Prompt: Wohin gehörst du?
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Mit hängenden Schultern trottete Silas hinter mir her, die Treppenstufen hinunter. Endlich hatte ich Feierabend und konnte von meiner Arbeit verschwinden. Der Geist an meiner Seite war weniger gut drauf, und generell die zweite Hälfte meiner Arbeitszeit heute ungewöhnlich still gewesen. Vermutlich glaubte er, dass ich nach seinem kleinen Lampen-Missgeschick heute Morgen nicht mehr mit ihm zu diesem dämlichen Stripclub fahren wollte. Und tatsächlich hatte ich auch nur wenig Lust dazu. Aber wenn er mich so ansah ...
Mit einem lauten Seufzen machte er sich hinter mir bemerkbar, die Lippen missmutig zu einer Flunsch gezogen. Wir erreichten das Erdgeschoss und nochmal ertönte ein Seufzen.
Ich verdrehte grinsend die Augen. Ein wenig fies war ich ja schon, ihn nicht in meine Abendplanung einzuweihen. Aber der Idiot hatte es auch gar nicht anders verdient.
Ich machte den bitterbösen Fehler, kurz nach Silas zu schauen und fing seinen traurigen Hundeblick auf. Zähneknirschend schaffte ich es dennoch, mich wieder auf meinen Weg zu konzentrieren. Ich eilte am Eingangsbereich entlang, hob meine Hand den Entgegenkommenden zum Abschied und verließ das Gebäude.
"Hä", kam es hinter mir. Meine Mundwinkel hoben sich amüsiert. "Möchtest du denn nicht noch auf deinen Chef und Andrea warten, damit ihr einen Trinken könnt?"
"Nein", entgegnete ich aussagelos, biss mir feixend auf die Unterlippe.
"Ach", horchte Silas hinter mir auf.
Ich konnte es mir nicht verkneifen, ihn noch ein wenig mehr zu ärgern: "Wir fahren jetzt heim."
"Oh"
Ich drehte mich zu dem niedergeschlagenen Mann um, den nun wieder die Hoffnung verlassen hatte.
"Du magst mich einfach nicht.", hörte ich ihn melancholisch flüstern und befürchtete, er würde jeden Moment in Tränen ausbrechen. Konnten Geister weinen? Sie waren nicht mehr wirklich da, also konnten sie sicher keine Tränen produzieren.
Dann legte Silas los und ließ mit weinerlicher Stimme seinen ganzen Frust raus: "Was mache ich überhaupt hier? Ich bin auf eine blöde Zicke angewiesen, die sich andauernd beklagt und beklagt, und mich nichtmal leiden kann. Ich kann nirgendwo hin und werde wohl den Rest meiner unsterblichen Existenz an ihrem Hintern kleben ... Und alles ist so scheiße! Manchmal frage ich mich echt, wo ich jetzt wäre, hätte ich nicht ... Wenn ich nicht hier wäre, verdammt!"
"Ja, das fragen wir uns doch alle irgendwie, nicht wahr? Wo gehöre ich hin? Wo wäre ich, wenn ich andere Entscheidungen getroffen hätte? Fragen über Fragen.", meinte ich ausweichend, grinste immernoch in mich hinein.
An meinem Auto angekommen schloss ich die Fahrertür auf und setzte mich entspannt auf meinen Platz. Ehe ich es mich versah, saß Silas auch schon neben mir im Wagen, die Fäuste geballt und mürrisch nach draußen schauend.
Ich startete den Motor und sah zu meinem Weggefährten herüber. "Also, Silas, dann führe mich mal zu diesem Stripclub!"
Sein Kopf schoss nach oben, die Augen weit aufgerissen. "Was hast du gesagt?"
"Dass du mich zu dem Stripclub leiten sollst. Eigentlich wollte ich mich davor zwar noch zu Hause umziehen, aber schön, wenn meine kleine Mimose es so will ... Dann fährt die blöde Zicke eben direkt mit diesem wunderschönen Schlabber-T-Shirt da hin. Kommt bestimmt gut an."
Große Augen starrten in meine. Scannten meine verschmitzte Miene nach Unwahrheiten ab. Dann begann Silas urplötzlich zu strahlen.
"Hach, ich liebe dich."
Meine Augenbrauen hoben sich. "Ach, auf einmal?", kicherte ich.
"Die nächste links und an der Ampel rechts vorbei", zeigte Silas aufgeregt und ich folgte mit den Augen seiner Schilderung, bevor ich den Blinker setzte und losfuhr.
Nach kurzer Zeit des Schweigens meldete ich mich wieder zu Wort: "Bevor wir dort ankommen, musst du mir aber noch etwas erzählen aus deiner Vergangenheit. Irgendwas. Nur eine Sache, dann bin ich für's Erste zufrieden. Du erzählst mir nämlich nie etwas und wenn ich diesen Club für dich betrete, dann bist du mir ein kleines Detail schuldig!"
Silas blickte verschreckt zu mir, sah sofort wieder weg und ich konzentrierte mich angestrengt auf den Verkehr, während ich auf eine Antwort wartete.
Nach einigen Minuten gestand Silas kleinlaut: "Hab mal ziemlich viel Kohle im Lotto gewonnen."
Meine Augen zuckten überrascht zu ihm, da ergänzte er auch schon: "... und ich hab alles davon wieder verloren."
Ich öffnete überrumpelt den Mund, wusste aber keine Erwiderung darauf. Da Silas keine Anstalten machte, weiter ins Detail zu gehen, murmelte ich abgehakt: "O-kay".
Schweigend fuhr ich weiter, erhob kein weiteres Mal das Wort. Wir hangen beide unseren Gedanken nach. Ich wollte unbedingt einen Einblick in seine Welt; Silas grübelte vermutlich darüber nach, wie er mir so wenig wie möglich erzählen konnte.
War ihm seine Vergangenheit so unangenehm? Gab es peinliche Einzelheiten? Oder was zur Hölle war sein verficktes Problem?
Langsam fragte ich mich wirklich, wer von uns beiden die Infos nötiger hatte, die uns im Stripclub erwarteten. Der Geist, dessen weitere Existenz davon abhing, oder ich, die sonst langsam mit seiner Geheimniskrämerei den Verstand verlor.