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Nach dem Prompt „Schwarzkehl-Honiganzeiger [Tierische Geschichten mit flauschiger Freundschaft]“ der Gruppe „Crikey!“
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Die junge Neliah-Frau gähnte, als sie aus dem umzäunten Hof des Dorfes trat. Sie streckte sich. Am Zügel führte sie einen Kagarak, einen Wüstenbären, der sich im dichten Dschungel von Aziam freilich höchst fremdartig machte. Das Tier schüttelte sein sandfarbenes Fell und hob den breiten Kopf witternd in den Morgennebel. Dann gähnte er herzhaft.
"Ich weiß, geht mir ähnlich", sagte Jiruu, die junge Frau. Sie kraulte ihren Bären zwischen den Ohren. "Aber weißt du noch, wie dieser Vogel uns letztes Mal reingelegt hat?"
Der Kagarak brummte und stupste sie an.
Jiruu lachte. "Den Honig müssen wir uns erst verdienen, mein Freund. Tut mir leid."
Sie wandte ihr Gesicht dem Urwald zu, zog die Lippen zurück und stieß einen längeren, melodischen Pfiff aus. Dann lauschte sie - und wenig später antwortete ihr ein helles Tirr-tirr. Jiruu spähte in den Himmel und sah einen kleinen Vogel mit hellem Bauch und dunklem Gefieder. Sie winkte nach oben und wiederholte den Pfiff. Der Spechtvogel schwirrte einen Moment im Zickzack auf der Stelle, dann flog er davon.
Jiruu sah zum Stand der Sonne, maß mit den Fingern den Abstand der hellen Kugel von den Baumwipfeln. Dann sattelte sie den Kagarak mit einem Sattel aus Leder und rotem Stoff. Leicht grummelnd ließ der Bär das mit sich machen. Zur Entschädigung bekam er weitere Krauleinheiten.
Tirr-tirr, rief der Vogel bei seiner Rückkehr. Die weißen Schwanzfedern blitzten auf, als er vor sie flog.
"Das war schnell, mein Freund", rief Jiruu, während sie in den Bärensattel stieg. "Sicher, dass du den ganzen Weg zum Nest geflogen bist?" Sie drohte dem Vogel spielerisch mit dem Finger. "Ich merke mir das!"
Der Honiganzeiger antwortete nicht. Er flog zurück in die Richtung, aus der er soeben angekommen war, und landete nach einem Stück.
"Auf, Nalaali!" Die braunhäutige Frau gab ihrem Bären die Sporen. Dieser setzte sich brummend in Bewegung. Der Vogel ließ das Gespann auf wenige Schritt herankommen, flog dann auf und wartete ein Stück entfernt wieder.
Auf diese Weise folgten Jiruu und Nalaali dem Honiganzeiger knapp eine Stunde, vielleicht etwas länger, durch die Hitze des erwachenden Tages. Nur gelegentlicher, kühler Wind kündete vom nahen Meer, trug salzigen Geruch über die Wipfel der Bäume. Das Tirr-tirr des Vogels leitete Nalaali und ihre Reiterin durch dichtes Unterholz, über unwegsame Bergrücken und sumpfige Niederungen, bis sich der Ruf des Vogels plötzlich in aufgeregtes Trällern verwandelte und Jiruu das Summen eines Bienenstocks über sich hörte.
Der Honiganzeiger schwirrte über das Nest in der Krone eines Baumes, streng bewacht von gestreiften Soldaten, die ihre Heimat dem Vogel nicht ohne weiteres überlassen würden. Jiruu zog den Speer vom Rücken, Nalaali machte sich bereit, nach dem Treffer wegzulaufen. Die Bärin kannte die Arbeit, wie jeder der Gruppe seinen Teil und seine Beute kannte. Jiruu würde das Nest herunterholen und den wertvollen Honig ernten. Nalaali bekäme die Hälfte für ihre Arbeit, heute und in den nächsten Tagen, während Jiruu und ihre Familie mehrere Wochen mit dem Honig auskommen würden. Der Vogel würde hinterher die Insekten und Reste bekommen, an die er ohne Hilfe nicht herankam.
Die Sonne schien, der Speer flog - reiner Alltag in Aziam.