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Nach dem Prompt „Feldhase/Osterhase“ der Gruppe „Crikey!“
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Yago hielt es nicht mehr aus. Der Junge sprang auf und lief zur Tür.
"Wo willst du hin?", fragte die schwache Stimme seiner Mutter vom dunklen Lager. Shiri Fen konnte kaum den Kopf zur Türöffnung drehen. Obwohl sie ihm Schatten lag, schimmerte ihre Haut ungewöhnlich blass.
Yago Ndogo ergriff den Speer seines Vaters, der neben der Tür stand. "Ich gehe jagen."
"Nein, Kind", widersprach die entkräftete Frau. "Das ist zu gefährlich."
"Ich passe auf." Yago hatte sich längst entschieden. "Ich jage nur ein Kaninchen. Dann wird es dir bald wieder besser gehen."
Seine Mutter wollte widersprechen, doch ihr fehlte selbst dazu die Kraft. Yago lief hinaus, damit sie die Tränen auf seinen Wangen nicht sah.
Die Hütte seiner Mutter lag abgeschieden auf einer weiten Ebene aus gelblichem Gras. Es war Trockenzeit, die wenigen Bäume nur noch verkümmerte, verkrümmte Gerippe. Der Himmel darüber blau und unendlich weit.
Yago pirschte durch das trockene Gras und lauschte. Er wusste, dass hier draußen Löwen lauern konnten, die von ihren Rudeln an den Wasserstellen vertrieben worden waren. Doch wenn er nichts jagte, würde seine Mutter sterben.
Also lief er weiter, den langen Speer umklammert, bis er endlich ein verdächtiges Rascheln hörte. Er wirbelte herum und sah gerade noch etwas kleines Sandfarbenes davonhoppeln.
Ein Kaninchen! Yago lief sofort los und versuchte, den Hasen im hohen Gesträuch zu erkennen. Dieser schlug Haken und war wegen seiner Tarnfarbe kaum zu erkennen. Manchmal blitzten die dunkleren Ränder der Löffel auf oder die lehmfarbenen Flecken des Tieres. Atemlos folgte Yago dem kleinen Tier, fest entschlossen, seiner Mutter endlich etwas Nahrung zu bringen, damit sie gesund werden konnte.
Das Kaninchen hoppelte in einen Graben und Yago erkannte, dass er es nun gestellt hatte. Er warf den Speer mit aller Kraft, die er aufbringen konnte. Das Kaninchen konnte nirgendwohin ausweichen, er würde ...
In diesem Moment sprang das Tier weit in den Himmel und Yago entdeckte dunkelbraune Flügel auf dessen Rücken, mit denen das helle Kaninchen dem Speer auswich und aus dem Graben floh.
Erstaunt riss der junge Yago Ndogo Mund und Augen auf. Das war kein Kaninchen, sondern ein Kipascha - kein Wunder, dass er kaum zu dem flinken Hasentier aufholen konnte.
Erschöpft stolperte Yago dem Tier noch ein paar Schritte nach, doch das Kipascha war rasch im ausgedörrten Unterholz verschwunden. Entmutigt ließ sich der Junge auf den Boden sinken. Die Tränen konnte er nicht länger zurückhalten und kauerte sich zusammen, um zu weinen.
Nach einer Weile hörte er erneut ein Rascheln. Als er den Kopf hob, saß das Kipascha kaum eine Armlänge vor ihm und musterte ihn mit schiefgelegtem Kopf. Seine grünen Augen funkelten neugierig.
Überwiegend sah das Tier tatsächlich aus wie ein gewöhnliches Steppenkaninchen, sandfarben mit einigen terrakottafarbenen Punkten. Nur die dunkelbraunen, winzigen Flügel auf dem Rücken unterschieden es von normalen Hasen. Diese Flügel waren nicht kräftig genug, um das Tier weit zu tragen, doch sie reichten, um die Kipascha zu flink für einen jungen Jäger zu machen.
Nur warum war das Tier jetzt zurückgekehrt?
Als Yago sich bewegte, zuckte das Kipascha leicht zurück, doch es floh nicht. Sein Blick wanderte über Yagos leere Hände. Vielleicht spürte es auch, dass der Junge gar nicht mehr den Mut aufbringen würde, etwas zu töten.
Das Kaninchen hoppelte ein paar Schritte ins Gras und wandte sich dann zu ihm um.
Vorsichtig erhob sich Yago. Das Kipascha floh nicht, sondern wartete, ehe es ihn hoppelnd tiefer ins Gebüsch führte.
Verwundert folgte Yago ihm bis zu einem Nest aus trockenem Gras, das einfach so im Grasland lag. Im Nest befanden sich drei große Eier. Eines war strahlend weiß und frisch, die anderen matter. Kipaschas legten nämlich ein bis zwei Eier pro Woche, die meisten davon nicht befruchtet. Das Wüstenwesen sah Yago vielsagend an und er beugte sich vor, um die faustgroßen Eier einzusammeln, während das Kipascha ihm mit zuckendem Näschen dabei zusah.
Er verstand, dass es ein Geschenk war.
Seine Mutter staunte nicht schlecht, als er die drei seltenen Eier zurückbrachte. Er machte ihr täglich eines, und mit jedem Tag wurde sie wieder kräftiger, bis sie sich schließlich am dritten Tage erholt hatte. Das Kipascha jedoch sahen sie nie wieder.