Rating: P12
Nach dem Prompt „Haussperling/Spatz“ der Gruppe „Crikey!“
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Die Luft roch genauso wie vor drei Jahren: Verheißungsvoll und süß, angefüllt mit den Düften eines erwachenden Landes, mit einem letzten Echo der Winterskälte, die ihren ganz eigenen Geruch hatte. An diesem Morgen rollte dichter Nebel über die fernen Hänge der Tsanyi, hinab auf die Wälder, die sich endlich wieder vergrünten, und den breiten Fluss am Rand des Dorfes.
Drei Jahre. Araba atmete tief durch. Drei Jahre, die so viel verändert hatten, und doch schien es, als wäre das Land überhaupt nicht beeindruckt. Für die Erde und den Himmel und das Wasser waren drei Jahre nicht mehr als ein Wimpernschlag. Für Araba und alle anderen Menschen und Elfen von Yibola bedeutete es alles.
Sie wanderte über die steingesäumten Lehmwege zwischen den dichten Pflanzen. Das Dorf schob sich aus der Deckung der Büsche, wenn man die Kurve nahm, während der Fluss hinter der selben Kurve verschwand.
Heute waren bunte Fahnen auf den Hütten gehisst worden. Kerzen brannten rings um die Hütten, obwohl die Sonne sich bereits erhoben hatte, dazwischen stellten die Dorfbewohner Schalen mit Obst und Früchten auf. Musik erklang ringsum. Nicht, dass jemand geladen worden war, um heute zu spielen. Doch während die letzten Vorbereitungen getroffen wurden, stimmten die Bewohner ein Lied nach dem anderen an, und der Rest fiel mit ein. Dann begleitete die verwobenen Stimmen das Klatschen und rhythmische Stampfen kleiner Tänze, wo immer jemand die Freiheit besaß, sich so wild zu bewegen, und nicht etwas halten musste.
Die Ziersträucher im Dorf, die in den letzten drei Jahren gepflanzt worden waren, trugen erste Blüten. Während Araba zwischen den Hütten umherlief, stiegen ihr die Düfte der Blumen in die Nase. Alles sah so heil und fertig aus, unglaublich nach drei Jahren des Wiederaufbaus. Die Wege waren gerade gezogen, keinen Hütten fehlten mehr Wände, die Erdlöcher, Wunden magischer Angriffe, waren zu kleinen Fischteichen geworden.
Araba lächelte. Perfekt.
Ein Sperling zwitscherte, als wollte er in den Gesang mit einstimmen. Dann flog er auf. Araba folgte seinem schnellen Flug mit dem Blick, bis sie Essien bemerkte und den Vogel verlor.
Essien, die jüngste Elfe im Dorf, beugte sich über gelbe Rosen und zupfte einige braune Blätter ab, um den Blüten mehr Platz zu geben. Das Gold der Pflanzen harmonierte mit ihrem blonden Haar, das weich über die dunkle Haut des Halses floss.
Essien war mehrere Jahrzehnte vor Araba geboren, aber aktuell standen sie beide kurz vor der Volljährigkeit ihres jeweiligen Volkes. Wüsste man nichts von der Langlebigkeit der Elfen, hätte man sie für gleichalt halten können.
Einen Moment zögerte sie und betrachtete die schlanke Elfe aus der Ferne. Wo Araba breit gebaut, kräftig und dunkelhaarig war, war Essien schlank, feingliedrig und goldenblond. Araba hatte ein rundes Gesicht und volle Lippen und eine breite Nase, und Essiens Antlitz war schmal, mit einer dünnen Nase und schmaleren Augen. Sie sah aus wie kaum einer im Dorf, die Leute flüsterten, dass ihr Vater keineswegs weggelaufen, sondern ein Celyvari gewesen war, der sich natürlich nie zu einem Afua-Kind bekannt hätte.
Araba mochte die Celyvari nicht, aber vielleicht hatten sie ihnen vor ihrem Abzug wenigstens eine gute Sache hinterlassen.
Sie gab sich einen Ruck. Heute war ein Tag des Feierns. Sie sollte wenigstens mit der Elfe sprechen.
"Hallo."
Essien drehte sich überrascht um und lächelte dan. "Araba, richtig?"
Sie hatten kaum mehr als sechs Worte gewechselt, und jedes davon trug Araba wie einen Schatz im Herzen. Nun könnte sie diesem zwei weitere hinzufügen - und merkte, dass sie doch keinerlei Worte besaß, um zu antworten.
"Das ... Wetter ist heute schön."
"Als hätte es jemand für uns verzaubert." Lächelnd sah Essien zu den Wolken.
Verzweifelt suchte Araba nach Worten. Worüber könnte sie nur sprechen?
Schon richtete Essien den Blick ihrer grünen Augen wieder auf sie. "Gehst du eigentlich zum Theater?"
"Nein!" Araba erschreck selbst vor der Heftigkeit in ihrer Stimme. Sie wollte Essien doch nicht anbrüllen! "Na ja, ich dachte, ich bin vielleicht etwas zu alt oder so ..."
"Möglicherweise." Essien zuckte die Schultern. "Was soll ich dann sagen? Aber an der Feier darf ich auch noch nicht teilnehmen, solange ich nicht erwachsen bin, und ich bin es gewohnt, viel älter als alle anderen zu sein."
Essien lächelte und für einen Moment vergaß Araba alles andere. Dieses zarte, schmale Lächeln, ebenso wertvoll und wunderbar wie alles an Essien.
"Also?", fragte die Elfe.
"Entschuldige, was hattest du gesagt? Die, ähh ... Spatzen hatten mich abgelenkt." Die Vögel lärmten wirklich rings um die Häuser und stritten sich um ein Stück Brot, das sie von einem der Gabenteller gestohlen hatten. Eine Menschenfrau mit einem Besen versuchte, die Vögel zu vertreiben.
Essien räusperte sich. "Ich ... hatte gefragt, ob du hingehen würdest, wenn ich ... also ... mit ... mir."
"Du meinst ... zusammen?" Araba könnte sich ohrfeigen. Wie denn sonst, jede für sich?
"Wenn du nichts anderes vorhast, natürlich."
"Ähm. Klar. Wieso nicht?" Sie lächelte, während ihre Handflächen feucht wurden.
Meinte Essien etwa ... zusammen zusammen? Nein, sicherlich nicht. Die Elfe war so viel älter und weiser und ... besser. Sie wollte sicher nur freundlich sein.
"Dann ... sehen wir uns da?"
Araba zuckte zusammen. Sie stand schon wieder herum und starrte. "Ja." Sie musste einen Kloß in ihrem Hals lockern, damit ihre Stimme weniger rau klang. "Ja, bis ... dann."
Dann drehte sie sich um und versuchte verzweifelt, nicht davonzurennen. Sie würde sich mit Essien treffen! Beim Theater! Und dort würde sie mit Essien herumhängen.
Ihre Finger zitterten. Bei Mbube, sie müsste sich etwas Besseres anziehen!
Das Theater bestand aus einem Rahmen, der aus zusammengebundenen Stücken errichtet war. Im Sand davor saßen die Kleinsten, hinter einer Trennwand hockten zwei Zwerge, die extra angereist waren. Die Handpuppen, die sie trugen, fand Araba interessant. Eine zeigte einen Spatz, einen freundlichen, kugelrunden Gesellen mit Schnabel und Knopfaugen, die andere ein großes Ninki-Nanka, plump auf den vier kurzen Beinen, und mit einem Maul, das noch riesiger war als das der echten Flusspferde. Dann gab es noch einige erdvölkische Figuren, die aber nur am Rande auftauchten.
Araba und Essien hatten zunächst etwas abseits gestanden. Araba hatte getan, als interessiere sie die Geschichte um den Spatz und seinen großen Freund nicht, aber Essien war schließlich näher herangegangen.
Essien war furchtlos. Es interessierte sie kein bisschen, was andere von ihr dachten. Verstohlen beobachtete Araba das kleine Lächeln, das über die Lippen der Elfe huschte, als eine der Elfen-Handpuppen mit celyvarischem Akzent schimpfte. "Isch 'abe keine Zeit me'r für diesen un'öflischen Vogel!" Die Kinder krähten vor Lachen, als der Elf vom Spatz geschlagen abziehen musste.
"Und komm ja nicht wieder!", drohte der Vogel mit flatternden Flügeln. Soweit Araba das mitbekommen hatte, war er der Held der Geschichte, die Elfen und Menschen die Bösewichte.
Dann kam das Ninki-Nanka wieder auf die Bühne mit schwerfälligem, watschelnden Gang. "Ach, Lünk, ich fühle mich nicht so", jammerte das große, gesprenkelte Flusspferd.
"Was hast du denn, Deidei?", fragte der Sperling und umkreiste das Tier.
"Ich weiß es nicht."
"Wisst ihr es, Kinder?"
Die Kleineren kreischten auf. "Der Hauptmann hat Deidei vergiftet! Deidei hat den grünen Kuchen gegessen!"
"Oh nein! Wirklich?" Der Handpuppen-Vogel schlug die Flügel zusammen. "Aber Deidei, du weißt doch, du sollst nichts essen, was diese helle, grüne Farbe hat! Daran erkennt man Gift."
"Verstehe", murmelte Araba. "Die Geschichte bringt Kindern bei, auf Gifte zu achten."
"Keine schlechte Lektion." Essien hatte die Hände hinter dem Rücken gefaltet, sich leicht vorgebeugt und wippte auf den Füßen. "Besser als die übliche Geschichte, dass man nicht lügen soll oder so. Aber ich habe das Gefühl, da steckt noch mehr hinter."
"Ja?" Araba sah wieder nach vorne. Dort hatte Lünk nun eine viel zu große Zahnbürste hervorgezogen, um Deideis große Hauer zu putzen.
"Du hast großes Glück!", verkündete Lünk dabei. "Denn ich habe genau das richtige Gegenmittel. Kinder, wisst ihr noch, wie lange man sich die Zähne putzen soll? Ja? Dann zählt mit mir."
Während der Zahnputzaktion mussten Araba und Essien zwangsläufig schweigen, bis das Gebrüll der Kinderhorde endlich verklungen war. Dann war Deidei schließlich auch vor der Bösartigkeit des Hauptmanns gerettet worden.
Araba hatte in der Zwischenzeit nachgedacht. "Der Hauptmann war ziemlich eindeutig ein Celyvari", murmelte sie.
Essien betrachtete sie von der Seite lächelnd. Sie gab keinen Hinweis.
"Und der Spatz hat sie vertrieben. Aber das Gift ... das waren die vielen Magieamulette, die die Celyvari hier zurückgelassen hatten! Die Elfen ..." Sie warf Essien einen schuldbewussten Blick zu. "Also, manche der Elfen haben die Quellen weiter für ihre Magie verwendet."
"Der vergiftete Kuchen, ja." Essien seufzte. Ihr Blick glitt zu einem der Teiche. "Es war großes Glück, dass wir den Entladestein gefunden haben, bevor noch jemand zu Schaden kam. Aber siehst du? Die Geschichte hatte auch für Ältere eine Bedeutung. Angefangen mit dem Spatz - diese gelten allgemein als Vögel der Menschen, da sie überall dort herumschwirren, wo Menschen wohnen - bis zum Kuchen. Diese Zwerge wussten, dass wir heute unsere Unabhängigkeit feiern. Und so haben sie eine Geschichte über Unabhängigkeit erzählt."
Inzwischen neigte sich das Theater seinem Ende. Der Sperling und das Ninki verhauten die Elfen noch einmal in einer Verfolgungsjagd, während sich die kleinen Zuschauer vor Lachen auf der Erde kringelten. Die echten Sperlinge flatterten über den Hütten und hatten es geschafft, neue Brotstückchen zu ergattern.
"Das war eine schöne Geschichte", sagte Araba. Nun hatte sie keine Angst mehr davor, das zuzugeben.
Essien lächelte. "Ja. Viel besser als alles, was die Erwachsenen gerade machen, darauf würde ich wetten."