Rating: P16 [TW: Kampf mit Verletzungen und Tod]
Nach dem Prompt „Schleiereule [Tierische Geschichten mit Zeitreisenthematik]“ der Gruppe „Crikey!“
Zusätzliche Inspiration: Assassine's Creed Origins
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Die Sonne glühte über der Wüste von Nishama. Goldene Dünen erstreckten sich bis an die Wellen des Nordmeeres, das leise rauschend gegen die Küste rollte. Nur an der Mündung des Nish', wo die längt braunen Fluten auf die schäumenden Wellenkämme stießen, durchbrach das dunkle Grün des Schilfs die Eintönigkeit der Wüste.
Seevögel trieben über dem Meer. Weiter flussaufwärts rauschten die Palmen. Doch hier, zwischen Land und Meer, umspülten Schilf und Wellengang eine erwartungsvolle Stille. Verborgen zwischen den langen Halmen, gekleidet so beige wie eine Schleiereule, wartete jemand.
Die Zeit verstrich. Die Sonne kletterte höher. Und endlich drang ein neues Geräusch in die angespannte Stille: Wakowakos schnaubten, die Dünen sangen leise, als Sand unter den breiten Pfoten der Packtiere ins Rutschen geriet. Die Reiter sahen sich wachsam um, als ihre geschuppten Wakowakos vorwärtsstürmten, dem rettenden Flusswasser entgegen und nicht zu halten.
Es waren sechs Reiter. Der Anführer trug eine blau bemalte Maske, die das Antlitz eines Löwen zeigte, mit Blattgold auf der steifen Mähne und den gebleckten Zähnen. Das Gesicht darunter war, so weit man es durch die Augenhöhlen und das Maul erkennen konnte, dunkel bemalt. Die Hände, die die Zügel des gierig trinkenden Kamels hielten, waren jedoch beige.
Seine Begleiter trugen allesamt schwarze Turbane, die nur schmale Schlitze für die Augen offenließen, lederne Harnische und darunter rote Gewänder. Sie waren ausgerüstet mit Kurzbögen, runden Schilden und Lanzen mit flachem Blatt.
Alle zuckten zusammen, als die Gestalt aus dem Schilf trat. Beige Gewänder flatterten im Wind. Der Fremde trug das Tuch um den Kopf gewickelt, dessen fransenartige Enden Federn nachempfunden waren. An der Hüfte baumelte eine leere Schwertscheide.
Der Mann mit der Löwenmaske drehte sich als letzter um. Von oben bis unten musterte er den einzelnen Mann. "Was macht ein Soldat der Weilech so weit im Norden?", fragte er mit durch die Maske gedämpfter Stimme. "Wo ist der Herr, den Ihr beschützt?"
"Ich diene keinem Herren mehr", antwortete der Mann ohne Waffe. "Erinnerst du dich nicht mehr an mich?"
Die Leibwächter traten vor, die Lanzen im Anschlag, doch der Maskierte rief sie mit einem Handzeichen zurück. Er ließ sich aus dem Sattel des Wakowako gleiten und landete im weichen Sand. Während er den reich verzierten Umhang zurückstrich und eine eiserne Keule hervorholte, trat er auf den Unbewaffneten zu. Dieser ließ sich, wenngleich er den Kopf in den Nacken legen musste, keine Furcht anmerken.
"Du überschätzt deine Bedeutsamkeit, Eidbrecher!" Mit Schwung wurde die Keule nach oben gerissen und sauste auf den Kopf des Unbewaffneten zu. Allein für die Dreistigkeit, sich nicht verneigt zu haben, verdiente er diesen raschen Tod. Die runde Stachelkeule näherte sich seinem Kopf ...
Dann glitt der Mann in der Kapuze zur Seite. Die Keule rauschte an seiner Brust vorbei, die falschen Federn seiner Haube kräuselten sich im Windzug. Mit der Faust, die jetzt vorne war, traf er den ungeschützten Hals des Maskierten, der würgend nach hinten taumelte.
Die Leibwachen schrien auf. Eine warf die Lanze, während die anderen ihre Bögen spannten. Doch der Unbekannte in der Haube fing die Lanze aus der Luft, wirbelte sie herum und schlug die Pfeile beiseite, die ihn sonst getroffen hätten. Dann schleuderte er die Lanze in die Schulter der Wache, die mit gezogenem Krummsäbel auf ihn zuhielt. Sie kippte vom Wakowako, das schnaubend einen Bogen lief und den Fluss in einiger Entfernung aufsuchte. Der Kampf der Erdwesen interessierte das Tier wenig, und so trank es, während hinter ihm Schreie erklangen und Stahl auf Stahl klirrte.
Der Unbewaffnete - der sich freilich direkt einen Pfeil aus der Luft gefischt und somit nicht länger unbewaffnet war - gab nur einen Ton von sich, ein dumpfes Knurren, als eine Pfeilspitze sich in seine Schulter bohrte. Zwei weitere Reiter hatte er zu Fall gebracht, einen mit einem Fausthieb in die Nieren und den zweiten mit einem gedrehten Tritt im Sprung. Bei der Landung hatte eine der beiden verbliebenen Wachen ihn verwundet, nachdem er den gestürzten dritten Reiter mit einem Tritt der schweren Stiefel für immer zum Schweigen gebracht hatte.
Nach dem Knurren riss sich der Mann mit der Eulenhaube den Pfeil aus der Schulter, stürmte vor und sprang, während der Wächter zurückreiten wollte. Von der erhöhten Position auf der Düne flog der Verhüllte, beide Pfeile in der Hand, auf den Turbanträger zu. Die Sonne blendete diesen und sein abwehrend erhobener Schild wurde vom Fuß des Springenden zur Seite gedrückt. Dann bohrte er beide Pfeile in den Stoff des schwarzen Turbans, bis ein Ruck durch den Körper ging.
Der Wächter kippte nach hinten. Der Unbekannte duckte sich unter dem nächsten Pfeil und übernahm die Zügel des Wakowako. Mit einem Schrei trieb er das Tier an. Die letzte Wache hatte sich zur Flucht gewandt, doch ihr Reittier strauchelte vor jenem Wakowako, das gemächlich am Fluss trank. Hier holte der Unbekannte den Fliehenden ein, riss ihn vom Reittier und unter die Pfoten seines Tieres, das aufschrie und instinktiv zutrat.
Die blutigen Schuppen wusch es sich im Flusswasser ab, während der Mann in der Haube langsam zurückging. Blut lief aus der Wunde an seiner Schulter und durchtränkte die Haube. Diese hatte einen Ring auf Höhe des Gesichtes, wie die Färbung einer Schleiereule. Im Inneren des Rings war die Kapuze heller und lief zu einer dunklen, mittigen Spitze zusammen, die wie ein Schnabel erschien.
Der Unbekannte hielt, beugte sich hinab und hob die Löwenmaske auf. Sie war leer. Schwarzer Rauch kräuselte sich aus den zu Boden gefallenen Gewändern des Maskierten. Eine dunkle Wolke, die sich in die Luft erhob.
"Wenn du dich nicht mehr an mich erinnerst, dann lass mich dir auf die Sprünge helfen", sagte der Mann in der Haube. "Wir haben uns im Schwarzen Tempel getroffen. Du hast meinen Sohn getötet, auf dem schwarzen Altar, von dem eure Sekte ihre Macht zieht! Mich habt ihr in den Fluss gestoßen und geglaubt, ich wäre gestorben wie alle anderen. Aber ich bin von den Toten zurückgekehrt. Also flieh ruhig! Laufe zu den anderen Hexern, die sich hinter diesen Masken verstecken! Erzähle ihnen, dass ich zurück bin, dass ich nicht mehr alleine bin. Ich und die meinen werden euch suchen - und töten!"
Die letzten Worte schrie er in den Himmel, während der Rauch davonrauschte. Noch einmal wurde dieser verwirbelt, als eine Schleiereule aus dem Himmel stürzte und mit ihren Krallen durch die Wolke fuhr. Sie konnte nichts bewirken, und doch schien es, dass der zerfaserte Rauch sich nach diesem Angriff erst einmal sammeln musste.
Die Eule flog eine Kurve und landete auf der Schulter des Verhüllten, der, eine Lanze der Leibwachen in der Hand, auf ein Wakowako gesprungen war und das Tier flussaufwärts zum Galopp trieb. Entschlossen sah er nach vorne, in die Wüste, über den Lauf des Nish', und aus dem Schatten der Kapuze blitzten für einen Moment helle Augen ...
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Der Junge wich mit einem erschrockenen Keuchen zurück und ließ die Haube zurück auf den Altar fallen. Die gleiche Haube, bis hin zu den dunkleren Zierfäden, die die Struktur der Federn nachahmten, aber der Stoff war rissig, staubig, steif vom Alter und fleckig von der Zeit. Im Fackelschein in der kalten Höhle ruhte er mit anderen Dingen auf einem Altar aus hellem, poliertem Stein.
"W-was war das?", fragte der Junge. Er trug eine beige Uniform mit braunen, gekreuzten Lederriemen über der Brust, umwickelten Ärmeln und einer Kapuze, die er jedoch nicht aufgesetzt hatte - anders als der Elf neben ihm, dessen Ohren unter dem Stoff nur zu erahnen waren.
"Das war der Beginn unseres Ordens", erklärte er dem Kind. "Unser Gründervater war ein Wächter, ein königstreuer Diener im alten Casta."
"Casta!", hauchte der Junge. "Das ist so weit entfernt!"
"Er besiegte die erste Sekte unserer Feinde, vor allem jedoch sammelte er mehr und mehr Verbündete um sich. So kommt es, dass der Orden der Eulen heute überall auf der Welt verbreitet ist. Und noch immer folgen wir dem alten Auftrag, die Mächte der Finsternis zu bekämpfen."
Mit einem Lächeln trat der Elf vor und legte seine Hand auf die Schulter des Jungen. Sanfter fuhr er fort: "Ein Auftrag, dem auch du folgen wirst - wenn die Zeit gekommen ist."
Ernst, die Lippen aufeinander gepresst, nickte der Junge.