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Nach dem Prompt „Koala“ der Gruppe „Crikey!“
Weitere Inspirationen:
- "Die letzte Welle", Spielfilm von 1977 (Also, die Zusammenfassung bei Wikipedia.)
- Dieses Video vom Düsseldorfer Tiernotruf über die Einsätze in Australien nach den Bränden 2020: https://www.youtube.com/watch?v=zjlt_VdOGsI
Hinweis: Offenbar ist die Bezeichnung "Koala" durch einen Abschreib-Fehler entstanden, deshalb nehme ich hier den ursprünglichen Begriff Koola.
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Natürlich war er aufgeregt gewesen. Es geschah nicht jeden Tag, dass man in der Wildnis auf einen fremden kleinen Jungen traf, der vor lauter Furcht seinen Schwanz abgeworfen hatte. Und Pata war beinahe erwachsen - die Dinge der Erwachsenen gingen ihn schon etwas an, fand er.
Leider sahen die Ältesten das anders. Patatiall war der großen Höhle verwiesen worden, in der sie den kleinen Wandi befragten. Wütend war er in seine Hütte aus rotem Lehm zurückgekehrt, um sich in Ruhe darüber zu ärgern, dass man ihm nichts zutraute.
Irgendwie musste er dabei eingeschlafen sein, denn plötzlich wurde ihm bewusst, dass er träumte.
Es war kein gewöhnlicher Traum. Er befand sich auf einer endlosen, roten Ebene, auf der nicht ein Strauch wuchs, anders als in der Wüste, die er nun schon zweimal durchquert hatte, einmal mit allen Kindern zum Beerensammeln und einmal nur mit dem kleinen Wandi, der sich in der Höhle mit den Beeren versteckt gehalten hatte. Diese Wüste kannte er, mit allen Verstecken von Schlangen und Skorpionen. Aber nun befand er sich an einem Ort, wo nur Staub zwischen dem Boden und dem gelblichen Himmel war. Wind brauste, Körner prasselten auf seine Haut, so intensiv, wie er sie in echt fühlen würde. Vielleicht sogar noch intensiver, noch schmerzhafter.
Pata schützte seine Augen mit einer Hand und sah sich um. Er vernahm ein Dröhnen, das jedoch nicht vom Wind getragen wurde, sondern aus der Erde zu kommen schien. Dann bebte diese unter ihm.
"Ich bin in der Traumzeit", murmelte er. Es war genauso, wie die Erwachsenen und Schamanen diese Welt beschrieben hatten. Er wich ein paar Schritte zurück, als die große Erde ihm ihr Geheimnis preisgab. Etwas grub sich aus einem großen Riss auf, wirbelte roten Staub in die Luft, der sich dicht vor Patas Blick hing. Er erkannte einen kahlen, blätterlosen Baum, der sich plötzlich zum Himmel reckte. In der Krone hing ein Koola, klammerte sich an das Holz. Obwohl das graue Tier weit über ihm war, nahm Pata wahr, wie die Krallen durch die geschwärzte Baumrinde stießen und feine, weiße Narben zogen. Der Koola stieß einen lauten Angstruf aus, fast wie das Weinen eines kleinen Kindes. Ein Schauer lief Pata über den Rücken. Das Tier klang so verzweifelt. So voller Furcht!
Er blinzelte und sah, dass die Luft noch immer rot war, jedoch nicht vom Staub. Dichter Qualm stieg auf. Das Brausen des Windes war dem Knistern eines Feuersturms gewichen.
Pata streckte die Hand aus. Als könnte er den Koola über die große Entfernung zwischen ihnen erreichen, um ihn zu retten. Er schrie, brüllte, und spürte Sand im Mund, schmeckte den Rauch, als Flammen aus der Erde schlugen und den Stamm des verbrannten Baumes erfassten.
"Nein!", rief Patatiall, so laut er konnte. Sein Schrei mischte sich mit dem Sandsturm und der Flammenwand, während er den Schatten des um Hilfe rufenden Koolas im Baum scharf ausgeschnitten vor dem flackernden, orangen Licht erblickte.
Dann fuhr er mit einem Ruck auf.
Er brauchte einen Moment, um die Lehmhütte zu erkennen, sein Lager aus geflochtenen Pflanzenfasern, die vertrauten Wände und Fenster. Wingerwinger beugte sich über ihn, der alte Schamane, dessen Haut mit weißen Linien gezeichnet war.
"Was schreist du, Junge?", fragte er Pata. "Was hast du gesehen?"
⁂
Eine Weile nach Patas stammelndem Bericht saß er in der großen Höhle, in der sich auch Wandi noch befand. Der Kleine hatte auf dem Boden in der Mitte gekauert, umringt von höhergelegenen Sitzen auf den Steinen, denn die natürliche Form der Höhle ähnelte einem flachen Trichter.
Jetzt drängte sich Wandi dicht an Patatiall. Gemeinsam saßen sie auf einem der niedrigeren Steinbrocken, unter dem strengen Blick der Ältesten.
"Was der junge Patatiall geträumt hat, kann man nur als Totemtraum deuten", sagte Wingerwinger gerade.
"Das ist unmöglich", murmelte Hogmine, der einmal die Nachfolge als Schamane antreten würde. "Es braucht Anleitung, um die Traumzeit zu betreten."
"So ist es", bestätigte Wingerwinger. "Nach der Mannswerdung erst können wir die ersten Träume vom Totem erwarten, und auch diese lassen sich oft Zeit. Dass der Junge bereits jetzt einen so deutlichen Traum hatte, ist ungewöhnlich - jedoch nicht unmöglich."
Hogmine senkte auf den leichten Tadel hin den Kopf.
"Was hat das zu bedeuten?", fragte nun Caroon, die älteste Frau.
"Zunächst einmal das Übliche", erwiderte Wingerwinger fast schon belustigt. "Mit dem Koola als Totemtier ist Patatiall das Verspeisen dieses Wesens verboten, außer zu medizinischen und schamanischen Zwecken. Da er sein Totemtier hat, werden wir das Ritual nachholen müssen. Er ist nun ein Mann!"
Pata schluckte schwer. So hatte er sich seinen großen Moment eigentlich nicht vorgestellt - so unzeremoniell in einem Nebensatz anerkannt zu werden. Er hatte sich auf die Fastenzeit vorbereitet, auf die Rituale, die durchaus schmerzhaft werden konnten, und sich bereits überlegt, welche Narben er sich ziehen würde, um diesen Übergang zu bezeugen.
Und nun? Würde er die Rituale überhaupt durchführen?
"Aber was den Traum angeht, dessen Bedeutung ist schwieriger zu enträtseln. Der verbrannte Baum steht vermutlich für den Stamm - oder für alle Stämme dieses Landstrichs. Nach dem letzten Krieg sind wir noch immer geschwächt." Wingerwinger vergewisserte sich, dass ihm alle Aufmerksamkeit galt. "Und nun kommt ein weiterer Brand. Ich denke, es handelt sich um eine Warnung. Deshalb wurde Patatiall dieser Traum gesandt - um uns zu warnen. Es ist keine Zeit, auf die Rituale zu warten."
"Ein Krieg?" Besorgtes Gemurmel erhob sich unter den Ältesten. Pata sah auf Wandi, der bei dem Wort zusammengezuckt war und den Kopf gegen Patas Arm gedrückt hatte.
Er selbst hatte den Krieg nicht mehr wirklich erlebt. Damals war er noch zu klein gewesen. Aber alle, die älter waren als er, sprachen stets mit Grauen und Trauer davon. Er fröstelte in der großen, von feuchtem Tropfen erfüllten Höhle. Und er dachte an Lury, die mit den kleinen Kindern noch immer in der Blaubeerhöhle saß, ohne zu ahnen, welche große Gefahr ihnen allen drohte.
Während die Erwachsenen diskutierten, drückte er Wandis Hand. Ihm war, als hörte er ein Echo der brausenden Flammen auch in der echten Welt. Er schmeckte den aufziehenden Sturm in der angespannten Luft und wusste nicht, wann und woher der Tod zuschlagen würde. Die ganze Zeit hatte Pata sich darauf gefreut, endlich erwachsen und zum Jäger zu werden. Doch nun wünschte er sich nichts sehnlicher, als mit Wandi tauschen zu können