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Nach dem Prompt „Gemeiner Blauzungenskink / tierische Geschichten mit Blaubeeren oder blauen Zungen“ der Gruppe „Crikey!“
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Die Beeren waren endlich reif.
Wie jedes Mal nach der Regenzeit eilten die Kinder in die Berge, wo in schattigen Tälern Büsche sprossen. Die süße, blauen Beeren sollten sie in Körben sammeln, aber wie immer würde ein großer Teil der Ernte direkt gegessen werden.
Patatiall war dieses Jahr der Älteste, deshalb führte er die Gruppe an. Schon nächstes Jahr würde er den Initiationsritus bestanden haben und zu den Kriegern zählen, deshalb beteiligte er sich auch nicht an den Spielen der kreischenden Kinder.
Er hatte jetzt Verantwortung!
Außer ihm war noch Luryada dabei, die nächstes Jahr ebenfalls nicht mehr mitkommen würde. Sie trug die Körbe und rief die Kinder zusammen, wenn diese sich zu weit von der Gruppe entfernten. Pata trug den großen Speer und lief voraus, wachsam nach Gefahren Ausschau halten. Den Weg durch die trockene Einöde kannte er glücklicherweise auswendig.
Es ging fast schnurgerade über die rötliche Erde und auf den fernen Berg zu. Besondere Gefahren waren hier nicht zu erwarten. Schlangen und Skorpione, ja, bissige Echsen und tödliche Spinnen, aber all diese Wesen waren die Womarry gewohnt. Selbst die Kleinsten wussten, auf ihren Weg zu achten und nicht unvorsichtig in schmale Spalten zu fassen.
Schließlich erreichten sie das schattige Tal. Pata ließ die Gruppe draußen warten, unter dem wachsamen Blick von Lury, und marschierte mit dem Speer durch die Höhle. Er klopfte den Boden und die Wände ab und stieß laute Rufe aus, um jedes Kriechtier zu verscheuchen.
Da bemerkte er ein Huschen von etwas viel Größerem. Es war so groß wie Pata selbst.
Seine Schreie erstarben. Er umklammerte den Speer, während sein Herz raste. Was lauerte hier? War es nur ein Känguru? Oder etwas Gefährlicheres?
Er schluckte. Nächstes Jahr wäre er ein Krieger! Er durfte keine Furcht haben. Also machte er einen Schritt nach dem anderen, winzigkleine Schritte nach vorne.
Wieder huschte etwas. Dann hörte Pata ein Schluchzen. Es klang nicht wie ein Tier.
"H-hallo? Wer ist da?"
Leises Rascheln. Ein Kind trat vor ihn, ein Junge, der ihn mit großen, feucht schimmernden Augen ansah. Das Muster seiner Schuppen war unvertraut, aber nicht so fremdartig wie von Händlern, die Pata bereits gesehen hatte. Offenbar ein Kind aus einem Nachbardorf.
Er starrte den Jungen ratlos an, und der sah schweigend und angstvoll zu ihm auf.
"Pata?" Lury war in die Höhle gekommen. Sie hielt einen Stein erhoben, den sie sinken ließ, als sie das Kind erblickte. "Na, hallo! Wer bist du denn?"
"Wandi", murmelte der kleine Junge.
Lury kam sofort näher, kniete sich neben das Kind und zog ihn zu sich. Sie wusste viel besser als Pata, was zu tun war. Wie man böse Tiere vertrieb, das wusste er, aber niemand hatte ihm gesagt, was man mit kleinen Kindern machte.
Lurys Augen weiten sich, als sie an Wandis Rückseite zunächst keinen Schwanz bemerkte. Nur ein Stummel war über seinem Steiß. Was bedeutete, dass er sich sehr stark gefürchtet haben musste, so sehr, dass er den Schwanz abgeworfen hatte.
"Wo sind denn deine Eltern?", fragte sie. "Was ist passiert?"
Aber Wandi wimmerte nur.
Lury nahm ihn an der Hand und stand auf. "Ist die Höhle sicher?"
Pata, an den die Frage gerichtet gewesen war, nickte langsam. "Ich muss nur noch da hinten gucken."
Lury nickte ebenfalls. "Dann schicke ich die Kinder gleich rein." Ihr ernster Ton wirkte irgendwie gespielt, als würde sie die Erwachsenen nur nachmachen. Dann wieder fühlte sich auch Pata, als würde er lediglich etwas vorspielen ...
Lury führte Wandi nach draußen. Pata machte weiter wie zuvor und stieß dann den trällernden Ruf aus, der bezeichnete, dass das Gebiet sicher war. Sofort stürmten die Kinder herein und stürzten sich auf die Büsche. Unter ihnen war Wandi, der ebenfalls einen Korb trug.
"Hier, die musst du pflücken. Aber wenn sie noch hart sind oder schon sehr weich, dann nicht", wies Lury ihn ein. "Du darfst auch ein paar essen, aber pass auf, dass du nachher keine Bauchschmerzen hast. Keine Sorge, die sind sehr lecker."
Pata trat zu den beiden, auf den Speer gestützt, wie er es früher bei den Aufpassern beobachtet hatte.
"Und wenn du die isst, guck mal, dann machen die die Zunge ganz blau. Bäh!" Lury hatte den Mund aufgerissen und streckte die Zunge heraus.
Wandi kicherte und machte es ihr nach. Lury und Pata zuckten zusammen - die Zunge des kleinen Jungen war tiefblau, sehr viel stärker, als Beeren sie färben würden.
Noch bevor der Kleine den Mund wieder zugeklappt hatte, hatten die beiden Älteren ihren Schreck überwunden. Lury schickte ihn grinsend zum Sammeln, ehe sie sich an Pata wandte.
"Ich weiß, woher er kommt. Sein Dorf liegt etwas weiter draußen als unseres, bei einem Wald. Sie mögen dichtes Gras und Pflanzen."
"Was macht er dann hier?", fragte Pata besorgt.
"Genau das frage ich mich auch. Er muss ein ganzes Stück gerannt sein. Da ist sicher etwas passiert. Wir müssen im Dorf Bescheid sagen und den Jungen zu den Heilern bringen."
Er nickte. Natürlich. Die Erwachsenen würden wissen, was zu tun war. Aber es gab ein Problem. "Wir können die anderen Kleinen nicht alleine hier lassen. Und sie den ganzen Weg wieder zurücknehmen ..."
"Deswegen muss einer von uns hierbleiben und aufpassen. Einer, der sich verteidigen kann." Lury nickte zu seinem Speer. "Ich renne zum Dorf."
Pata überlegte, dann schüttelte er den Kopf. Er drückte Lury den Speer in die Hand. "Ich renne zum Dorf."
"Aber ..."
"Wenn etwas Gefährliches kommt, brüll es an und schlag mit dem Speer auf die Erde. Aber du kannst besser mit den Kleinen umgehen. Wenn ich hier bleibe, könnten sie Angst kriegen und dann kann ich sie nicht beruhigen." Er lächelte leicht. "Außerdem ist auch der Weg zurück gefährlich. Das sollte jemand machen, der schnell rennen und auch mit Fäusten kämpfen kann."
"Einverstanden", sagte sie. "Aber pass auf dich auf."
"Und du auf dich - und die Kleinen!"
Sie nickten einander zu. Dann holte Pata den fremden Jungen und lief los, um hoffentlich das Rätsel zu lösen.