nachgeschrieben am 11.07.2020
Welt von Elensar - Genre: Romantik, Fantasy
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Mit leichtem Klopfen der schlanken Finger gegen den samtenen Stoff befreite Mari das Kleid vom Staub der Zeit, der auf ihm zur Ruhe gekommen war.
So viele Jahre war es her, dass sie dieses Gewand aus dunkelgrünem Samt und weißer Spitze getragen hatte. Viele Jahre...
Sie schmunzelte. Es war wie ein anderes Leben, ein weit entferntes. Als ihr Lebensatem kräftiger war und sie ihre Energie von dem einzigen Wesen beziehen konnte, das ausreichend verfügte.
Ihre Schultern sackten schwermütig nach unten. Lunachild, so lautete die Bezeichnung ihrer Art. Ein in die Schatten gefallenes Wesen. Nicht tot, nicht lebend. Ein Parasit, der die Energie anderer anzapfte, um seinen eigenen Körper aufrecht zu erhalten. Sie hatte Glück im Vergleich zu anderen Kindern der Schatten, denn ihr war von Geburt an die Gabe der Natur zu eigen und so konnte sie ein besseres Leben führen, als die anderen.
Mari verfügte über all ihre Kräfte, wenn nicht sogar entfesselter, als zu "Lebzeiten". Das einzige Problem blieb der Körper. Ihre einst sterbliche Hülle war vor langer Zeit zerstört worden, doch Dank ihrer Gabe und ein wenig Lebensenergie hatte sie die Möglichkeit gefunden, sich selbst einen Leib zu bauen. Bloß das Aufrechterhalten dieses war ein Problem, weswegen sie doch mehr ein Geist geworden war, als sie es je für möglich gehalten hatte. Stetiges Zersetzen und Neuerschaffen war ihr Schicksal. Der Lauf der Natur. Auf einen Sommer folgt ein Winter... Das Erblühen und Sterben der Natur und sie war diesem stärker unterworfen als andere.
Und noch mehr...
Sie betrachtete ihren Arm, dessen Haut am Unterarm nicht mehr rosig war, sondern braun und Risse aufwies wie die Rinde eines Baumes. Kleine Zweige hatten sich aus ihrem Fleisch hinaus ins Freie gebohrt und grüne Knospen waren daran zu erkennen.
"Du warst schon immer ein besonderes Mädchen, Mari."
Sie horchte auf und wandte sich um, wobei ihr langes grünes Haar, das Rapunzel neidisch machen könnte, sanft nachwiegte, wie von einem unsichtbaren Wind berührt.
"Ich wusste nicht, dass du hier bist, Ladira", Mari schmunzelte vergnügt. Sie fühlte sich so unendlich viel älter als ihre Ziehmutter, die auf sie zukam und sie fest in die Arme schloss.
"Als ich hörte, dass du Zuhause bist, warf ich alle Ratsitzungen in den Wind", flüsterte Ladira und löste die Umarmung sacht, um Mari anzusehen. Nie würde sie den Tag vergessen, an dem ein kleines, verdrecktes Kind in ihrem Haus auftauchte und sich plötzlich in ein Mädchen verwandelte, dessen leuchtend grünes Haar mit den grünen Augen strahlte. Deren Fußspuren Blumen blühen ließen und das eine so gewaltige Kraft entwickelte, die alles übertraf, was sie je gesehen hatte. Dieses Kind, das die Macht hatte zu erschaffen und zerstören und dessen Ende so jäh und aprupt war. Ladiras tiefblaue Augen huschten über die Züge von Maris Gesicht, dessen eine Hälfte immer wieder die Spuren der Zersetzung aufwies, denn auch wenn die Hülle vernichtet war, die Seele trug die Spuren des Todes, dem sie so entrissen wurde wie dem Leben. Sacht flackerten die Linien auf, flimmerten über die Wange, den Hals, die Schulter ...
"Du verbindest dich immer mehr mit der Natur", stellte sie mit einem Räuspern fest, um sich selbst aus den eigenen Gedanken zu reißen und musterte Maris Arm.
"Oh, das ist noch gar nichts. Sieh dir das an", mit diesen Worten zog sie den Rock hoch und entblößte ein Bein, dessen Form und Funktion erhalten war, doch aus dem munter Triebe wuchsen, die sich immer höher schlangen, "Angefangen hat es mit den Blumen in meinem Haar und damit, dass ich mit Bäumen verschmelzen kann und langsam werde ich wohl selbst ein Baum."
"Wie eine Dryade!", Celles erschien im Türrahmen, das feuerrote Haar zu einem langen Zopf geflochten, "Eine Baumnymphe aus den Mythen der Menschen."
"Ja... So in der Art", Mari zuckte mit den Schultern, "Sagt mal... Seid ihr alle hier? Habe ich etwas verpasst?" Sie entdeckte plötzlich Saphira hinter Celles und Shanora mit den üblichen zerzausten, schwarzen Haaren.
"Ich habe nicht Geburtstag und es ist nicht das erste Mal, dass ich Zuhause vorbeischaue."
"Nur das erste Mal, dass du dich nicht gleich wieder wie ein Schreckgespenst auflöst, sondern sogar kommunizierst. Direkt unheimlich. So ... menschlich.", zog Saphira sie auf, "Kein Geburtstag, aber heute ist trotzdem ein besonderer Tag. Oder war. Du hast uns damals nicht eingeladen."
Mari grinste schief. Beschämt drehte sie sich weg und zu dem alten Kleid hin. "Es war sehr spontan damals und wir waren jünger und übermütiger und ... "
"Er ist hier."
Mari stockte. Sie spüren wie ihr Herz einen Takt auszulassen schien und dann so heftig schlug, als sei sie einen Marathon gerannt. Ihre Augen brannten vor Tränen, die sie zu lange zurückgehalten hatte.
Sie spürte Ladiras Hand auf der einen Schulter und Sherines auf der anderen. Selbst die Mutter der Zwillinge Sessy und Sassy war also in diesem Hause zu Besuch. Das Waldhaus in Elensar, das so vielen von ihnen Heimat geworden war und in dem eine Familie lebte, die so durcheinander gewürfelt und vielfältig wie sturköpfig war.
"Zieh es an", flüsterte Sherine und bot Mari ihre Hilfe beim Umziehen an. Die ägyptische Vampirin lebte normalerweise mit ihrem Mann Zephyr in der Welt der Sterblichen, doch aus irgendeinem Grund hatten sie alle heute zusammengefunden.
Der Garten der Familie Dunkler blühte mit Sommerblumen und grünen Büschen. Es war stets Maris liebster Ort gewesen und sie kannte jeden Baum, der hier stand. Normalerweise fand sie Ruhe in einem Eck, wo eine große Weide an einem Bach stand, der durch das Grundstück floss, dass durch Hecken und einen Schutzzauber vom Wald abgeschirmt war, denn dieser galt als Wald der 1000 Gefahren und machte seinem Namen alle Ehre. Doch dies war eine andere Geschichte...
Heute stand ein hochgewachsener Mann im Schatten der Weide. Sein schwarzes Haar zu einem lockeren Zopf gebunden und ein schlichtes weißes Hemd am Leib.
Neben ihm stand Badria mit ihrem ebenso schwarzen Haar und den grünen Augen ihrer Mutter Mari. Sie trug eine weiße Bluse mit einer nachtblauen Weste und einem dazu passenden Rock.
Die dunklen Augen des Mannes glitzerten, während er seine Tochter musterte. Er war so stolz auf sie.
Mari trat aus der Hintertür in den Garten und blieb überrascht stehen. Was war hier los? Sie erblickte Reihen bekannter Gesichter.
Da waren die Zwillinge Sessy und Sassy mit ihren Eltern. Sogar ihr Bruder Sethos, den niemand als mit ihnen verwandt identifzieren hätte können, hatte er doch die dunkle Haut seiner Mutter geerbt, während die Zwillinge hell waren, wie der Vater, war gekommen. Neben ihm stand die hellblonde Arienelle und ihre gemeinsame Tochter Cecilia, das Ebenbild dieser.
Celles und Saphira standen bei Ladira, die ihre jüngste Tochter Keema auf dem Arm hielt. Auch Vanessa hatte sich eingefunden und daneben waren Finn, Church und Shanora, die sich gerade noch breit grinsend mit Allister unterhalten hatte, der wiederum verstohlen die Hand Yalhans hielt. Als wäre es ein Geheimnis zwischen den beiden.
Alle trugen ihr bestes - oder zumindest was sie als solches betrachteten - Gewand und ihr zu Ehren Blumen im Haar, abgestimmt auf die Haarfarbe der jeweiligen Person.
Sie säumten einen moosigen Weg zur Weide.
"Was ist hier los?", fragte Mari verblüfft. Sie war schon verwirrt genug gewesen, dass Ladira und Sherine sie überredeten, ihr altes Hochzeitskleid anzulegen. Eng schmiegte sich der obere Teil an ihren Leib und öffnete sich wie eine Trompete mit leichter Schleppe nach unten. Der Rücken war tief ausgeschnitten und die Ärmel waren lang und glockenförmig mit sanfter Spitze an den Enden. Vorne war ein V-förmiger, fast zu tiefer, Ausschnitt.
"Darf ich bitten?", der Verlobte Ladiras, Serefa, war an ihrer Seite erschienen und bot ihr den Arm zum Geleit, "Wir waren beim ersten Mal nicht anwesend, aber heute sind wir alle versammelt."
Mari sah ihn verwirrt an, akzeptierte jedoch, dass er sie durch die Versammelten zur Weide führte.
"Hallo meine Waldfee...", flüsterte der Schwarzhaarige vorsichtig und griff nach Maris Händen, "Viel zu lange mussten wir unsere Tage getrennt voneinander verbringen und viel zu lange habe ich dich im Unklaren gelassen. All diese Dinge sind unverzeihlich und du hast jedes Recht, auch nach den letzten Wochen, mir den Dolch ins Herz zu rammen und zu verschwinden, um dein Glück mit jemandem zu finden, der dich mehr verdient hat." Er blickte ihr ins Gesicht, als suche er eine Bestätigung seiner Worte oder eine Strafe.
Die Grünhaarige drückte sacht seine Finger mit ihren und hob eine Hand, um sie an seine Wange zu legen, "Ich habe dich nie aufgegeben und ich wusste, du mich auch nicht, Sarefusal. Du hast so vieles bereits erklärt seit du vor meiner Tür erschienen bist und auch, wenn viele Jahre vergangen sind, ich habe nie aufgehört dich zu lieben." Mari schmunzelte warm.
"Und ich habe nie aufgehört, ebenso für dich zu empfinden, kleine Waldfee. Von nun an, werde ich immer hier sein. Ich weiß nicht, warum du fortgegangen bist, wo wir uns gerade wieder hatten, doch denke ich, du hast deine Gründe gehabt? Badria sagte mir, dass du hier bist."
Mari warf ihrer Tochter einen scherzhaft vorwurfsvollen Blick zu, die eine freche Grimasse schnitt und erwiderte: "Ich hatte nicht vor lange wegzubleiben. Es war nur ... viel auf einmal. Du bist zurück und hier und ich hoffe, du wirst wirklich bleiben?"
Die Frage stellte sie leiser, unsicherer, als könne er sich auf einmal in Luft auslösen.
Er drückte ihre Hand und zog sie eng an sich. "Für immer. Wo immer du auch hingehen magst, ich folge dir. Es gibt nichts mehr, was uns trennen könnte."
Eine Träne kullerte über Maris Wange und benetzte ihre Lippen, während sie die Arme fest um Sarefusal schlang. Das einzige Wesen, das ihr genug Energie schenken konnte und der Mann, der ihr Herz im Sturm erobert hatte, während sie wohl auch seines, das eines kühlen Höllendämons, für sich einnehmen konnte.
"Ähem...", Serefa räusperte sich, "Ich weiß, ihr seid schon verheiratet und alles. Wir dachten nur ... Vielleicht möchtet ihr beide euren Schwur erneuern? Diesmal mit der Familie?"
Beide blickten ihn kurz verdutzt an und sahen dann einander an.
"Haben wir wirklich alle so sehr beleidigt damals?", fragte Sarefusal sichtlich verlegen, was ungewohnt für alle Anwesenden außer seiner Tochter war, denn normalerweise zeigte dieser Dämon seine Gefühle nie derart offen wie heute.
"Du warst halt übermütig", kicherte Mari und konnte nicht anders, als sich in seine Arme zu schmiegen, "Wie ein Kind an Weihnachten warst du, kaum, dass ich Ja gesagt habe."
"Könntest du das vielleicht wiederholen, damit wir diesmal auch teilhaben können? Wir haben eine ganze Party für euren großen Tag vorbereitet!", rief Sassy etwas ungeduldig.
"Genau! Wir wollen Kuchen!", stimmte Finn eifrig zu.
"Ja. Natürlich würde ich den Schwur immer wieder mit dir erneuern", lachte Mari und entschloss sich von diesem Schauspiel mitreißen zu lassen.
Badria trat auf sie zu und setzte ihr doch tatsächlich einen Schleier mit einem Kranz aus Gänseblümchen aufs Haupt.
Serefa übernahm die Rolle des Priesters, der die Zeremonie leitete.
Ein recht ungewöhnliches Ritual, denn Mari und Sarefusal hatten einen Schwur geleistet, der nicht nur ihre Leben miteinander verbunden hatte. Sie reichten Serefa ihre Ringe und Badria zog einen magischen Kreis, zeichnete die Runen mit weißer Kreide auf den Boden. Ein Gast nach dem anderen brachte eine Kerze und stellte sie auf die vorhergesehene Stelle.
Keiner außer dem Brautpaar hatte diesen Ritus je durchgeführt. Allister erschauderte sogar leicht, denn es war eine starke Magie, der er aufsteigen verspürte, während Mari und Sarefusal die Worte sprachen. Anfangs lauschte Shanora ihnen und verstand sie, doch dann wechselten sie in eine Sprache, die sie noch nie gehört hatte.
Eine Kerze nach der anderen entflammte wie von alleine und der Kreis selbst begann zu leuchten. Ranken sprossen aus dem Boden und wuchsen empor, einen Kranz um das Paar bildend.
Die Ringe, die Serefa in seiner vorgestreckten Hand gehalten hatte, begannen zu schweben, sich zu umkreisen und miteinander zu verschmelzen. Der Kranz um Mari und Sarefusal wurde immer enger und das Feuer der Kerzen immer heller und heißer, so dass einige weiter zurückwichen. Serefa und Badria hielten tapfer stand. Keiner wagte es mehr sich zu rühren. Die Luft knisterte vor Magie.
Dann wurden die Worte wieder für alle Anwesenden, die dem Zauber mit wachsendem Staunen betrachteten, verständlich.
"Ich bin dein."
"Du bist mein."
"Dies ist mein Schwur."
"Dies ist mein Versprechen"
"Für immer", letzteres sprachen sie zeitgleich aus und Serefa reichte ihnen zwei Ringe. Neue Ringe für einen erneuerten Schwur.
Stille legte sich über den Garten. Nicht eine Grille, nicht ein Vogel war zu hören.
Die Magie ebbte ab und ganz langsam rührten sich die Versammelten wieder.
Yalhan war der Erste, der herausfand, dass er seine Zunge zum Sprechen benutzen konnte.
"Das war unglaublich. Was war das?", brachte er verblüfft heraus, "Ich habe solche Magie nicht einmal bei der Hohepriesterin erlebt!"
Sarefusals Blick ruhte liebevoll auf dem seiner Braut, die ihm seinen Ring auf den Finger schob, wo er hingehörte.
"Es ist ein alter, sehr alter Schwur aus den Unterlanden, um zwei Liebende unzertrennbar zu verbinden. Ihn zu erklären würde zu weit führen. Darum, seht es als das Ja-Wort an und lasst uns feiern. Sarefusal!"
"Ja?", Sarefusal wandte zum ersten Mal den Blick fort von Mari, "Was ist?"
"Du darfst die Braut jetzt küssen.", antwortete Serefa mit fast schon monotoner Stimme, fasziniert davon, wie sein einstiger Lehrmeister, dessen Gefühlsleben einem Eisblock glich, so sehr schmelzen konnte, in der Nähe Maris.
Dies ließ sich Sarefusal nicht zweimal sagen und zog Mari unter dem Applaus ihrer Familie in einen innigen Kuss.
Musik schwebte später in der Luft der lauen Sommernacht und längst waren Schuhe und elegantes Gewand ausgezogen worden, denn das kühle Nass des Pools der Dunkler-Familie hatte viele in seinen Bann gelockt.
Mari und Sarefusal saßen ebenfalls an diesem. Er, die Hosenbeine hochgekrempelt und sie, den Rock des Kleides so gut es ging, hinter sich gelegt, die Beine im Wasser. Eine Hand auf der anderen und die ihre Blicke trafen sich, als gäbe es nur sie beide allein.
Das Lachen, Spritzen und Wasserball werfen von Cecilia, Badria, Shanora und Finn wurde ignoriert.
Was die anderen Gäste taten, bekamen sie schon längst nicht mehr mit.
"Und so verliebte sich der Dämon in die Waldfee...", flüsterte Sarefusal und entlockte seiner Gemahlin ein amüsiertes Lachen.
Zu Ehren des 13. Hochzeitstages von Mari und Sarefusal <3