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Nach dem Prompt „Echten Steinfisch [Tierische Geschichten mit Sammlungen von Steinen]“ der Gruppe „Crikey!“
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Yondoora keuchte instinktiv auf, als er ins Wasser tauchte. Die kühlen Fluten waren eisig kalt auf seinen Schuppen. Mehrmals rang er nach Luft, bis sein Herzschlag sich beruhigt hatte.
Dann holte er tief Luft, tauchte in das salzige Wasser und schwamm los.
Cheunjoora konnten die Luft stundenlang anhalten, doch mit zunehmendem Alter brauchte er länger und länger, um sich an die Kälte zu gewöhnen. Nicht gut - die Inseln waren gefährlich, immer wieder wurden hier Jarnix gesichtet. Wenn er schnell fliehen musste, wäre es fatal, wenn der Schock des kalten Wasser ihm den Atem nehmen würde.
Yondoora teilte die Sorgen seiner Frau, auch wenn er es niemals zugeben würde. Irgendwann würde es wohl Zeit werden, mit diesen Ausflügen aufzuhören. Zuhause zu bleiben, sich nie weiter als einige Stunden von den sicheren Inseln der Cheunjoora zu entfernen.
Aber so weit war es noch nicht! Er öffnete die Augen, nur das durchsichtige dritte Lid blieb geschlossen. Vorsichtig sah er unter den Wellen um, ließ den Blick über Korallen, Felsen und Algenwälder wandern. Dann stieß er sich mit kräftigen Bewegungen der Arme und Beine vorwärts, pflügte durch die kalten Wogen und glitt mit minimalen Bewegungen über die Rifflandschaft. Fische huschten aus seiner Bahn. Kleine Krebse drohten ihm mit ihren Scheren. Muränen beobachteten ihn aus der Tiefe ihrer Höhlen heraus.
Yondoora suchte den Sand nach Steinen ab. Es gab hier viele. Besonders angetan hatten es ihm die rostigroten, mit Büscheln von Seegräsern bewachsenen Klumpen, die es vor dieser Insel im Überfluss gab. Bald fand er die ersten und begann, sie in seinen Beutel zu packen. Aus diesen, und keinen anderen, würde er seine Kunstwerke herstellen.
Bald wuchs das Gewicht in der Tasche. Yondoora suchte eifrig und streckte die Hand nach einem besonders großen Stein aus, nur um sie im letzten Moment zurückzuziehen. Etwas an der Form war seltsam. Der Steinmetz betrachtete das Gestein, entdeckte einen Rückenkamm und Flossen, dunkle Augen.
"Heute nicht", murmelte Yondoora und lächelte den getarnten Steinfisch an. Zwar hatte er das Gegengift dabei, wie immer, doch auf die Schmerzen konnte er dennoch gut verzichten. Leise schwamm er einen Bogen um das Tier und suchte an anderer Stelle weiter.
Schließlich musste er auftauchen. Die Tasche mit den Steinen setzte er kurzerhand zwischen den Korallen ab, schwamm hinauf und streckte den Kopf über die Wellen. Prustend spuckte er Salzwasser in die Gischt und sah zur Insel.
Er war ein Stück hinausgeschwommen. Dennoch sah er Bewegung zwischen den grünen Blättern der am Strand noch niedrigen Bäume.
Yondoora zog die Luft ein und tauchte wieder unter. Hoffentlich war es nur ein Tier gewesen! Dicht unter der Wasseroberfläche sah er zum Strand. Nun rührte sich dort nichts. Kein gutes Zeichen!
Er drehte um, tauchte hinab und holte seinen Korb. Neben diesem kniete er sich in den Sand. Er hatte nicht genug Luft geholt, merkte, wie sie bereits wieder knapp wurde.
Nervös spähte er nach oben.
Er sollte hier weg, doch so, dass niemand sah, in welche Richtung er schwamm. Da er mit seiner Last nicht besonders schnell war, sollte er wirklich noch einmal in Ruhe Atem schöpfen. Immerhin war er weit genug vom Ufer, dass ihn ein Speerwurf nicht erreichen konnte.
Nachdem er sich so etwas Mut gemacht hatte, schwamm Yondoora wieder nach oben. Sobald er den Kopf über den Wellen hatte, schob er das dritte Lid zurück. Zwar brannte das Salz sogleich in seinen Augen, doch so waren sie schärfer.
Um Ruhe bemüht atmete er durch, das Ufer fest im Blick.
Ein Atemzug. Zwei. Drei. Tief und langsam, denn sie mussten eine Weile vorhalten.
Vier Atemzüge. Fünf. Sechs. Panik, sagte er sich immer wieder, würde ihn nachher den Kopf kosten. Am Strand war immer noch alles ruhig.
Sieben Atemzüge. Acht - der vorletzte. Neun ... da sah Yondoora eine Unregelmäßigkeit der Wellen weiter draußen, wo sie sich an einem unsichtbaren Hindernis brachen. Noch während er hinsah, erschien ein Speer förmlich aus dem Nichts, verborgen hinter einem Wesen, das genau wie der Strand hinter ihm gefärbt war, und zwar perfekt auf Yondooras Perspektive abgestimmt.
Er drehte sich um, zog den Kopf vor die Brust und die Knie neben die Ohren, schützte seinen Nacken mit den überkreuzten Händen. Er spürte den Aufprall des Speers auf seinem Schild, fühlte, wie die Spitze über seinen Rücken kratzte.
Dann schwamm er los. Nach unten. Yondoora packte seine Tasche - er war immerhin für die Steine hergekommen, die würde er nicht zurücklassen - und schwamm dann los, quer auf die Insel zu, weil seine Gegner das am wenigsten erwarten würden.
Doch etwas stimmte nicht. Das Wasser war zu aufgewühlt. Fischschwärme schossen aus den höheren Ebenen nach unten, wie aufgestört von einer Bewegung, die Yon nicht sehen konnte.
Er biss die Zähne aufeinander und schwamm weiter geradeaus. Den Speer hatte sein getarnter Angreifer geworfen, also müsste er jetzt nah herankommen. Im Moment war Yondooras einziger Vorteil die Überraschung, wenn sein Gegner nicht ahnte, dass er bereits entdeckt war.
Hoffentlich war es nur ein einzelner Jarnix. Eine Gruppe konnte er nicht besiegen.
Sie trafen auf dem Boden zwischen den Korallen aufeinander. Yon spürte eine Bewegung im Wasser, wie einen Windzug, und rollte sich blitzschnell ein. Ein dumpfer Schlag erschütterte seinen Rückenpanzer. Yon nahm einen Stein aus der Tasche, wirbelte herum und warf ihn. Etwas zuckte, kaum sichtbar, flackerte - er hatte den Angreifer knapp verfehlt und trat nun mit aller Kraft zu. Tatsächlich stießen seine Füße auf Widerstand im scheinbar leeren Blau. Schemenhaft sah er Arme, Beine und einen Rumpf, als der Gegner von seinem Triff gestoßen durch das Wasser wirbelte, zu schnell, als dass er seine Tarnung aufrecht erhalten konnte.
Als er zum Stillstand kam, wurde der Jarn einen Moment sichtbar. So groß wie Yon war er, pinkgeschuppt mit vorstehenden Augen auf einer Art Kegel. Eines blieb auf Yon gerichtet, das andere suchte den Boden ab und richtete sich auf den roten Stein, den der Cheunjo geworfen hatte.
Mit einem fiesen Grinsen wurde Yons Gegner wieder unsichtbar. Der Steinmetz umklammerte die nächste Waffe mit beiden Händen, bis seine Finger schmerzten, und suchte den Ozean vor sich panisch ab. Ein Schlag mit einem so scharfkantigen Stein konnte tödlich sein. Im direkten Kampf würde der schnellere Gegner siegen.
Dann sah er den Jarn wieder - grell flackerten dessen Schuppen auf, Ringe aus Weiß, Gelb, Dunkelblau und Rot jagten über seinen Körper. Das Wesen war am Meeresboden, die Hand nach dem Stein ausgestreckt. Jetzt entwich sein Atem in Blasen zur Wasseroberfläche.
Yondoora atmete ebenfalls aus. Seine List hatte funktioniert! Der Jarn hatte mit dem vermeintlichen Stein die Jagd beendet - es war der Steinfisch von vorhin gewesen.
Während der Jäger sich mühevoll nach oben und zum Ufer kämpfte, steckte Yon den Stein zurück, den er gehalten hatte. Zügig schwamm er wieder los, diesmal erneut in eine andere Richtung - und zwar schnurstracks nach Hause, ehe noch weitere Jarnix auftauchten.