Spoiler: Samsas Erwachen (mittel)
Im Regelfall achtete ich nicht weiter auf die Fans, die bei unserer Ankunft bereits an der Lokation auf uns warteten. Im Regelfall schenkten sie mir genauso wenig Beachtung, weil sie vor allem für Wreckage dort waren. Im Regelfall scharrten sie sich in Claires und Trevors Nähe.
Diesmal war es jedoch komplett anders. Obwohl wir es etwas eilig hatten, weil wir im Stau gestanden hatten, erregte die Frau schon deshalb meine Aufmerksamkeit, weil sie ein wenig abseits der anderen Fans stand. Als sie auch noch winkte und meinen Namen rief, hatte sie sie garantiert.
Auch wenn ich lange nicht an sie gedacht und sie noch länger nicht gesehen hatte, hatte ich keine Probleme, mich an sie zu erinnern, als ich näherkam. Freudig umarmte ich sie. »Alison! Was tust du hier?«
Sie umarmte Lance ebenfalls kurz, während Alex und Mickey nur im Vorbeigehen winkten.
Zweifelnd hob sie die Augenbraue. »Du fragst, was dein ältester Fan auf einem Konzert tut?«
»Ich hab dich lang nicht gesehen.« Ich hoffte, sie verstand es als die Überraschung, die es war, nicht als Vorwurf.
Sie lächelte und zuckte mit den Schultern. »Kinder lassen nicht so viel Zeit. Ich kann sie nicht immer Aiden aufs Auge drücken.«
»Verständlich.« Lance legte mir eine Hand auf die Schulter und drängte mich leicht weiter. An Alison gerichtet sagte er: »Sorry, aber wir müssen rein. Schön, dich mal wieder gesehen zu haben.«
»Warte kurz.« Ich machte einen Schritt zur Seite, fischte mein Notizbuch aus der Hosentasche und riss eine Seite raus. Schnell kritzelte ich die Adresse unseres Hotels darauf. »Wenn du nach dem Konzert noch Zeit hast: Wir machen eine kleine, private Party. Komm vorbei.«
Mit breitem Grinsen steckte sie den Zettel ein. »Wie immer am Flirten, Samsa. Sicher komm ich vorbei, wenn ich noch wen mitbringen kann. Ich bin nicht allein hier.«
»Klar. Wir sehen uns später!« Lance schob mich auf den Eingang zu und winkte ihr.
»Da sind zwei Damen, die sagen, Samsa hätte sie eingeladen?« Mickey hatte am nächsten zum Telefon gestanden, daher war er rangegangen.
»Japp, sie können hochkommen.«
Mickey gab es an den Empfang weiter. Nachdem er aufgelegt hatte, grinste er mich an. »Gleich zwei?«
Lance steckte mich für den Moment mit seinem lauten Lachen an. Erst nachdem ich mich gefasst hatte, konnte ich antworten: »Eine alte Freundin. Sorry, Mickey, aber so weit ich weiß, ist sie glücklich verheiratet. Vielleicht hast du bei ihrer Begleitung mehr Glück.«
Fragend deutete er auf sich.
Ich nickte und zuckte mit dem Schultern. Ja, er.
»Hast du echt gedacht, Samsa lässt wen anders als Trevor in sein Bett?« Alex kam mit seinem Getränk zu uns herüber.
Es klopfte an der Tür. Im Vorbeigehen verpasste ich ihm einen leichten Schlag gegen die Brust.
Im Flur stand wiedererwarten nicht Alison und ihre Begleitung, sondern Gäste von Wreckage mit offizieller Einladung. Ich ließ sie ein, während ich sie darauf hinwies, dass die anderen gleich kommen würden. Sie hatten kurzfristig noch einen Termin reinbekommen.
»Hast du eine ungefähre Timeline, wann sie hier aufschlagen?«
»Maximal halbe Stunde. Kommt ruhig schon rein und nehmt euch was zu trinken.«
Gerade als ich die Tür hinter ihnen wieder zuziehen wollte, kam der Fahrstuhl auf dem Stockwerk an. Wie erhofft lächelte mir Alison daraus zu, als sich die Türen öffneten.
Sie kam zügig auf mich zu und fiel mir um den Hals.
Nachdem ich sie einmal kräftig an mich gezogen hatte, sah ich über ihre Schulter hinweg eine weitere Frau, die zögerlich näher kam. Als sie endlich bei uns stand, hielt ich ihr die Hand hin. »Hi, schön, dass ihr es einrichten konntet.«
Bevor sie meine Hand ergreifen konnte, erschien Lance neben mir. »Kommt rein und macht die Tür zu, bevor wir wegen der Lautstärke Stress bekommen.«
Breit grinsend kam Alisons Begleitung zur Sitzecke zurück, in der wir es uns bequem gemacht hatten. Sie stellte ihr Glas auf dem Tisch ab und setzte sich neben ihre Freundin. Mit einem amüsierten Funkeln in den Augen sah sie mich an. »Der Buschfunk funktioniert unter den Wreckage-Fans echt gut. Ich wurde gerade sehr nett darauf hingewiesen, dass ich mir nicht zu viele Hoffnungen bei dir machen sollte, weil du ein Weiberheld bist und in jeder Stadt eine andere hast.«
Lance neben mir verschluckte sich an seinem Getränk und ich konnte mir ebenfalls ein Lachen nicht verkneifen. »Und, was hast du gesagt?«
»Die Wahrheit: Dass mir das mal jemand vor ein paar Jahren hätte sagen sollen, als ich wirklich noch was von dir wollte.«
Mir gelang es nicht wirklich, Lauras Grinsen zu erwidern. Stattdessen zog ich unwillkürlich eine Grimasse. Denn die Person, die ihr das sagte, hätte ich sein müssen.
»Nicht, dass ich darauf gehört hätte. Ich dachte damals echt, dass ich dich ändern könnte.«
Das war nur ein sehr schwacher Trost. Aber vermutlich sollte ich es als gutes Zeichen sehen, dass sie sich durch meine Anwesenheit nicht davon abbringen ließ, zu einem Konzert zu gehen, und Alison sogar auf eine Party folgte, auf die ich sie eingeladen hatte – und ein Aufeinandertreffen damit unausweichlich wurde. Auch wenn ich sie im ersten Moment echt nicht erkannt hatte. Der Bob stand ihr wirklich gut, war aber im Gegensatz zu ihrem früheren Auftreten so ... seriös.
»Ich wollte gerade schon sagen ... Ist nicht so, als hätte ich nicht oft genug versucht, dich darauf hinzuweisen.« Tadelnd hob Alison eine Augenbraue, lachte dann aber sofort los. »Ich glaub, wir sollten das Thema wechseln. Samsa sieht etwas gequält aus.«
Ich wollte widersprechen, einfach nur um mir keine Blöße zu geben, doch Laura wurde in dem Moment sowieso abgelenkt. Sie sah an mir vorbei zum Eingang der Lounge und strahlte.
Noch bevor sie ihre Freude laut kundtat, hatte ich mich umgedreht und sah Claire und Trevor hereinkommen. Sofort wurde die Sängerin von einigen der Anwesenden in Beschlag genommen, während Trevor geschickt an allen vorbeihuschte und in der Tür zu unserem Zimmer verschwand.
»Meinst du, du kannst mich Claire vorstellen? So als Entschuldigung?«
Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Laura. »Ich seh zwar nicht, wo ich dir noch etwas schuldig bin, aber klar, kann ich machen. Aber später. Claire hat gerade mehr Leute um sich, als ihr vor dem Duschen normalerweise lieb ist.«
»Ich geh sie mal retten«, verkündete Lance, der bisher ruhig in unserer Runde gesessen hatte, und stand auf. Vermutlich war er froh um die Ausrede, der etwas unangenehmen Konstellation zu entkommen.
Ich konnte es nicht lassen, ihn dennoch zu necken: »Viel Spaß in der Dusche!«
Er ignorierte mich und spielte stattdessen den Ritter in goldener Rüstung für Claire.
»Oh, gibt es da Gossip, den ich wissen sollte?« Neugierig lehnte sich Alison vor.
Verschwörerisch grinste ich sie an. »Eigentlich sollte ich nichts sagen, aber weil ich weiß, dass du bei sowas den Mund halten kannst ...«
Ein feuchter, brauner Lockenkopf schob sich gegen meinen Hals, während sich Arme um meinen Oberkörper legten. Nach einem schnellen Kuss auf meine Halsbeuge raunte Trevor: »Du weißt, dass das mein Shirt ist?«
Ich strich mit der Hand durch seine Haare. »Ich hab mal wieder vergessen, rechtzeitig zu waschen. Ich dachte, du würdest es bis morgen nicht vermissen.«
Das Tourleben brachte mich dahingehend völlig durcheinander. Ich hatte keinerlei Einschätzung mehr, wie viele Tage vergingen.
Nicht ganz ernsthaft brummte er. »Ich hab nur ausgerechnet dieses Shirt gerade zehn Minuten lang gesucht.«
»Sorry.« Ich hauchte einen Kuss auf seine Wange. »Ich hätte dich ja gefragt, aber du warst nicht da. Und auf der Party wollte ich nicht halbnackt rumlaufen.«
»Ich hätte nichts dagegen«, antworteten mir Trevor und Laura gleichzeitig.
Lachend richtete sich Trevor auf, ließ dabei aber seine Hände auf mir liegen, und schien Laura und auch Alison nun zum ersten Mal richtig wahrzunehmen. »Möchtest du mir die reizenden Damen nicht vorstellen?«
»Ja klar. Das ist Alison, mein selbsternanntes erstes und treuestes Fangirl – erschreckenderweise könnte sie damit sogar recht haben ...«
»Natürlich habe ich damit recht!«
Die Unterbrechung ignorierend sprach ich einfach weiter: »Sie und Lance waren aufm College befreundet und seitdem kennen wir uns. Wir haben uns in den letzten Jahren privat etwas aus den Augen verloren und heute stand sie dann überraschend in der Menge.«
Ich ließ Trevor kurz Zeit, sie zu grüßen, dann machte ich weiter: »Und das ist Laura ...«
»Samsas Exfreundin.«
Was hatten die beiden heute, mich zu unterbrechen? Sollte ich sie nun vorstellen oder nicht? Außerdem nicht ganz die Worte, die ich gewählt hätte. So ganz unrichtig waren sie aber wohl auch nicht.
»Sie ist ein großer Fan von euch und hat Alison zum Konzert begleitet.«
Trevor begrüßte auch sie, wenn gefühlt auch etwas kühler. Hatte es ihn aus der Bahn geworfen, dass sie sich als meine Exfreundin vorgestellt hatte?
»Dann ist es für euch die Konstellation der Bands ja ein richtiger Glücksfall«, ergänzte er nach der Begrüßung.
Eifrig nickte Laura. »Sehr! Auch, dass ihr nochmal in New York spielt. Wir haben es beide in Boston nicht geschafft.«
»Wobei ich ein wenig enttäuscht bin«, gestand Alison und sah mich etwas traurig an. »Ich hab gehört, dass Claire und du ›Demon‹ in Boston zusammen gesungen habt. Das muss von den Erzählungen ein echtes Highlight gewesen sein! Ich hatte gehofft, dass ihr das nochmal macht.«
»Nein, das war von Anfang an als einmaliges Special für unser Heimkonzert geplant.« Das war nicht gelogen, oder?
Ganz zufrieden sah Alison nicht aus, aber sie nickte. »Schade! Aber versteh ich.«
»Ich hab auch davon gehört, aber konnte es mir nicht so ganz vorstellen, wie du das singst. Daher hätte ich es auch gern gesehen. Es kommt mir so unpassend vor«, sagte Laura.
Ich sah Laura direkt in die Augen und wartete einen Moment, bevor ich antwortete: »Unsere Managerin hat mir auch dringend davon abgeraten, es als Blutlaster Lied zu veröffentlichen.«
Kurz sah ich mich um. Wo war Tisha eigentlich? Ich hatte sie den ganzen Abend noch nicht auf der Party gesehen und auch jetzt fand ich sie nicht.
Laura öffnete den Mund, um etwas zu sagen, dann veränderte sich langsam ihr Gesichtsausdruck. Fragend, unsicher. Ich war sicher, sie würde die Gedanken, die sich gerade in ihrem Kopf bildeten, noch ein paar Mal hin und her werfen und vielleicht zu einer Erkenntnis kommen.
Wenn selbst Laura davon gehört hatte, dann konnte ich mir sicher sein, dass auch Peter von der Performance wusste. Damit war mein Ziel erreicht. Es wurde darüber geredet. Wenn die Konsequenz war, dass ein paar Leute Zweifel bekamen, war das mehr als ausreichend. Andernfalls reichte mir die Genugtuung, zu wissen, dass er deshalb toben würde. Er konnte nichts dagegen tun. Jeder Schritt, den er unternahm, würde Aufmerksamkeit auf ihn lenken. Die Nachricht an ihn war deutlich: Ich würde seinen Bullshit nicht mehr stillschweigend hinnehmen und war notfalls bereit, an die Öffentlichkeit zu gehen.
»Ärgerlich, oder? Ich meine, das Lied ist so mega erfolgreich!« Alison wirkte ein wenig aufgeregt. Sie schien so gar keine Verbindung herzustellen. »Stell dir diesen Erfolg für Blutlaster vor! Das konnte fast dein größter Hit sein, oder?«
Abwiegend schwenkte ich den Kopf hin und her und stieß dabei fast mit Trevor zusammen, der noch immer mit um mich geschlungenen Armen hinter mir stand. »Nicht ganz. Insgesamt gesehen sind ein paar Sachen, die ich für die Death Demons geschrieben habe, noch immer erfolgreicher. Ein paar haben auch einen deutlich besseren Start hingelegt. Aber er ist auf jeden Fall in den Top 10 der Songs, die ich als Samsa geschrieben habe.«
Trevor ließ mich plötzlich los, sodass ich vor Schreck gegen ihn fiel, weil ich mich auf seine Stütze verlassen hatte, und stemmte die Arme in die Hüften. »Willst du gerade andeuten, dass du uns deine größten Erfolge verschweigst? Selbst deinem größten Fan?« Er deutete zur Verdeutlichung auf Alison, die bei seiner Aussage große Augen machte.
»Ja, genau, wie kannst du so etwas vor mir verheimlichen!«, pflichtete sie ihm schnell bei.
»Ihr wisst schon, was Pseudonyme sind, oder? Wenn ich gewollt hätte, dass die Lieder mit mir in Verbindung gebracht werden, hätte ich sie als Samsa verkauft. Und ganz ehrlich: Niemand möchte einen Country oder Pop Song von Samsa kaufen oder hören.«
»Doch: Ich!« Völlig übertrieben tippte sie sich gegen die Brust. »Du weißt, dass ich jetzt versuchen muss, herauszufinden, welches Pseudonym du noch benutzt? Oder Pseudonyme?«
Ich seufzte. »Ich hatte es befürchtet, ja.« Deshalb hatte ich sie auch mit einem der Beispiele auf die falsche Fährte geführt.
Trevor legte seine Hände auf meine Hüften und drängte sich wieder an mich. Nicht gerade leise raunte er mir ins Ohr: »Was muss ich tun, damit du mir etwas davon heute Abend live vorspielst?«
Lachend drehte ich mich auf der Sofalehne um und legte meine Hände auf seine Wangen. Nach einem langen, intensiven Kuss, bei dem ich mich genüsslich an ihn schmiegte, raunte ich zurück: »Ich bin nicht käuflich.«
Mit einem warmen Funkeln in den Augen sah er mich an und strich eine verirrte – oder vielleicht auch nur imaginäre – Strähne von meiner Stirn. Federleicht berührten sich unsere Lippen noch einmal. »Na gut, ich wollte es aber zumindest versucht haben.«
Noch eine Weile versank ich in seinen Augen, bevor mir einfiel, dass wir uns mit Leuten unterhalten hatten, und mich etwas beschämt wieder herumdrehte. Dabei entdeckte ich zum Glück Claire und konnte sie zu uns heranwinken.
Sie grüßte in die Runde und sah mich dann abwartend an.
»Ich wollte dir Laura und Alison vorstellen. Wobei ... Alison solltest du schon kennen. Von dem Abend. Du weißt schon, über den wir letztes Jahr geredet haben.« Mit einem leichten Nicken machte sie deutlich, dass sie sich erinnerte. »Laura ist eine gemeinsame Freundin und gewaltiger Fan von Wreckage.«
»Und dann winkst du nur mich herüber? Samsa, wo sind denn deine Manieren!«, tadelte sie scherzhaft und machte dann den Rest ihrer Band auf sich aufmerksam, damit Laura sie alle kennenlernen konnte.
»Danke!« Laura fiel mir zum Abschied um den Hals. »Das war der schönste Abend seit langem! Als Alison gesagt hat, dass wir auf eine Blutlaster-Party gehen, war ich erst skeptisch. Aber sie und Toby haben Recht: Du bist gar nicht so ein großes Arschloch.«
Ich deutete einen Kuss auf ihre Wange an und ließ sie dann los. »Gern geschehen. Aber ich war ein Arschloch zu dir und bin es auch sicher noch zu anderen Leuten. Egal ob absichtlich oder nicht. Und am Ende habe ich dich absichtlich verletzt.«
Sie nahm noch einmal meine Hand. »Du hast dich schon vor Jahren entschuldigt und mittlerweile hab ich dir vielleicht nicht vergeben, aber ich seh es als Jugendsünde.«
Ich rang mir ein halbes Lächeln ab. Damit konnte ich leben, oder?
»Ich wollte Trevor übrigens nicht eifersüchtig machen. ›Exfreundin‹ schien mir nur die einfachste Erklärung.«
»Ich denke nicht, dass er wirklich eifersüchtig war oder ist. Nur etwas überrascht.«
Sie drückte meine Hand. »Dann ist gut. Ihr seid ein süßes Paar.«
Ich konnte das Strahlen nicht verhindern, dass sich bei dem Kompliment auf mein Gesicht stahl. »Danke. Aber wenn du Trevor und mich süß findest, solltest du mal Tino kennenlernen! Wir leben zusammen und er ist das Beste, was mir je passiert ist.«
Für einen Moment schien sie irritiert, dann lächelte sie. »Nein, wir hätten wirklich nicht zusammengepasst. Ich freu mich trotzdem, dass du glücklich bist.«
Ich umarmte sie noch einmal. Kurz bevor sie loslief, um Alison einzuholen, die bereits etwas vorgegangen war, rief ich ihr noch hinterher: »Ich meinte das übrigens ernst! Alison hat meine Nummer. Falls du möchtest.«
Sie drehte sich nur kurz um und lächelte unverbindlich.
Ein kräftiger Schlag gegen die Schulter ließ mich vornübersacken.
»Egoist! Erst sagst du, ich kann’s bei deinem Besuch versuchen und dann vereinnahmst du doch beide Damen den ganzen Abend für dich.« Mickey grinste mich an, während ich mir die Schulter rieb.
»Als hätte irgendjemand etwas anderes von unserem Weiberhelden erwartet!«, rief Alex vom anderen Ende des Zimmers zu uns herüber. Nun, da die Musik aus war und nur noch beide Bands anwesend, war das wieder möglich.
»Ich konnte ja nicht ahnen, dass sie eine alte Bekannte mitbringt.«
Trevor sah mich kurz mit hochgezogener Augenbraue an, widmete sich dann aber wortlos den Gläsern, die er gerade zusammenstellte.
Claire lachte in die Stille hinein. »Der unschuldige kleine Samsa und ein Weiberheld, ja ist klar.«
»Lach nicht, selbst unter euren Fans hat er den Ruf weg.« Lance nahm ihr den vollen Müllbeutel ab.
»Claire hat schon recht, ich bin doch so unschuldig, ich weiß gar nicht, womit ich diesen Ruf verdient habe.«
»Ja, sicher, du und unschuldig.« Mickey warf mir einen Pappbecher gegen den Kopf. »Gibt es überhaupt noch einen Menschen in Boston, mit dem du nicht verwandt bist, mit dem du nicht geschlafen hast.«
»Äh, ja.« Der Kommentar war so unglaublich hirnlos, dass ich darauf nur mit Provokation reagieren konnte. Ich ging zu ihm rüber und ließ meine Hand lasziv über seinen Oberarm streichen. »Es sei denn, du wolltest das jetzt gleich nachholen?«
Röte breitete sich über seinen Hals aus. »Uff, nö, lass mal lieber ...«
Lachend lehnte ich meine Stirn gegen seine Schulter. »Du bist so einfach aus dem Konzept zu bringen, das ist echt niedlich.«
Mickey hufte und schüttelte mich von sich ab, um in das Zimmer zu verschwinden, das er sich mit Alex teilte.
»Aber mal abgesehen davon, ob der Ruf stimmt: Ist es überhaupt okay, zu behaupten, du wärst ein Weiberheld? Ich meine, weil du nicht nur auf Frauen stehst ...«, mischte sich nun auch Trevor ein.
Lance richtete sich von dem Sack auf, den er gerade zuschnürte. »Hm, stimmt, da hab ich nie drüber nachgedacht. Ist das okay?«
Überfordert sah ich die beiden an. Als würde ich mir darüber Gedanken machen. »Keine Ahnung. Also ja, faktisch ist das falsch und es fühlt sich auch auf mehreren Ebenen unangenehm an, aber andererseits ... Es geht sicher viel auf eine Zeit zurück, wo ich vor allem mit Frauen geschlafen habe, also ist es auch wieder richtig.«
Skeptisch beobachtete Claire mich. »Es macht dir also nichts aus, dass ein Teil von dir dabei unterschlagen wird?«
Ich zuckte mit den Schultern und ließ mich auf ein Sofa fallen. »Doch, irgendwie schon. Es gibt immer, wenn ich das höre, so eine kleine Stimme, die mich daran erinnert, dass ich doch bi bin. Aber es lohnt sich für mich nicht, das richtigzustellen. Denjenigen, die das in den Umlauf bringen ist es egal; ob absichtlich oder nicht. Ich bin mittlerweile dazu übergegangen es als eine Art neutralen Ausdruck zu sehen, der nicht wirklich etwas mit dem Geschlecht der anderen Person zu tun hat. Auch wenn ich ihn trotzdem nicht mag. Weil ich auch nicht ganz verstehe, warum es sich unbedingt auf Frauen bezieht.«
»Uff.« Claire ließ sich neben mich fallen. »Das würde ich zwar unglaublich gern mit dir erläutern, aber nicht mehr heute. Dafür ist das zu erschöpfend.«
Lance setzte sich auf die andere Seite neben mich. »Und selbst wenn du es allgemein nicht ändern kannst, dass dich Leute so nennen, so hättest du es uns zumindest sagen können, dass du den Begriff nicht magst. Dann hätten wir uns einen anderen einfallen lassen, mit dem wir dich ärgern können.«
»Ey, Mouse«, hörte ich Alex am anderen Ende des Raums. Als ich zu ihm sah, hatte er den Kopf in das Hotelzimmer gesteckt, in dem Mickey saß. Ich hatte eigentlich gedacht, er wäre mitgegangen. »Isaac mag nicht, dass wir ihn Weiberheld nennen.«
»Was? Ernsthaft?« Mickey kam zurück, wobei er nur noch Boxershorts trug. »Also ernsthaft, ernsthaft?«
Mit einem eher unangenehmen Nicken bestätigte ich ihm das. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass daraus jetzt so eine große Sache gemacht wurde.
»Ja gut, dann nicht.«
»Solange wir darauf achten, dass es sich nicht nur auf Frauen bezieht, dürfen wir ihn aber weiter ärgern.« Verschwörerisch grinste Alex unseren Drummer an.
»Ah!« Nun grinste er wieder breit. »Dir vorhalten, dass du uns als Face der Band alle Fans vor der Nase wegschnappst, dürfen wir also noch. Cool, verstanden. Casanova!«
Überfordert schüttelte ich den Kopf. Womit hatte ich diesen Haufen liebenswerter Chaoten nur verdient. »Ich kann euch schlecht verbieten, die Wahrheit zu sagen.«
Claire neben mir hob überfordert die Hände. »Ich versteh immer noch nicht, wie das die Wahrheit sein kann.«
Lance lehnte sich über mich hinweg zu ihr rüber und küsste sie. »Wenn du magst, erzähl ich dir die nächsten Tage von seinen schlimmsten Eskapaden. Dann wirst du es verstehen.«
»Das will ich auch hören!«, lud sich Trevor selbst zum Lauschen ein.
»Willst du das nicht lieber von mir hören? Dann ist es wenigstens die Wahrheit.«
»Wen interessiert die Wahrheit? Die Gerüchte sind viel spannender. Aber jetzt will ich ins Bett, wir müssen früh weiter.«