Rating: P12 (CN: Leichter Horror)
Nach dem Prompt „Schlieffen-Fledermaus“ der Gruppe „Crikey!“
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Fledermäuse tanzten in ihrem hektischen Flug unter den Monden. Dem sandigen Boden wohnte noch ein Hauch der Tageshitze inne, als Kokob sich dem Haus näherte.
Drinnen waren alle Lichter bereits erloschen. Der Junge hatte das befürchtet. Er hatte auf dem langen Weg zum Brunnen zu viel getrödelt, nun war geschehen, wovor ihn seine Mutter jedes Mal warnte.
"Wir müssen morgens früh raus! Wenn du immer so spät kommst, ist eben irgendwann abgeschlossen!"
Kokob beschleunigte seine Schritte, vom schlechten Gewissen gepackt, und erreichte mit seiner schwappenden Last auf der Schulter keuchend die Tür.
Er rüttelte am Knauf. Verschlossen.
Leise seufzend ließ Kokob den Wasserkrug zu Boden sinken und starrte zurück in die Wildnis. Sein Herz sank, das flaue Gefühl im Magen verstärkte sich. Seine Mutter hatte tatsächlich abgeschlossen!
Würde er jetzt klopfen und alle wecken, würde er nur noch mehr Ärger kriegen. Kokob wusste, dass er es diesmal übertrieben hatte. Die vier Monde stiegen bereits höher. Natürlich war niemand mehr wach - was hatte er erwartet?
Er nahm das Wasser wieder auf und wandte sich dem Schuppen zu. Dort musste das Wasser verstaut werden, damit es sich morgen in der Sonne nicht zu sehr erhitzte. Und dort würde er auch schlafen müssen. Diese Strafe hatte er wohl verdient, aber besonders glücklich war er ebenfalls nicht.
Im Schuppen lag auch der Zugang zum Keller, einem Erdloch mit einer wackeligen Leiter, das er schon am Tag nicht zu betreten wagte. Er fröstelte, als ein kalter Wind über die Erde zwischen den beiden Gebäuden strich. Fledermäuse jagten dicht über seinem Kopf dahin.
Das Wasser musste in den Keller. Wenn er das wagte, wäre seine Mutter sicherlich ein wenig besänftigt. Dort unten würde das Wasser frisch und kühl bleiben.
Kokob musste sich nur überwinden!
Im Schuppen hing eine Laterne, die eigentlich nur dafür gedacht war, wenn man etwas Spezielles suchte und das Licht benötigte. Kokob entzündete sie trotzdem und sah dann nervös in die Dunkelheit, die sich um den Fuß der Leiter sammelte. Der Eingang war kaum größer als er, erdig und von verdorrten, feinen Graswurzeln durchsetzt. Nach einer Weile wurde die Öffnung breiter.
Langsam schob sich Kokob auf die Sprossen, die unter seinem Gewicht knarzten. Je tiefer er ging, desto intensiver wurde der Geruch der Erde. Fast eine halbe Mannslänge Erde befand sich über dem Jungen, ohne gestützt zu werden.
Kleine Spinnen und Käfer flohen vor dem Licht der Lampe. Kokob strich staubige Spinnweben zur Seite und schüttelte sich unwillkürlich. Er hatte den flachgetretenen, lehmigen Boden erreicht und konnte im schwachen Licht Kisten und Säcke erkennen. Er stellte den Wasserkrug dazwischen und wollte sich eilig nach oben wenden, als ihm aus dem Augenwinkel ein grauer Bogen auffiel.
Er drehte sich wieder um und leuchtete nach hinten. Geduckt - da der Raum recht niedrig war - schlich er unter den Wurzelenden hindurch nach hinten.
Dort erhob sich ein Stein. Ein Grabstein mit einer verwitterten Inschrift.
Seit wann war hier unten ein Grab? Auf dem Stein war der mburische Feuerring eingezeichnet, darunter sah Kokob einen Namen.
Kokob.
Die beiden Jahreszahlen darunter, Geburts- und Sterbedatum, lagen über hundert Jahre zurück. Sie bebten vor ihm, als die Hand mit der Lampe zu zittern begann. Kokobs Atem ging flach.
"W-was ...?" Er wich zurück. Sein Fuß stieß gegen etwas Hartes. Kokob schrie auf, als er stürzte und die Lampe aus seinem Griff verlor. Noch ehe sie auf der Erde aufschlug, erlosch die Lampe, ließ ihn in völliger Dunkelheit unter der Erde zurück.
Panisch krabbelte er rückwärts und stieß gegen die Leiter, die aus dem Gleichgewicht geriet und ihm in den Nacken knallte. Kokob keuchte schmerzerfüllt auf und kauerte sich zusammen.
"Kokob?" Die Stimme seiner Mutter kam herein, zusammen mit dem warmen Schimmer einer Kerze.
"Mama!" Seine Stimme bebte, er zitterte unkontrolliert.
"Du bist schon zurück? Wieso hast du denn nichts gesagt?" Von oben rückte sie die Leiter zurecht und musterte ihn besorgt, als er von Schluchzern geschüttelt nach oben krabbelte. "Du bist ja ganz dreckig!"
"Da ... da ist ..." Er sah nach unten.
Seine Mutter zog Kokob an sich und wischte ihm die Tränen ab. "Was hast du?"
"Das Grab ..."
"Ach!" Sie lachte glockenhell auf.
Kokob war so überrascht, dass er aufhörte, zu weinen.
Seine Mutter zog ihn in eine warme Umarmung. "Kokob war der Name deines Urgroßvaters, mein Kleiner. Es ist sein Grabstein. Als wir herziehen mussten, haben wir ihn mitgenommen."
Kokob atmete schluchzend auf und musste im selben Moment über sich selbst lachen. Was hatte er denn geglaubt, was der Stein zu bedeuten hatte?
"Komm, bringen wir dich ins Warme." Seine Mutter nahm seine Hand. Zusammen gingen sie zurück zum Haus. Fledermäuse jagten die Mücken, die vom Licht der Kerze angezogen wurden.
"Ich dachte, du bist sauer, weil ich so spät bin. Du sagst, dann muss ich draußen schlafen."
"Ja, damit du dich beeilst." Sie wuschelte ihm durch das Haar, zog ihn an sich und drückte ihm einen Kuss auf den Scheitel. "Das war doch nur, damit du einen Schreck bekommst."