MONA
„Und? Kommst du am Samstag mit?“ fragt mich Esther, meine Kollegin.
„Nein. Ich habe doch das Klassentreffen ab dem frühen Abend “ erinnere ich sie.
„Ach ja, stimmt ja. Und – freust du dich schon?“
„Natürlich.“ Ich grinse bei der Vorstellung. „Und diesmal liege ich nicht mit Grippe im Bett.“
„Das hätte mich auch geärgert“ zeigt sie Verständnis. „So oft trefft ihr euch ja auch nicht. Das ist jetzt das dritte Treffen, oder?“
„Ist es“. Das letzte war vor 10 Jahren. Mich wundert es noch immer, dass sich zwei meiner ehemaligen Klassenkameraden erbarmt haben, das alles nach so langer Zeit zu organisieren. Auch wenn es relativ einfach gehalten ist – wir treffen uns zum Grillen und außer ein gemeinsames Buffet von Salaten oder anderen Essbaren bringt jeder sein Zeug selbst mit. Aber die Leute ausfindig zu machen und altmodisch per Post anzuschreiben, war sicher noch genug Arbeit. Im Zuge von wechselnden Nachnamen und Handynummern statt Festnetz sicher nicht die einfachste Arbeit. Nicht jeder ist schließlich auf Facebook.
„Du musst mir unbedingt nächste Woche davon erzählen, hörst du?“
„Ja, klar, mach ich.“ Sie wird mich eh löchern, bis sie etwas erfahren hat.
Bis es soweit ist, habe eh noch eine Menge zu tun. Unter anderem muss ich meiner Mutter mit einem Computerproblem helfen. Irgendein Anhang lässt sich nicht öffnen, es fehlt scheinbar eine Verknüpfung. An sich kein so schwieriges Problem, aber ich konnte über Telefon nicht erfahren, um was für einen Dateityp es sich handelt. Manchmal können Mütter schon nerven.
Trotzdem bin ich auch sehr stolz auf sie. Sie hat sich vom tragischen Unfalltod meines Vaters vor einigen Jahren nicht unterkriegen lassen und macht nun viel mit ihren Freundinnen.
„Ich lasse dir eh keine Ruhe, aber du kennst mich ja“, grinst mich Esther frech an und unterbricht meine Gedanken. „Du musst mir alles erzählen, insbesondere möchte ich alles über die dort anwesenden schnuckeligen Männer erfahren.“
„Esther! Das ist ein Klassentreffen! Davon abgesehen, sind wir alle so um die Mitte Dreißig.“
„Ich mag reifere Männer, die sind sehr attraktiv“, grinst sie frech.
Meine Kollegin hat oft wechselnde Liebschaften. Sie ist auch einiges jünger als ich. Ich gönne es ihr. Wir sind ansonsten recht unterschiedlich, was unser Privatleben betrifft, arbeiten aber gut zusammen.
Manchmal tun mir ihre männlichen Protagonisten fast leid. Ich muss nicht fragen, wer bei ihren Kontakten die Hosen an hat. Und Esther hat auch keine Probleme, ihrem Partner den Laufpass zu geben, wenn ihr etwas gegen den Strich geht. Den Mann, der ihr gewachsen Ist, hat sie offensichtlich noch nicht gefunden.
Bisweilen denke ich, dass mehr dahintersteckt. Wir alle haben unsere Erfahrungen gemacht, die uns prägen und unser Verhalten beeinflussen.
Natürlich könnte ich sie fragen, aber dazu sind wir uns nicht nahe genug. Wir verstehen uns gut, sind auf der Arbeit ein eingespieltes Team und sicher mehr als „nur“ Kolleginnen. Trotzdem sind wir weit davon entfernt das füreinander zu sein, was man gemeinhin als „Freundinnen“ bezeichnet.
„Ich habe die meisten seit unserem letzten Treffen nicht gesehen, das sind für mich über zehn Jahre. Viele werden mittlerweile verheiratet sein, inklusive der Männer.“
„Oder bereits wieder geschieden“, überlegt sie. „Auf jeden Fall möchte ich am Montag einen Bericht.“
„Ja, kriegst du!“, gebe ich nach und möchte noch etwas hinzufügen, als mein Telefon klingelt. Entschuldigend werfe ich ihr einen Blick zu und greife zum Hörer.
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ARON
„Und bekommst du das hin?“ frage ich meinen Bruder.
„Sicher,“ antwortet er mit seinem typischen Larsgrinsen.
„Du weißt, dass der Auftrag wichtig ist. Verdirb es nicht!“ Ich kenne meinen Bruder. Es wäre nicht das erste Mal, dass er einen Kunden durch seine forsche Art vergrault.
Ich muss aber zugeben, dass er sich gebessert hat.
„Ich werde mich benehmen. Du kannst in aller Ruhe zu deinem Klassentreffen fahren. Versprochen!“ Er ist nun ernst geworden. „Genieße es. Du hast in letzter Zeit genug gearbeitet.“
Ich blicke mich in seinem Büro um. Wie immer herrscht das kreative Chaos. Etwas mitleidig betrachte ich seine zwei Pflanzen, die auf der Fensterbank stehen und die Blätter hängen lassen. Lediglich seine zwei Kakteen scheinen sich wohl zu fühlen.
Auf der linken Seite seines Schreibtisches stapeln sich diverse Schreiben uns sonstige Blätter. Colaflaschen, Sprudelkisten und Tetrapacks stehen übereinandergestellt neben der Türe. Im offenen Schrank liegen ungelesene Fachmagazine und überzähliges Büromaterial herum. Andere Hefte stapeln sich an drei Stellen auf dem Boden.
Sein anderer Schrank ist derzeit verschlossen. Ich weiß auch so, was sich dahinter verbirgt- die obere Reihe schön ordentlich aufgeräumt mit beschriften Ordnern – die Unterlagen hatte ich damals angelegt – und darunter ein Durcheinander von beschrifteten und halb beschrifteten Leitzordnern, teils übervoll, teils leer oder nur zur Hälfte gefüllt.
Wie er sich darin zurechtfindet, ist mir ein Rätsel. Aber suche ich irgendetwas, braucht er meist nur einen Augenblick, maximal zehn Minuten, um das Gewünschte zu finden. Also muss es doch irgendeine Art von System in seinem Chaos geben, das sich mir nicht erschließt. Und unsere gemeinsame Firma wäre ohne ihn und seine guten Ideen nicht halb so erfolgreich.
Ja, ich verstehe mich wirklich gut mit Lars. Und da kann ich auch über sein sehr „individuelles“ Büro hinwegsehen.
Mein Bruder ist schon etwas speziell. Vor allem da er auch eine andere Seite hat, die sehr penibel auf Sauberkeit, Hygiene und – im Gegensatz zu hier – Ordnung achtet.
„Keine Sorge. Ich empfange Herrn Schmidt in deinem Büro“ versucht er mich zu beruhigen. Er hat also bemerkt, wie ich den Raum gemustert habe. „Und nein, ich werde nichts durcheinanderbringen und alles so hinterlassen, wie ich es vorgefunden habe.“ Obwohl ich weiß, dass er es ernst meint, kann er sich einen leichten Spott in seiner Stimme nicht verkneifen.
„Das hoffe ich doch“, antworte ich ruhig zurück und schaue ihm direkt in die Augen. „Ich verlasse mich da ganz auf dich“.
Mein Bruder grinst. „Du weißt, wenn es darauf ankommt, kann ich mich auch zusammennehmen.“
„Bisweilen ja“, ziehe ich ihn auf. „Ich hoffe, das klappt bei dem Theaterbesuch nächste Woche auch.“
Lars verzieht das Gesicht. „Äußerst ungern. Kannst du nicht jemand anderen für mich finden? Das Stück interessiert mich nun wirklich nicht.“
Ich verkneife mir, ihn nun seinerseits aufzuziehen. Ja, das kann ich mir denken. Er interessiert sich nicht für Musicals. Wobei der „Glöckner von Notre Dame“ durchaus interessant werden könnte, zumindest ist es eine etwas düstere und tragische Geschichte.
Allerdings kommt mein Bruder nicht so einfach aus dieser Geschichte raus. „Unser Geschäftspartner hat uns die Karten spendiert. Es wäre unhöflich, einfach nicht zu kommen, zumal er neben uns sitzt. Er wäre sicher verärgert und das spricht sich rum“, gebe ich zu bedenken.
Lars schaut grimmig. „Ich könnte krank werden was meinst du?“ Seine Augen funkeln und er wirkt entschlossen.
Aha, der Master zeigt sich. Zumindest ein wenig. Vielleicht sollte ich ihm eine Sub organisieren, damit er sich ein wenig ablenken kann. Egal, wie abweisend er reagiert hat, wenn erst einmal eine Frau da wäre…
Unwillkürlich muss ich nun doch lächeln, während ich mir einige entsprechende Bilder vorstelle…
Ich konzentriere mich wieder auf ihn. „Alleine kann ich nicht hingehen. Ich brauche eine Begleitung!“
„Shit“ knurrt er.
Ich bin mittlerweile neben ihm getreten und klopfe ihn freundlich auf die Schulter. Ich weiß, dass er mich nicht im Stich lassen wird. Wir beide wissen, was wichtig für die Firma ist.
„Das wird schon.“
Lars funkelt mich an. „Ich halte hier für dich die Stellung, damit du zu eurem Klassentreffen kannst. Wie wäre es, wenn du dich dafür nach einem passenden Ersatz für mich umsehen würdest?“
„Ich kann nichts versprechen, aber ich werde daran denken“, verspreche ich. Insgeheim halte ich es aber für unwahrscheinlich, einen geeigneten Kandidaten – oder eine Kandidatin – zu finden.
Aber das behalte ich besser für mich.
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LARS
Da geht er hin, mein Bruder.
Ein wenig beneide ich ihn. Unsere Klasse hat es nie geschafft, ein Treffen zu organisieren. Ich hoffe nur, er findet jemanden für das Musical. Mich nervt diese Art von Musik. Wenn eine Frau unter mir liegt und stöhnt, das ist eine wahre Wohltat der Sinne – nicht irgendein Hampelmann, der zwischen Kirchenglocken herumspringt und ein Liedchen trällert.
Aber wenn es blöd läuft, muss ich in diesen sauren Apfel beißen. Im Prinzip können wir beide zufrieden sein. Unsere Firma läuft gut und wir haben Spaß bei der Arbeit- was will man mehr?
Ich überlege oft, wer von uns diese Idee gehabt hatte. Oder waren wir es beide gewesen?
Auf jeden Fall lief unsere Geschäftsidee gut an und das gilt bis heute. Wir beraten mittelständige und große Firmen in allen Dingen rund um die Sicherheit ihrer Systeme. Manchmal versuchen wir auch nach vorheriger Absprache in ihr System einzudringen. Ich bin diesbezüglich sehr kreativ und wäre wohl auch auf der anderen Seite sehr erfolgreich gewesen.
Aber es ist ja auch beruhigend, wenn man zu den Guten gehört.
Das interne Computernetz, die Anbindung nach draußen, Firewalls, Mitarbeiterzugriffe usw. nach Schwachstellen zu prüfen ist mitunter doch recht zeitintensiv und kostet den Firmen mitunter auch eine große Stange Geld. Je nachdem, wie gründlich wir eben alles prüfen sollen. Insbesondere bei großen Firmen muss man sich erst in die Firmenstruktur einarbeiten, wissen wo sich was befindet und wo was abgelegt wird, virtuell und physisch. Wir überprüfen nämlich meist auch die Gebäudesicherheit mit. Der beste konfigurierte Firewall nützt ja bekanntlich nichts, wenn jeder in das Büro reinmarschieren kann und das PC Passwort mit Post-it auf dem Bildschirm klebt. Ja, man muss sich manchmal schon wundern. Wir haben diesbezüglich schon einiges erlebt.
Daher freue ich mich sogar ein wenig auf das Gespräch mit Herrn Schmidt. Der alte Seniorchef ist ganz in Ordnung und lässt sich relativ leicht überzeugen. Wir bemühen uns, den Leuten nichts Unnötiges aufzuschwatzen und das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Das einzige Problem ist, dass es sich hier um einen Herren alten Schlags handelt – ich sollte daher Kraftausdrücke vermeiden, die kann er gar nicht leiden.
Aber wie ich meinem Bruder schon sagte – wenn es darauf ankommt, kann ich mich zusammennehmen. Und mich anständig benehmen, mich zurücknehmen, höflich sein.
Ich weiß, dass ich es kann.
Ob ich es gerne mache, steht auf einem ganz anderen Blatt.
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DORIAN …. 2 Tage später
Manchmal ist es echt gut, dass ich und mein Bruder nicht mehr zusammenwohnen. Er braucht nicht zu wissen, dass ich damals nach unserer unseligen Aufräumaktion alle meine Dom- Kisten ausgepackt und alles nach einer kompletten Durchsicht wieder zurück in die Kartons gesteckt hatte. Nun liegen sie alle oben auf meinem Dachboden. Insofern stellt sich mir die Frage, was das jetzt gebracht hat.
Aber das ist noch nicht alles. Mein Bruder würde mich auslachen, wenn er wüsste, was ich heute Abend ausprobiert habe.
Ich habe doch tatsächlich noch diese Kondome gefunden. Diese Spezialanfertigung von meinem Kumpel im BDSM- Club. Oh Mann, das ist alles solange her. Was Klaus jetzt wohl macht?
Ich kann mich noch gut an ihn und seinen Latexfetisch erinnern. Ganz schön praktisch, wenn man dann noch in einer Firma arbeitet, die unter anderem Latex herstellt. Er ist so immer in seinem Reich.
Von ihm hatte ich ja damals die Maske, die Stiefel, ein paar Handschuhe und eben diese Kondome erhalten. Alle genau aus der gleichen Farbe, dieses leuchtende Rot. Ja, die Mädels sind immer schier durchgedreht bei diesem Outfit – wenn sie auf dem Bett gefesselt lagen, und ich mich über sie beugte, nackig bis auf die Maske, Handschuhe, Stiefel und meinem knallroten Schaft. Das war schon ein erregender Anblick für sie. Und für mich nicht weniger, wenn sie verzweifelt versuchten, ihrem Meister zu entkommen und an den Fesseln zerrten. Naja, in Wirklichkeit wollten sie es wohl auch nicht anders.
Und eben heute habe ich es ausprobiert. Einen der Gummis ausgepackt und testweise daran gezogen, um zu prüfen, wie spröde sie schon sind. Da ich keine Fehler gefunden hatte, habe ich Wasser in die Kondome gefüllt und geprüft, wie dicht sie noch sind.
Ha! Ich kam mir vor wie ein kleiner Junge, der etwas Verbotenes tut. Und hatte einen riesigen Spaß dabei.
Das Ergebnis dieses Experiments hat mich überrascht und ich habe es gleich an fünf Kondomen ausprobiert: sie scheinen alle noch in Ordnung zu sein. Ich konnte auch keine Materialermüdung feststellen.
Der Junge in mir hatte einen Moment überlegt, die gefüllten Kondome zu verknoten und in den Garten der alten, immer schlecht gelaunten Oma zu werfen. Aber ich habe mich dann doch dagegen entschieden.
Ob sie tatsächlich noch für den Geschlechtsverkehr geeignet wären? Gewisse Zweifel habe ich immer noch. Zur Verhütung wären sie wohl nicht hundertprozentig zu gebrauchen. Wenn ich sie überziehe wäre es dann mehr wegen der Optik. Ich habe mich immer gefragt wie Klaus es damals geschafft hatte, solche Kondome zu basteln, die so dünn und gleichzeitig so farbintensiv sind.
Vielleicht sollte ich ihn mal wieder anrufen. Seine Telefonnummer habe ich noch.
Bevor ich aber mein Handy hole, habe ich noch etwas anderes vor. Vor mir liegt mein Masteroutfit von damals. Also eines davon. Inklusive Maske.
Noch stehe ich nackig davor, rechts von mir der große Wohnzimmerspiegelschrank.
Ich möchte einfach wissen, ob mir alles noch passt.
Und ob, wenn ich mich dann vollständig umgezogen im Spiegel betrachte, die Wirkung immer noch die gleiche ist wie damals vor fünf Jahren.