- Start: 14.11.2021 - 22:31 Uhr
- Ende: 14.11.2021 - 22:50 Uhr
Mit finsterem Blick fixiert die Sphinx ihr Gegenüber. "Und der Engel?"
"Sie haben überlebt", bringt der kniende Minotaur keuchend hervor. "Der Engel, ihre Tochter und dieser Teufel."
"Idioten!", grollt das gewaltige Löwenwesen. Mit der Pranke schlägt sie auf den Boden. Der Minotaur zuckt zusammen und mustert die Tatze, die fast so groß ist wie sein Leib. "Wieso habt ihr sie entkommen lassen?"
"Es war ja nicht mit Absicht", schnaubt der Stierköpfige und hebt trotzig den Blick. Die Bewegung offenbar die verbrannten Kleidungsreste an seinem Körper, die die menschliche Brust nicht länger bedecken können. Spuren von Asche und Erde sind auf der Haut verschmiert. "Die ganze Höhle ist eingebrochen. Sogar Behemoth wurde getötet, alles stand in Flammen. Hätten wir etwas tun können, dann hätten wir es getan."
Die Sphinx seufzt tief. "Ist ja gut, verdammt."
"Es ist eben nicht meine Schuld."
"Aber du musst auch nicht vor den Obersten treten und berichten, dass Babylon verloren ist. Gereinigt!" Die Sphinx schnaubt abfällig. "Wer war das? Die Engelsfrau? Die Ehefrau von dieser Journalistin?"
"Sie heißt Conny", erwiderte der Minotaurus. "Eigentlich Conramiel. Und ja, Sonja war ihre Frau. Das Mädchen, Marina, ist ihre gemeinsame Tochter."
"Und der Teufel?"
"Wir vermuten, dass er Lonnie Dorraine ist. Ein Beichtvater von der Straße der Sünder. Vermutlich hat Sonja ihn mit hineingezogen."
Die Sphinx hebt eine Pranke, um sich die menschliche Stirn zu massieren. "Das ist eine Katastrophe! Niemand sollte von uns wissen. Und dann kommt diese ... diese Möchtigegern-Whistleblowerin mit ihrer Familie und einem Teufel um die Ecke!"
"Aber Sonja ist tot."
"Das mag sein, aber ihr Artikel ist es nicht." Die Sphinx bleckt die Zähne, die groß und spitz wie Löwenzähne sind. "Wenn Conny den veröffentlicht, sind wir geliefert. Es müssten ihr nicht einmal Viele glauben. Es reicht, wenn ein paar Wesen genauer nachfragen. Und die Behörden werden feststellen können, dass wir Sonjas Familie aus der Bibliothek der Namen entfernt haben. Dann werden sie wissen, dass auf jeden Fall etwas nicht stimmt!"
Unsicher betrachtete der Minotaurus seine Anführerin, die begonnen hatte, gestresst auf und ab zu laufen. Er würde ihr gerne helfen, aber er wusste nicht, wie. Das mochte daran liegen, dass er nun mal nur den Kopf eines Stieres hatte, und da passte wenig Gehirn hinein. Doch es war eben auch eine vertrackte Situation.
Sie waren ihrem Ziel so nah. Und nun war nicht nur Babylon verloren, einer der mythischen Stätten, die sie gebraucht hatten, es bestand auch die Gefahr, dass alles aufgedeckt werden würde.
"Dass es so schwierig sein kann, eine geheime, neue Weltordnung aufzubauen", murmelte er eher scherzhaft.
"Du sagst es!" Die Sphinx hielt an. "Die können uns doch einfach in Ruhe die Herrschaft übernehmen lassen."
Beide kicherten einen Moment, doch die schlimme Zwickmühle ließ sich dadurch nur kurzfristig ignorieren.
"Also ... was sollen wir tun?"
"Ihr jagt diese Gruppe. Conny, Marina und Dorraine. Ich möchte sie tot sehen, bevor sie auch nur einer anderen Person von den Mythika erzählen können. Und ich", die Sphinx atmete tief durch, "ich gehe zum Obersten und werde berichten."
"Viel Glück", wünschte der Minotaurus.
"Das werde ich brauchen." Mit einem eleganten Satz sprang das Löwenwesen von seinem Podest und trat in den großen Gang ein, der für ihre massige Gestalt geschlagen worden war. Ein Schauer lief durch das kurze Fell.
Der Minotaurus wählte eine kleinere Tür und folgte den unterirdischen Gängen, in denen sich die Mythika vor aller Welt verbargen. Schließlich trugen ihn seine Schritte in eine größere Höhle. Unzählige Minotauren und einige andere Wesen saßen an unzähligen Tischen, ein paar aßen oder tranken, doch die meisten waren in besorgte, gemurmelte Gespräche vertieft, die sie unterbrachen, als sie ihren Anführer eintreten sahen.
"Also, Männer", sagte der Minotaurus. Sein Name war Castor. "Wir haben Arbeit."