Prompt: Hagestolz
((veraltete) Bezeichnung für einen älteren, „eingefleischten“ Junggesellen, der von anderen oft als etwas kauzig angesehen wird)
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"Verdammt Silas, ich arbeite!", zischte ich mit hochrotem Kopf und bekam prompt einen verwirrten Blick meiner Mitarbeiterin einen Rechner weiter zugeworfen.
Aber dem Geist neben mir war es vollkommen gleich, dass mich andere für bekloppt hielten. Sein Kopf befand sich so dicht neben meinem, dass ich ihn hätte küssen können, wenn ich meinen Kopf nur ein wenig gedreht hätte - und er noch am Leben wäre. Interessiert schaute er ganz genau zu, was ich da am PC trieb.
"Das macht also ein Mediendesigner, ja? Sieht schon total professionell aus, dafür dass du noch in der Ausbildung bist.", räumte er ein und nickte bestätigend.
"Ich bin ja auch demnächst fertig mit der Ausbildung", flüsterte ich so leise, dass Silas sich direkt zu mir drehte und mir mit seiner Nähe noch mehr die Röte ins Gesicht trieb.
"Was-hast-du-gesagt?", raunte er ganz langsam in mein Ohr und obwohl ich ihm glaubte, dass er mich bei der Lautstärke tatsächlich nicht verstanden hatte, schnaubte ich eingeschnappt. Ich weigerte mich, meine Worte nochmal zu wiederholen, presste daher demonstrativ die Lippen aufeinander und spähte geradeaus auf meinen Computer. Einfach ignorieren. Er ist wie ein kleiner Welpe, irgendwann wird es ihm schon langweilig und er nervt mich nicht mehr.
"Pff, jetzt ignoriert sie mich auch noch! Nur weil hier eine andere Person mit im Raum ist ... Nun gut, vielleicht ist diese ja unterhaltsamer."
Ich riss den Kopf hoch und schielte zu Andrea hinüber. Silas schlenderte zu der etwas älteren Frau, die konzentriert auf ihren Bildschirm blickte. Als sie zu tippen begann, rutschte ihr Top ein wenig nach unten und enthüllte etwas mehr ... Brustbereich. Ich unterdrückte den Drang, diesen unmöglichen Kerl zurückzupfeifen, denn ich wusste ganz genau, welcher Ort seine Aufmerksamkeit hatte. Dieser ... dieser dämliche Geist! Nur weil er tot war, konnte er sich nicht alles erlauben.
Andrea blickte auf, bemerkte meine verkniffene Miene. "Alles in Ordnung?"
"Klar, bestens", meinte ich schnell und wandte mich von ihr ab. Angepisst widmete ich mich wieder meiner Arbeit. Ich war es satt, andauernd für verrückt erklärt zu werden, nur weil alle anderen Silas nicht sehen konnten.
Ein lautes Seufzen verlangte meine Aufmerksamkeit, aber ich dachte gar nicht erst daran, dem Drang nachzugeben. Stattdessen brannte ich schon fast ein Loch in den PC, so verbissen schaute ich darauf.
"Mir ist so langweilig."
Nicht mein Problem. Wärst du mal tot geblieben, Mr.! Meine Gedanken waren hart und ich schämte mich schon im nächsten Moment dafür, aber manchmal - also eigentlich immer - trieb dieser Geist mich einfach in den Wahnsinn.
Ich hörte im nächsten Moment die Tür aufgehen und Füße auf dem Pakettboden entlangschreiten.
"Holla, was hat der sich denn alles auf den Kopf geschmiert?", grunzte Silas und ich verdrehte sofort die Augen. Ich konnte mir schon denken, wer den Raum betreten hatte.
"Achtung, Süße! Die Schmalzlocke will zu dir", warnte Silas.
Ein Räuspern hinter mir ließ mich aufschauen und ich zwang mich zu einem höflichen Lächeln. "Guten Tag, Herr Hagestolz."
"Ach, Gracelyn. Ich sagte doch schon, Sie können Christian sagen." Mein Chef stellte sich dicht neben mich und grinste breit. Nur wirkte das bei ihm immer ein bisschen creepy. Oh Gott, ich versuchte gerade, mir diesen Mann als Geist vorzustellen ... Ich würde mich einscheißen vor Angst.
Silas tauchte an meiner anderen Seite auf und fragte erstaunt: "Ach, du heißt Gracelyn? Ich dachte immer nur Grace. Warum nennen dich deine Freunde dann nicht Lyn? Der Name klingt so viel schöner an dir. Ich nenne dich ab jetzt einfach Lyn."
Ich unterdrückte ein Augenrollen und ignorierte den Idioten. Stattdessen nickte ich meinem Chef höflich zu und nahm die Maus wieder in die Hand, um mich etwas von ihm abwenden zu können. Ich empfand seine Duftnote immer als etwas zu dick aufgetragen.
"Und? Kommen Sie zurecht? Soll ich Ihnen noch etwas erklären? An dem Layout könnten wir noch ein wenig herumbasteln", bohrte Herr Hagestolz nach und lehnte sich näher über meine Arbeit.
Silas trat stirnrunzelnd einen Schritt auf den wenig älteren Mann zu. Erhabenheit traf auf absonderliches Verhalten. Selbstbewusstsein auf Eigenbrötler.
"Sag mal, täusche ich mich, oder macht der sich gerade an dich ran?" Silas' Empörung ließ mich glucksen, war er doch selbst derjenige, der mir gerne mal auf die Pelle rückte.
"Gracelyn? Alles in Ordnung bei Ihnen?", fragte Herr Hagestolz erstaunt über meinen plötzlichen Lacher.
"Nein, Christian, alles bestens", erklärte ich zum wiederholten Mal an diesem Tage und ließ das Grinsen schnell sein.
Mein Chef nickte, immernoch ein wenig verwirrt und wollte gerade nach meiner Maus greifen, da zuckte er heftig zusammen.
Silas hatte seine Hand in den Nacken des anderen Mannes gelegt und ich funkelte ihn warnend an. Doch derjenige dachte gar nicht daran, aufzuhören und tippte immer wieder mit seinen Fingern auf dem Nacken des anderen herum.
"Hier ist es aber kalt", zog Herr Hagestolz andauernd seine Schultern zusammen und Silas bekam sich kaum noch ein vor Lachen.
Andrea hob den Kopf von ihrem PC und kicherte übertrieben. "Kalt? Ich schwitze mich hier drin halb zu Tode, Christian."
"J-Ja, da haben Sie wohl recht", murmelte mein Chef stirnrunzelnd. Silas hatte aufgehört.
Schulterzuckend wollte sich Herr Hagestolz wieder mir zuwänden, da brannten Silas wohl im wahrsten Sinne des Wortes die Sicherungen durch.
Mit einem Mal gaben die Computer im Raum den Geist auf und ich zischte: "Nein. Das darf ja wohl nicht wahrsein."
"Nanu? Ein Stromausfall?, murmelte Herr Hagestolz, der gerade versuchte, den Lichtschalter zu bedienen. Ohne Erfolg.
Andrea warf neben mir die Hände in die Luft. "Verdammt! Ich habe doch noch gar nicht gespeichert."
Ich hingegen war damit beschäftigt, Silas mit Blicken zu ermorden - obwohl er schon tot war und obwohl ich ihn für die Unterbrechung gleichzeitig am Liebsten um den Hals fallen würde.
"Ich schaue mal schnell nach draußen", kratzte sich Herr Hagestolz am Hinterkopf und verließ den Raum.
Mein strafender Blick galt noch immer dem Geist, der hämisch grinsend wieder auf mich zutrat. "Keine Sorge, ich mache den Strom gleich wieder an. Aber du musst zugeben, dass der Trick verdammt cool ist."
Triumphierend lehnte er sich neben meinen Schreibtischn und ich konnte ein herzliches Lächeln einfach nicht unterdrücken. Dieser Kerl hatte echt einen Knall, aber seine Geisterfähigkeit - von denen er mir eindeutig zu wenig preisgab - waren wirklich Gold wert.
"Danke", raunte ich leise. So leise, dass Andrea es mit ihrem kleinen Nervenzusammenbruch gar nicht mitbekam. Aber an Silas' strahlender Mimik erkannte ich, dass er mich sehr wohl verstanden hatte.
"Immer wieder gern. Dafür bin ich doch dein Geister-Buddy. Um dich vor schmierenden Herr Hagestolzes zu beschützen."
Wir prusteten beide los und ich hielt mir schnell die Hand vor den Mund, als Andreas aufgelöste Miene mich streifte. Aber diesmal bekam ich mich nur schwer unter Kontrolle.
Sollten sie mich doch alle für gestört halten. Im Moment war es mir egal. Ich fühlte mich mit Silas auf eine magische Weise verbunden. Er machte mich glücklich, brachte mich ebenso oft zum Lachen, wie um den Verstand. In diesem Moment waren wir beide gemeinsam Freaks ... und es fühlte sich verdammt gut an.