Prompt: Hoffnungsschimmer
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"Puh, dass du es wirklich noch geschafft hast, dich vor weiteren Umarmungen zu retten ... erstaunlich."
Ich schloss augenverdrehend die Tür hinter meinen Freunden und wandte mich dem letzten, ungebetenen Gast zu. Silas stand in einiger Entfernung, grinste lasziv vor sich hin und scannte meine angespannte Körperhaltung, ohne darauf zu reagieren.
"Also", schmiss ich angepisst die Hände in die Luft. Dann stemmte ich sie demonstrativ in die Hüfte. "Du müsstest eigentlich tot sein. Wieso bist du hier, Silas? Was willst du?"
Der Geist trat langsam näher auf mich zu, biss nachdenklich auf seiner Unterlippe herum. "Ich habe es dir schon gesagt. Ich brauche deine Hilfe."
Ich rümpfte die Nase. "Warum meine? Ich kannte dich vor deinem Tod nicht. Terrorisiere jemand anders!"
Silas verzog das Gesicht. "Das kann ich nicht."
"Wieso?" Ich wurde immer lauter, wollte Antworten, nicht diese kurzen Satzfetzen, die mir nicht weiterhalfen.
"Ich hab's versucht, okay?", kippte seine Stimmung. Verzweiflung lag in den Augen des jungen Mannes. "Ich habe versucht, deine Wohnung zu verlassen, dich zu verlassen, aber es geht nicht. Ich kann nicht weit von dir weg sein." Kleinlaut und mit dem süßesten Hundeblick auf diesem Planeten sah Silas flehend auf mich herab.
Stirnrunzelnd stammelte ich: "Ich - Ich verstehe nicht ... Wieso denn nicht?"
Silas zuckte mit dem Achseln. "Ich muss mich wohl irgendwie an dich gebunden haben. Ich sah dein Gesicht vor mir, kurz bevor ich starb. Das weiß ich noch. Leider ist der Rest ziemlich verschwommen."
"Verschwommen? Das heißt, du weißt gar nicht mehr, was genau an jenem Tage geschehen ist? Kannst du dich wenigstens an das Aussehen oder die Stimme deines Mörders erinnern?" Der Schock war mir deutlich anzusehen.
Seufzend schüttelte Silas den Kopf. "Deswegen bin ich ja hier - glaube ich. Weil ich noch nicht abgeschlossen habe mit meinem Tod. Weil ich denjenigen finden muss, der mich erstochen hat." Der Geist machte eine dramatische Pause. "Das heißt, wir müssen ihn finden."
Ich schnappte entgeistert nach Luft. "Was? Ich soll einen Mörder finden? Ich? Ha, vergiss es!" Energisch schüttelte ich den Kopf, der mittlerweile mit starken Kopfschmerzen auf meine Überforderung antwortete.
Silas machte noch einen Schritt auf mich zu, stand nun so dicht vor mir, dass ich ihn mit Leichtigkeit berühren könnte. Wie sich ein Geist wohl anfühlte? Kalt? Warm? Konnte man ihn überhaupt fühlen, oder griff man bloß hindurch? Silas sah bis auf seine Blässe und die blutigen Überreste seiner Ermordung eigentlich ganz normal aus. Fast schon zu normal. Und eindeutig zu perfekt. Als wäre er mit dem Bizeps und der hammer Frisur einem dieser Unterwäschemagazine entsprungen.
"Doch. Doch, ich denke, genau das wirst du tun, Grace. Denn ohne dich kann ich meinen Mörder nicht stellen. Ich komme nicht von dir los. Das bedeutet, ich werde dich also so lange nerven, bis du mir hilfst, Erlösung zu finden. Ich brauche die Wahrheit. Ohne sie werde ich nicht gehen können."
Ich blies empört die Backen auf. Was sollte das heißen? Würde er etwa für immer hier bleiben? Der Kerl sollte mich in Frieden lassen, ich kannte ihn praktisch gar nicht.
"Womöglich sollte ich einfach nur jemanden finden, der Geister austreiben kann. Dann habe ich endlich wieder meine Ruhe vor dir!"
Silas schnaubte belustigt, sagte aber nichts zu meinen harten Worten. Ich nickte also nachdenklich.
"Womöglich sollte ich jetzt gleich bei einer Hotline anrufen. Kann es kaum erwarten, dich loszuhaben." Silas' Gelassenheit schwand. Fest aufstampfend marschierte ich an ihm vorbei und grinste dabei breit.
"Bitte", ertönte es hinter mir. "Du musst mir helfen. Du musst einfach! Das - den Mörder zu finden - ist der letzte Hoffnungsschimmer, den ich noch habe. Oder möchtest du wirklich dafür verantwortlich sein, dass ein junger Mann niemals seinen Frieden finden kann? Willst du das wirklich?"
Ich hielt inne, senkte nachdenklich den Kopf.
"Bitte", hauchte Silas mir eindringlich in den Nacken. Die Haare auf meinem Rücken stellten sich wohlig auf. Ich biss mir unsicher auf die Unterlippe.
Bevor Silas sich noch näher über meine Schulter beugen konnte, grummelte ich: "Okay, okay! Aber solange du hier bist, wirst du dich wie ein anständiger ... Geist benehmen und mir nicht hinterherspionieren! Wehe, du folgst mir auch nur einmal ins Bad!"
Wieder formten seine Lippen ein attraktives Lächeln. "Keine Sorge, ich bin zwar mit 22 relativ jung draufgegangen, aber Sex hatte ich genug. Hab es gar nicht nötig, einem kleinen Mädchen hinterherzuspannern."
Mein Mund klappte auf und ich bekam ihn vor Empörung nur schwer wieder zu. "Entschuldige mal, ich bin schon zwanzig und damit ganz sicher kein kleines Mädchen mehr!"
Silas lächelte stumm in sich hinein und brachte mich damit erstrecht zur Weißglut. Wutschnaubend verschränkte ich die Arme vor der Brust.
"Ich hasse dich jetzt schon, nur um das mal klarzustellen!", grummelte ich beleidigt.
Der attraktive Geist lachte auf, bedachte mich mit einem funkelnden Blick, der mir durch Mark und Bein ging. "Oh, ich denke vielmehr, dass wir beide noch sehr viel Spaß zusammen haben werden. Warst du denn schonmal in einem Stripclub?"
Meine Züge entgleisten, als ich stammelte: "Ähm, n-nein, natürlich nicht. Hälst du mich etwa für eine Frau, die sich freiwillig für Geld auszieht?"
Silas gluckste. "Nein, aber mich schon."
"Was?"
"Ich war Stripper - also, als ich noch am Leben war. Das bedeutet, wir müssten da in nächster Zeit mal hin. Zum Umhorchen, versteht sich." Er sah wissend dabei zu, wie mir bei diesen Worten das Blut zu Kopfe stieg. Dann schaute Silas selbstbewusst an sich herunter. "Aber ich muss schon sagen, dass ich bis auf das Blut immernoch ziemlich heiß aussehe. Wer weiß, wenn du dich gut anstellst, liefer ich dir vielleicht noch eine Show." Augenzwinkernd neckte der Penner mich.
Ich presste angespannt die Lippen aufeinander und sah peinlich berührt zur Seite. "Nein, danke. Ich verzichte."
Silas brach in schallendes Gelächter aus, ich dagegen wurde immer röter und röter. "Ja, das dürfte definitiv noch interessant werden mit uns."