Ich spürte den hoheitlichen Blick auf mir, als würden ihre hellblauen Augen bis tief in mein Innerstes schauen. Die fein geschnittenen Gesichtszüge hatten meine letzten Ausführungen mit kaum einer Regung quittiert, lediglich eine hochgezogene Augenbraue hier oder eine in Falten geworfene Stirn dort. Doch ihr Verstand war hellwach und messerscharf, da machte ich mir keine Illusionen.
Überrascht stellte ich fest, wie ausgetrocknet meine Kehle war. Mein Blick huschte zu dem kleinen Fenster, hinter dem bereits jedes Tageslicht verschwunden war. Wie lange hatte ich bloß erzählt? Es mussten Stunden gewesen sein!
„Entschuldigt bitte, Hoheit, ich bin wohl ins Plaudern geraten.“ Eilig dachte ich an den Anfang der Audienz zurück, ob ich denn alle ihre Fragen beantwortet hatte.
***
„Ihr müsst also Morg und Grom sein. Wisst ihr, andere sind schon für kleinere Affronts gehenkt worden.“
Ich verstand nicht, was sie meinte. Affront? Wir hatten doch gar nichts gesagt? Ich bemerkte Mina unruhig auf ihrem Knie herumrutschen.
„Ähm-“, begann ich, um mich zu erklären, wurde aber von einem eiligen Räuspern Zuaks erneut unterbrochen.
König Valerius lachte vornehm und hell. „Nun, dein Starren. Es geziemt sich nicht.“ Jetzt verstand ich und blickte eilig zu Boden.
„Schon gut, wir sind ja unter uns. Wäre dies ein offizieller Empfang, hätte ich dich aber zumindest auspeitschen lassen müssen.“ Ihre gutgelaunte Stimme stand im krassen Kontrast zu dem Inhalt ihrer Worte. „Du musst verstehen, ein König ist nicht immer frei in seinem Handeln. Bitte, erhebt euch. Nehmt euch Wein.“ Sie deutete auf einen großen runden Tisch, um den gepolsterte Stühle arrangiert waren.
„Danke, Eure Hoheit“, murmelte Mina und nahm das Angebot, genau wie der Rest, erleichtert an. Morg und ich versuchten, uns möglichst unauffällig einzurichten, und setzten uns neben dem Tisch auf den Boden.
„Also, die legendäre Lintbrut, ja? In meinem bescheidenen Heim! Es ist mir eine Ehre.“ Der König deutete eine Verbeugung an, von der man nicht wusste, ob sie ernstgemeint oder spöttisch war. „Ich habe eure Abenteuer mit großem Interesse verfolgt. Insbesondere euer neuster Zugang sorgt ja mächtig für Aufsehen.“ Sie lächelte mich milde an. „Bisher habe ich die Schilderungen für übertrieben gehalten, doch ich muss zugeben... in Wirklichkeit bist du noch viel beeindruckender.“
„Ähm, danke... Hoheit!“, murmelte ich.
„Hoheit“, stimmte Morg zu.
„Also. Mina – so nennst du dich neuerdings, ja? – erzähle! Stimmt es, was mir so zugetragen wurde?“
Mina, anfangs sichtlich kleinlaut aufgrund der royalen Aufmerksamkeit, begann damit, über das vergangene Jahr zu resümieren.
„Warte!“, unterbrach Valerius sie jedoch schon kurze Zeit später. „Verzeih‘, aber eine Frage brennt mir unter den Nägeln und ich kann einfach nicht warten.“ Sie schwenkte das königliche Haupt herum in meine Richtung und betrachtete mich neugierig.
„Sag, wie hat sich unser großer Verbündeter hier geschlagen?“, fuhr sie an Mina gewandt fort, ohne den Blick von mir zu nehmen.
„Morg und Grom?“, fragte Mina ernst. „Hoheit, viele unserer Erfolge haben wir allein ihnen zu verdanken. Mindestens drei Mal haben sie mir persönlich das Leben gerettet. Ich weiß, es gibt viele Gerüchte und Unwahrheiten, die die Oger umgeben, dass sie blutrünstig und grobschlächtig sind.“ Sie lehnte sich ein Stück weit vor, schaute Valerius eindringlich an. „Aber zumindest diesem hier vertraue ich ohne Zögern das Leben jedes einzelnen meiner Leute an. Sie gehören zu uns.“
Unwillkürlich spürte ich ein breites Grinsen sich auf mein Gesicht schleichen. Minas Worte erfüllten mich mit Stolz und Wehmut. Ich dachte an den Abend in Immerhain zurück, an dem Hidda mich als Teil ihres Stammes gewürdigt hatte.
„So, so“, murmelte Valerius und starrte mich forschend an. „Dann sagt mir, Morg und Grom: Kann das Königreich Karandia, kann ich auf euch zählen?“
Morg und ich nickten, er ein wenig überfordert, ich feierlich. „Ja, Hoheit.“
„Hoheit“, bestätigte Morg einsilbig.
„Exzellent!“, entfuhr es ihr euphorisch und sie klatschte erfreut in die Hände. „Dann spreche ich euch hiermit frei von der Schuld, die ihr in der Vergangenheit auf euch geladen habt. Ihr dürft euch ab sofort frei und unbehelligt im Reich bewegen.“ Wahrscheinlich sprach sie auf unsere Begegnung mit Gregor in Augul an, den sein törichtes Verhalten das Leben gekostet hatte.
Sie machte auf dem Absatz kehrt, in Richtung ihres Schreibpults, hielt aber noch einmal wie beiläufig inne. „Wo wir schon dabei sind“, schob sie nach und sah mich an. „Was ist eigentlich mit deinem Stamm?“
„Huh?“, machte Morg erschrocken.
„Wie meint Ihr das, Hoheit?“, erwiderte ich.
„Nun“, holte sie ein wenig umständlich aus. „Warum seid ihr allein unterwegs? Was machen die anderen?“ Ich glaubte ihr nicht, dass sie diese Fragen einem spontanen Einfall folgend stellte.
„Die sind in unserem Dorf.“
„Und was machen die dort?“, hakte Valerius weiter nach. Leichte Ungeduld schwang in ihrer Stimme mit.
„Nichts. Nun... sie...“ Wie sollte ich dem König erklären, dass meine Artgenossen das personifizierte Böse anbeteten und auf ihre Rückkehr hofften?
„Schon gut“, unterbrach sie gutmütig. „Wenn es zu schwer ist, darüber zu sprechen, dann brauchst du nicht. Was ich nur wissen will: Würde sich andere Mitglieder deines Stammes dem Kampf anschließen? Sollten tatsächlich mehr und mehr Kreaturen in unsere Welt einfallen, dann können wir jede helfende Hand gebrauchen. Und wenn sich die anderen auch nur als halb so tüchtig erweisen wie ihr beide...?“
Ich glaubte, mich verhört zu haben. „Ihr... bietet uns eine Allianz an?“
Sie lachte erneut hell auf. „Ja! Ja, wenn du so willst! Eine Allianz zum Vorteil aller Beteiligten. Vielleicht ist das die Grundlage für eine langfristige, friedliche Koexistenz unserer beiden Völker?“
Ich musste zugeben, ich hatte vieles erwartet, aber nicht das. Der König bot mir und meinem Volk offiziell Frieden an? Das war mehr, als ich mir je erträumt hatte! Und doch trübte sich meine Euphorie augenblicklich ein.
„Ich sehe, du bist nicht überzeugt?“, antwortete Valerius und zog konsterniert die Mundwinkel nach unten.
„Nein, nein, Hoheit, das ist es nicht. Ich fühle mich geehrt, wirklich! Das ist alles, was ich mir je erhofft hatte; das ist überhaupt der Grund, warum ich den Kontakt zu den Menschen gesucht habe. Es ist nur...“
Wahrscheinlich gehörte es dazu, mit neuen Verbündeten vollkommen offen zu sein, auch wenn ich es lieber vermieden hätte, darüber zu reden.
„Es gibt da etwas, das Ihr über uns wissen müsst.“
Und so hatte ich begonnen, unsere Geschichte zu erzählen:
„Ich schaute an mir herab und versuchte, das widerwärtige Schmatzen direkt neben meinem Ohr zu ignorieren. Starrte auf meine Hand, mit der ich die massiven Gitterstäbe umklammert hielt. Hin und wieder machte der Karren einen Satz, der uns von den Füßen zu werfen drohte, doch ich wollte mir einen Rest Würde bewahren und auf keinen Fall in die Knie gehen...“
Die Worte purzelten nur so aus mir heraus, als ich die Ereignisse des vergangenen Jahres – die erste Begegnung in Augul, Zuaks Auftritt in unserem Dorf, unseren Beitritt zu den Drachenjägern, den Kampf mit dem Lintwurm und das Rätsel um die Geode in Etteln – für den König zusammenfasste.
***
Ja, wahrscheinlich war ich ins Schwafeln verfallen. Gleichzeitig hatte ich aber nicht den Eindruck, den König gelangweilt zu haben.
„Nun, eine wirklich ereignisreiche Zeit, nicht wahr?“, befand Valerius und schaute mich beifällig an. Sie nahm einen Schluck Wein und fragte dann: „Als ich euch, Morg und Grom...“, der königliche Blick huschte kurz zu der vor dem Fenster herrschenden Dunkelheit, „...vor einigen Stunden eine Allianz anbot, habt ihr gezögert. Ich verstehe, dass ihr nach wie vor unter dem Joch dieser Keszz steht, dass ihr nicht gänzlich frei seid. Ist es das, was du sagen wolltest?“
„Nun, ja, ich... möchte, dass Ihr versteht, wer wir sind; ein Volk, unserer Welt entrissen und versklavt. Euer Angebot einer Allianz ehrt uns, ehrt mich insbesondere, und gerne würde ich ohne zu zögern zustimmen.“
„Doch...?“
„Doch wir sind nicht wir selbst“, murmelte ich und fühlte eine Welle der Melancholie durch meinen Körper rollen. „Wenn unsere Älteste, Gol’dar, mit an diesem Tisch säße, würde sie vor Zorn über dieses Angebot in einen Blutrausch verfallen und alles und jeden in diesem Zimmer kurz und klein hauen.“ Ich seufzte frustriert. „So sehr ich also Euer Angebot schätze, Hoheit, so wenig nützt es. Ich habe einfach keinen Einfluss auf meinen Stamm, die Macht der Keszz über uns ist zu groß.“
„Verstehe“, erwiderte Valerius, nachdem sie eine Weile darüber gegrübelt hatte. Mit einem Mal hob sich jedoch ihr Kopf, der Blick löste sich von ihren ineinander verschränkten Händen und sie wandte sich Zuak zu. „Ein Glück haben wir einen Meister des Arkanen unter uns“.
Zuak verschluckte sich hustend am Wein, von dem er eben genippt hatte. Die Blicke aller Anwesenden hafteten auf ihm, als er sich mühsam berappelte und schließlich mit hochrotem Kopf umsah.
„Äh, Hoheit, uhm, das ist... he he“, stammelte er, unterbrochen von erneuten Hustenanfällen. Hilfesuchend schaute er sich unter den anderen um, doch niemand sprang ihm bei.
„Ja?“, erwiderte der König schlicht, nicht im Geringsten bereit, ihn vom Haken zu lassen.
„Exzellenz, ihr müsst wissen, ähm, Meister des Arkanen ist eher eine Art... Künstlername als ein tatsächliches... ähm.“ Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet.
„Nanu? Willst du, lieber Zuak, mir etwa sagen, dass die Leute dich zu recht einen Scharlatan nennen? Und deine Verbannung ins Exil völlig gerechtfertigt war?“
„Nein, das... natürlich nicht! Es ist nur...“ Er dachte einen Moment nach und streckte dann bewusst seinen Rücken durch und die Brust heraus. „Es ist nur die Komplexität des Falls. Niemand hat je von etwas derartigem, was die Oger befallen hat, gehört. Ich bin äußerst skepti-“
„Gut“, unterbrach der König ihn unwirsch. „Dann ist die Sache klar. Du findest einen Weg, wie die Oger sich von ihren Tyrannen lossagen können, und ebnest so den Weg für diese Allianz. Du schreckst doch nicht vor einer Herausforderung zurück?“ Valerius‘ Augenbraue beschrieb einen perfekt geformten, hohen Bogen.
Wortlos verneinte Zuak diese an sich rhetorische Frage und fügte sich in sein Schicksal. Sollte es tatsächlich machbar sein? Einen Weg zu finden, den Bann der Keszz zu brechen? Ich musste mich beherrschen, nicht in lautes Jubeln zu verfallen.
„Nichts anderes habe ich von dir erwartet.“ Wieder dieses königliche, distanzierte Lächeln. „Und wer weiß, wenn du das schaffst, zeigt sich die Gesellschaft vielleicht bereit, dir zu vergeben und dich in ihren Reihen erneut willkommen zu heißen?“
Zuak starrte Valerius mit großen Augen an und schluckte trocken. Kurzzeitig sah es so aus, als lägen ihm Widerworte auf der Zunge, doch dann schien er sich zu besinnen und wendete ergeben seinen Blick ab. „Wie Ihr wünscht, Hoheit.“
„Ausgezeichnet. Dann an die Arbeit!“ Sie klatschte zwei Mal in die Hände und bedeutete uns mit einer Handbewegung, dass die Audienz vorüber war. Wir vollführten Verbeugungen und machten uns daran, das kleine Zimmer zu verlassen.
„Oh, Mina! Einen Moment noch, ja? Ich möchte dich noch kurz allein sprechen“, ergänzte Valerius, was Mina in der Bewegung verharren und kehrtmachen ließ. Sie nickte uns noch knapp zu, bevor sie die Tür hinter uns schloss. Kurze Zeit später befanden wir uns im Burghof wieder, den die frostige Winternacht fest im Griff hatte.
„Oh, Mann, eine Audienz beim König!“, brabbelte Rualab aufgeregt. „Habt ihr das gehört? Das Königreich steht in unserer Schuld!“ Er kicherte überdreht. „Mein Leben ist soeben um einiges leichter geworden. Wenn ich die Geschichte im nächsten Wirtshaus auftische, werden mir die Dirnen am Hals kleben!“
„Wie die Fliegen an der Scheiße, meinst du?“, murmelte Isengrim. Sie schienen die Worte des Königs beinahe kalt zu lassen.
„Ähm, sagt mal“, flüsterte ich und schaute, ob niemand in der Nähe war. „Warum reden denn bloß alle von dem König? Sie ist doch eine Frau. Müsste sie dann nicht König-in genannt werden?“
Hiskam schüttelte eifrig den Kopf. „Zu dem Warum gibt es nur Gerüchte. Besser, du akzeptierst es einfach.“
„Ja, natürlich, warum denn auch nicht? Ich mein‘ ja nur“, murmelte ich.
„Das ist nicht der eigenartigste Spleen, den einer dieser Adeligen je hatte, das kannst du mir glauben“, mischte sich Hidda ein, die den Kragen ihres dicken Ledermantels hochklappte, sodass er ihr Gesicht halb verdeckte. „Erinnert ihr euch noch an diesen einen Grafen, der nur vorgekaute Mahlzeiten essen wollte?“
„Von leichtbekleideten, jungen Mägden vorgekaute Mahlzeiten“, ergänzte Hiskam grinsend. „Grom, lass dir eins gesagt sein: Diese Reichen und Mächtigen, irgendwann steigt denen alles zu Kopf und richtet da drin Schaden an.“ Er tippte mit dem Finger gegen seine Schläfe.
„Allein schon, dass sie glaubt, ich könnte dieses Gebrechen von deinem Volk entfernen“, kicherte Zuak unsicher, ohne den Blick vom Boden zu lösen.
Überrascht starrte ich ihn an. „Du meinst... du kannst gar nicht...?“
„Nein, verdammt!“, brach er zornig hervor. „Überhaupt nichts kann ich tun!“ So schnell wie er gekommen war, verflog sein Zorn auch wieder. Entmutigt ließ er die Schultern hängen. „Tut mir leid. Ich... ich kann dir nicht helfen.“
Isengrim ging zu ihm und baute sich vor ihm auf. Ihre breiten Schultern ließen ihn noch kleiner erscheinen.
„Hör mal, Scharl- Zuak.“ Ihre Stimme klang sanft, beinahe mütterlich. Jeder, auch ich, schaute verblüfft zu ihr. Wahrscheinlich hatte niemand geahnt, dass sie zu diesem Tonfall fähig war. Mitfühlend legte sie eine Hand an seinen Oberarm und schaute versöhnlich auf ihn herab. „Die beiden hier, die sind doch Teil von uns, der Lintbrut, oder?“
Zuak nickte widerwillig.
„Genauso wie du“, fuhr sie fort.
Das ließ ihn innehalten. Mühsam hob er seinen Kopf und schaute zu ihr herauf. Sein Gesicht war von Pein verzerrt, in das die Überraschung ob Isengrims Worte aber langsam die Hoffnung trieb. „Du meinst...?“
„Was hast du denn geglaubt?“, lachte sie plötzlich. „Natürlich bist auch du ein Teil unserer Familie! Glaubst du etwa, nach allem, was wir erlebt haben, behalten wir unsere schroffe Ablehnung bei?“ Hiskam und Hidda kamen dazu und legten ihm ebenso ihre Hände auf die Schulter. „Wir sind doch alle Ausgestoßene. Du gehörst zu uns.“
„Richtig“, pflichtete Rualab bei.
„Ich hatte ja keine Ahnung“, flüsterte Zuak mit belegter Stimme. „Das... bedeutet mir viel.“ Er schaute sich in dem engen Kreis um, den wir inzwischen um ihn gebildet hatten. Seinen weißen Bart erzitterte, als ob er den Tränen nahe war.
„Aber was du meinem Papa angetan hast, darüber werden wir noch reden müssen“, sagte Isengrim finster und beugte sich bedrohlich zu ihm herab, was alle anderen vor Lachen losprusten ließ.
„Ja, entschuldige, du hast ja recht. Das war-“, setzte Zuak an.
„Ah, ah, ah! Nicht jetzt“, unterbrach sie ihn. „Das klären wir zwei später. Zunächst brauchen deine Brüder hier deine Hilfe.“ Sie machte einen Schritt zur Seite und gab so den Blick frei auf Morg und mich. Ich versuchte, ihn aufmunternd anzulächeln.
„Wisst ihr was?“, sagte er schließlich mit schon viel festerer Stimme. „Ihr habt recht! Wenn es jemanden gibt, der deinem Stamm helfen kann, dann bin ich das.“
Irgendjemand stöhnte genervt auf.
„Das ist die richtige Einstellung!“, lobte Isengrim mit einer Prise Herablassung und gab ihm einen festen Hieb auf den Rücken. Er versuchte, sich die Schmerzen nicht anmerken zu lassen.
„Und ich habe auch schon eine Idee.“ Er kam einen Schritt auf uns zu, musterte uns eingehend. „Wir werden meinem alten Meister einen Besuch abstatten.“ Er nickte wild, wie um seinen eigenen Einfall zu bestätigen. „Er ist ein Schlitzohr und Halunke, aber wenn es da irgendetwas zwischen Himmel und Erde gibt, das euch helfen kann, hat er davon gehört.“
„Guter Einfall“, ertönte es von hinten und Mina trat zu uns, die sich gerade ihr großes Schwert wieder auf den Rücken schnallte. „Da seid ihr aber auf euch gestellt. Die Lintbrut erwartet schon der nächste Auftrag.“
Rualab stöhnte laut auf.
„Ich will nichts hören!“, ermahnte sie. „Die Scheiße ist schon wieder am Dampfen, kann ich euch sagen. Deswegen ist es umso wichtiger, dass ihr drei die Oger wieder auf die Beine bekommt. Wenn es in dem Tempo weitergeht, werden wir schon bald von Hilfegesuchen aus ganz Karandia überschwemmt werden. Zuak, Morg und Grom, ihr stattet diesem Meister einen Besuch ab, wir anderen gehen Monster schlachten.“
Vereinzeltes, wenig begeistertes Gemurmel aus der Gruppe.
„Verstanden?“, rief Mina forsch.
Widerstrebendes Bejahen.
„Gut. Morgen früh geht’s los Richtung Norden. Ruht euch aus.“
Langsam schlurfend löste sich die Gruppe auf und trottete in Richtung Stadt davon.
„Und ihr drei“, fuhr sie an Zuak und uns gerichtet fort, „löst dieses Problem und kommt dann nach, verstanden? Wir brauchen euch.“ Sie schaute uns eindringlich an, bis wir nickten. „Gut. Viel Erfolg. Ich wünsche euch beiden von Herzen, dass ihr einen Weg findet.“ Sie warf Morg und mir noch ein letztes Lächeln zu und folgte dann den anderen. Ich schaute ihnen nach, wie sie durch das Tor der Burg verschwanden. Meine Freunde, meine Familie.
„Nun sind wir also wieder da, wo wir begonnen haben“, sagte Zuak in die kalte Nacht hinein.
„Und wir haben es geschafft – es herrscht Frieden zwischen unseren Völkern. Ohne dich hätten wir das nie erreicht“, stimmte ich zu.
„Ach, nicht der Rede wert.“
„Doch, es ist der Rede wert. Aber... solange wir Oger nicht wir selbst sind, ist es nur ein brüchiger Frieden. Ich befürchte, jeden Tag könnte uns unsere dunkle Seite überwältigen und uns in eine meuchelnde, rasende Horde verwandeln, die vor nichts und niemandem Halt macht. Je eher wir einen Weg finden, desto besser.“
Zuak nickte einsichtig. Wahrscheinlich dachte er an den Moment zurück, als wir ihn in einem Gebüsch versteckt gefunden hatten, und ich Morg und Gol’dar nur mit Mühe davon hatte abbringen können, ihn zur Fleischeinlage für unseren Eintopf zu machen.
„In Ordnung. Dann lass‘ uns keine Zeit verlieren. Zuerst, ähm, müssen wir meinen Meister erst einmal finden. Weißt du, er hat, uhm, sagen wir mal so, ganz ähnliche Probleme mit der zivilisierten Gesellschaft wie ich.“
„Du meinst, er ist also auch ein Eremit wie du?“
Zuak lachte trocken. „So kann man das auch nennen, ja. Komm, wir müssen uns für eine lange Reise wappnen.“