Die nächsten Tage vergingen weitgehend schleppend. Scarletts Tagesablauf wiederholte sich wieder und wieder, während sie nur bedingt mit Darwin interagierte. Entweder war er gar nicht anzutreffen oder er war gerade im Aufbruch, um irgendwohin zu gehen. Doch das kam Scarlett nur recht. Sie hatte ohnehin einen Haufen an Wissen zu lernen, um solche Unfälle wie mit Ray zu vermeiden.
So saß sie auch jetzt im Esszimmer des Hauses, welches sie schon seit drei Tagen nicht verlassen hatte und ließ sich von West gerade das Mittagessen servieren, während sie die Unterlagen durchging.
Darwin hatte nicht unbedingt viele Freunde, aber dafür sehr viele Informationen über die Freunde, die er hatte. Genauso wie über seine Familie. Eine wirklich interessante, aber vor allem komplizierte Familie.
Wie beispielsweise, dass seine Mutter in Kreisen des britischen Königshauses aufgewachsen war und Prinzessin Diana nicht nur verehrte, sondern auch gekannt hatte. Zumindest waren sie nicht verwandt wie sie beim ersten Mal gedacht hatte. Doch wenn sie schon einen Platz in dieser Mappe fand, musste sie der Mutter wirklich viel bedeuten.
Neben den normalen Dingen musste sie aber auch wissen, was sie in der Nähe von Darwins Eltern besser lassen sollte und was erwünscht war. Schlimm war es, wenn es sich bei beiden widersprach. Meist war es eine sehr schmale Gradwanderung von dem, was der eine Partner duldete und der andere mochte.
Dazu kam noch ein Bruder und eine Schwester, die natürlich in der Mappe nicht fehlen durften und deren Einträge nicht viel kleiner waren, als die der Eltern.
Sie schienen alle sehr anspruchsvoll und hatten einen hohen Stellenwert was die Wissenschaft und Forschung anging. Kein Wunder bei einer Pharmaindustrie die über Generationen in der Familie von Darwins Vater war.
Außerdem hatte auch Darwin sehr viel Ahnung, auch wenn sie ihm das nicht wirklich zugetraut hatte. Ging man nach den Medien war er einfach nur ein Playboy und wenn sie nach dem ging, was sie an ihm kennengelernt hatte, war er ein charmantes Arschloch. Aber sie hätte nicht mit einem abgeschlossenen Studium gerechnet. Kein Wunder, dass es ihr vorkam, als würde er auf sie hinabblicken. Mit dem Wissen konnte er es sich wohl auch leisten.
Noch dazu hatte er einige angefangene Studien und noch dazu eine Schulauflaufbahn mit den besten Schulen des Landes genossen. Ihr war bereits bewusste gewesen, dass er mit dem Stand zu einer Art Elite gehörte, doch dass es in eine solche Richtung ging war nicht zu erwarten. Immerhin bediente er sich nicht dem Fachjargon, das er nach seiner Laufbahn hätte haben sollen. Stattdessen war er regelrecht vulgär, direkt und unzensiert.
Auf den ersten Blick also die Art Mann, mit der sich Scarlett sonst nur für eine Nacht zusammentat, um ein wenig Spaß zu haben. Wenn überhaupt. Aber Darwin war viel mehr, als er zeigen wollte. Nur fragte sie sich, wie sie es schaffen konnte, das zu sein, was er brauchte. Warum hatte er ein Escort-Girl und keine Schauspielerin dafür bestellt? Weil Schauspieler zu bekannt waren?
Scarlett stöhnte leise und rieb sich den schmerzenden Kopf. Das war einfach viel zu viel Input.
„Wünscht Madame noch etwas zu trinken?", fragte West, als er die Bewegung bemerkte und schielte verdächtig zu dem unangerührten Gericht vor ihr.
„Nur mit Aspirin", murmelte sie, weil sie von den ganzen Dingen, die sie sich merken sollte, Kopfschmerzen bekam. Es wurde Zeit, dass sie eine kleine Pause einlegte und vielleicht etwas aß. Auch wenn sich der Hunger in den letzten Tagen nicht so richtig einstellen wollte.
Die Gerichte waren gut, das stand außer Frage, aber sie brauchte Gesellschaft und fühlte sich allein, was auf ihren Magen und vor allem auf ihr Gemüt schlug. Sie vermisste Marian und irgendwie sogar Darwin, denn den hatte sie kaum gesehen. Für Scarlett war es in Ordnung manchmal allein zu sein, doch viel lieber bevorzugte sie es Menschen um sich herum zu haben, mit denen sie reden konnte.
Womöglich war es auch langsam an der Zeit sich wieder bei Marian zu melden. Sie hatten einige wenige Nachrichten schriftlich ausgetauscht, doch die Angst davor Marian würde ihr etwas anmerken war zu groß. Sie wusste einfach genau, wenn etwas vorgefallen war, auch wenn Scarlett selbst nichts sagte. Dafür kannten sie sich einfach zu lange. Sie würde sofort merken, dass etwas mit Darwin gelaufen war. Immerhin fragte sie noch immer nach Bildern und Namen. Obwohl Namen immer anonym waren bei den Aufträgen, war Marian dahingehend im Grunde eine Kollegin und somit in einer unbestimmbaren Grauzone.
Trotzdem wusste Scarlett nicht, wie lange sie gegen die Fragen von Marian ankam, bevor sie etwas sagen würde und das gefiel ihr nicht. Auch wenn Scarlett es nicht gerne zugab, war sie doch jemand, der zumindest ein klein wenig Kontrolle brauchte und es nicht gutheißen konnte, wenn man ihr diese auf die Art nahm, wie es Marian zu tun pflegte. Aber vielleicht war diese Kontrolle auch nur Einbildung, denn irgendwie entzog sich der ganze Auftrag ihrer Kontrolle. Vor allem die Sache mit Darwin.
Scarlett seufzte erneut. „Wird Darwin heute wieder den ganzen Tag weg sein?", fragte sie an West gewandt, denn ihr war langweilig.
„Er sagte es, doch im Rückblick der letzten Tage, kann ich aus Erfahrungswerten heraus sagen, nein", erklärte West in seiner üblich nüchternen Art.
Scarlett runzelte irritiert die Stirn. Was meinte er denn damit? Im Rückblick auf die letzten Tage? Was sollte das denn heißen? „Das verstehe ich nicht", meinte sie und rieb sich weiterhin ein wenig die Schläfen, während sie sich bewusst wurde, dass da noch Essen vor ihr stand, an das sie sich nun langsam ran wagte.
„Mister Christensen neigt dazu mehrere Tage hintereinander ununterbrochen auszugehen und ‚Das Leben zu genießen'. Doch nach dem dritten Tag nimmt das meist ab, und er bleibt für eine gewisse Zeit-Periode wieder zu Hause", erklärte West langsam und schenkte Scarlett sorgfältig ein Glas Orangensaft ein.
„Danke", murmelte diese und meinte damit sowohl das Glas, als auch die Erklärung. Er war also wieder feiern. Das hätte sie sich denken können. „Irgendwie klingt das traurig", meinte sie schließlich nachdenklich und betrachtete das Glas. Für sie hörte es sich ein wenig danach an, als würde er irgendetwas suchen, es aber nicht finden. Aber vielleicht bildete sie sich das nur ein. Es stand ihr auch nicht zu über ihn zu urteilen. Immerhin kannte sie ihn nicht gut genug. Vielleicht machte er das wirklich nur, weil es seine Art war das Leben zu genießen, wie West sagte.
Immerhin kannte dieser ihn schon länger als sie es sich vermutlich vorstellen konnte.
Scarlett nahm einen Schluck Orangensaft, bevor sie begann zu essen. Alles war leise und das störte sie schon seit einer Weile. Sie hoffte wirklich, dass Darwin bald wiederkam.
„Wünschen Sie, dass ich Mister Christensen anrufe?", fragte er nun und stellte sich wieder an den Rand des Raumes, um nicht zu stören.
„Nein, das ist nicht nötig, ich bin nur nicht gerne allein. Nichts gegen Sie, aber ich bevorzuge gesprächigere Personen", erklärte Scarlett und versuchte es herunter zu spielen. Vielleicht sollte sie dann einfach eine Runde im Pool schwimmen, um sich zu erschöpfen und dann zeitig ins Bett gehen. Da Darwin sowieso nicht da war, musste sie sich auch nicht zu sehr über ihren Bikini schämen.
„Wie Sie wünschen. Ich schätze, dass Mister Christensen zum Dinner zurück sein wird und Ihre neue Garderobe sollte in ungefähr einer Stunde hier ankommen", erklärte West und schien zum Glück nicht verletzt über Scarletts Aussage. Er schien jedoch allgemein nicht der emotionale Typ zu sein.
„Neue Garderobe?", murmelte Scarlett ein wenig überrascht, denn daran hatte sie überhaupt nicht mehr gedacht. Wenn sie sich recht erinnerte war irgendwann jemand da gewesen, der ihre Maße aufgenommen hatte. Allerdings hatte sie nicht mehr ganz in Erinnerung, was dieser genau gesagt hatte.
Irgendwas über Einkäufe und Mode. Darwin hatte immerhin bereits bei ihrem ersten Treffen angedeutet, sie würde ohnehin nicht die passende Kleidung besitzen, weswegen er ihr neue besorgen würde.
Dennoch hatte Scarlett irgendwie nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde. Sie war davon ausgegangen, dass sie sich einige Kleider würde kaufen müssen, doch dass er ihr gleich eine ganze Garderobe besorgte, war eigenartig.
Womöglich tat er das hier auch nicht zum ersten Mal? Es wirkte zwar durchaus als wäre es für ihn ebenso Neuland wie für sie, doch ob das stimmte konnte sie sich nicht sicher sein.
Obwohl sie nicht glaubte, dass er bereits jemanden angeheuert hatte, um seine Eltern hinters Licht zu führen. Aber vielleicht hatte er schon andere Escorts angeheuert, damit diese ihn auf Feiern begleiteten, oder ähnliches. Das konnte durchaus sein.
Scarlett streckte sich ein wenig und erhob sich dann. „Ich werde jetzt eine Pause machen", verkündete sie. Das Wetter war schön und vielleicht konnte sie eine Runde im Pool schwimmen, oder sich einfach nur in die Sonne legen.
Noch dazu würde Darwin wohl erst später kommen, wie sie dachte, wodurch sie ihre Ruhe hätte.
Obwohl das eigentlich nicht das war, was sie gebrauchen konnte. Sie hatte zu viel Ruhe gehabt, die letzten Tage.
Schon fast gelangweilt legte sich Scarlett auf eine der Liegen und schloss die Augen. Es war so schön warm, dass sie gar nicht bemerkte, wie sie langsam weg döste.
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