Mac, Sepia, and running away from Things
Ich starre auf den Adventskalender, wie schon die letzten zwei bis drei Stunden.
"Wenn ich das Türchen nicht öffne ... dann hab ich noch einen Tag mehr bis Weihnachten, ja?"
"So funktioniert das nicht", sagt jemand hinter mir.
Ich drehe den Kopf. "Mac! Sepia! Seit wann steht ihr da?"
Die beiden Pferde in der großen Halle tauschen einen kurzen Blick.
"Nicht lange", sagt Sepia dann.
Ich stehe auf und trotte zu ihnen. Leises Rattern begleitet meine Schritte. Das ist das Postfach, in dem die Challenge-Prompts ankommen, hübsche, kleine Päckchen in getrocknete Algen geschlagen aus Xenons Torfmooren. Leider ist die Röhre verstopft, weil ich schon länge keine Pakete mehr abgeholt habe, und deshalb rattert das Ding. Es ist echt nervig, aber ich hab leider im Moment keine Zeit dafür.
"Du wolltest uns sprechen?", fragt Mac.
"Ja! Ich hab eigentlich noch ein paar Pakete auszuliefern. Geschenke bis Weihnachten. Aber ich bin noch gar nicht zum Einpacken gekommen und Briefe muss ich auch noch schreiben, und ich habe das Gefühl, dass ich alle möglichen Leute vergesse! Und dann muss ich noch die Weihnachtstexte fertig kriegen, und eigentlich sollte ich auch gleich die Adventskalender für das nächste Jahr anfangen, bevor ich das wieder in der letzten Sekunde mache, und ..."
"Atmen, Marv", sagt Sepia besorgt.
"Bin ich schlecht drin", japse ich leise. Ein Druck scheint sich um meine Kehle zu legen, wie eine Art Halsband, das mir die Luft abschnürt. Oder ist die Luft hier drinnen nur wieder zu schlecht? Ich sollte die Fenster auf- oh, die sind ja schon offen.
Ich räuspere mich ein paar Mal und gähne, um den Druck aus den Ohren zu bekommen. Trotzdem bemerke ich, wie Sepia einen weiteren Blick mit Macchiato tauscht.
"Du musst mal eine Pause machen", sagt Mac.
"Pause?", quieke ich ebenso entsetzt wie Lyssa es tun würde. "Auf gar keinen Fall!"
"Oh doch!", wirft jetzt Sepia ein, senkt den Kopf und drückt mich in Richtung der Tür. "Komm mal mit."
"Aber ... ich hab so viel zu tun! Und ich komme einfach nicht voran!"
"Das liegt daran, dass du den ganzen Tag schon nichts anderes machst!" Mac schnaubt. "Was sagst du noch gleich zu Neulingen? Kreativität kann man nicht erzwingen."
"Ja, man nicht, aber ich!"
"Und wie oft", fragt Sepia, "hast du jetzt betont, dass Pausen wichtig sind?"
"Vielleicht ein-, zweitausend mal ..." Ich erstarre. Nicht nur rein metaphorisch. Die beiden Pferde haben mich unauffällig nach draußen dirigiert und ... brr! ... ist das kalt!
Schnee treibt heulend durch die Luft, ein unwahrscheinlicher Lärm nach der Stille der verlassenen Halle. Wind zerrt an meinem Fell und meinen Ohren. Ich schnappe leicht nach Luft.
"Komm." Sepia trabt los. Ich trotte hinterher und Mac setzt sich an meine Fersen. Gegen die Schneeflocken, die Sepias Hufe aufwirbeln, kneife ich die Augen leicht zusammen. Ich merke, wie ich bereits nach wenigen Metern außer Atem gerate.
Tja, ich bin echt nicht mehr im Training. Ich will anhalten und umkehren.
"Was genau wird das?", fragt Mac und versperrt mit den Rückweg.
"Ich hab wirklich keine Zeit, ich muss noch so viel tun!", wimmere ich mitleidsheischend.
"Wir rennen deinen Terminen jetzt mal davon", sagt Mac.
"Ich glaube, das funktioniert so nicht", merke ich an. "Die Zeit ist immer schneller."
"Ja, aber Stress hat kurze Beine." Sepia lacht. "Also schwing die Pfoten, Wolf."
"Ich hab dafür wirklich keine ..."
"Das sagtest du schon."
Mit einem Seufzen gebe ich mich geschlagen und folge den beiden Pferden. Eine Runde über den Berg. Zwei Runden. Drei.
"So, reicht es jetzt?", knurre ich recht gereizt am Ende von Runde vier.
Sepia mustert mich kritisch. "Kein bisschen. Was hältst du von Meditation."
"Dafür bin ich in etwa so gut geeignet wie Xenon."
"Wir brauchen härtete Geschütze", sagt Mac.
"Nein! Ich brauche nur Ruhe, um alles zu erledigen!", grolle ich.
"Dass das nicht funktioniert, wissen wir ja schon." Sepia legt den Kopf schief. "Mac, haben wir Musik?"
"Gute Idee. Ich weiß, wo ein MP3-Player ist."
Ich sehe von einem hohen Pferdekopf zum Anderen. "Hey! Ich sagte doch, ich will ..."
Mac galoppiert los.
"Hey!", brülle ich wütend.
"Marv, jetzt warte mal. Du kannst nicht rund um die Uhr arbeiten. Du bist viel zu angespannt." Sepia trabt mir in den Weg, als ich Mac folgen will.
"Das ist ja nur jetzt ... bis alles erledigt ist", murre ich.
"Wir kennen Lyssa genauso gut wie du", erwidert Sepia nur.
Und sie hat recht - ich werde nie fertig sein.
Mac kommt mit Kopfhörern zurück und setzt sie mir auf. Etwas widerstrebend starte ich das Lied.
Ohhh! "Seven Days to the Wolves"! Das ändert die Sachlage natürlich!
Glücklich schließe ich die Augen und lausche auf die vertrauten Klänge.
Als ich die Augen wieder öffne, ist der Graue Berg bevölkert. Geisterhafte Wolfsschemen marschieren über die schneebedeckten Hänge und aus den Schatten unter den Tannen. Sie sind grau, nur wenn man genau hinsieht, erkennt man einen bläulichen Schimmer.
Aus der Armee schälen sich einzelne Wölfe mit mehr Details. Ich erkenne Jupiter und Zisaya, Saturn und Mars, die Hunde von Hundestadt, die schlaue Füchsin, die Kanonikos' meines Rudels ...
Die Armee hebt ihr Geheul an. Jedes Rudel besitzt seinen ganz eigenen Klang. Die kräftigen Rufe der Stern- und Königswölfe vermischen sich zu einer Sinfonie, unterlegt von dem Gejaule der Kanonikos' und Hunde.
Ich stimme mit ein. Dann setzt sich die Armee in Bewegung, vom Kriegslied gerufen. Aus der einheitlichen Wolfsmasse bricht ein einzelnes Pferd, stürmt direkt an Mac und Sepia vorbei, die ihm erstaunt hinterhersehen.
Wir folgen der Armee. Die Pfoten der geisterhaften Wölfe hinterlassen keine Spuren im jungfräulichen Schnee. Am Himmel erscheinen Sterne und Polarlichter, brennende Sternschnuppen und Planeten, Nebel und Lichter in allen Farben.
Ich überlasse mich der Musik und dem Rhythmus. Lyssas Magie bevölkert den Berg und lässt ihn in allen Farben erstrahlen, während ich mit weit ausgreifenden Pfoten Mac und Sepia folge.
Ahhh, das macht Spaß! Der Wind im Fell, die Kraft der Klänge, sich einfach auspowern und dabei von Lys treiben lassen, die einen langweiligen Sprint in eine epische Schlacht verwandelt.
Herrlich!
Nach mehreren Liedern werde ich endlich langsamer. Ich bin völlig außer Atem, aber bei den Sternen, das hat gut getan!
Ich schüttele Schnee aus dem Fell und atme tief durch. Mit einem Mal fühle ich mich wach und bereit für jeden Schabernack.
"Nun?", fragt Sepia.
"Ich glaube, ich weiß, wie ich weiterschreibe", sage ich grinsend.