zweifeln lässt, hilfst du mir nicht.«
Nachdenklich musterte er mich, bevor er leicht nickte. »Okay, du hast recht. Wie können wir dir helfen?«
»Ich bin mir nicht sicher ... Ich muss mit ihm reden, früher oder später. Ich hab ihm zwar gesagt, dass ich erst mit ihm rede, wenn ich von der Tour zurück bin, aber ich glaube nicht, dass ich das durchhalte. Das macht die Zweifel nur noch schlimmer.«
»Wenn du möchtest, können wir gemeinsam mit ihm reden. Oder dich zumindest bei dem Gespräch unterstützen«, schlug Lance vor. »Ich kann auch nicht glauben, dass Tino wirklich schlecht für dich sein könnte. Aber dasselbe hätte ich auch über Peter gesagt ... Oder du könntest mit jemand reden, dessen Urteil du wirklich vertraust.«
Es war beruhigend zu hören, dass es Lance ähnlich ging wie mir. Langsam setzte ich mich wieder aufs Bett. »Ich hab auch überlegt, Dr. Grant anzurufen. Aber wir sind die nächsten Tage so viel unterwegs, dass ich ihn wohl nur vom Bus aus erreichen werde. Dafür ist mir das Gespräch zu intim. Und ich weiß nicht, wie lange ich wirklich warten sollte, um mit Tino zu reden.«
»Wenn du Lance’ Vorschlag annehmen möchtest, dann können wir das von mir aus machen.«
Ich lehnte meine Stirn gegen Trevors Schulter und nickte. »Wenn wir heute Abend wieder zurück im Hotel sind?«
»Ja.« Trevor umschloss mich mit beiden Armen und küsste mich auf die Wange.
Lance streichelte schweigend über meinen Rücken.
»Danke.«