Das Laub raschelte unter ihren Schritten. Im fahlen Licht des vollen Mondes konnte man die bunten, wärmenden Farben der Blätter erahnen, die im Herbst ihren Platz in den Baumkronen verloren, um die in der Dunkelheit teils gruseligen Skelette der Bäume preiszugeben.
Die Luft war frisch und es roch nach Erde und Feuer.
Sessy rückte ihren Hut mit der breiten Krempe zurecht. Ein langes dunkeloranges Kleid mit Fledermausärmeln schmiegte sich an ihren Leib und war um die Mitte mit einem gelben Band gegürtet. In einer Hand trug sie den traditionellen Hexenbesen aus Reisig. Mit ihm fegt man das Schlechte hinfort aus seinem Haus und manch einer nutzt ihn zum Fliegen.
Das irisch-keltische Samhain, der Abend vor dem christlichen Allerheiligen oder auch Halloween, wie ihn die Menschen der Moderne schon lange nannten. Ein Tag, an dem sich die Tore zur anderen Welt öffneten und auch, wenn viele Bräuche vergessen worden waren und viele den Sinn dafür verloren hatten, so verspürte man dennoch, dass die Geister der anderen Seite näher waren als für gewöhnlich.
Sie schmunzelte wehmütig. Es war ein Geburtstag und ein Abschiedstag, denn auch für sie gab es in der jenseitigen Welt bereits Personen und Lebewesen, die sie im Diesseits schmerzlich vermisste. So war aber nun mal das Schicksal einer Vampirin.
"Ah. Gerade noch rechtzeitig!", wurde Sessy begrüßt, als sie am Feuerplatz ankam, wo das Lagerfeuer ordentlich aufgeschüttet bereits brannte und ein Kreis aus feuchten Steinen das Überspringen verhinderte. Körbe mit Essen und Flaschen mit Getränken standen in Abstand zum Feuer, doch so, dass man sie einfach schnappen konnte. Große Decken bedeckten den Boden für mehr Bequemlichkeit gegen die feuchte Erde. An den nahen Bäumen konnte Sessy den ein oder anderen weiteren Besen entdecken und auch zwei Katzen hatten es sich beim Feuer gemütlich gemacht.
Auf einem moosigen Baumstamm hockte Shanora mit übereinander geschlagenen Beinen und in ein schwarzes Fledermauskleid und schwarz-orange geringelte Strümpfe, die in dunklen Stiefeln endeten, gekleidet. Auch sie trug einen Hexenhut am Kopf. Schlicht schwarz. Nicht wie Sessys, der ein gelboranges Band umgewickelt hatte.
Sessys blaue Augen funkelten als sie die Anwesenden betrachtete.
Da war ihre Schwester, ihr komplettes Ebenbild, die ihr teils schwarzes, teils rotbraunes Haar ebenfalls zu zwei Zöpfen geflochten trug und sie einlud, sich neben ihr niederzulassen. Badria in schwarzer Tracht und Mari, deren grünes Haar auch im Schein des Feuers zu leuchten schien. Ihr Mann saß zwischen ihr und Badria, die sich glücklich an ihren Vater lehnte und mit einer Hand ein katzenähnliches Wesen in ihrem Schoß kraulte, das drei Schwänze hatte.
"Du hast es doch noch geschafft!", strahlte ein blond gelocktes Mädchen, das sich an ihren Arm hängt, "Papa ist auch hier. Komm! Du musst was Essen und Trinken!"
"Ach? Mein Bruder ist da?", lachte die Vampirin und ließ sich von ihrer Nichte näher zum Feuer ziehen und nahm neben ihrer Schwester platz.
Sassy beugte sich vor und flüsterte: "Wie geht es dir? Spürst du sie? Ich merke ihre Nähe."
"Ich vermisse Orestes... und Odin.", erwiderte Sessy ebenso leise, "Und alle, die wir verloren haben."
"Sie würden nicht wollen, dass wir ständig trauern."
Eine junge Frau, deren Kopf mit einem Hexenhut, den Mond und Stern zierten, trat ans Feuer heran und verteilte Tassen mit dampfendem Kakao gegen die herbstliche Kälte.
"Ich habe Kekse mit und Knabberzeug und sogar Marshmellow für Yalhan", lachte Kathy, "Wie auch immer man das Zeug essen kann..." Sie schauderte. Einmal probiert und es war einfach nicht ihres.
"Wo steckt der eigentlich?", Cam hob fragend eine Braue und ließ sich neben Shanora auf dem Baumstamm nieder, "Ich bin pünktlich, obwohl ich mit dem Teleport aus der Übung bin."
"Finn fehlt auch, also kommt sicher irgendein dramatischer Auftritt", warf Shanora ein und pustete in ihren Kakao.
Wie aufs Stichwort erklang ein lautes, langgezogenes Buuuuuhuuuuuuu und der Wind raschelte durch die umstehenden Bäume der kleinen Lichtung.
"Wer wagt es, meine Ruhe zu stören?", krächzte eine Stimme und im Schatten der Bäume tauchte ein tanzender, leuchtender Kürbiskopf auf, "Wie könnt ihr es wagen, diesen heiligen Ort zu entweihen?"
Sessy grinste, "Hab ich was verpasst und wir sind an einem Friedhof?"
Bodennebel kroch auf die Lichtung und klappernde Geräusche erklangen. Zwei tanzende Skelette wurden im Nebel sichtbar und der Kürbiskopf huschte an den Versammelten vorbei. Shanora quietschte, als eine eiskalte Hand ihren Nacken streifte.
"Harharhar! Gebt mir Süßes oder ich gebe euch Saures?", lachte der Kürbis.
Cam nahm ein Kitkat aus einem Korb Süßigkeiten und schmiss es in Richtung des "Kopflosen Reiters", der sein Pferd wohl vergessen hatte.
Ein dumpfes Geräusch, gefolgt von einem AU!, verriet, dass das Kitkat sein Ziel erfolreich getroffen hatte.
Finn kam dem Feuer näher, in der einen Hand das Kitkat und die Kürbislaterne, die andere seine schmerzende Wange reibend. "Das lief anders, als ich dachte." Er war komplett in schwarz gekleidet und sein sonst rosiges Gesicht war mit schwarzer Schminke bedeckt. Das blonde Haar unter eine Haube gepackt.
"Lauter Hexen ... Und ein Schornsteinfeger?", grinste Sassy, "Dann sind die Skelette wohl Yalhan und Allister?"
"Erraten", Allister zog die Maske herunter. Beide Elfen trugen eines dieser schwarzen Skelettkostüme und setzten sich nun zum Kreis hinzu, um diesen zu schließen.
"Es ist nicht mehr viel Zeit bis Mitternacht", warf Kathy mit einem Blick auf die Uhr ein und streckte ihre Hand aus, "Die letzte Minute des Tages."
Cam ergriff Kathys und Shanoras Hand und auch die anderen fassten sich an den Händen, bildeten den Hexenkreis.
"Die magische Stunde unter einem Blue Moon, den wir zum letzten Mal für längere Zeit sehen", flüsterte Mari, "Heute ist der Tag, an dem die Geister und Dämonen auf Erden wandeln können. In unserem Fall, nichts allzu ungewöhnliches", sie grinste und sah ihre Familie an. Vampire, Dämonen, Hexen, Elensarian, Elfen, ... "Darum gedenken wir in erster Linie all jenen, die wir verloren haben und nutzen diese Minute, um ihnen zu Danken. Wir rufen euch an, Geister der Vergangenheit und Danken euch, dass wir jeden Einzelnen von euch kennenlernen durften."
Eine Stille legte sich über die Versammelten, nur unterbrochen durch das Knistern des Feuers und das Wehen des sanften Windes.
Gänsehaut auf den Armen und klopfende Herzen. Jeder dachte an jemand anderen und auch, wenn sie nicht physisch sichtbar waren, waren die Geister spürbar.
Ein Streicheln an der Wange, ließ Kathys Augen sich mit Tränen füllen. Zwei Jahres und ein paar Tage erst war es her, dass sie jemanden verloren hatte, der ihr unglaublich viel bedeutete. Doch auch andere hatten Freunde oder Familie auf der Geisterseite. Das Gefühl eines Streichelns, einer Umarmung, eines Kusses. Für jeden war es etwas Anderes, doch jeder wurde tief im Herzen berührt. Selbst Yalhan, der noch nie an so etwas teilgenommen hatte, fühlte sich schwer, teils leicht ums Herz und drückte Halt suchend Allisters Hand ein wenig fester.
"Sie werden immer bei uns sein. In unseren Herzen, in unserer Erinnerung. Halloween, das Fest der Hexen, Fest der Geister... Und nun, sprecht mir nach und verinnerlicht eure Wünsche für die kommende Zeit, denn dies ist auch eine Nacht der Magie, der Hoffnung. Außerdem feiern wir und sind selbst gern gruselig, um böse Geister fernzuhalten", durchbrach Maris Stimme die Stille und es folgten Worte in einer alten, fremden Zunge.
Wärme durchflutete sie und ein Knistern. Für einen Moment waren sie alle miteinander verbunden und die Energie, die zwischen ihnen floss, stieg auf.
Shanora öffnete die Augen. Weit in der Ferne ertönte die Glocke einer Kirche. Zwölf Schläge.
Sie folgte dem Funkentanz des Lagerfeuers und kurz schienen diese alle Farben widerzugeben.
Dies war das Ende des Monats Oktober und der Beginn des Novembers.