Ich schaute an mir herab und versuchte, das widerwärtige Schmatzen direkt neben meinem Ohr zu ignorieren. Starrte auf meine Hand, mit der ich die massiven Gitterstäbe umklammert hielt. Hin und wieder machte der Karren einen Satz, der uns von den Füßen zu werfen drohte, doch ich wollte mir einen Rest Würde bewahren und auf keinen Fall in die Knie gehen.
So umklammerte ich die Gitterstäbe noch ein wenig fester, bis die Knöchel meiner drei Finger weiß hervortraten, und stemmte mich mit aller Kraft gegen das holprige Wanken dieser seltsamen Konstruktion, in der wir festsaßen. Mein Blick blieb an diesem riesigen Fleischberg hängen, der mein Bauch war. Er schaute derart weit hervor, dass ich meine Hand beinahe vollständig ausstrecken musste, um die Begrenzung meines eisernen Käfigs zu fassen.
Wie aufs Stichwort ertönte ein röhrender Rülpser, nur wenige Handbreit von meinem linken Ohr entfernt. Angewidert seufzte ich und schielte zu Morg herüber.
"Kannst du dich vielleicht ein einziges Mal in deinem Leben ein bisschen zusammenreißen?", flüsterte ich ihm zu.
Mit blutverschmiertem Mund schaute er verdutzt zu mir herüber. "Waaas?" Ein blutiger Speichelfaden hing von seinem Kinn herab und war dabei, sich langsam bis zum Boden auszudehnen. Aus seinem einzelnen Auge mit der rubinroten Iris sickerte nur Verständnislosigkeit.
"Deine Manieren! Musst du wirklich ausgerechnet jetzt...? Ich meine, du kannst doch nicht einfach alles, was die dir hinwerfen, in dich hineinstopfen!" An seiner ausdruckslosen Mimik erkannte ich die Zwecklosigkeit meiner Bitte.
Es dauerte eine Weile, während ich ihm ansah, wie sein Verstand auf Hochtouren arbeitete, doch irgendwann verzogen sich seine feisten Wangen zu einem blutigen, fröhlichen Grinsen. "Ich habe Hunger!"
Ich ertappte mich dabei, wie ich die Augen verdrehte und aufstöhnte. Sei nachsichtig mit ihm, es ist nicht seine Schuld, dachte ich mir.
"Ja, natürlich. Du hast Hunger. Keine Sorge. Lass es dir schmecken." Ich versuchte ein aufrichtiges Lächeln und klopfte ihm aufmunternd auf die massige Brust. Sein Gesicht hellte sich augenblicklich auf und mit erneuertem Elan nahm er einen herzhaften Biss aus dem halbverwesten Kadaver, an dem er sich schon fleißig abgearbeitet hatte. Ich konnte nicht erkennen, was für ein Tier das mal gewesen sein mochte, wollte es im Grunde auch gar nicht wissen, und wendete mich angewidert ab. Ein leichter Verwesungsgeruch driftete zu mir herüber.
Ich konzentrierte mich wieder auf das, was jenseits der Gitterstäbe vor sich ging. Der vierspännige Wagen hatte inzwischen das Stadttor erreicht und die Ansammlung der Wesen war inzwischen so dicht geworden, dass kaum noch etwas von der Stadt zu sehen war. Selbst auf den niedrigen Dachfirsten saßen sie und starrten zu uns herunter. Zugegeben, ich war von Anfang an fasziniert von ihnen: derart schmächtig und klein, mit feinen Gesichtszügen und den buntesten Kleidungsstilen. Dergleichen hatte ich noch nie zuvor gesehen. Wie sie sich in der Welt behaupten konnten, derart schmächtig und klein wie sie waren, entzog sich meinem Verstand.
"Morg, schau doch mal! Die Stoffe, die diese Wesen an ihren Leibern tragen, ich glaube, das sind gar keine Rüstungen. Die müssen einen dekorativen oder zeremoniellen Zweck haben." Ich lachte leise auf, was einige von ihnen, die unmittelbar an der Straße standen, verschreckt zurückweichen ließ. "Was für eine Verschwendung", murmelte ich.
Morg quittierte diese Erkenntnis mit einem weiteren gewaltigen Rülpser und warf die abgenagten Reste seiner Mahlzeit nach draußen. Einer der Zuschauer, ein Weibchen, so vermutete ich, mit blonden langen Haaren, wurde von den blutverschmierten Knochenresten getroffen, wendete sich daraufhin rasch ab und erbrach sich in den Schlamm.
"Und sensibel sind die...", stellte ich amüsiert fest, was auch Morg ein rumpelndes Kichern entlockte.
Eine unserer Wachen, die im Gegensatz zu seinen Artgenossen sehr wohl Rüstung gekleidet war, teilte meine Belustigung offenbar nicht und stieß unter bedrohlichen Rufen mit einer spitzen Waffe durch die Gitterstäbe hindurch zu. Der Stoß war schwach und tat kaum weh, doch die Geste war kaum misszuverstehen. Grom knurrte bedrohlich und stierte die Wache finster an. Ein ungutes Gefühl überkam mich, ob diese Idee von mir nicht nach hinten losgehen würde.
Ich ließ meinen Blick weiter schweifen. Die vierbeinigen Kreaturen, die den Wagen zogen, auf dem unser Käfig befestigt war, kämpften sich mühsam über die schlammige Straße. Aus den tiefhängenden, grauen Wolken hatte ein stetiger Regen eingesetzt. Ich erinnere mich noch daran, wie ich ein wenig Mitleid mit ihnen empfand. Nicht dass unser Volk für Mitgefühl bekannt gewesen wäre, aber Ehre und Stolz wurden bei uns großgeschrieben. Versklavung war schlimmer als der Tod. Und diese Geschöpfe taten ihre Arbeit eindeutig nicht freiwillig.
Wir passierten das Stadttor, das mir, zugegeben, eine gehörige Portion Ehrfurcht einflößte. Derartiges zu errichten, dazu war mein Volk nicht im Stande. Wie schafften es diese schmächtigen Geschöpfe bloß, derart große Gesteinsbrocken aufeinanderzustapeln und zu einer solch ausgewieften Konstruktion zusammenzufügen? Ich musste mich dazu zwingen, meine Kinnlade zu schließen, was einigen Zuschauern Töne entlockte, die wohl Belustigung ausdrückten. Mir war es egal. Wenn ich doch nur etwas von ihrem Wissen abgreifen könnte, um es für uns nutzbar zu machen!
Mit einem Ruck kam der Wagen zum Stehen. Wir waren auf einer großen Freifläche angelangt, die von den winzigen, hölzernen Behausungen umgeben war. Plötzlich waren wir allein. Die Massen der Schaulustigen wurden von Wachen an den Rand zurückgedrängt, deren silberglänzenden Rüstungen zwar nichts an ihrer schmächtigen Statur änderten, ihnen aber einen weniger weichen Eindruck verliehen. Mit langen Stangenwaffen im Anschlag bildeten sie einen gepanzerten Schutzwall um uns.
Ein metallisches Klirren ertönte, als zwei der Wesen hektisch eine lange Kette vom Käfig lösten und sie anschließend im Boden fixierten, indem sie einen massiven Pflock durch ihre Öse trieben. Das andere Ende der Kette befand sich um unseren Fußknöchel.
"Morg, ich komme nicht umhin zu denken, dass die Angst vor uns haben."
Er ließ ein bellendes Lachen ertönen, dass den freien Platz erbeben ließ. Die Zuschauer wichen einen erschrockenen Schritt zurück. Große Augen starrten uns an.
"Und was soll das mit dieser Kette? Glauben die etwa, das würde uns einschränken?"
"Ich habe immer noch Hunger", bekam ich lediglich als Antwort.
Und ihr wollt nicht, dass Morg Hunger hat, dachte ich besorgt. Seitdem wir an diesem Morgen mit den Wesen Kontakt aufgenommen hatten, befanden wir uns ausschließlich in diesem Käfig – ohne Nahrung oder Wasser. Wie aufs Stichwort verspürte auch ich einen Stich in der Magengegend.
Eines der Wesen zog nun einen langen Stift aus der Käfigtür und warf sie mit einiger Kraftanstrengung auf, bevor es sich hektisch davon machte.
"Was denkst du, Morg? Sollen wir uns vorstellen?", fragte ich fröhlich.
Morg nickte mir grinsend zu. "Vorstellen."
"Und hör mir zu: keine Gewalt, verstanden?" Ich blickte ihm tief in sein Auge und hielt ihn fest, bis ich sicher war, dass er verstanden hatte. Schließlich nickte er grunzend mit einem Anflug von Enttäuschung. "Gut. Dann mal los. Und überlass' mir das Reden."
Ich quetschte mich durch den beklemmend engen Ausgang des Käfigs und stieg von dem Gefährt herab. Das Fuhrwerk knarzte bedrohlich, als es von unserem Gewicht entlastet wurde. Meine nackten Füße versanken ein Stück weit in dem matschigen Untergrund. Herrliche Kühle umgab unsere Füße, als kleine Rinnsale die entstehenden Fußstapfen mit Regenwasser auffüllten. Ich wackelte ein wenig mit den Zehen und streckte mich.
Der Kutscher tat es seinem Genossen, der den Käfig geöffnet hatte, gleich und machte sich schleunigst aus dem Staub. Bedauernd schaute ich den Pferden hinterher, auf deren Rücken der Kutscher knallende Peitschenhiebe herabregnen ließ. Urteile nicht über ihre Sitten und Bräuche, dachte ich mir.
So standen wir also einsam mitten auf der Freifläche, die grob geschmiedete Kette kalt und schneidend um unseren Fuß, mit vom trommelnden Regen durchnässter Robe. Morg ließ ein ungeduldiges Grummeln verlauten. Es war totenstill auf dem Platz. Die Schaulustigen starrten gebannt zu uns herüber, ohne einen Ton zu wagen.
Gerade als ich dachte, sie würden von mir eine Ansprache erwarten, traten aus der Menge drei der Wesen hervor: Eins in prunkvoller Plattenrüstung und Stangenwaffe, eins mit einem seltsam aussehenden Apparat in der Hand und ein drittes, das unbewaffnet, dafür aber mit allerlei Edelsteinen behangen war. Sicherlich war Letzteres ein wichtiges Mitglied der Gesellschaft.
"Könnte ihr Herrscher sein", murmelte ich und wandte mich aufrecht lächelnd der kleinen Prozession zu. Plötzliche Verunsicherung ließ den Herrscher einen Schritt lang zögern. Die anderen beiden, wahrscheinlich die Leibgarde, brachten ihre Waffen in Anschlag.
"Also gut, vielleicht nicht lächeln", flüsterte ich. "Verstanden, Morg? Nicht lächeln." Dumpfes murmeln von links.
Mit erhobener Hand, um möglichst entwaffnend zu erscheinen, ging ich einen Schritt auf die drei Wesen zu, hatte zu meinem Unglück allerdings die Fußfessel vergessen. Die Kette spannte sich mit einem ohrenbetäubenden, metallischen Knall, der der Menge einen angsterfüllten Aufschrei entlockte.
Du Idiot! Pass doch auf! Ein heißer Schauer der Wut rollte durch meinen Körper. Warum behandelten die uns wie Gefangene, wenn ich doch nichts weiter wollte, als zu reden? Meine Arme und Beine kribbelten – nicht gut. Wenn in mir schon der Wind der Wut wehte, musste in Morg bereits ein Orkan toben.
Der Herrscher der Wesen trat sichtbar nervös einige Schritte auf mich zu, war aber darauf bedacht, sich stets außerhalb des Radius der Kette aufzuhalten. Er hatte Angst.
Auch keine gute Voraussetzung.
"Guten Tag! Mein Name ist Grom." Ich klopfte mir mit der Hand auf die Brust, um den Inhalt meiner Worte zu verdeutlichen. "Und das ist Morg."
"Morg", brummte es neben mir wie zur Bestätigung.
"Wir sind vom Stamm der Kinder von Tÿl und grüßen euch!"
Der Herrscher drehte sich kurz zu seinen Leuten um, redete etwas in seiner Sprache und erntete von beiden ein Kopfschütteln. Ich hörte ihn laut ausatmen und noch ein Stück weiter auf mich zu treten. Ich konnte ihn nun aus nächster Nähe betrachten: Obwohl er im Vergleich zu den anderen recht groß war, ging er mir selbst nur etwa bis zur Brust. Sein Fell, das diese Wesen kurioserweise nur noch auf den Köpfen hatten, war bereits an vielen Stellen ausgefallen, der Rest war grau verfärbt. Seine Haut war nicht mehr so straff wie bei den meisten anderen, vielleicht ein Zeichen fortgeschrittenen Alters.
Er erhob seine Stimme und brabbelte mit übertriebener Betonung etwas in meine Richtung, von dem ich selbstredend nichts verstand. Doch an einer Stelle tat er es uns gleich, klopfte auf seine Brust und sagte etwas, das wie ein Name klang.
"Gregor", versuchte ich den Laut zu wiederholen, was den umherstehenden Wesen ein amüsiert klingendes Geräusch entlockte.
Na bitte, ein erster Schritt aufeinander zu. Es musste einfach gelingen, den Ältesten zu zeigen, dass es anders geht.
Plötzlich fühlte ich ein unkontrolliertes, leichtes Zucken im Bein. Die Kette klirrte hell und unbeugsam.
"Geduld", murmelte ich und schielte zu meinem Bruder herüber. Ein dunkler Schatten hatte sich an den Rändern seines Auges ausgeprägt, zornige Falten prägten sich tief in seine Gesichtszüge.
Aufkeimender Rausch, sich anbahnende blinde Wut, unstillbare Blutlust: Razsh’ek! Tÿl, bitte nicht jetzt!
Noch einmal spannte sich die Kette, bäumte sich auf gegen den Freiheitsdrang unseres Beins.
"Gregor", sagte ich, so viel flehende Bitte in meine Worte legend, wie es nur ging. "Ihr müsst uns freilassen. Wir sind nicht eure Gefangenen." Ich fuchtelte in Richtung der Kette um unseren Knöchel. "Gefahr!"
Morg riss die Kontrolle über das linke Bein an sich und zerrte wütend an der Kette. "Ich-lasse-mich-nicht-gefangen-nehmen!", donnerte er. Seine Stimme hatte bereits die verzerrte Färbung angenommen, die mit dem einsetzenden Rausch einherging. Deren furchteinflößende Wirkung ließ nicht lange auf sich warten und Gregor wich hastig zwei Schritte zurück. Seine Leibwachen tänzelten unruhig hin und her.
"Morg, Schluss jetzt!" Ich stemmte mich mit aller Kraft gegen die Wellen aus dunkelrotem Zorn, die durch meinen Körper rollten.
"Morg!" Ich verpasste ihm eine schallende Ohrfeige, in der Hoffnung, das aufziehende Unheil noch abwenden zu können. Doch kaum hatte sich der Hall der Ohrfeige gelegt, wurde mir mein Fehler bewusst. Anstatt ihn aus dem Razsh’ek zu holen, hatte ich ihn endgültig über die Klippe gestoßen.
Mit quälender Langsamkeit neigte sich sein Kopf in meine Richtung. Sein Auge glühte tiefrot, beinahe schwarz. Blasse Runen traten auf seinem Gesicht hervor; schattenhafte, fremdartige Zeichnungen der Gewalt. Das aus seiner Stirn hervorschauende, kurze Horn sah mit einem Mal sehr viel spitzer aus. Ein diabolisches Grinsen offenbarte spitze Fangzähne.
"Ach, Morg", seufzte ich resigniert. "Wir waren doch so kurz davor."
Dann riss er die Kontrolle an sich.