Prompt: Blickfang
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Die Sonne lachte an diesem herrlichen Tage und ich weinte mir die Seele aus dem Leib. Eigentlich passierten die wirklich schlimmen Dinge doch nur bei tristem Regen- oder Unwetter, wenn jeder ohnehin damit rechnete, dass die Welt gerade unterging. Aber heute war es anders. Die Vögel zwitscherten, ließen den wunderbaren Sommerabend ausklingen und jeder, dem ich zuvor auf der Straße begegnet war, schien fröhlich und guter Dinge zu sein. Nur ich und der sterbende Mann zu meinen Füßen ganz eindeutig nicht.
Ich wusste nicht mal, wie der junge Mann hieß, der verblutend vor mir am Boden lag. Ich war nur durch Zufall durch diese Gasse gelaufen und hatte sofort einen spitzen Schrei ausgestoßen. Damit vertrieb ich zwar die in schwarz gekleidete Gestalt mit dem blutgetränkten Messer, die sofort davonhechtete, war aber sofort danach in Schockstarre verfallen.
Die Sonne schien grell in mein Gesicht, tauchte den Verblutenden durch die Hochhäuser in dunkle Schatten. Mit schweißverklebten Haaren machte ich ein paar wackelige Schritte nach vorne. Ich fühlte mich, als würde ich jeden Moment zusammenbrechen.
Dann schaltete sich etwas in meinem Gehirn um und ließ mich die letzten Meter vorsprinten. Keuchend fiel ich neben der Blutlache auf die Knie, presste meine zarten Hände auf die klaffende Wunde an der muskulösen Brust des Mannes.
Ich schüttelte schniefend den Kopf. "Zu viel... Da ist zu viel Blut!" Warum ich weinte, war mir noch immer schleierhaft. Vermutlich stand ich einfach noch unter Schock.
Der Mann drehte seinen Kopf in meine Richtung, sah mit flatternden Augen zu mir auf. Er war hübsch, musste ich zugeben. Die dunklen Haare standen in großem Kontrast zu der weißen Haut seines Körpers. Ebenso wie das schwarze Tattoo an seinem linken Oberarm, welches rankenartig unter dem Ansatz seines Shirtes verschwand. Ich war der festen Überzeugung, dass Tattoos einen Mann gleich hundertmal attraktiver machen konnten. Nun aber blickten seine schönen, blauen Augen panisch zu mir auf. Riefen mir in Erinnerung, wo ich mich gerade befand. Der Kerl war ein echter Blickfang - würde er nicht gerade anfangen, die rote Flüssigkeit auszuspucken. Ich musste kein Arzt sein, um zu wissen, dass das gar nicht gut war.
Er würde sterben. Keinen Zweifel. Meine Hände konnte ich nicht wegnehmen, denn sobald ich das tat, floss noch mehr Blut aus der Wunde. Ich. Konnte. Nichts. Tun.
"Hallo? Hört mich hier jemand? Hilfe! Bitte!" Niemand kam. Und somit musste ich mit schreckgeweiteten Augen dabei zusehen, wie der hübsche Mann unter mir krampfte, noch mehr Blut spuckte und immer schwächer wurde. Bis er sich nicht mehr regte. Kalte, leblose Augen starrten mich an. Bohrten sich bis tief in mein Herz und ich wusste in diesem Moment, dass etwas in mir zerbrach.
Als ich eine zittrige Hand an seinen Kopf legte, schloss ich sanft seine Augen.
"Ruhe in Frieden", flüsterte ich kratzig. Es erschien mir angebracht in diesem Moment.
Dann erhob ich mich, schwankte leicht vor müder Trunkenheit und wischte mit dem blutfreien Handrücken über mein tränennasses Gesicht.
Schließlich taumelte ich davon. Weg von der Leiche. Raus aus der Gasse, um endlich Hilfe zu holen - auch wenn es dafür viel zu spät war.
Als ich den toten Körper des Mannes hinter mir ließ, wusste ich nicht, ob ich mich jemals von diesem Ereignis erholen würde. Damit, dass er es gar nicht so weit kommenlassen würde, rechnete ich jedoch nicht. Wer konnte schon ahnen, dass mir ein bestimmter Teil aus dieser Gasse folgen würde? Dass ich den toten Körper zwar hinter mir gelassen, aber trotzdem etwas des Mannes mitgenommen hatte?
Er würde es mich schon wissen lassen.