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Kapitel 22
Schuldgefühle statt Festtagsstimmung
Zum Ausgleich für die letzten, eher actionreichen Tage, bleiben wir heute mal wieder zu Hause. Ich betrachte die Perle, die ich von der Meerjungfrau beim Night Market bekommen habe, liege dabei auf meiner Couch. Perlmutt. Die Perle schimmert in sanften Farben. Ich überlege schon eine Weile ob ich die Perle zu einem Juwelier bringen sollte. Der könnte einen Anhänger daraus machen, dann könnte ich die Perle jeden Tag um meinen Hals tragen und mich an die schöne Meerjungfrau und das magische Erlebnis erinnern.
Damit es nicht ganz so still ist, sorgt Sebastian für musikalische Untermalung, er hat das Festtagsalbum einer Alternative Rockband aufgelegt, die mir bis heute nichts gesagt hat. Sebastian macht mich allerdings gerade zum Fan. Sie klingen wirklich gut, auch wenn ich zugeben muss, dass mir ihre Akustikversionen viel besser gefallen als die rockigen Songs, die Sebastian vorhin noch gespielt hat.
„Wie heißt die Band nochmal?“, frage ich nach.
„Highway 89“, antwortet Sebastian. „Die sind recht cool, aber noch relativ unbekannt außerhalb der kleinen Clubs in Zuzu City. Sie arbeiten daran, einen Plattenvertrag zu bekommen, bis jetzt hat aber noch kein Label angebissen.“
„Du bist doch auch musikalisch. Was wurde eigentlich aus eurem Plan eine Band zu gründen? Sam, Abby und du hattet doch auch Ideen, oder?“, frage ich nach.
„Ach, Goblin Destroyer sind nicht so gut und diszipliniert wie sie gerne wären“, antwortet Sebastian. „Wenn man die Bandproben immer wieder schleifen lässt, dann löst sich das irgendwie auf. Ich für meinen Teil habe noch den einen oder anderen Song angefangen, ich bleibe aber immer öfter mal stecken, weil ich nicht so viel Zeit oder Kreativität habe oder eben arbeiten muss. Wenn ich zu Dad gefahren wäre, dann hätten wir bestimmt zusammen musiziert. Vielleicht wäre da ja was fertig geworden, aber hier bei dir zu sein ist sowieso besser, da kann die Musik warten.“
„Du musizierst mit deinem Dad? Das ist so eine süße Vater-Sohn-Beschäftigung“, frage ich lächelnd nach. Ich setze mich auf und sehe zu Sebastian auf den Boden, der auf ein Kissen gestützt auf dem Bauch liegt. Er hält einen Comic in den Händen, seine Beine sind abgewinkelt in der Luft.
„Mal mehr, mal weniger. Er hat mir Keyboardspielen und Gitarre beigebracht, als ich klein war. Als ich in meiner… nennen wir es mal ‚schwierigen Phase‘ war, habe ich angefangen ein paar Texte zu schreiben. Ich weiß noch wie aufgeregt ich war, als ich sie Dad gezeigt habe. Er hat selbst schon viele Songs geschrieben, ich wusste, dass er mich verstehen würde, wenn ich ihm meine Texte zeige.“
„Und was hat er gesagt?“
Sebastian sieht zu mir nach oben. „Er hat mich immer in allem unterstützt, was ich gemacht habe. Einige der Texte waren ziemlich mies, aber einer meiner Songs hat meinen Dad beschäftigt. Es ging um meine Gefühle, hauptsächlich um die negativen… Dad hat sich mit mir zusammengesetzt, wir haben geredet und aus meinen negativen Gefühlen einen Song gemacht. So konnte ich mich ausdrücken und meine negativen Gefühle in etwas Positives verwandeln.“
„Awww, das ist so cool. Dein Dad ist so ein Super-Dad. Als wäre er dazu geschaffen, der perfekte Dad zu sein.“
„Naja…“ Sebastian lässt seinen Comic zu Boden fallen und dreht sich auf den Rücken. „Wenn er reich wäre und immer für mich Zeit hätte, dann wäre er perfekt.“ Sebastian schmunzelt. „Doof, dass aus seinem Rockstar-Traum nie was geworden ist. …Jetzt ist er Kellner und Barkeeper. Und weil er ständig irgendjemandem Essen und Getränke serviert und an den Wochenenden auch noch in einem Club mit Alkohol jongliert, hat er nie Zeit für mich.“
Ich nicke. „Aber da kann man viel Trinkgeld machen. Während meinem Studium war ich Barista in einer Coffeeshopkette. Da hab ich auch meinen letzten Ex-Freund kennengelernt. …wir haben mal 50 Mäuse dafür bekommen, dass wir uns vor einigen Mädchen geküsst haben. Die fanden das total super und wir haben kassiert.“
„Das macht dich zu einer Nutte, ist dir das klar?“, zieht Sebastian mich lachend auf.
„Ach Quatsch, wir hatten nur ein bisschen Spaß. Mit dem Geld haben wir uns ein nettes Abendessen geleistet.“
„Nur so aus Interesse: Wie weit währt ihr für Geld gegangen?“
„Was meinst du?“, frage ich nach. Ich lege die Perle auf den Tisch und greife nach meiner Tasse, um einen Schluck Tee zu mir zu nehmen.
„Naja. Mal angenommen die Mädels hätten so… zwei Hunderter zusammengesammelt. Wie viel hätten sie dafür zu sehen bekommen?“ Sebastian setzt gerade ein seltsames Grinsen auf.
Ich schüttle den Kopf. „Wir… hätten… Sebastian, wir waren mitten im Lokal, wir hätten gar nichts gemacht. Unser Chef hätte uns hochkant rausgeworfen, wenn wir irgendwas in diese Richtung angestellt hätten. Das wäre es nicht wert gewesen.“
„Was für ein Spaßverderber.“
Sebastian klettert zu mir auf die Couch. Er nimmt mir die Tasse ab und stellt sie auf den Couchtisch. Ohne weitere Worte drückt er mich in die Polsterung der Couch. Mein Freund nimmt auf meiner Hüfte Platz, außerdem beugt er sich zu mir, um mich in einen Kuss zu verwickeln. Gerade als ich mich darauf einlasse, nehme ich etwas wahr, dass mich an meinen Klingelton erinnert. Ganz sicher bin ich mir nicht, da immer noch Musik läuft.
Nach einigen weiteren Küssen lässt mein Freund von mir ab. „Ich glaube du läutest.“
„Entschuldige…“ Sebastian nimmt Abstand, sodass ich aufstehen kann.
Ich nehme mein Smartphone von der Kommode. Als ich den Bildschirm betrachte, bleibt mir der Atem weg, ich könnte schwören, dass mein Herz gerade stehen bleibt.
Dad ruft mich an.
Dieser Anruf ist mehr als beängstigend. Erschrocken werfe ich mein Smartphone wieder auf die Kommode, außerdem nehme ich einen Schritt Abstand. Nein, er soll das nicht tun… Er soll mich doch nicht mehr anrufen, das geht nicht…
„Ist alles okay?“, fragt Sebastian verwirrt nach. „Wer ist das?“
„Mein… Dad…“
„Na dann geh ran und rede mit ihm.“
„Ich-Ich kann nicht“, antworte ich nervös. Wie gebannt starre ich auf mein vibrierendes, leuchtendes Smartphone. Ich komme erst wieder dazu, mich zu entspannen, als das Display sich verdunkelt. Für einen Moment schließe ich erleichtert die Augen.
„Was ist los, Ryan?“
Ich schüttle den Kopf. Zittrig greife ich nach meinem Smartphone, um es auszuschalten. Er soll mich nicht anrufen, das geht nicht. Dad soll das nicht tun. Ich will nicht, dass er mich anruft.
„Ryan?“
„Nein…“
Ich verschränke meine Arme und setze mich wieder auf die Couch. Ich löse meine Arme wieder, um mir die aufkommenden Tränen aus dem Augen zu wischen. Nervös spiele ich mit dem Anhänger meiner Kette, immer wieder ziehe ich den Anhänger von links nach rechts und wieder zurück. Ich muss das gleich wieder vergessen.
„Der Song ist gut, der gefällt mir“, lenke ich das Thema auf die Musik zurück. Sebastian nimmt mich eilig in den Arm, er drückt mich an sich.
„Was ist bei euren letzten Gesprächen passiert? Sprich mit mir, Ryan. Das belastet dich offensichtlich sehr. Sag es mir, dann wird es leichter.“
„Ich kann nicht.“
„Wieso nicht?“, hakt Sebastian weiter nach.
„Weil ich gelogen habe… und das sollte man nicht tun.“
„Es ist okay, hab keine Angst…“
„Ich hab gelogen, damit es leichter für mich ist…“, gestehe ich leise.
„Das ist alles okay, Ryan. Jeder lügt hin und wieder“, besänftigt Sebastian mich. „Komm, wir legen uns hin und kuscheln und wenn du bereit bist, dann kannst du mir alles sagen. Ich verurteile dich nicht.“
Ich lasse mich von meinem Freund zum Kuscheln überreden. Aus den Decken baut er ein kuscheliges Nest, in dem wir es uns bequem machen. Ich bette meinen Kopf an Sebastians Brustkorb. Mit geschlossenen Augen lausche ich seiner Atmung und seinem Herzschlag. Es ist angenehm, so bei ihm zu liegen, doch ich kann meine Schuldgefühle nicht länger für mich behalten. Ich fühle mich furchtbar.
„Ich… Ich hab dir doch gesagt, dass ich Dad niemals böse war. Doch… das war ich… Ich rede mir immer wieder ein, dass ich es nicht war, weil es falsch ist.“ Ich schluchze. „Dad war lange Zeit krank und ich sollte es ihm nicht schwerer machen… Ich sollte ihm keine Schuld geben… Er war doch krank…“
„Du musstest ihm sagen, was in dir vorgeht. Es ging nicht anders.“
„Dad hat mich in den ersten Wochen hier jeden Tag angerufen. Ich bin nicht jedes Mal rangegangen, doch immer wenn ich das Gespräch angenommen habe, hat… er… er hat gelallt und mich beschimpft. Er hat mir gesagt, dass ich egoistisch bin und dass ich ihn alleine lasse. Er hat… Er…“ Ich schluchze erneut. Meine Stimme bricht, ich kann nicht mehr weitersprechen, da die Erinnerungen mich zu sehr belasten. Mein Freund zieht mich nah zu sich, er legt seine Arme um meinen Rücken. Ich werde liebkost und gestreichelt, doch das mindert meinen Schmerz nicht im Geringsten. „Er hat gesagt, dass er sich umbringt…“, gestehe ich leise.
„Das hätte er nicht tun sollen. So eine Last sollte man als Kind nicht tragen, das ist nicht in Ordnung“, antwortet Sebastian verständnisvoll, doch dieses Verständnis habe ich nicht verdient.
„Nein, nein, du verstehst mich falsch...“, antworte ich aufgelöst. „Ich hab ihm gesagt, dass er es tun soll. Ich hab ihm gesagt, dass er ein furchtbarer Dad ist und dass ich besser dran wäre, wenn er endlich verreckt. Ich hab gesagt, dass er endlich sterben und mich leben lassen soll… Ich wollte, dass er stirbt, das ist nicht oh-okay. Es-Es-Es war so falsch von mir.“ Ich schnappe nach Luft. „Er-Er hat mir wehgetan, aber-aber das hat er nicht verdient. Ich fühle mich so furchtbar, Se-Sebastian. Ich bin so ein furchtbarer Mensch…“
„Nein, das bist du nicht“, tröstet er mich. „Die Reaktion ist menschlich, Ryan. Du bist kein göttliches Wesen, das alles problemlos verdauen und verzeihen kann und das erwartet auch keiner von dir. Du warst dein ganzes Leben lang stark und tapfer. Du warst lange Zeit großem Druck ausgesetzt, das musste mal raus.“
Ich erhebe meine kratzige Stimme: „Aber er ist mein Dad. Ich hab ihm gesagt, dass er sterben soll! Das sagt man nicht. Ich hätte das nicht einmal denken dürfen. Ich liebe meinen Dad. Ich will nicht, dass er sterben muss. Ich liebe meinen Dad…“
Sebastian atmet tief durch. Er streicht mir die Tränen von meiner Wange.
„Ryan, ich versuche jetzt nicht deine Aussage zu relativieren, aber… denk nach. Dein Dad hat dir jahrelang für alles Schlechte in seinem Leben die Schuld gegeben. Er hat dich angebrüllt und dir deine Kindheit und Jugend mit seinem Alkoholismus ruiniert.“ Schluchzend klammere ich mich an meinen Freund. „Er hat dich mies behandelt und auch jemand der so sanft und süß ist wie du hat eine Geduldsgrenze und die hat er mit aller Gewalt durchbrochen. Deine harte Aussage hat ihm gezeigt, dass Schluss ist und dass du dir nichts mehr gefallen lässt. Gut, vielleicht war es nicht richtig zu sagen, dass er verrecken soll, aber es ist auch alles andere als fair, dass er dich emotional erpresst und dir sagt, dass er sich umbringt, weil du ihn im Stich gelassen hast. Das ist nicht okay und das sollte man seinem Kind niemals antun. Ihr habt beide Fehler gemacht, aber er hätte sie von Anfang an verhindern können, wenn er sich wie ein verantwortungsvoller Erwachsener verhalten hätte. Es ist nicht deine Schuld, nichts davon ist deine Schuld. Du hast das alles überlebt, du bist viel stärker als die meisten Kinder in deiner Situation. Ich bin stolz auf dich und dein Durchhaltevermögen. Du bist nicht furchtbar, du bist wunderbar.“
Ich weine in Sebastians Shirt. Mein Freund streichelt mich weiterhin, doch ich spüre keine Erleichterung. Weder meine noch seine Worte helfen mir, die schwer lastende Schuld von mir zu nehmen. Sie zerdrückt mich.
„Das du dich schuldig fühlst, ist der Grund wieso ihr nicht mehr telefoniert, oder? Dass er nicht weiß, was er sagen soll ist nur die halbe Wahrheit, richtig?“ Schluchzend nicke ich. „Ich verstehe das. Es macht Sinn. Aber ihr habt euch doch wieder vertragen, richtig? Ihr schreibt euch regelmäßig. Zwischen euch ist doch alles wieder in Ordnung. Er hat dir verziehen, so wie du ihm verziehen hast. Du solltest zurück rufen oder beim nächsten Anruf rangehen und mit ihm reden.“
„Und-Und wenn er-wenn er wieder trinkt? Er hat getrunken, ich weiß es. Er hat getrunken und jetzt ruft er an und es geht von vorne los. Ich weiß ganz genau, dass-dass er getrunken hat. Er-Er wird mich wieder anschreien und-und dann… Ich kann nicht…“ Ich japse nach Luft. Dieser dumme Anruf macht mich vollkommen verrückt.
„Sch… Es ist alles okay… Schließ die Augen, Ryan. Mach die Augen zu und dann entspannst du dich. Atme tief durch und dann ruhst du dich aus. Das ist emotional sehr belastend, du brauchst eine Pause.“
„Oh-okay… a-aber du magst mich i-immer noch, oder?“, frage ich schluchzend nach.
„Mach dir darüber bitte keine Sorgen. Ich liebe dich wie du bist, Ryan. Niemand ist perfekt und das ist okay so.“
Ich kuschle mich in das tränennasse Shirt meines Freundes. Seine Streicheleinheiten hören nicht auf. Das Herauslassen meiner angestauten Gefühle macht mich vollkommen fertig. Meine Augen fallen wie von selbst zu. Ich spüre einen Kuss an meiner Schläfe. Meine Atmung braucht einige Minuten, doch ich werde tatsächlich ruhiger…
…
Durch sanfte Küsse werde ich geweckt. Ich nehme immer stärker wahr, dass ich gestreichelt werde. Es dauert einige Sekunden, doch je klarer ich werde, desto sicherer bin ich mir, dass es sich um Sebastians zarte Hände handelt.
„Bist du wach?“, fragt Sebastian leise. „Ich hab da etwas vorbereitet.“
„Hm?“, gebe ich verschlafen von mir.
„Ich hab uns ein Schaumbad eingelassen. Es tut mir leid, dass der Tag bis jetzt mies gelaufen ist, aber jetzt nach deinem Nickerchen hast du dir Entspannung verdient. Ich hab auch schon ein Massageöl vorbereitet, damit ich dich danach durchkneten kann. Das magst du doch so gerne.“
Müde öffne ich meine Augen. Ich spüre sofort, dass sie durch meine Tränen etwas geschwollen sind, sie brennen auch ein wenig. „Und wieso? Womit habe ich das verdient? Ich habe etwas Schlimmes getan, Sebastian. Ich sollte dafür nicht belohnt werden.“
„Du hast dich genug selbst bestraft. Dass du immer noch ein schlechtes Gewissen hast, zeigt wie sehr es dir leidtut. Ich bestrafe dich nicht und ich bin auch nicht derjenige, der dich für etwas büßen lässt. Meine Aufgabe ist es, dich wieder aufzubauen und dir zu zeigen, wie sehr ich dich liebe. Komm, Ryan.“
„Danke, Sebastian“, antworte ich kratzig.
„Gerne.“ Mit einem Lächeln reicht er mir die Hand, die ich gleich annehme.
Wir gehen nur wenige Schritte, dann öffnet mein Freund mir die Tür zum Badezimmer. Was ich sehe, überrascht mich sehr. Diesen Anblick habe ich nicht erwartet. Ich dachte zwar an das versprochene Schaumbad, aber nicht, dass Sebastian im gesamten Badezimmer Teelichter verteilt hat, um für die richtige Stimmung zu sorgen. Dankbar falle ich meinem Freund um den Hals. „Das hast du nur für mich gemacht?“
„Ich hoffe, dass es dir bald wieder besser geht. Familiendrama ist scheiße, aber du hast mich und ich habe dich.“ Ich bedanke mich mit einem Kuss. „Fühlst du dich schon ein bisschen besser?“
Ich nicke. „Ein bisschen.“
Wir ziehen uns gegenseitig aus, tauschen dabei viele sanfte Küsse aus. Ich bemerke, dass Sebastian auch schon Badetücher und meinen Bademantel vorbereitet hat. Es ist alles perfekt, ich muss an nichts mehr denken. Jetzt heißt es nur noch entspannen.
Wir nehmen gegenüber voneinander Platz. Eigentlich würde ich mich lieber an Sebastian kuscheln, doch mein Freund hat einen Plan. Einen sehr angenehmen Plan. Nach einigen Minuten Entspannung in der Wanne greift Sebastian nach meinem Fuß. Er beginnt damit, mich zu massieren. Entspannt lasse ich meinen Kopf auf das Handtuch am Rand der Wanne sinken.
„Danke, dass du mir mein Verhalten nicht böse nimmst. Ich fühle mich furchtbar.“
Sebastian küsst mein Bein. „Wieso sollte ich? Du hast nichts Böses getan und dass du mir eine kleine Lüge erzählt hast, ist mir egal. Im Grunde hast du dich selbst angelogen, um dich zu schützen. Ich dachte mir schon, dass du zu ruhig bist und dass es nicht sein kann, dass du nie negative Gedanken wegen deinem Dad hast oder hattest. Wenn du niemals wütend auf ihn gewesen wärst, dann wäre das fast schon unmenschlich… nein eher übermenschlich. Wenn man das erlebt hat, was du erlebt hast, dann ist man wütend, das ist nun einmal so. Es ist okay, dass du dir Luft gemacht hast. Es musste sein, sonst wärst du daran zerbrochen.“
„Meinst du wirklich?“
„Ja, ich sage das nicht, um dich zu trösten, sondern weil ich es so meine“, versichert Sebastian mir. Er widmet sich nach wie vor meinem Fuß, der Druck ist äußerst angenehm. „Lass uns über etwas Anderes reden. Ein kleiner Themenwechsel ist auch bestimmt gut für deinen Kopf. Mich interessiert zum Beispiel wessen Namen du für das Festival gezogen hast.“
„Du zuerst.“
„Shane“, antwortet Sebastian mit einem Schmunzeln. „Ich hab mir überlegt, ob ich ihm nicht einfach ein Sixpack Bier schenke.“
„Das würde er mögen“, antworte ich. „Nur ob das eine gute Idee ist, weiß ich nicht so genau.“
„Wen hast du gezogen?“, fragt Sebastian nach.
„Penny.“
„Hast du schon etwas für sie?“
Ich zögere kurz, da Sebastian mein Bein sinken lässt und nach meinem anderen Fuß greift. „Im Herbst habe ich an einem meiner freien Tage einen geblümten Schal getragen. Penny und ich haben uns auf dem Weg zur Bibliothek getroffen. Ich wollte mir ein Buch leihen, weil es für die nächsten Tage Regen angesagt hatte. Wir sind eine Weile nebeneinander hergelaufen und dann hat sie mir ein Kompliment zu meinem Schal gemacht. Sie hat gesagt, dass sie so einen auch schon haben wollte, aber nicht genug Geld dabei hatte. Ich denke, dass ich ihr meinen Schal schenke.“
„Das ist eine nette Idee. Darüber freut sie sich bestimmt. Penny ist dir da nicht so unähnlich, sie mag kleine Gesten und Geschenke.“
„Ich hoffe sie freut sich.“
„Das wird sie“, versichert Sebastian mir. „Sobald sie den Schal sieht, wird sie an eure Begegnung denken. Sie schätzt das, das weiß ich.“
Unser Gespräch schläft wieder ein, doch das macht mir nichts aus. Ich genieße Sebastians Massage. Meine Gedanken bleiben allerdings nicht lange in einem positiven Bereich. Ich mache mir Sorgen um Dad. Wenn er wirklich getrunken hat, dann ist das gefährlich. Was ist, wenn er deprimiert war und meine Stimme hören wollte, damit er nicht trinkt? Oder wenn die Treppen hinunter gefallen ist…
Und ich Idiot habe nicht nur nicht abgehoben, sondern mein Smartphone auch noch ausgeschalten, damit er keine Chance mehr hat, mich zu erreichen!
Yoba, bitte pass auf meinen Dad auf. Ich hab Angst um ihn. Ich hab Angst, dass ihm etwas passiert. Ich bin hier und kann nichts tun, um meinem Dad zu helfen. Im Gegenteil, ich lasse ihn gerade eiskalt im Stich. Während er vielleicht verzweifelt versucht mich zu erreichen sitze ich hier in der Badewanne und entspanne mich…
Ich könnte nie wieder ein Bad nehmen, wenn ich wüsste, dass ich meinen Dad auf dem Gewissen habe.
„Ich muss meinen Dad anrufen…“
„Das ist eine gute Idee“, versichert Sebastian mir.
„Hoffentlich geht es ihm gut.“
„Ganz bestimmt. Wahrscheinlich vermisst er dich und wollte bloß ein bisschen plaudern. Vielleicht hat er ja auch eine lustige Geschichte für dich, die er mit dir teilen möchte.“
„Der Gedanke gefällt mir…“
So ist es. Dad geht es gut. Er trinkt nicht mehr und er ist stark genug, um das Zeug nie wieder anzufassen. Hoffentlich behält Sebastian Recht, ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn meinem Dad etwas passiert und ich nicht da war, um auf ihn aufzupassen.
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