Sprache: Englisch
Titel: Untypical: How the world isn’t built for autistic people and what we should all do about it
[Untypisch: Auf welche Weise die Welt nicht für autistische Menschen gemacht ist und was wir alle deswegen tun sollten|
Autor: Pete Wharmby
Meine Altersempfehlung: ab 14
Erschienen: 2023
Cover des Taschenbuches: Weiß, Titel in schwarzen großbuchstabigen Lettern, wobei das "P" von "untypical" nach links gerichtet gedruckt ist und somit heraussticht. Der Untertitel ist in etwas kleinerer Schriftart in Regenbogenfarben gedruckt.
- bisher nur auf Englisch erschienen
- 256 Seiten
- Neupreis ca 14 Euro
CNs: Autismus, (internalisierter) Ableismus
Absolute Empfehlung; für Menschen, die Interesse am Thema haben oder neugierig sind.
Untypical ist ein Eigenbericht des Autors, gruppiert in verschiedene Themenbereiche, die teils aus eigenen Anekdoten oder Erfahrungen von anderen Menschen zusammengestellt sind. Teilweise mit Stichpunktlisten am Ende von Kapiteln, die Erfahrung(en) bündeln und noch einmal Unterschiede in der Wahrnehmung autistischer und nicht-autistischer Menschen aufgreifen oder auch an Umdenken- und empatischer Einsicht von nicht-Autist*innen appelliert.
Dieses Buch habe ich nicht vollständig gelesen, vielleicht ca 70% davon.*
Trotzdem sehr beeindruckt.
[* Ein Mensch, dem ich sehr vertraue, brauchte dieses Buch für eine Hausarbeit und ich wollte "nur mal reinsehen, weil das Cover mich anzieht" und ca vier bis fünf Stunden später hatte ich einen A4 Zettel voller Notizen und das Buch in Großteilen gelesen - und auf einmal war es frühs um 3 und nicht mehr 22 Uhr....]
Ein positiver Punkt ist für mich, dass das Buch in Themenbereiche gegliedert ist; die Kapitel sind für mich logisch nachvollziehbar geschrieben und die Schriftart ist groß genug um müde, ohne Brille, und nachts zu lesen. Die Sprache gut verständlich.
Ein interessanter obwohl irgendwie erwarteter Hauptpunkt im Buch war, dass eine Diagnose eines Menschen die Diagnostik im näheren Familienkreis mit sich zeihen sollte. In einer Idealen Welt. Denn "X ist nicht autistisch, ich mach das auch so. Das ist normal!!" ist eine scheinbar recht häufige Aussage, die ein bisschen mehr auseinander genommen erden könnte. (in Bezug auf internalisierten Ableismus, Strukturen erkennen und offen bleiben für Neurodivergenz statt Ablehnung/Ent-Validierung des Menschen, der sich einen anvertraut.)
Zitate gibt es leider keine, weil ich keine rausgeschrieben habe (nur Seitenverweise)und meine Stichpunktliste mittlerweile abhanden gekommen ist. Was mir in Erinnerung geblieben ist, dass der Autor sagte, dass Fachquellen oft von nicht-autistischen Menschen geschrieben sind, die einen neuro-typisch normativen Blick auf Menschen anwenden, die dieser Norm nicht entsprechen und damit automatisch einen defizitären Blick einnehmen statt einen differenzierenden Blick. ("Anders = falsch" statt "anders = anders")
(Ich erinnere mich noch, dass 2014-16 in dem Pädagogikinstitut, an dem ich damals studierte, die Diskussion aufkam/weitergeführt wurde, ob Autismusspektrumsstörung als geistige Behinderung einsortiert werden sollte oder nicht. Knapp zehn Jahre später: Vor einigen Wochen in einer anderen Vorlesung, mit dem Thema Psychologie/Therapie, wurde diese Diskussion noch als aktuell hervorgehoben.)
Aus dem Buch hängengeblieben sind zudem folgende Aufarbeitungen:
- das Problem mit dem Telefonieren und in social media/geschriebenen Wort in Kontakt zu bleiben. Es war das erste mal, das ich Argumente gesehen habe, die als Gründe anerkannt sind, warum mensch nicht gern telefoniert und es wurde nicht herabgesetzt. Und ja, die Überschneidung mit meinem Unwohlgefühl - das oft als Ausrede gewertet wird, oder etwas, dass ich unbedingt ändern muss - war ziemlich groß. Also für mich war es wirklich gut zu lesen, dass mein Verhalten/Gefühl mal als akzeptiert gewertet wird. Dann ist Telefonieren halt nicht für mich.
- Beeindruckend (und hilfreich) fand ich ebenfalls die Ausführungen über Emotionalität, besonders das eigene Empfinden des nicht-adäquat-reagieren-könnens, zu-viel-wahrnehmens, eigene-Emotionen-nicht-erkennen-oder-benennen-können-(und-deswegen-Ärger-kriegen), wenig Gefühl für eigene Grenzen haben (und bei Grenzsetzung Ärger kriegen).
Ich könnte die ganzen Unterkapitel, vorausgesetzt, das Buch würde noch neben mir liegen, aufschreiben und dahinter den Kommentar setzen - ach, sieh da, das ist gar nicht meine Schuld, da passen Welt und Ich nicht ganz zusammen.
- Schön und dennoch etwas traurig war, dass einer der Appelle an nicht-autistische Menschen sein musste, zu akzeptieren, dass andere Grenzen setzen. Diese nicht zu hinterfragen, verurteilen oder verschieben wollen. Dazu gehört, dass soziale Situationen Energie geben oder Energie rauben können, dass mensch Parties eher verlässt, dass mensch nicht so viel mit anderen redet auf einer Party, dass Überstimulation und Rückzug eine Sache des eigenen Wohlbefindens und Schutz vor Überforderung ist - und nicht Unhöflichkeit. (Generell das Konzept von Höflichkeit ist ... naja... teils sehr kritikwürdig.)
Ich finde es großartig, dass im Buch darauf hingewiesen wird.
Es ist fantastisch und es ist notwendig.
Und das ist traurig, dass es nicht selbstverständlich ist, die Grenzen anderer zu achten.
Nun warte ich darauf, dass das Buch ins Deutsche übersetzt wird, um es unauffällig an meinen Umkreis zu verteilen.
Zusammenfassend: Ich habe einiges wieder-erkannt, viel gelernt und noch mehr gestaunt. Zu empfehlen ist das Buch für alle, die englisch können und aus dem ein oder anderen Grund interessiert an Autismus x Umwelt sind.