Es war schrecklich warm. Die Luft stand still. Selbst die Pferde auf dem großen Köstrings-Gestüt hatten keine Lust herumzutollen. Eine junge Frau schleppte sich über den Hof. Sie stöhnte und blieb stehen. Es war so ruhig, bis auf ihren schweren Atem. Leonie Sue war gerade von der Schule gekommen. Eigentlich wohnte sie nicht auf dem Gestüt, doch der Hof war für sie wie ein zweites zu Hause geworden, vor allem, weil ihre besten Freunde hier wohnten. Jim-Leonardo und Sheona waren Zwillinge und die Kinder der Gestütsleiterin Anna-Lena. Die Mutter von Anna-Lena, von der Leonie auch ihren Namen hatte, hatte dieses Gestüt wegen Altersschwäche schon vor langer Zeit ihrer Tochter überschrieben.
Leonie holte noch einmal tief Luft, bevor sie sich hinunter in den Keller schleppte. „Da bist du ja endlich“, rief Sheona, die auf den kalten Kellerfliesen lag. Leonie tat es ihr gleich.
„Ich kann Schule echt nicht mehr sehen“, ´beschwerte eine männliche Stimme. „Dir auch ein freundliches `Hallo`“, sagte Leonie zu ihrem Cousin Gabrielo, der gerade eingetroffen war. „Das macht doch echt keinen Sinn mehr. Wir warten nur noch auf den Abschlussball und sitzen hier die Zeit ab“, beschwerte sich Gabrielo und legte sich zu den Mädchen auf den Boden. „Wo du Recht hast, hast du leider Recht“, stimmte Sheona ihm zu.Leonie schüttelte den Kopf. „Nein, er hat nicht Recht. Ich fände es noch schlimmer, wenn wir jetzt noch richtig Unterricht gemacht hätten oder was noch schlimmer wäre, unseren Abschluss noch nicht gemacht hätten und noch ein Jahr zur Schule gehen müssten.“ Die anderen beiden nickten zustimmend. „Wo ist eigentlich dein Bruder?“, fragte Gabrielo. Sheona lachte. „Er hat heute Stalldienst.“ „Weshalb?“, wollte Leonie wissen. Meisten bekamen nur die den Stalldienst aufgebrummt, die etwas ausgefressen hatten. „Naja, er sollte gestern Abend das Tor bei der Scheune zu schließen, da wir in letzter Zeit Probleme mit Jilin hatten. Und so wie Jim halt ist, hat er es natürlich vergessen, sodass Jilin die ganze Nacht draußen auf dem Hof rumgelaufen ist und die Rosen abgefressen hat“, erzählte Sheona. „So was kann echt nur ihm passieren“, meinte Gabrielo lachend. Die beiden Mädchen stimmten fröhlich mit ein. „Vielleicht sollten wir so nett sein und ihm helfen“, schlug Leonie vor. „Ja vielleicht solltet ihr das tun“, sagte Jim, der soeben die Treppe runterkam. „Hey, na wie´s aussieht hast du es super alleine hinbekommen“, meine Sheona ironisch. Alle lachten.
Ein schwarzer Lamborghini Aventador SV Roadster und ein silberner Corvette Convertible fuhren auf den Hof des Köstringsgestüts. Leonie, die Mutter von Anna-Lena und Anna-Lena selbst, warteten geduldig auf den Besuch. „Wo bleibt Daniela?“, flüsterte Anna. Leonie zuckte mit den Schultern. Genau genommen, war es Danielas Besuch. Sie hatte alles geplant, doch trotzdem hatte Leonie ihr hilfsbereit zugesagt, als Daniela, sie um Hilfe gebeten hatte. Und jetzt war sie nicht da. Ein junger Mann stieg aus dem Lamborghini, und begutachtete seine Umgebung, schließlich würde er hier ein ganzes Jahr wohnen müssen. Er rümpfte die Nase. Anna-Lena war nicht sehr verwundert darüber. Wer so ein Auto fuhr und so eine Kleidung trug, dem würde dieser Pferdegeruch nicht grade sehr gefallen. Seine Eltern lächelten. Dieses Lächeln war nicht echt, stellte Anna fest. Die Mutter umarmte Leonie. „Es ist so schön sie endlich persönlich zu treffen, Frau Köstring“, redete betont fröhlich drauf los. Auch Anna wurde umarmt. Der Vater gab beiden die Hand. „Guten Tag, wir freuen uns sehr, dass sie sich bereit sind unserem Sohn, ihr sehr schöne und ländliche Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Die Luft ist wirklich sehr sauber.“ Leonie gab den jungen Mann die Hand. „Herzlich Willkommen auf dem Gestüt.“ Nico lächelte kurz, er merkte, dass diese Aussage von Leonie von Herzen kam. „Danke.“ Leonie nickte freundlich. „Kommt gehen wir doch alle in das Haus. Daniela verspätet sich ein wenig.“ Alle folgten ihr in das im Landhausstil eingerichtetem Wohnzimmer. „Hier fühlt man sich gleich wie zu Hause, stimmt das, mein Sohn?“, fragte Herr Turrington. Leonie fiel auf, dass er „mein Sohn“ besonders betonte. „Mein Geschmack ist das wirklich nicht“, antwortete Nico ruhig. Die Mutter seufzte: „Sehen sie, er nimmt kein Blatt vor den Mund.“ Anna versuchte zu sie zu beschwichtigen: „Einem kann ja nicht immer alles Gefallen. Lieber ehrlich, als verlogen.“ Leonie freute sich über diese Aussauge von ihrer Tochter. Noch bevor jemand was sagen konnte, ertönte eine hohe, aufgedrehte Stimme. Die Oma von Leonie Sue war angekommen. Sie gab Nico die Hand. „Ich bin ja so froh darüber, dass du dich doch noch dazu entschieden hast, dir helfen zu lassen.“ Nico runzelte die Stirn: „Da muss ich aber widersprechen! Ich hatte keine andere Wahl, ihr habt das entschieden. Ich hatte kein Mitspracherecht.“ Daniela schwieg und sah die Eltern mitleidig an. „Ich verstehe sie voll und ganz. Man sieht ja sofort, womit man es hier zu tun hat.“ Herr Turrington nickte nur. Leonie tat der junge Mann leid, er wurde hier runtergemacht, obwohl er nichts Falsches gesagt hatte, vielleicht hätte man sich höflicher ausdrücken können, ansonsten fand Leonie nichts zu meckern. Anna reichte es, zum Glück konnte sie sich in die Arbeit flüchten. „Bitte entschuldigt mich, ich habe noch einiges an Arbeit zu erledigen.“ Als Frau und Herr Turrington nickten, verließ Anna das Zimmer. „Es ist schrecklich zu sehen wie sehr wir als Eltern versagt haben, wenn man so perfekt erzogene Kinder sieht. Wie haben sie das nur geschafft bei sieben Kindern? Das ist wirklich eine Meisterleistung“, bewunderte Frau Turrington die ihr gegenübersitzende Leonie. Leonie war dieses Lob ein wenig peinlich. „Danke, jedoch haben wir auch so manche Probleme und auch meine Kinder haben ihre Macken und Eigenarten. Es ist nie so perfekt wie es scheint.“ „Was man unseren Kindern jedoch nicht nehmen kann, ist das sie höflich sind und auf jeden Fall immer freundlich“, schnaubte Daniela. Leonie erschrak. Wie konnte Daniela so etwas behaupten? „Sie haben vollkommen Recht. Wir haben ihn einfach zu sehr verwöhnt. Er ist ja unser einziger Sohn.“ Leonie nickte verständnisvoll. Sie kannte viele Einzelkinder, die von ihren Eltern sehr verwöhnt wurden. Die Eltern wollten dann einfach alles richtigmachen und machten dann den überhaupt größten Fehler, den man an einem Kind machen konnte, man gab ihm alles was es wollte. „Dafür sind wir ja jetzt da“, meinte Daniela. Leonie wandte sich an Nico. „Du kannst gerne in den Keller gehen. Da sind grade meine und Danielas Enkel und Enkelinnen.“ „Sind das nicht kleine Babys?“, fragte Nico prompt. Leonie lachte, alle andern sahen ihn strafend an. „Nein, ich bin schon so alt, dass meine Enkel, so alt sind wie du.“ Nico huschte wieder ein Lächeln übers Gesicht. „Wo sind die denn?“ „Wenn du in dem Flur bis nach hinten durchgehst, die letzte Tür“, beschrieb sie ihm den Weg.
„Leonie!!! Du hast mich volle Kanne getroffen!“, beschwerte sich Sheona lauthals. „Genau das war mein Plan. Friss meine Rücklichter“, lachte Leonie. „Es hat geklopft. Seid mal leise“, sagte Gabrielo und legte seinen Controller zur Seite. „Ey, dieser schwerbehinderte sollte doch heute kommen“, meinte Sheona. „Wir sollten ihm doch alles zeigen“, sagte Jim, stand auf und öffnete die Tür. „Ich bin nicht schwerbehindert“, sagte der junge Mann, der vor der Tür stand. Sheona lief rot an. „Sie hat sich nur versprochen“, meinte Leonie-Sue. „Das will ich doch stark hoffen“, sagte er. „Ich bin Nico.“ „Ich bin Sheona, das ist mein Zwillingsbruder Jim-Leonard. Leonie-Sue, ist meine beste Freundin und der letzte ist Gabriele, unser aller Cousin“, stellte Sheona alle vor. Nicos Blick blieb an Leonie hängen. Sie war wunderschön. Sein Blick wanderte von ihren Beinen, über ihren perfekten Körper zu ihrem Gesicht. Ihre schwarzen Locken umrahmten ein ebenmäßiges Gesicht. Die tiefblauen Augen mit den sehr langen pechschwarzen Wimpern, fielen wegen ihrem dunklen Teint und den schwarzen Haaren sehr auf. Diese Augen faszinierten ihn ganz besonders. Es schien ihm, als würden diese Augen niemals Lügen oder gar böse gucken können. Leonie fühlte sich extrem unwohl. Wieso musterte er sie so?! Jim räusperte sich. Nico sah ihn sofort an, als wäre er bei etwas Verbotenem erwischt worden. „Sollen wir dir vielleicht einmal alles zeigen? Es wäre bestimmt gut, wenigstens einmal alles gesehen zu haben, um weniger planlos alles zu suchen“, schlug Gabrielo vor. Nico nickte. Warum eigentlich nicht? „Aber fangt doch mit diesem Raum an. Darf ich den auch nutzen?“ „Natürlich, jeder der zu den guten Freunden von Köstrings zählt, darf diesen Raum nutzen“, erzählte Sheona. Es schien, als würde Nico ihr gar nicht richtig zu hören. Er sah sich interessiert alle Spiele an. „Diesen Raum gibt es noch gar nicht lange. Wir haben fast ein Jahr betteln müssen, bis unser Opa auf das zu Reden von unserer Oma und unseren Eltern gehört hat und es uns erlaubt hat.“ „War klar. Immer diese ältere Generation. Die sind einfach immer der Meinung, neueste Technik ist schlecht und Böse. Es verdirbt die Jugend“, meinte Nico genervt. Jim verließ den Keller und alle folgten ihm. „Auf dem Gestüt ist sowieso, alles viel moderner geworden, seitdem die Eltern von den Zwillingen, das Gestüt leiten“, erzählte Gabrielo. „Ja das stimmt, aber so ist es einfach viel besser“, stimmte ihm Jim zu. Nico zuckte mit den Schultern. Ihm war das alles hier ziemlich egal, er wollte einfach nur dieses Jahr überstehen, um endlich studieren gehen zu können. Die Jugendlichen kamen in dem riesen großen Garten an, der von ziemlich hohen Zäunen umgeben war. „Ja klasse, eingesperrt wird man hier auch noch“, raunte Nico unwillig. „Nein! Hier auf dem Gestüt wird keiner eingesperrt. Diese Zäune sind dazu da, damit, wenn mal einer unserer Pferde ausreißen will nicht allzu weit kommt. Die meisten Pferde können über solche Höhen nicht springen“, erklärte Jim ihm. Nico runzelte die Stirn. Diese Zäune waren mindestens zwei Meter hoch. Sheona stupste ihr Freundin an. Leonie lächelte. Für ihr Pferd, war die Höhe des Zaunes ein Kinderspiel. Sie fragte sich ob Nico reiten konnte. Jedoch war sie immer noch sehr verunsichert von seiner Musterung von vorhin, sodass sie sich nicht traute zu fragen. Nico schüttelte den Kopf. Pferde waren absolut nicht das Thema was ihn interessierte. Pferde waren was für Mädchen. „Werde ich mich eigentlich um diese Viecher kümmern müssen?“, fragte er. Gabrielo zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Wir haben auf jeden Fall alle unsere kleinen Aufgaben auf dem Gestüt. Es ist ja immer noch hauptsächlich ein Familienbetrieb. Ich kann dir aber nicht sagen, ob du Aufgaben bekommen wirst oder nicht.“ Leonie war fest davon überzeugt, dass Oma Leonie, ihm Aufgaben geben würde. Diese Aufgaben stärkten das Verantwortungsbewusstsein und das würde Oma Leonie ihm ganz sicher vermitteln wollen. Nico schien nicht grade begeistert zu sein. Ihm war ebenfalls klar, dass er Aufgaben kriegen würde. Sie gingen auf den Hof. „Wo habt ihr eigentlich eure Autos?“, fragte Nico verwundert. „Wir hatten schon zu oft Unfälle mit Pferden und Autos, deshalb hat Papa, darauf bestanden, dass wir eine große Garage bauen lassen. Da stehen unsere Autos. Und wenn du magst, kannst du dein Auto auch gerne dort unterbringen“, bot Jim an. Gabrielo nickte beipflichtend. „Wollen wir dann zu den Ställen gehen?“ Nico schüttelte entschieden Kopf. Ihm reichte schon der Anblick von der großen Scheune. Er holte sein Handy raus. Jim erklärte ihm: „Das Wlan Passwort musst du bei meiner Mutter fragen.“ Nico rollte genervt mit den Augen. Hier waren wohl alle ein wenig zurückgeblieben. Wieso bitte wusste nur eine einzige Person im Haus das Wlan Passwort?! Das war einfach unglaublich. „Ich hol mir das dann mal eben“, sagte er schließlich und verschwand im Haus. „Ich mag ihn nicht“, stellte Sheona fest und hörte sich dabei an wie ein kleines Kind. „Er ist hier glaube ich ein wenig am falschen Ort gelandet“, meinte Gabrielo. „Aber sowas von. Nicos Eltern sollten ihn wieder mitnehmen“, sagte Jim. Alle sahen Leonie an. Diese schwieg. Sie verstand auch nicht so genau, warum die Eltern diesen Ort als perfekt für ihn ansahen. Aber so abgeneigt war sie ihm gegenüber gar nicht. Er hatte doch nur Fragen gestellt. Das stand ihm doch zu. Er ist ja zum ersten Mal auf dem Gestüt. Trotzdem hatte er es geschafft, sie total einzuschüchtern und zu verunsichern.
Erst am späten Abend begab Leonie Sue sich auf den nach Hause Weg. Ihre Gedanken drehten sich um Nico. Sie konnte einfach nicht seinen Blick vergessen, als er sie gemustert hatte. Das schlimmste war, das sie nicht wusste in welche Kategorie sie diesen Blick einordnen sollte. Aber was war denn an ihr, um sie so anzustarren? Sie sah an sich runter. Sie sah ihre durchtrainierten Beine und Arme an. Die waren einfach nur hässlich. Welche Frau sah schon so aus? Ihrer Meinung nach, waren Frauen die so trainiert waren, einfach nicht weiblich. Aber sie konnte nichts dafür. Das stundenlange Reiten oder trainieren der Pferde führten halt dazu. Sie schüttelte den Kopf. Sie fragte sich was seine Eltern sich dabei gedachte hatten, Nico in Obhut von Daniela zu geben. Sie kannten ihre Großeltern ja nicht. Leonie könnte weinen, wenn sie nur an die dachte. Sie schob diese Gedanken beiseite. Trotzdem verstand sie nicht, wie ihre Oma sich dazu entschlossen hatte, einen schwererziehbaren Jungen aufzunehmen. Was sie noch weniger verstand, was an Nico schwererziehbar war. Gut, er war ein wenig grob aber ansonsten? Man sollte ihm eher beibringen, dass man Mädchen nicht so musterte. Was wollte er nur von ihr? Leonie zog die Schultern zusammen und spielte mit ihren Fingern. Dieser Blick verunsicherte sie einfach.