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Kapitel 21
Pulverschnee
Sebastian und ich basteln Karten für unsere Nachbarn. Er schneidet buntes Papier zurecht. Meine Aufgabe ist es, die Karten zu falten und die Fotos auf das bunte Papier zu kleben. Mit den festlichen Grüßen wechseln wir uns beide ab, außerdem setzen wir unsere Unterschriften unter den kurzen Text.
Bis wir mit allem langsam aber sicher fertig werden, ist es bereits Mittag. Sebastian wirkt ein wenig unrund, immer wieder sieht er aus dem Fenster und auf seine Uhr. Es wirkt als würde er wegen irgendetwas unter Stress stehen, dabei haben wir uns ausgemacht, dass wir Stress vermeiden, jetzt wo die Feiertage immer näher und näher rücken.
„Ist irgendetwas?“, frage ich nach, was ihm einen Seufzer entlockt.
„Ja, ich dachte, dass wir schneller sind. Ich hatte doch noch etwas mit dir vor. Wenn wir alle Karten selbst verteilen, dann ist der ganze Tag im Eimer und ich komme gar nicht dazu, meinen Plan umzusetzen. Ich müsste meine Idee aufschieben und das will ich nur sehr ungern machen.“
„Na dann packen wir alle Karten in Kuverts und werfen sie in den Briefkasten. Ich hab immer genug Kuverts da, also müssen wir nicht extra los“, schlage ich vor. „Bis wir in der Stadt sind, dauert es nicht so lange und du kannst mich überraschen.“ Ich sehe Sebastian an, spüre dabei schnell, dass ich schon hibbelig werde. Überraschungen und Geheimnisse machen mich immer nervös. „Verrätst du es mir jetzt?“
„Nein. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“
„Wieso quälst du mich so?“, frage ich mitleiderregend. Ich schiebe meine Unterlippe vor und lasse meinen Oberkörper auf die Tischplatte sinken. Schmollend bleibe ich liegen, mein Zeigefinger stupst gegen Sebastians Unterarm. Er soll Mitleid haben.
Ich spüre die Hand meines Freundes an meiner, er hebt sie ein wenig an und küsst meine Finger. „Je länger du schmollst, desto weniger Zeit haben wir, Ryan.“
„Na gut, aber ich bin nicht besonders glücklich, wenn du mich immer so zappeln lässt“, antworte ich demotiviert, wobei ich mich noch nicht wieder aufgesetzt habe. „Das verletzt mich ganz tief in meiner Seele.“
„Ist gut, ich merk’s mir. Ich hole eben ein paar Kuverts von deinem Schreibtisch und schreibe die Adressen darauf. Du kannst entweder weiter in Selbstmitleid baden oder du hilfst mir, damit wir schneller sind.“
„Gibst du mir wenigstens einen Tipp?“, frage ich nach. Ich drehe meinen Kopf von der Tischplatte zu meinem Freund. „Bitte Sebastian. Ich leide wirklich sehr unter meiner Neugierde.“
„Gut. Dein Tipp ist folgender: Wir müssen uns sehr warm anziehen und zu mir nach Hause gehen.“
Ich setze mich wieder auf und überlege, was es sein könnte. Sebastian geht in der Zwischenzeit ins Schlafzimmer. Nachdenklich sehe ich ihm nach. Mein Freund sieht in meinem hellblauen Pyjama ausgesprochen niedlich aus. Für das, dass er sich so offen gegen meine bequemen Klamotten gewehrt hat, ist es fast schon ein Wunder, dass er sich mittlerweile immer wieder freiwillig an meinem Kleiderschrank bedient und sich das eine oder andere Kleidungsstück leiht. Solange er sein Schwarz nach außen trägt, hat er damit wohl kein Problem.
Aber was hat er mit mir vor?
Was könnte es sein?
Müssen wir uns für den Weg warm anziehen, weil uns sonst kalt wird, wenn wir rauf gehen oder machen wir draußen etwas?
Was könnten wir generell bei Sebastian machen?
Wahrscheinlich wird es nicht so sein, dass wir nur zu ihm gehen, um Fernzusehen oder etwas abzuholen, das wäre doch keine Überraschung… und der Zeitpunkt dafür wäre ja auch egal, also außer wir brauchen das Ding, das er abholen möchte.
„Mein Tipp rattert also schon in deinem hübschen Kopf?“, fragt er nach, als er sich hinsetzt.
„Mhm… Darf ich noch einen haben?“, bitte ich schmollend.
„Klar: Das, was wir machen, werden wir draußen machen.“
„Puh…“, gebe ich überlegend von mir. „Das ist nicht besonders hilfreich…“
Schlittschuh fahren kann nicht sein, immerhin sind seine Schuhe hier. … Also außer das Eis ist jetzt am See dick genug, dass wir in den Bergen Schlittschuh fahren können, aber dazu müssten wir ja eigentlich nicht zu Sebastian nach Hause gehen.
„Schlittschuh fahren?“, rate ich darauf los.
„Nein. Es ist etwas, das wir noch nicht gemacht haben“, verrät mir Sebastian lächelnd. „Du bist süß, wenn du ahnungslos bist. Ich steh auf deinen ratlosen Blick.“
„Oh Mann… danke…“
Ich widme mich wieder einer der Karten vor mir. Die Rückseite eines Fotos bestreiche ich mit meinem Kleber. Konzentriert lege ich das Foto mittig an und streiche es glatt. Sebastian legt seine Hand an meinen Oberarm und streichelt mich. Ein Blick zu ihm zeigt mir ein aufmunterndes Lächeln.
Ein Lächeln. Ich sollte mich freuen, immerhin hat mein Freund eine Überraschung für mich. Vorfreude soll ja angeblich die schönste Freude sein.
Mit den fertigen Briefen machen wir uns auf den Weg in die Stadt. Ich werfe sie in den Briefkasten, während Sebastian noch seine Zigarette raucht. Als ich ihn ansehe, sieht er wie gebannt auf das Auto seiner Mum. Sie parkt vor Pierres Laden.
„Willst du deine Mum begrüßen?“
„Ich überlege, ob sie uns nicht mitnehmen kann“, antwortet Sebastian mir. Er drückt die Glut seiner Zigarette an einem Mülleimer aus und wirft sie anschließend weg. „Es würde Zeit sparen und wer weiß wie viel Schnee auf den Waldwegen liegt. Könnte sein, dass wir es alleine nicht rechtzeitig schaffen und dann im Dunkeln im Wald stehen.“
Genau in dem Moment öffnet sich die Tür zu Pierres Laden. Gut gelaunt tritt Robin heraus. In ihrer Hand befindet sich eine Papiertüte. Sie hat wohl ein paar Besorgungen gemacht.
„Hey Mum“, begrüßt Sebastian sie etwas lauter. Er zieht Robins Aufmerksamkeit sofort auf uns.
„Sebby, Ryan. Hi. Habt ihr einen schönen Tag?“
„Bis jetzt ist er ganz okay“, antwortet Sebastian ihr. Er zieht ein wenig an meiner Hand und so gehen wir auf Robin zu.
„Geht’s euch gut?“, fragt sie weiter.
„Ja“, antworte ich fröhlich. „Sebastian meinte, dass er für den heutigen Tag eine tolle Idee hat, aber er hat mir noch nicht verraten, was wir machen wollen. Selbst mit seinen Tipps bin ich nicht dahinter gekommen.“
„Oh, das klingt spannend.“ Robins Lächeln ist ehrlich. „Es ist schön, dass ihr zwei euch gefunden habt. Ich hab dich schon lange nicht mehr so strahlen sehen, Sebastian.“
„Ich… ähm… danke. Du? Kannst du uns vielleicht mitnehmen? Ich brauche etwas aus dem Haus.“
„Na klar. Steigt ein.“
Während der Fahrt plaudern Sebastian und Robin ein wenig. Ich halte mich aus dem Smalltalk heraus. Es ist mir wichtig, dass mein Freund sich wieder mit seiner Mum versteht. Ein ungezwungenes, eher belangloses Gespräch ist dafür bestimmt ein guter Anfang. So funken Sebastians negative Gefühle nicht dazwischen und sie können wieder anfangen eine zumindest neutralere Beziehung aufzubauen.
Ich für meinen Teil genieße die Fahrt hinauf in die Berge. Neugierig blicke ich aus dem Fenster. Die Schneelandschaft zieht an mir vorbei, ich habe mich auf den richtigen Platz gesetzt, sodass ich über das Tal blicken kann. Der Winter in Pelican Town ist perfekt. Er ist romantisch und magisch. Durch den Schnee, der das Tal und auch einige der Tannen mehr oder weniger bedeckt, wirkt alles strahlend, als die flach stehende Sonne drauf scheint. Ein wahr gewordenes Winterwunderland.
Schade, dass ich keine Kamera dabei habe, der Ausblick sollte unbedingt festgehalten werden. Ich würde genau die Art von Foto schießen, die man auf Postkarten findet. Stardew Valley hat eine wundervolle Landschaft. Gut, Wolkenkratzer und eine schöne Skyline haben durchaus auch ihren Reiz aber der Natur kann niemand das Wasser reichen.
Oben angekommen steige ich aus dem Auto. Ich atme sofort tief durch und gehe einige Meter durch den Schnee bis zum Geländer, das mich vor dem Fallen in den Abgrund schützt. Ich hole mein Smartphone heraus, um einige Fotos der zauberhaften Winterlandschaft zu schießen. Dass der simple Ausblick über ein Tal einen so glücklich machen kann ist fast schon unglaubwürdig, aber ich bin es. Im Moment bin ich einfach nur bedingungslos glücklich. Die Fotos muss ich unbedingt meinem Dad zeigen, er soll sich auch an weißem, reinem Schnee erfreuen können.
„Hey Ryan!“ Ich drehe mich zu meinem Freund, der mir zuwinkt. „Komm, ich hab schon alles, was wir brauchen!“
Ich steige durch den angehäuften Schnee, bin dann auf dem geräumten Weg ein wenig schneller. Fröhlich trete ich auf Sebastian zu. Ich kann nicht erkennen, was er geholt hat und auch jetzt zeigt es sich nicht. Ich sehe den Schlitten erst, als ich zwei Schritte vor Sebastian stehe. Dieser Frechdachs hat den Schlitten bestimmt mit Absicht hinter dem Auto versteckt, sodass ich so lange wie möglich nichts sehen und ahnen kann.
„Wir werden Schlitten fahren?“, frage ich aufgeregt. „Das ist so cool, ich hab das schon ewig nicht mehr gemacht. Zuletzt als ich sechs oder sieben Jahre alt war.“ Vor Aufregung kann ich gar nicht richtig stehen. Meine Füße bewegen sich wie von selbst.
Sebastian sieht mich an, er nickt bloß. Nachdem er sich geräuspert hat, antwortet er endlich: „Das ist wirklich schon lange her. Hoffentlich weißt du noch, dass du nicht runterfallen solltest. Vielleicht solltest du auf dem Schlitten weniger hibbelig sein.“
„Weißt du, als ich klein war, gab es in der Nähe einen Park, der hatte einen Hügel und da sind alle Nachbarskinder Schlitten gefahren. Aber wie das Leben so spielt, fand irgendein Politiker die Idee toll unseren Hügel mit einem Bagger platt zu fahren. Unsere Möglichkeit zum Schlittenfahren hat sich dann erübrigt und statt dem Hügel gibt es dort jetzt ein Blumenbeet…“
„Dein Leben ist so verdammt traurig“, antwortet Sebastian ungläubig. „Wie kann es sein, dass du dich noch nicht umgebracht hast?“
„Naja… es… ist nur ein Hügel?“, frage ich verwirrt. „Wenn man nicht Schlitten fahren kann ist das schon traurig, aber nicht so schlimm, dass man sich von einem Dach stürzen muss.“
„Vergiss es. Lass uns Selbstmord mal in die Zukunft schieben. Komm.“
Sebastian zieht den Schlitten hinter sich her und ich folge meinem Freund durch den Schnee. Ich bin sogar so frech, dass ich ein kleines Stalkerfoto von meinem Freund mache. Er sieht süß aus, wenn er einen Schlitten zieht.
„Wir könnten Selbstmord auch ganz verbannen“, schlage ich nach einigen Metern Fußweg vor. „Also ich hätte keinen Grund und du auch nicht, weil du ja mich hast.“
Sebastian lacht ein wenig. „Geht klar. Unsere Köpfe sind Selbstmord-freie Zonen. Also mein Schatz: Willst du lieber klein anfangen oder willst du gleich Vollgas geben?“
„Heißt ‚Vollgas‘ dass wir uns dabei in Gefahr begeben?“, frage ich vorsichtshalber nach.
„Was? Nein“, antwortet Sebastian etwas erschüttert. „Ich würde dich doch nie in Gefahr bringen. Ich meine die lange Strecke. Hinter dem See über die Brücke drüber gibt es einen Hang, den wir runterfahren können. Keine Angst, da ist alles sicher. Wenn wir wieder nach oben gehen ist es zwar etwas steil und mühsam, weil der Weg ziemlich lang ist, aber es lohnt sich.“
„Na gut, dann machen wir das, auch wenn es anstrengend klingt.“
Sebastian überlegt kurz, ehe er antwortet: „Wir könnten ja auch einmal runterfahren und dann auf dem Schlitten rumsitzen und knutschen. Und wenn wir keine Luft mehr bekommen, machen wir eine Pause.“
„Wundervolle Idee.“
„War das ein kleiner Anflug von Sarkasmus?“, fragt Sebastian hörbar belustigt.
„Vielleicht“, antworte ich grinsend. „War es denn glaubwürdig?“
„Naja. Halt dich an mich, dann hast du das bald raus.“
„Du? Können wir jetzt schon knutschen?“
Sebastian lacht über meine Frage, doch dann greift er nach meiner Hand und zieht mich zu sich. Richtiges Geknutsche ist es zwar nicht, aber ich bekomme einen langen und liebevollen Kuss. Immer wieder drückt Sebastian seine Lippen gegen meine. Er trägt auch heute wieder meinen Lippenbalsam…
…
Zugegeben, ich bin nervös. Jetzt wo ich mit Sebastian auf dem Schlitten sitze und den Hang hinunter sehe, wird mir ganz schön übel. Ängstlich klammere ich mich an meinen Freund, der meine Aufregung scheinbar gar nicht mitbekommt. Die ganze Sache ist mir vielleicht doch etwas zu riskant.
„Sebastian, ich hab’s mir überlegt. Ich will das doch nicht.“
„Hast du Angst, dass dir etwas passiert?“, fragt er nach.
„Ja… Wenn ich mir den Arm breche, dann muss ich mich den restlichen Winter ausruhen und kann kaum etwas machen. Wenn’s blöd kommt und ich breche mir ein Bein, könnte sich das vielleicht länger hinziehen. Dann kann ich mich nicht auf den Frühling vorbereiten und fange schon viel zu spät mit meiner Arbeit an und-“
„Ganz ruhig, okay?“, bittet Sebastian. „Atme tief durch. Sieh mal wie viele Leute hier schon gefahren sind.“
Ja, es stimmt, wir sind nicht die einzigen, die diese Fahrt wagen. Im Schnee sind viele Schlittenspuren und Fußabdrücke. In den letzten Tagen war hier einiges los.
„Ich bin sicher, dass Sam zusammen mit Vincent hier war. Letztes Jahr war Shane zusammen mit Jas auch hier und wenn Shane das schafft, dann schaffst du das doch locker, oder?“
„Ja, aber Shane kann sich krankschreiben lassen und er kann trotzdem seinen Lebensunterhalt sichern… Ich bin verloren, wenn ich mich nicht bewegen kann“, lehne ich Sebastians Argument ab.
„Wenn du dir wehtust, dann übernehme ich deine Arbeit.“
Sebastian rutscht mit dem Schlitten nach vorne, ich spüre dass wir nach vorne kippen und lehne mich als Ausgleich zurück, doch es ist bereits zu spät.
„Nein! Warte! Sebastian!“
Ich schließe ängstlich die Augen und klammere mich fest an meinen Freund. Mein Gesicht vergrabe ich in seiner Kapuze.
„Macht das nicht Spaß?“, fragt Sebastian lachend, doch er bekommt keine verbale Antwort. Ich schüttle lediglich den Kopf. Das Gefühl, das diese Schlittenfahrt in mir auslöst würde ich nicht als ‚Spaß‘ bezeichnen. Die Geschwindigkeit verschafft mir einen unangenehmen Druck in der Brust. Ich möchte eigentlich schreien, doch ich kann es nicht. Vorsichtig sehe ich über Sebastians Schulter. Wir sind rasend schnell, ich bekomme etwas Schnee ins Gesicht. Trotz meiner Angst versuche ich mich zu entspannen. Das, was mir so große Angst gemacht hat ist glücklicherweise schnell wieder vorbei, wir kommen zum Stillstand. Mein Herz rast vor Aufregung.
„Ryan? Ist alles okay?“
Ich klammere mich nach wie vor fest an meinen Freund, der tief durchatmet.
„Tut mir leid, ich hätte dir das nicht aufzwingen dürfen. Ich wollte dir nur einen Schubs geben. Ich dachte, du findest doch noch deinen Spaß daran. Entschuldige.“
„Schon okay. Ich… ich weiß nicht, das war schon irgendwie überwältigend…“
„Dein Klammern an meinem Brustkorb verrät mir, dass das nicht auf gute Weise gemeint war.“
Ich lasse vorsichtig von Sebastian ab. Er steht auf und setzt sich dann so hin, dass er mich ansehen kann.
„Oh Mann… Es tut mir echt leid, du bist total blass. Ich mache das nie wieder, versprochen“, entschuldigt sich Sebastian ein weiteres Mal. „Ist dir schlecht?“
„Nein, geht schon…“
Ich drehe mich um und sehe mir die Piste an, die wir gerade hinunter gerutscht sind. Ein bisschen cool ist es ja, dass ich mich mehr oder weniger getraut habe, da runter zu fahren, aber ich werde das garantiert nicht noch einmal machen.
Sebastian nimmt meine Hände in seine, ich drehe mich wieder zu ihm. Er sieht aus als würde es ihm wirklich sehr leid tun, doch das muss es nicht, ich beruhige mich langsam wieder. Nachdem ich tief durchgeatmet habe, ist die Welt schon wieder ein wenig leichter.
„Das machen wir nie wieder. Wenn ich will, dass mir die Luft wegbleibt, dann will ich das lieber weil du mich küsst.“
„Das ist gut, das heißt zumindest, dass ich dich noch küssen darf und du nicht allzu sauer bist. Es tut mir trotzdem leid, ich hätte deine Grenze nicht überschreiten dürfen. Ich hab das nicht böse gemeint, das weißt du doch, oder?“
„Du wolltest, dass ich über meinen Schatten springe“, antworte ich ruhig. „Ich bin da runter gefahren und jetzt weiß ich, wie es sich anfühlt und ich weiß, dass ich es nicht gut finde.“
Sebastian schmunzelt etwas. „Danke, dass du das nicht böse auffasst. Hey, ähm… Damit der Schlitten nicht umsonst hier ist, würde ich dir gerne etwas Anderes anbieten. Wir müssen den Weg da nach oben, aber bei den Mienen kann man den Hügel rauf klettern, den könnten wir unter rutschen, das ist eine kurze Fahrt und auch nicht so steil wie hier. Aber wenn du gar nicht mehr Schlitten fahren möchtest, dann kann ich das verstehen.“ Ich kuschle mich etwas an meinen Freund, bevor ich mich entscheide, was wir tun. Sebastian küsst meine Schläfe, er schmiegt seinen Kopf gegen meinen. „Und? Was sagst du?“
„Der Aufstieg nach oben klingt anstrengend.“
„Ja… Meine Schwester sollte ihr Erfindergenie nutzen um uns hier einen Sessellift zu bauen“, antwortet Sebastian. „Damit würde Maru sich meine Anerkennung wohl verdienen.“
Der Aufstieg zurück nach oben ist sehr mühsam. Wir schleppen uns durch den Schnee, Sebastian zieht angestrengt den Schlitten nach oben. Ich gehe ein wenig hinter ihm, für den Fall, dass ihm der Schlitten auskommt. So kann ich ihn noch auffangen und wir müssen den Weg nicht wieder zurückgehen.
„Hey sieh mal.“ Ich greife nach einer grünen Mütze, die im Schnee liegt. Jemand hat das arme Ding hier verloren und muss jetzt mit einem kalten Kopf durch die Stadt laufen.
„Sieht aus als würde sie Vincent gehören. Steck sie ein, wahrscheinlich hat er sie verloren und Sam hat ihm seine gegeben, damit er nicht friert.“
„Hm…“ Ich schüttle den Schnee von der Wollmütze, auch einen winzigen Ast ziehe ich heraus und stecke sie dann in meine Jackeninnentasche, um sicher zu gehen, dass sie nicht noch einmal verloren geht. „Denkst du, dass Vincent Ärger bekommt, weil er seine Mütze verloren hat?“
„Nein, das nicht, aber Sam könnten ein paar Gehirnzellen abfrieren und er kann jede Gehirnzelle brauchen, die er hat.“
„Ganz schön fies so etwas über seinen besten Freund zu sagen“, antworte ich auf Sebastians Kommentar.
„Ich hab schon Schlimmeres gesagt und er hat mir auch schon Schlimmeres an den Kopf geworfen. Es ist nicht so bissig gemeint, wie es vielleicht klingt.“
„Könntest du… das vielleicht trotzdem lassen?“, frage ich vorsichtig nach. „Ich finde das nicht so angenehm.“
„Entschuldige, Ryan. Ich verkneife es mir in Zukunft.“
„Danke.“
Als wir endlich wieder oben ankommen keuche ich ein wenig. Der Winter hat mich zu einem Couchpotato degradiert. Ich war so schön in Form, bevor das Wetter umgeschlagen hat. Sebastian bietet mir einen Sitzplatz auf dem Schlitten an, während er sich eine Zigarette anzündet.
„Wie weit ist es noch?“
„Es ist nur der Hügel da vorne“, antwortet mein Freund und deutet auf eben erwähnten Hügel. „Hier wurde früher ziemlich viel Erz abgebaut, mittlerweile gibt’s die Rohstoffe nur noch ziemlich tief in den Minen.“ Ich höre Sebastian aufmerksam zu. „Aber wenn wir da rauf klettern können wir zwischen den Bäumen runter rutschen. Das ist nicht so weit und nicht zu steil, der Schlitten beschleunigt auch nicht so schnell und ruckartig wie vorhin.“
„Klingt gut. Ich tanke ein bisschen Luft, du tankst Nikotin und dann geht’s los.“
„Gut, dass ich dich nicht vollkommen verstört habe“, antwortet Sebastian mit einem Lächeln.
Nach der Verschnaufpause beziehungsweise Zigarettenpause klettern wir den Hügel hoch. Diese Piste ist von oben gesehen schon weniger bedrohlich. Der Hügel erinnert mich an damals.
„Das erinnert mich an den Hügel im Park“, erzähle ich zufrieden. Ich setze mich auf den Schlitten und bin schon fast bereit, hinunter zu fahren. „Jetzt fehlt nur noch mein Dad, der den Schlitten für mich zieht.“
„Tz, das tu ich doch schon die ganze Zeit. Sei nicht so undankbar.“
„Hey… ich bin nicht undankbar, ich schwelge in Erinnerungen und das solltest du auch. War dein Dad auch mit dir Schlittenfahren?“
„Ja natürlich. Er hat sein kleines Frettchen, das bin übrigens ich, durch die ganze Nachbarschaft bis in den Park gezogen. Klingt weit, war es aber glaube ich nicht. Da gab es auch einen Hügel, den aber niemand platt gemacht hat. Ich hab heiße Schokolade bekommen, Dad hat meine Rotznase geputzt und mir tausende Küsse gegeben und mir gesagt wie sehr er mich lieb hat.“ Nun setzt Sebastian sich zu mir, dieses Mal hinter mich. Er legt seine Arme um mich. „Na toll, jetzt fehlt mir mein Dad… gut gemacht, Ryan.“
„Dann musst du ihn später anrufen und ihm sagen, dass du ihn lieb hast.“
„Das mache ich. Wenn wir da unten sind machen wir ein Foto für unsere Dads, okay?“
„Okay.“
Wir stürzen uns den Hügel hinunter. Dieses Mal habe ich keine Angst und auch keinen Grund mich zu verstecken. Ich spüre den Fahrtwind in meinem Gesicht, mein Lächeln wird durch die kalten Schneeflocken kein bisschen gemildert. Als der Schlitten stehen bleibt, drehe ich mich eilig um. „Das war total super. Nächsten Winter kommen wir gleich zu dem kleinen Hügel, der macht echt viel Spaß.“
Sebastian drückt mir einen Kuss auf die Wange. „Ich bin froh, dass unser Ausflug doch noch eine gute Richtung einschlägt. Bereit für die Fotos?“
„Ja“, antworte ich zufrieden. „Und dann will ich nochmal. Dieses Mal schleppe ich den Schlitten.“
„Gut, da werde ich dir keinesfalls widersprechen. Meine Arme sind schon müder als müde.“ Sebastian nimmt sein Smartphone heraus. „Sag Cheese.“
Mit einem Grinsen posiere ich für das Selfie. Ich denke, dass wir gerade ein neues Bild für mein Wohnzimmer geschossen haben.
Es mag eingebildet klingen, aber wir beide sind ein sehr hübsches und fotogenes Paar. Unsere Dads werden sich über dieses Update bestimmt freuen.
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