Rating: P18 [CN: Horror, Blut, schlechtes Ende]
Nach dem Prompt „Fingertier [tierisches Halloween]“ der Gruppe „Crikey!“
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Die Blätter der Palmen und Merbaus rauschten in der warmen Brise. Ein stetiger Wind kam vom Meer, unermüdlich, obwohl die Sonne sank. Rote Streifen flackerten auf der Erde, geworfen von den Schatten der langen Blätter und dem Feuer des Sonnentods.
Jarou hob den Kopf, als er ein Rascheln hörte. Seine Finger, die eben noch fleißig an einem Korb geflochten hatten, hielten inne. Seine Mutter warf ihm einen mahnenden Blick zu, die Lippen zusammengepresst, um dem Jungen zu bedeuten, dass er still sein musste.
Das brauchte sie ihm nicht mehr zu sagen. Jarou hatte schon dreizehn Sommer in diesem Land erlebt. Er wusste um die Gefahr von Schlangen und pirschenden Räubern. Aufmerksam lauschte er auf die Geräusche, bis er schließlich etwas durch das Geäst huschen sah.
Es war ein kleines Wesen, sodass sich der Junge sofort entspannte. Ein wenig merkwürdig sah das Tier aus. Es hatte einen langen Schwnaz und lief auf allen vieren. Fast hätte man es für einen Lemur halten können, doch da waren die großen Ohren und die riesigen Augen. Als das Wesen den Kopf drehte, blitzten die Augenscheiben golden auf.
"Sieh nicht hin!" Jarous Mutter fasste seinen Arm.
"Wieso? Das Tierchen ist doch harmlos."
Es hielt nicht weit entfernt auf einem Stamm. Zwar lauschte es auf die Stimmen der Menschen unter sich, doch es zeigte keine Scheu, erst recht keine Aggression. Während Jarou und seine Mutter hinaufsahen, klopfte das Wesen mit einem langen, dürren Finger gegen das Holz. Es legte sein Ohr an den Stamm und horchte auf den Hall, dann begann es, die Rinde aufzukratzen. Jarou beobachtete es fasziniert. Das Tierchen mit dem buschigen Schwanz war niedlich, doch seine Finger erinnerten an knochige, schwarze Spinnen. Ganz leise hörte er das Poch, poch, poch, wenn das Tier gegen die Rinde schlug.
"Siehst du? Es ist doch nur ein ..."
"Nicht!" Jarous Mutter legte ihm fest die Hand auf den Mund. Sie zog ihn hoch und zurück zum Dorf. Die Körbe ließ sie liegen.
"Was ist denn? Unsere Arbeit ..."
"Wir machen morgen weiter." Jarous Mutter hielt nicht an.
"Ich verstehe das nicht. Das war doch nur ein kleiner Aye-Aye."
"Nein, nicht nur. Er ist ein Bote des Todes. Du darfst ihm nie in die Augen sehen. Sprich seinen Namen nicht."
"So ein kleines Wesen könnte uns nie verletzen."
"Es ist ein Tier aus der Geisterwelt. Heute Nacht ist eine Zeit der Dämonen gekommen."
Und mehr bekam er auf dem ganzen Rückweg nicht mehr aus seiner Mutter heraus. Sie brachte ihn direkt in ihre kleine Holzhütte und verriegelte die Tür. Sogar die Läden zog sie vor die Fenster. Dann schickte sie Jarou auf sein Strohlager.
"Schlaf."
"Ich bin noch nicht ..."
"Schlaf."
Also legte er sich hin und schloss die Augen. Obwohl er nicht müde war, sanken seine Lider herab. Das letzte, was er sah, war seine Mutter, die hinter dem Fenster stand, vom Licht, das durch die Läden fiel, in rot und schwarz gestreift, und hinaussah auf den finsteren Wald.
⁂
Ein Geräusch riss ihn aus einem Traum, von dem ihm nur eine Ahnung erhalten blieb, ein Echo blasser Augen und ferner Rufe.
Jarou sah, dass seine Mutter neben seinem Bett saß. Verwirrt runzelte er die Stirn und öffnete den Mund, doch im schwarzen Graulicht der Sterne legte sie den Finger vor die Lippen und schüttelte wild den Kopf.
Er schwieg. Er lauschte. Und hörte ein Rascheln draußen, das klang, als ging ein großes Tier um.
Etwas glitzerte silbern auf der Wange seiner Mutter. Eine Träne der Angst, die ihren Weg hinab suchte und fiel. Ihre Hände zitterten. Sie hielt den Atem an, holte nur flach und hastig Luft.
Grauen überrollte ihn. Nie zuvor hatte er sie so gesehen. Draußen knarzte ein Baum, als würde eine gewaltige Kraft den Stamm beugen.
Etwas war dort draußen, ohne Zweifel, nur durch eine dünne Holzwand von ihnen getrennt.
Jarous Mutter bemerkte seinen Blick. Sie berührte seine Schulter, deutete nach draußen und wölbte dann die Hand hinter ihren Ohren. Die Kreatur könnte sie hören. Jarou hielt den Atem an und umfasste ihren Arm. Am liebsten würde er sich wie ein Kind in ihren Arm retten, doch er fürchtete, dass das Rascheln der Kleidung sie verraten würde.
Seine Mutter erwiderte den festen Druck seiner Hände.
Sie lauschten auf die Schritte von draußen. Ein Schnüffeln erklang, das wie ein Sturmwind brauste. Dann glitt ein Schatten am Fenster vorbei, der das Sternenlicht vollkommen verdeckte.
Es musste hoch wie die Bäume sein. Und immer wieder strich es um das Haus und schnüffelte.
Dann erklang ein neues Geräusch.
Poch. Poch. Poch.
Ein dröhnendes Klopfen, unter dem die Wände erzitterten. Jarou stieß einen leisen Schrei aus, und wenngleich er sich sofort die Hände auf den Mund presste, konnte er den Laut nicht zurücknehmen.
Seine Mutter erstarrte.
Poch. Poch. Poch. Dann barst das Holz unter dem Schlag einer langen, gebogenen Klaue. Seine Mutter zog ihn mit sich, zurück an die hintere Wand, und drückte beide Hände so fest auf Jarous Mund, dass er keine Luft mehr bekam. Mit verschwommenem Blick sah er die Kralle im Mondlicht, lang wie ein Mann. Sie glitt herein, tastete über die Wände, zerbrach den Tisch und zerwühlte die Lagerstätten. Tiefe Furchen blieben in der Decke zurück.
Dann zog sich die Kralle zurück. Wie erstarrt standen Jarou und seine Mutter da.
Poch. Poch. Poch. Links von ihnen. Die Wand zerbrach und Jarous Mutter stieß ihn vor. Er hörte einen Schrei, spürte, wie ihre Hände von seiner Haut gerissen wurden, ehe er auf der Erde aufschlug.
Blind, mit Sand im Mund, krabbelte er unter die Bank und kauerte sich dort zusammen, so eng er konnte. Neues Sternenlicht flutete durch die Öffnung in der Wand, die das unbekannte Wesen immer weiter aufriss. Die Kralle schlug immer wieder herein, wie ein Pflug in die Erde eines Feldes biss. Die Bank wurde getroffen, wurde durch den Raum gewirbelt, und Jarou klammerte sich mit aller Kraft an das Holz. Erde peitschte um ihn her. Er wusste nicht, wie er noch leben konnte.
Dann wurde es still. Er hörte ein Schnaufen, roch den muffigen Atem des Tiers, dann sah er ein großes, rundes Auge, blass schimmernd, das hereinsah.
Als der Kopf zur Seite schwenkte, sah Jarou seine Mutter auf dem Boden liegen, nicht mehr als Streifen von Schwarz und Rot. Sie war zerstört, genau wie die Hütte. Das Dach schwankte auf den letzten Pfählen, der Wind blies hindurch.
Ein Schatten, groß wie ein Stein, setzte sich in Bewegung. Schweren Schrittes machte er sich auf in den Wald. Stille setzte sein. Noch immer lag Jarou, wie er nach dem letzten Schlag gefallen war, und er rührte sich nicht, auch nachdem die Kreatur lange fort war.
Der Morgen dämmerte bald nach dieser grausigen Nacht. Der Boden war blutdurchtränkt. Jarou konnte nur langsam seine Finger von dem Holz der Bank lösen.
Er musste geschlafen haben, denn irgendwann in jenen letzten Stunden hatte ein kleines Tier Schutz in seinem Arm gesucht, ein merkwürdiger Lemur mit großen Ohren und Augen und kräftigen Zähnen. Das Wesen blinzelte, als Jarou sich regte, und festigte seinen Griff um Jarous Arm.
Die Berührung riss ihn endgültig aus der Starre.
Er sah nicht zur Mitte der Hütte, wandte den Blick von der Leiche ab. Langsam erhob er sich, um das Tier nicht zu stören.
Kein Ziel gab es für ihn. Kein Leben nach dieser Nacht des Todes. Doch trotzdem setzte sich in Bewegung. Langsam, stockend ging er in den Wald, fort von der Ruine.
Nur ein dünner Faden leitete ihn ins Nichts. Er musste mehr über die Kreatur herausfinden, deren Angriff er überlebt hatte. Irgendjemand, irgendwo, würde ihm Antworten geben können.
Das kleinere Tier auf seiner Schulter blieb wie selbstverständlich bei ihm. Vielleicht war es nur das Flüstern des weichen Fells, das seine Wange mit jedem Atemzug streichelte, was Jarous Herz am Schlagen hielt.