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Kapitel 1
Der Retter in der Not
Von Eiseskälte geschüttelt kommen wir nach einer gefühlten Ewigkeit bei mir zu Hause an. Das Klappern von Sebastians Zähnen ist deutlich zu hören, als ich mit steifen Fingern versuche, meinen Schlüssel aus meiner Jacke zu nehmen.
„Ich glaub ich setze mich gleich in deinen Kamin… Du darfst mir gerne Feuer unterm Hintern machen.“
„Ich dachte eher daran, dass wir uns in die Wanne schmeißen und uns weichkochen.“
„Das klingt nach dem Himmel auf Erden. Los, schließ endlich auf“, bittet Sebastian mich.
„Ich versuch’s, aber ich treffe das Loch nicht.“
„Gesprochen, wie ein echter Mann“, zieht Sebastian mich auf.
Zitternd brauche ich einige Anläufe. Sebastian legt seine in Handschuhe gehüllten Hände auf meine, um mir zu helfen, ins Schlüsselloch zu finden.
„Danke.“
„Bitte. Los, los, mach auf, ich erfriere.“
„Bin ja schon dabei.“
Wir eilen in meine Küche, ich schließe schnell die Tür hinter uns, um die Kälte draußen zu lassen. „Ich glaube, dass meine Hose an meiner Hose und diese Hosenkombination an meiner Haut angefroren ist…“, meine ich zitternd.
Sebastian schlüpft angestrengt aus seinen Handschuhen. Er legt sie auf die Fensterbank. Zitternd nimmt er auch seinen Schal ab. Alles, was ich tun kann, ist meinem Freund dabei zuzusehen, denn ich bin zu erfroren und zu steif, um mich zu bewegen. Mir ist so kalt, dass ich die Wärme meines Heims nicht an meiner Haut wahrnehme. Alles, was ich spüre ist Kälte und Schmerz.
„Ryan?“ Ich sehe Sebastian zitternd an. „Willst du dich nicht ausziehen?“
„K-Kann nicht. So k-kalt.“
Sebastian haucht an seine Finger, er wirkt angestrengt, als er seine Hände zu Fäusten ballt, sie wieder öffnet und diese Bewegungen ein paar Mal wiederholt. Er hilft mir, meine Jacke zu öffnen.
„Sorry, dass du wegen mir jetzt so erfroren bist, Ryan. Du hattest heute bestimmt etwas Chilligeres vor, als durch den Schnee zu stapfen. Vielleicht hätte ich doch einfach am Bahnhof schlafen sollen.“
„Ja klar, am Bahnhof… und dann bist du am nächsten Tag eingeschneit und keiner weiß, wo du bist. Vergiss es. Du wärst dort erfroren.“
Während Sebastian ein Bad nimmt, taue ich meine kalten Gebeine am Kaminfeuer auf. Es dauert ein wenig, bis ich mich aus all meinen nassen Klamottenschichten schälen kann.
In eine Kuscheldecke gewickelt, zittere ich auch eine halbe Stunde später noch. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir jemals so kalt war. Damit das Feuer im Kamin die ganze Nacht brennt, lege ich noch einige Holzscheite und etwas Kohle nach.
„Hey, ich lasse das Wasser aus und lasse dir eine neue Wanne ein.“
„Ach Blödsinn, du bist ja nicht giftig“, antworte ich. „Es reicht wenn du ein bisschen heißes Wasser nachlässt.“
„Im Ernst?“, fragt Sebastian verwirrt nach.
„Du bist immer sehr gepflegt, ich gehe nicht davon aus, dass du sonderlich schmutzig warst, wir waren ja hauptsächlich nass vom frisch gefallenen Schnee. Außerdem waren wir schon zusammen im Whirlpool, wenn du giftig wärst, dann wäre ich längst gestorben.“
„Du hast echt großes Vertrauen in mich“, meint Sebastian grinsend. „Ich hätte ja ins Wasser pinkeln oder es mir selbst machen können.“
„Jetzt werde ich langsam stutzig“, gehe ich grinsend darauf ein. „Was hast du da drinnen gemacht, du kleines, versautes Stück?“
„Meinen eiskalten Hintern aufgetaut.“ Sebastian setzt sich neben mich ans Feuer. „Danke nochmal… Das hätte nicht jeder gemacht.“
„Ich hätte das auch nicht für jeden gemacht, aber du bist mein Freund. Es wäre schlimm für mich gewesen, wenn du dich bei dem Schnee verlaufen hättest. Freunde helfen einander.“ Ich lasse die Decke von meinem nackten Rücken gleiten. „Ich leg mich mal in die Wanne. Falls du irgendwas brauchst, bedien dich einfach. In der Kanne am Couchtisch ist heißer Tee, wenn du möchtest.“
„Okay, danke Ryan.“
Ich gehe an meinem Gast vorbei, schließe die Badezimmertür hinter mir. Kaum schlüpfe ich aus meiner Boxershorts, lasse ich mich schon ins Badewasser sinken. Ich drehe das heiße Wasser auf, um meine kalten Knochen zu wärmen. Niemals hätte ich es für möglich gehalten so sehr zu frieren, dass mir meine Gelenke wehtun. Nach und nach erhöht sich die Temperatur in meiner Wanne, ich betätige den Wasserhahn mit meinem Bein, lasse mich dann ganz unter Wasser sinken. Kurz genieße ich, dass die Wärme mich vollkommen einhüllt, ehe ich meinen Kopf wieder hebe. Mit geschlossenen Augen genieße ich die Wärme und lasse meinen Körper richtig aufrauen.
Nachdem ich meine Haare gewaschen und die Wärme des Wassers noch eine Weile genossen habe, steige ich aus der Badewanne. Ich lasse das Badewasser abfließen, trockne mich ab und hülle mich in meinen Bademantel.
Im Wohnzimmer zurück, lächle ich, als ich an Sebastian vorbei gehe. Er sitzt auf der Couch, sein Smartphone ist angesteckt.
„Ich klau dir Strom.“
„Ist gut. Hast du in deinem Rucksack Klamotten zum Schlafen oder soll ich dir einen Pyjama leihen?“
„Du hast tatsächlich Pyjamas? Also so richtige Pyjamas?“
Ich nicke. „Ja, so aus Baumwolle. Und das Oberteil hat Knöpfe, es ist wie so ein Hemd.“
„Oh Yoba, Ryan, du bist ein alter Mann“, macht Sebastian sich über mich lustig.
„Du hast ja keine Ahnung, was gut ist. Du verpasst etwas.“
Ich bin nicht beleidigt, ich weiß ja, wie Sebastian es meint. Er will mich nur ein bisschen aufziehen, es liegt ihm fern, mich ernsthaft zu beleidigen oder zu verletzen. In meinem Schlafzimmer ziehe ich mich in Rekordgeschwindigkeit an und eile zurück zum Kamin, denn da möchte ich mich noch ein wenig aufwärmen, bevor ich mich auf die Couch lege und ins Land der Träume reise.
„Ich korrigiere mich, du bist eine alte Frau, Ryan.“
Ich sehe an mir runter. Sebastian und ich haben einen sehr unterschiedlichen Kleidungsstil. Er trägt schwarz und zwar immer. Jeden Tag im Jahr. Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt etwas hat, das nicht schwarz ist. Das höchste der Gefühle sind Aufdrücke auf Bandshirts oder nerdigem Merch seiner liebsten Comics oder Videospielreihen.
Ich hingegen bin ein bisschen altmodisch. Ich mag Hemden mit Blumendruck, trage gerne Pastellfarben und stehe auf kuschelige Schals, Strickpullover und Cardigans. Wahrscheinlich ist mein Kleidungsstil dafür verantwortlich, dass Sebastian mich anfangs sehr gemieden hat.
Ich gehe auf Sebastian zu, strecke meinen weiten Ärmel in seine Richtung. Seine Aussage zieht an mir vorbei. „Fühl mal. Für den Winter gibt es nichts Besseres. Der Stoff ist kuschelig und ich hab genug Bewegungsfreiheit. Falls du magst, kann ich dir irgendwann, wenn du dich traust Farben zu tragen, einen leihen. Ich hab auch einen hellblauen Pyjama, der ist dir vielleicht weniger peinlich als ein Blumenmuster. Ich würde auch keinem erzählen, dass du etwas getragen hast, das nicht zu deiner düsteren Erscheinung passt, du kleiner Rabe.“
Sebastian schüttelt den Kopf. „Weißt du was, Ryan? Für diese Eigenschaft habe ich dich anfangs so richtig gehasst.“
„Was meinst du?“, frage ich verwirrt. Sebastian greift nach dem Stoff, er reibt ihn ein wenig zwischen seinen Fingern, lässt seine Hand dann wieder sinken. Auch ich lasse meinen Arm wieder sinken und setze mich zu ihm auf die Couch.
„Du bist so wahnsinnig nett. Es kam mir so übertrieben vor, ich war der Meinung, dass du allen falsch ins Gesicht lügst und deine Nettigkeit nur ein Deckmantel dafür ist, dass du… naja… so ein scheinheiliges, falsches Lästermaul bist.“ Aufmerksam höre ich ihm zu. Mein Gast legt sein Smartphone zur Seite. „Mittlerweile schätze ich es aber sehr, dass deine Nettigkeit ehrlich und aufrichtig ist… Du bist zu einem meiner besten Freunde geworden.“
Ich zucke mit den Schultern. „Ich weiß nicht, ich war immer schon so. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass Menschen das so verdreht auffassen könnten“, meine ich nachdenklich. „Ich hätte nie gedacht, dass es schlecht sein kann, nett zu sein… oder dass man tatsächlich zu nett sein kann.“
„Und so naiv…“ Sebastian schmunzelt. „Du bist wie ein Golden Retriever Welpe. Immer fröhlich, immer gut drauf und du strahlst wie eine kleine Sonne.“
„Und das hat dich total angekotzt, weil du ein Vampir bist, der die Sonne nicht ausstehen kann“, stelle ich fest, worauf Sebastian nickt.
„Ich hätte nicht gedacht, dass wir doch irgendwie einen Draht zueinander finden. Du hast mir ja ein paar Mal kleine Geschenke dagelassen. Es klingt vielleicht komisch, aber ich fand es sehr angenehm, dass du meine Privatsphäre respektiert hast. Du bist der einzige, der nicht ungefragt in mein Zimmer kommt oder an die Tür hämmert, wenn du weißt, dass ich arbeite. Sam und Abby sind… naja… laut und verrückt und es ist ihnen egal, wenn ich arbeite, da sie denken, dass ich meine Arbeit immer vorschiebe, dabei stimmt das ja gar nicht.“ Sebastian seufzt. „Ich hab wirklich viel zu tun. Ich versuche für meine Zukunft zu sparen. Ich will mir meine Träume erfüllen, das ist mir wichtig. Ich kann nichts dafür, dass Sam und Abby sich keine Gedanken über ihre Zukunft machen. Vielleicht sind sie noch zu unreif, was weiß ich…“
Ich nicke, sinke dann neben Sebastian gegen die Lehne meiner Couch. „Ich verstehe das. Außerdem ist es ja nicht so, als ob du nie Zeit für uns gehabt hättest. Ich hatte ja selbst viel auf der Farm zu tun und wenn wir dann mal alle unsere Freizeit zusammen genießen können, dann ist das doch normal, oder nicht? Ich meine… In der Stadt haben die meisten ihre fixen Arbeitszeiten, da kann man nun einmal nicht einfach so früher Schluss machen, nur um dann mit seinen Freunden zu chillen.“
„Eben…“, stimmt Sebastian mir zu.
„Oh, nochmal zurück zur Privatsphäre“, lenke ich das Thema in eine andere Richtung. „Ich muss dich auf einen kleinen Haken aufmerksam machen, was die Übernachtung hier angeht.“
„Ein kleiner Haken?“, fragt Sebastian schmunzelnd. „Was für ein Haken?“
„Die Heizung in meinem Schlafzimmer ist kaputt, deswegen schlafe ich hier auf der Couch… Wir müssten uns also die Couch teilen. Ich hoffe, dass dir das nichts ausmacht. Falls doch, dann schleppe ich meine Matratze aus meinem Schlafzimmer hier rein und schlafe auf dem Boden.“
„Oh Mann, nein. Ryan, mach dir bloß keine verrückten Umstände. Du musst doch nicht deine Matratze durch dein Haus schleppen. Es ist okay, dass wir zusammen auf der Couch schlafen.“ Sebastian wirkt amüsiert, wahrscheinlich schaltet sich sein Kopfkino gerade ein und er sieht mich vor seinem geistigen Auge mit meiner Matratze kämpfen.
„Okay, wenn’s dir nichts ausmacht, dann bin ich erleichtert. Ich würde dir ja das Schlafzimmer anbieten, damit du deine Privatsphäre hast, aber es ist wirklich sehr, sehr kalt, selbst mit dem kleinen Heizstrahler.“
„Schon gut. Seit wann hast du denn dieses Problem? Wieso hast du nichts gesagt, wir hätten das schon vor dem Wintereinbruch reparieren können.“
„Naja“, antworte ich, wobei ich ahnungslos meine Schultern hebe. „Das hat schon Ende Herbst angefangen. Die Heizung wurde nicht richtig warm… und irgendwie hat’s dann gar nicht mehr funktioniert. Aber das ist ja auch nicht weiter schlimm. Wenn ich wieder ein bisschen Geld übrig habe, dann kann das ja im Frühling repariert werden. Bis dahin kann ich ja hier im Wohnzimmer schlafen.“
„Na gut, wenn dich das nicht weiter stört“, überlegt Sebastian laut. „Oh… hast du den Heizkörper mal entlüftet? Es könnte sein, dass er deswegen nicht so richtig heizen möchte.“
„Ent…lüftet? Wie soll das denn gehen? Und wie kommt da überhaupt Luft rein?“
Sebastian schmunzelt. Er hat eindeutig etwas zu sagen, doch er behält es für sich. „Ich nehm das mal als nein“, sagt er dann doch noch.
„In Zuzu City hat Dad sich um so etwas gekümmert, solange ich bei ihm gewohnt habe. Und in meiner Wohnung hab ich immer den Hausmeister angerufen, wenn etwas nicht funktioniert hat…“
Mein Gast lächelt. Er legt seine Hand an meinen Oberschenkel. „Ich zeig dir das morgen, Ryan. Du hast bestimmt irgendwo Werkzeug.“
„Ja, sicher“, antworte ich, wobei ich schon aufstehen möchte. Sebastian hält mich am Arm fest.
„Setz dich, jetzt will ich lieber schlafen. Dieser lange Marsch im Schnee hat mich fertig gemacht.“
„Okay, danke, Sebastian. Hast du alles? Brauchst du mehr Decken oder noch mehr Kissen?“
Er schüttelt den Kopf, legt sich dann hin. „Nein, alles gut.“
Während Sebastian es sich gemütlich macht, stehe ich doch noch einmal auf, um noch etwas Holz in den Kamin zu legen. Das Feuer muss uns so lange wie möglich warm halten…
Müde lasse ich mich neben meinem Freund sinken. Sebastian sieht noch einmal auf sein Smartphone, er tippt etwas, doch ich bin nicht so neugierig, dass ich auf seinen Bildschirm linse. Ich ziehe meine liebste Kuscheldecke über meinen Körper und schließe meine Augen.
Heizkörper entlüften… Hm…
Welches Werkzeug man dafür wohl braucht?
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