Xenon, Cyb, and fighting Writer's Block
Regen prasselt gegen die Scheibe des Wintergartens. Grau waschen die Wassermassen über Dach und Wände. Das ohnehin gräuliche Licht von draußen wird weiter verzerrt, Lichtspiegelungen huschen über Stapel und Stapel von angefangenen Manuskripten.
Mit einem leisen Knurren zupfe ich die nächste Seite aus der Schreibmaschine - eine mit extra großen Tasten für Wolfspfoten! - und stapele sie zu dem Rest. Mein Blick gleitet über das Chaos, das mir fast schon körperlich wehtut.
Ich muss heute noch irgendwas schreiben - aber was?
Nun ja, an Möglichkeiten mangelt es mir nicht unbedingt. Da ist mein "Let's Write", wo zum Monatsende ein langes Kapitel fällig ist, Fantasyromane und Überarbeitungen im Überfluss und eine reichhaltige Sammlung an Textprompts. Ganz zu schweigen von der Vielfalt alter Ideen, die ich mal angefangen habe und dann pausieren musste, weil die laufenden Projekte vorgehen. Ein paar davon sind relativ dringend, zum Beispiel müsste ich eigentlich wieder an den Eisenwelt-Geschichten arbeiten, um einen guten Vorrat zu haben ... Und dann gibt es noch dringende Aufträge mit nahender Deadline. Und ein paar Geschenke stehen noch aus; und schließlich kann ich nichts basteln und kaufen ist doof, also bleibt es oft bei Texten.
Aber irgendwie will kein Text so richtig. Ich hätte durchaus Ideen für den weiteren Verlauf, aber keine Lust, das alles aufzuschreiben. Da fehlt irgendwie das ...
"FEUER!"
Ich schrecke zusammen, als der Schrei erklingt.
"FEUER! DIE BURG BRENNT!"
Panisch hetze ich los. Meine Gedanken jagen im Kreis. Sind das die Winterdämonen? Aber die Armee wird doch erst im November erwartet, und kein Späher hat ihr Kommen gemeldet! Oh Sterne, ich bin noch nicht fertig für die Invasion! Das ist noch so etwas, was Druck macht.
Der Ruf führt mich in die Küche, wo es nach Rauch riecht. Den erwarteten californischen Waldbrand entdecke ich aber nicht, dafür ...
"Xenon? Was schreist du hier so rum?"
"Na endlich kommt jemand! Du musst echt an deiner Feuerwehr arbeiten, Wolf. Schnell, der Kuchen muss raus!"
Ich starre durch die Ofentür auf ein schwarzes, undefinierbares Etwas. "Es ist vielleicht besser, du setzt dich ..."
Xenon hüpft um meine Pfoten. "Na los, na looos!"
"Ich fürchte, hier kommt jede Hilfe zu spä-AUA!" Ich springe instinktiv auf und schüttele die Pfote, an der ein bissiger Otter hängt. Im nächsten Moment schließe ich die Augen, als Xenon durch die Küche geschleudert wird.
Scheppern ... Klirren ... Stille ...
"Mach. Diese. Tür. Auf."
Ich atme auf. Xenon lebt noch! Dann packe ich den Ofengriff mit den Zähnen und ziehe vorsichtig. Beißender Qualm zieht durch die Öffnung in meine Nase. Ich japse und springe zurück.
Der Feuermelder an der Decke schrillt los. Ich huste.
"Die Tür", sagt Xenon gedämpft.
Etwas verwirrt, da die Ofentür ja jetzt offen ist, realisiere ich, dass er eine andere Tür meint. "Xenon?"
"Hier", erklingt es dumpf aus dem Mülleimer. Ich öffne den Deckel und ein Otter klettert aus den Bananenschalen. "Was ist das für ein Lärm?"
"Der Feuermelder", informiere ich ihn.
Xenon guckt an die Decke. "Och ... hey, das ist mein Job!"
Draußen erklingt metallisches Trappeln und Cyberdoggo kommt in die Küche gesprungen. Er klappt das Maul auf und fährt den Löschschlauch vor, dann erscheinen kleine Ladekreise in seinen Augen, als er kein Feuer entdeckt.
"Alles gut, der Brand ist unter Kontrolle", murmele ich und trete an die Brandleiche aus dem Ofen. Es handelt sich um einen beinahe runden, oben ziemlich schiefen Kuchen, der aussieht, als hätte ihn gerade ein Arbeiter unter widrigen Bedingungen in einem von Deutschlands ältesten lukrativen und umweltschädlichen Gewerben an die Oberfläche befördert. Unter den Kohlen riecht es leicht nach Fisch.
"Xenon, was ist das?"
"Kuchen", sagt der kleine Otter. "Fischkuchen."
Cyberdoggo fährt mit leisem Surren den Löschschlauch ein, schluckt einmal und piepst fragend. Auf dem Bildschirm auf seiner Stirn erscheint das Wort: "Fischkuchen?!"
"Xenon, wieso machst du ganz alleine Kuchen?", frage ich wieder. "Hätte Mobu dir nicht helfen können?"
"Der war beschäftigt", schmollt Xenon. "Dieses doofe Stift und Papier, wo der immer stundenlang verschwindet."
"Verstehe. Wir brauchen einen neuen Babysitter."
"Eyy!" Xenon funkelt mich an.
Cyb blinzelt und interessiert sich mit einem Mal sehr für die Decke.
"Dann ist es ja beschlossen. Cyb, räumst du hier noch auf?" Ich trotte wieder aus der Küche. Das Adrenalin hat sich gelegt und meine Gedanken schweifen mal wieder zu endlosen Stapeln zu füllender Seiten. Wenn ich endlich mit meiner Tagesseite durch bin, kann ich aufräumen! Oder schlafen. Irgendwie so was halt.
Im Wintergarten empfangen mich Dunkelheit und Regengeräusche. Ich setze mich wieder und zermartere mir das Hirn.
Es kann doch nicht so schwierig sein, ein paar Worte auf's Papier zu bringen! Ich mache das lange genug - ganz, wie es im Vertrag zwischen Lys und mir festgehalten ist - und hab noch nie wegen Unlust oder Stress versagt. Nur, wenn ich es mal vergessen habe, und dafür mache ich ordentlich meine Strafseiten.
Also, vielleicht erledige ich einfach ein paar Kurzgeschichten mit Deadlines. Obwohl, was mache ich, wenn ich nicht auf die Mindestlänge komme? Stückwerk?
Ein infernalischer Lärm reißt mich aus der Konzentration. Musik dröhnt durch die Gänge und vibriert in meinen Ohren.
Chopin. Funeral March.
Ich stürme nach draußen. "XEEENOOON!"
Den Otter und Cyb entdecke ich, nachdem ich mich zur Quelle des schrecklichen Lärms vorgekämpft habe. Die Quelle ist der Schallplattenspieler im Wohnzimmer, und eine Spur offener Türen, durch die eisiger Wind fegt, führt mich auf den Innenhof der grauen Burg.
Dort tragen Xenon und Cyberdoggo soeben den Kuchen zu Grabe.
Mein Fell sträubt sich automatisch, als ich in den eisigen Nieselregen trete. Cyb senkt den Kuchen in ein Loch im Boden. Xenon hat sich auf die Hinterpfoten aufgerichtet und die Vorderpfoten vor dem Bauch gefaltet. Mit gesenktem Kopf und ernster Miene betrachtet er Cybs Arbeit und wischt sich sogar einen Regentropfen aus dem Augenwinkel.
Er fährt erst zusammen, als er mein leises Knurren vernimmt.
"Marv! Willst du auch noch ein paar Worte sagen?"
"Ihr beide wisst, dass der Biomüll da hinten steht, oder?", frage ich gereizt.
"Xenon sagte ...", beginnt die Anzeige auf Cybs Stirn, aber ich lass eihn nicht zu Ende tippen.
"Hier wird der Müll ordentlich getrennt!" Ich sehe beide streng an. "Und Xenon, du machst das Loch im Blumenbeet wieder zu!"
"Du herzloser Spaßverderber!", mault Xenon.
"Und mach schnell." Ohne den mechanischen Wolf überhaupt anzusehen, schicke ich Cyb mit einem Ohrenzucken zum Müll. Sein Getriebe knirscht leise, als er loseilt.
Xenon zieht eine Schnute und beginnt, das ausgehobene Grab aufreizend langsam mit Erde zu füllen.
Die Schreibmaschine klappert beruhigend, wenn auch ziemlich langsam. Am Ende habe ich mich entschieden, das Projekt zu machen, auf das ich eigentlich keine Lust hab. Aber es hilft ja nichts - und heute habe ich ohnehin keine Lust auf irgendwas.
"Haaa ... tschie." Ich blinzele Tränen aus meinen Augen und sehe auf das Blatt. Gut, es ist noch da. Wo kommt denn der Schnupfen her? Ich erkälte mich sonst nie, immerhin habe ich einen dichten, für nordische Winter gebauten Pelz!
Schniefend tippe ich weiter und ... "Huachooo!"
Diesmal habe ich klugerweise zur Seite gezielt. Einige Notizzettel trudeln durch die Luft.
Ich senke die Pfote wieder auf die Tasten, als ... "HATSCHIIIEEE!"
"Alles in Ordnung, Wolf?" Xenon steckt den Kopf in den Wintergarten und schüttelt sich. "Brrr, ist das kalt hier!"
"Bin gleich fertig", murre ich und ziehe die Nase hoch.
Xenon tappst trotzdem rein. "Warum hast du denn kein Licht an?"
Ich sehe mich verwundert um. "Stimmt, das Zimmer hat Lampen."
Xenon klettert über einen Stapel Papier und springt gegen den Lichtschalter. In der plötzlichen Helligkeit kann ich zusehen, wie der Stapel ins Rutschen gerät und den kleinen Otter gerade noch auffangen.
"Waff maphst du denn?", nuschele ich um eine Maulvoll Otternacken.
"Licht!", verkündet Xenon und zappelt sich frei. "Kommst du Kuchen backen?"
"Ich muss noch schreiben."
"Laaangweilig", brummt Xenon, stemmt sich gegen meine Hinterpfote und drückt.
Nach einer Weile habe ich Mitleid und mache einen Schritt vor.
"Na also!" Xenon hüpft voraus.
Ich werfe einen letzten Blick auf meine geliebte Schreibmaschine und trotte hinterher. Nachdem ich das Licht wieder ausmache. Man will ja Strom sparen.
In der Küche riecht es nach Fisch. Cyb hat das Tranchiermesser ausgefahren - eine weitere seiner Applikationen - und schneidet Lachs in Streifen.
Ich strecke vorsichtig die Nase auf die Arbeitsplatte. Kurz warten, bis Cyb sich wieder zum Lachsanfang dreht ... JETZT! Zunge raus, Lachsstreifen schnappen, abhauen.
Mein Fell prickelt leicht, als ich mich unter einen Küchenstuhl für menschliche Besucher rette. Während ich kaue, merke ich, dass mein Magen knurrt.
Wie lange habe ich eigentlich an dem doofen Manuskript gesessen?
Ich lecke mir die Lippen und fasste Cyb erneut ins Auge.
"Vergiss es!", blinkt der Robowolf warnend und beginnt, den Lachs auf dem Kuchen zu verteilen.
Diesmal ist der Kuchen übrigens perfekt rund. Also, kugelförmig. Interessiert sehe ich zu, wie Cyb den Lachs mit Meerrettich festklebt.
"Was wird das?", frage ich schließlich.
"World of Salmon!", antwortet Xenon prompt und leicht sabbernd.
"Eine aus Lachs bestehende Erdkugel", antwortet Cyb. "Nicht im Maßstab."
"Zum Glück", witzele ich. "Und das schmeckt?"
"Meine Analysen haben ergeben, dass Lachs besonders oft mit Meerrettich und Schwarzbrot gegessen wird. Außerdem habe ich keine Definition von Kuchen gefunden, die eine derartige Interpretation verbieten würde, folglich ..."
Cyb textelt nicht zu Ende. Das macht er immer, wenn er keine Möglichkeit sieht, widerlegt zu werden, und Akku sparen will.
Ich fürchte, das hat er von mir.
"Köstlich", murmele ich und hoffe insgeheim, dass Xenon die Weltkugel alleine aufkriegt. Unwahrscheinlich, wenn man die Größe seines Magens mit der der Kugel vergleicht ... aber mir fallen wenig andere Leute ein, die einen Lachskuchen essen würden. "Und wofür braucht ihr mich?"
"Um das in den Ofen zu schieben", antwortet Cyb. "Meinen Berechnungen zufolge reichen zwei Wölfe für die meisten Aufgaben aus, die ein Mensch alleine ausführen kann."
Ich versuche, mir ein Gegenbeispiel einfallen zu lassen. Dann gebe ich auf. "Hättet ihr dafür unbedingt mich gebraucht? Hier laufen doch genug andere Wölfe rum."
Darauf erhalte ich keine Antwort. Cyb macht die Kuchenkugel fertig. "So! Xenon, die Klappe."
Der Otter hüpft an der Ofentür hoch, umfasst die Stange und lässt sich samt Klappe nach unten fallen. Ich trete zu Cyb und helfe ihm, den Kuchen in den Ofen zu balancieren, bevor der Roboter den Ofen mit einigen Piepssignalen bittet, den Kuchen zu erhitzen und nach der notwendigen Zeit auszustellen.
Xenon springt auf meinen Rücken. "Reiten!"
"Ich muss schreiben", murre ich mit mühsam unterdrückter Ungeduld.
"Zur Schreibmaschine reiten?", fragte Xenon mit Engelsblick und zupft an meinen Ohren.
Soll er sich eben dort langweilen, entscheide ich, und trotte zurück zu meiner Schreibmaschine, dabei Xenons "Hüh!" und "Schneller!" ignorierend. Ich werfe einen Blick auf die Seite. Fast fertig ...
Während ich tippe, verliere ich Xenon tatsächlich aus den Augen, denn als die Seite fertig ist, ist der Otter nirgendwo zu sehen. Ich sehe mich um. Wann habe ich denn das Licht eingeschaltet? Und was riecht hier so nach Fisch?!
Oh nein!
Im Eingang zum Wintergarten steht die fast unangerührte Lachsweltkugel. Panisch suche ich nach einem Fluchtweg, und dabei streift mein Blick die Seite.
Nur, dass ich gar nicht nur eine Seite geschrieben hab. Da ist offenbar mal wieder jemand traumtänzerisch über's Ziel hinausgeschossen. Und das heute.
Und das hat Xenon genug Zeit für diese perfide Falle gegeben. Ich ziehe die Nase hoch und erinnere mich, dass Meerrettich bei Schnupfen helfen soll.
Ob das alles von langer Otterpfote geplant gewesen war? Mich mal rauszukriegen, damit ich danach mit frischer Energie zum Schreiben komme?
Würde Xenon so etwas machen und durchziehen? Die Antwort lautet: Oh ja!
Wie soll ich denn jetzt um den Kuchen herumkommen?
Mein Blick schweift zum Leser ...
Magst du ein Stück Kuchen? :D