Du bist Allyster der Sehende.
Die Entscheidung fällt dir nicht leicht. Aber nach allem, was du über die Wälder weißt, ist die Verkleidung eine bessere Option.
„Wir können gucken, ob wir einfach so was stehlen können“, schlägst du vor. Wenn möglich, wollt ihr das unnötige Blutvergießen natürlich vermeiden.
Ihr nähert euch der einsamen Hütte im Schutz des Waldes. Als ihr nur noch einen guten Bogenschuss entfernt seid, sitzt du ab.
„Die Pferde lassen wir am besten hier, damit sie uns nicht verraten.“
Karja nickt und bindet ihren Esel sofort an einen stabilen Ast.
Du beobachtest das Haus. Es gibt Bewegung dahinter, auf einem kleinen Platz zwischen der Hütte und einer Art Stall, einem länglichen Konstrukt aus morschen Brettern, dessen Dach in der Mitte stark eingesunken ist.
„Elred.“ Du gehst zu dem Elfen. „Wenn ich mit Karja da rein gehe, kannst du uns Feuerschutz geben? Ich hätte dich gerne draußen, um uns den Rücken freizuhalten.“
Der Elf nickt langsam, während er überlegt. „Ich gehe auf die Straße, dann kann ich den Innenhof und die Flanken beider Gebäude einsehen.
Gemeinsam mit der Piratin näherst du dich dann dem Hof. Ihr haltet euch auf der Stallseite, das niedrige Gebäude grenzt an den Wald. Elred bleibt zurück und wartet, bis er auf seine Position tritt, damit er euren Vorteil nicht zunichte macht.
Ihr könnt die Stimmen bereits hören. Die Sprache kannst du nicht. Sie klingt rau und grollend. Du kannst einen Mann, eine Frau und ein Kind hören. Wo die restlichen Bewohner des Hauses sind, weißt du nicht. Doch laut der Vision des Selenits fehlen noch zwei Leute.
Vorsichtig späht ihr um die Ecke des Stalles. Auf dem Innenhof stehen die Eltern mit einem Sohn, der offenbar Mist gebaut hat. Jedenfalls sieht es aus, als würden sie mit ihm schimpfen. Dabei sehen sie leider in eure Richtung, sodass sie euch bemerken werden, sobald ihr um die Ecke tretet.
Folglich lehnt ihr euch noch einmal in den Schutz der Wand. Du siehst Elred auf die Straße treten. Den Bogen gespannt in der Hand wartet der Elf auf euer Zeichen, um seine Position einzunehmen.
„Du sagtest, da sind fünf Leute“, flüstert Karja.
„Die alte Frau und der jüngere Sohn fehlen noch“, erwiderst du. „Doch die sind die kleinere Gefahr.“ Die anderen drei Personen sehen genauso aus wie in deiner Vision. Sie haben helle, gegerbte Haut und blondes Haar, der Mann einen kurzen Bart, die Frau lange, unordentliche Zöpfe. Auch ihre Kleidung hast du wiedererkannt.
Also hast du keinen Grund, an der Vision zu zweifeln.
Du rufst die Magie und erschaffst eine Feuerkugel. Karja zieht ihren Säbel. Du nickst ihr zu, dann springt ihr um die Ecke und stürmt auf die Bewohner des Hauses zu.
Die Eltern sehen euch sofort und reißen die Augen auf. Während die Mutter eine Axt zückt, die Arthrax‘ Waffe in Nichts nachsteht, zieht der Vater seinen Sohn hinter sich. Die Frau stößt einen hohen Schrei aus, vermutlich, um den Rest des Haushalts zu warnen.
Der Streit ist sofort vergessen und die schneller Reaktion beweist dir, dass die Bauern hier durchaus zu kämpfen wissen.
Du schleuderst deine Flammen auf die Kriegerin, die dir gefährlicher erscheint. Sie reißt einen Schild aus Hirschhaut hoch, den sie offenbar die ganze Zeit auf dem Rücken getragen hatte. Karja eilt an dir vorbei und du trittst in den Schatten des Stalls. Hier hast du eine Wand im Rücken, bis nicht in Elreds Schussfeld und kannst die Familie flankieren, was bedeutet, dass deine Feuerbälle auch Karja nicht so gefährlich werden. Während diese mit dem Säbel den Axthieb der Frau abfängt, hüllst du ihren Mann und Sohn in Flammen. Die Schreie der beiden lassen die Schildmaid aufheulend herumwirbeln. Karja nutzt die Chance, um ihr Entermesser im Rücken der Frau zu versenken.
Ein Geräusch lässt dich herumwirbeln. Du siehst den anderen, jüngeren Sohn hinter dir. Er hält einen Speer in der Hand und kam offenbar aus dem Wohnhaus heraus. Beinahe hätte er dich erwischt – doch Elred war schneller.
Du spuckst aus, als das Kind auf die Knie fällt. Der Junge war definitiv zu jung, um so zu sterben.
Doch ihr könnt nicht innehalten. Du vergewisserst dich, dass Karja nur noch Sterbende vor sich hat, die ihr nicht mehr gefährlich werden können, dann eilst du ins Wohnhaus. Dort entdeckst du die alte Frau, die in einem Schaukelstuhl am Fenster sitzt. Dass sie Zeugin eines mehrfachen Mordes geworden ist, sieht man ihr nicht an. Mit ruhigem Blick erwartet sie dich.
Was sie in ihrem Leben alles gesehen hat? Jedenfalls weiß sie, dass sie weder betteln noch fliehen kann. Du ziehst ein Messer – das hattest du dir vorher von Elred geliehen – und schneidest ihr die Kehle durch.
Die alte Frau wehrt sich nicht. Ihr Blick ist abgeklärt und du wirfst ihr noch einen entschuldigenden Blick zu. Es war nichts Persönliches. Und du bewunderst ihren Mut.
Draußen hat Karja die anderen Familienmitglieder getötet und beginnt bereits damit, sie in den Stall zu ziehen. Hier halten die Bauern einige magere Ziegen. Du schulterst die Leiche der knochigen Alten und trägst auch sie zu ihrer Familie. Dann durchsucht ihr das Haus.
Allerdings gibt es ein Problem. Ihr findet nur wenig Kleidung. Im Schrank befinden sich nur fünf Outfits, zwei davon in Kindergröße, zwei für Frauen.
„Wir brauchen zwei Sets für Männer“, sagt Karja. „Ihr könnt nicht in einem Rock herumspazieren, das würde uns sofort auffliegen lassen!“
Leider waren eure Opfer so arm, dass sie offenbar nur noch ein gutes Set im Schrank hängen hatten.
Du seufzt. „Sagt bloß, das war auch noch alles umsonst!“
Karja schüttelt den Kopf und sieht dich und Elred vielsagend an. „Einer von euch muss die Kleidung nehmen, die der Mann getragen hat.“
„Scheiße.“ Die Kleidung ist zum Glück nicht verbrannt – du hattest auf die Köpfe gezielt, um es schnell zu machen – aber voller Blut, nachdem Karja dem Mann zur Sicherheit noch die Kehle durchgeschnitten hat.
„Das können wir waschen“, sagt die Piratin ernst. „Aber das wird uns kostbare Zeit kosten.“
„Wir haben keine Wahl“, antwortest du. „Und dann können wir die Zeit auch nutzen und die Leichen verscharren.“
Das wird erstens eure Spuren verwischen, es wäre dir aber auch lieber, der Familie immerhin ein Begräbnis zukommen zu lassen. Also beginnen Elred und Karja damit, hinter dem Stall, am Waldrand, eine Grube auszuheben, während du den Familienvater entkleidest und einen Bottich und Waschbrett holst, um die Pelze zu waschen. Diese Arbeit übernimmst du nur, weil Elred und Karja beide kräftiger sind als du. Bei der Grube wärst du sonst nutzlos.
So stehst du alleine in dem einzigen Raum des Hauses, als du durch das Fenster Bewegung bemerkst. Eine Gruppe Wikinger kommt über die Straße in eure Richtung. Dass sie zum Haus wollen, ist klar – sonst gibt es in diesem Teil des Tals ja nichts. Es sind bestimmt vier Dutzend, fünfzig Mann. Erschrocken zerrst du die Pelze aus dem Bottich und eilst mit deiner triefenden Last nach hinten.
„Es gibt Ärger!“, rufst du Elred und Karja zu, die fragend aufsehen.
Atemlos berichtest du ihnen von dem nahenden Trupp.
„Können sie uns gehört haben?“, fragt Elred. „Haben wir etwas übersehen?“
Karja drängt sich an euch vorbei und späht zur Straße. Du wringst solange die Pelze aus. Die Kleidung ist immerhin sauber, wenn auch noch etwas nass. Das Grab ist außerdem inzwischen mit etwas Erde bedeckt, also beinahe fertig.
„Das sind Steuereintreiber“, erklärt Karja nach einem kurzen Blick. „Was für ein Glück wir doch haben!“
„Woran siehst du das?“, fragt Elred.
„Die Runen, die sie tragen. Das ist das Zeichen des Schatzmeisters.“ Karja atmet tief durch. „Steuereintreiber kommen einmal im Jahr, genau wie überall sonst. Wir haben wirklich außerordentliches Pech."
„Was sollen wir tun?“ Du siehst die Piratin abwartend an.
„Nun, wir könnten mit ihnen reden und versuchen, die Abgaben zu leisten. Ist ja nicht unsere Ernte, die sie wollen.“
„Können wir denn mit ihnen sprechen?“
„Oh, in Flutheim gibt es so viele verschiedene Zungen und Dialekte, dass fast jede Familie eine andere Sprache spricht. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass sie die Gemeinsprache für alle offiziellen Anlässe nutzen.“ Karja lächelt. „Das wäre nicht das Problem. Die Frage ist, ob wir zahlen können. Denn falls nicht, werden wir versklavt.“
Du siehst dich um. Ob die Bauern die Abgaben irgendwo haben? Sicherlich könnt ihr notfalls mit einigen Ziegen zahlen … oder?
„Welche andere Chance haben wir?“, fragst du.
„Fliehen“, antwortet Elred sofort. „Und zwar, bevor sie hier sind.“ Die Gruppe ist dem Hof nämlich sehr nah.
„Oder wir kämpfen“, überlegt Karja. „Wenn du noch ein paar Feuerbälle auf Lager hast, könnte das klappen. Wir warten, bis sie im Hof sind, zünden alles an und töten jeden, der noch ausbrechen kann.“
Gegen so eine große Gruppe zu kämpfen, könnte schwierig werden. Aber mit dem Feuer auf eurer Seite könnte es klappen.
Du siehst wieder zur Straße. Euch bleibt nicht viel Zeit, um eure Wahl zu treffen.
Wie fällt sie aus?
- Du willst fliehen. Lies weiter in Kapitel 8.
[https://belletristica.com/de/chapters/343385/edit]
- Du willst kämpfen. Lies weiter in Kapitel 9.
[https://belletristica.com/de/chapters/343386/edit]
- Du willst reden. Lies weiter in Kapitel 10.