Heute stand erneut Sternenkunde auf dem Plan. Vaðï hasste dieses Fach. Fast so sehr wie... hm, nein, es gab nichts Schlimmeres. Keine Zeit in den Voids konnte öder sein als diese dämlichen Sternstunden. Wenn sie doch wenigstens zu Abwechslung etwas sinnvolles Lernen würden. Es gab so viele spannende Fakten über Sterne. Angefangen von den unterschiedlichen Gaszusammensetzungen, was durch Ionisierung der Umgebung zu den wunderbarsten Verläufen im Farbspektrum führte, weiter über die verschiedenen Strahlungsarten, die dabei entstanden, bis hin zu ihrer Stabilität und Lebensdauer. Denn irgendwann brach jeder Stern in sich zusammen, das wusste jedes Baby. Dies war das Spezialgebiet der schuppigen und gehörnten Bååxt¥ra, jedenfalls teilweise. Sie liebte es, hinter die Ereignishorizonte von kollabierenden Sternen zu blicken und die dortige Materietransformierung zu beobachten. Bååxt¥ra führte Listen und Tabellen über die Energieausstöße sogenannter Schwarzer Löcher und ersann immer neue Theorien, wie man deren Kräfte zur Erschaffung neuer Galaxien nutzen konnte. Natürlich erst, nachdem man alle Bestehenden zuvor durch die Anziehungskräfte im Inneren in reine Energie umgewandelt hatte. Eine Idee, die allgemeinen eher wenig Anklang fand.
Doch solche Dinge kamen im Unterricht erst viel später dran. Aktuell lernten sie lediglich die Namen der aktiven Sterne im Orionnebel - und deren jeweilige Erschaffer. Es war pure, sinnlose Auswendiglernerei. Noch dazu handelte es sich um Wissen, das niemand von ihnen jemals wieder brauchen würde. Davor hatten sie bereits den Pferdekopfnebel und die Magellansche Wolke durchgekaut. Öde und langweilig! Vaðï öffnete verstohlen ihre Rundumsicht.
Δhorrm ließ schräg hinter ihr geistesabwesend zwei kleine Nickel-Eisen-Meteoriten umeinander kreisen. Sein Steckenpferd war die Nutzung von Anziehungskräften, um sonnenferne Monde anhand von tektonisch erzeugter Reibungswärme für andere Erschaffer potenziell nutzbar zu machen. Das waren Dinge, die Vaðï wirklich interessierten. Es war kreativ und herausfordernd. Sie liebte es, stationäre Lebensformen jeglicher Art zu entwerfen. Zwar war Fotosynthese eine recht geniale und ziemlich verbreitete Idee zur Energieumwandlung, aber sie stammte eben nicht von ihr. Außerdem fand sie diese Methode viel zu limitiert. Sie war kohlenstoffbasierte Lebensformen vorbehalten und zu abhängig von... genau, von Sternen, beziehungsweise deren Strahlung. Vaðï entwickelte gerade eine phosphorbasierte Lebensform, die sich von Schwefel- und Manganverbindungen ernährte und die jene von Δhorrms Materiebewegung der Monde erzeugten Magnetfelder als Kraftquelle nutzten konnte. Viel eleganter als simple Fotosynthese. Wenn sie ihre Lebensformen robust genug entwarf, dann konnte sie diese später auf Δhorrms Trabanten ansiedeln.
Die Stimme des obersten Mentors riss sie aus ihren Gedanken.
»Lasi≠læ, nenne mir bitte die ersten 1200 Sonnenmassen, die bisher aus dem Nebel entstanden sind. Selbstverständlich in chronologischer Reihenfolge und mit den Namen ihrer jeweiligen Erschaffer.«
Ein schwebendes, ätherisches Wasserstoffgespinst zerstob neben Vaðïs linkem Augenpaar. Sie feixte. Da hatte es genau die Richtige getroffen. Lasi≠læ war so dumm, wie Strontium nutzlos war, und sie dachte stets nur an ihre eigenen, schwebenden Lebensformen aus Wasserstoff. Dauernd schwärmte sie den anderen in der Klasse davon vor und ließ Miniaturvarianten um sich herum flattern. Ihre glitzernden Wesen würden später strahlend auf den Sonnenwinden durch das All gleiten und die Lebensformen auf all den bevölkerten Welten mit Anmut und Glanz erfreuen. Ihre Wesen waren Geschöpfe voller Reinheit und Güte. Es gab nichts edlere und zugleich schlichteres als Wasserstoff. Blablabla. Für diese junge Erschafferin gab es kein anderes Thema, weshalb sie auch von den anderen gemieden wurde. Wasserstoff war primitiv, da waren sich alle anderen einig. Er war allgegenwärtig und langweilig.
Zu Vaðïs Verblüffung rasselte Lasi≠læ eine endlose Liste von Sternennamen herunter. Nur einmal stockte sie, um dann mit der komplizierten Bezeichnung des kleinen, blauschimmernden Doppelgestirns fortzufahren, für deren Aussprache man über mindestens zwei Sprachöffnungen verfügen musste - oder zwei Vokale gleichzeitig auf andere Art erzeugen, was jedoch als unschicklich galt. Der Mentor nickte anerkennend.
Dann deutete er mit einigen seiner leuchtenden Tentakel auf Vaðï: »Und aus welchem Material besteht dieser Emissionsnebel?«
Ach, musste das jetzt echt sein? Es war ja gerade so, als ob der Mentor die gehässigen und herablassenden Impulse ihrer Synapsen aufgefangen hätte.
»Wasserstoff natürlich«, antwortete sie in herablassenden Tonfall.
Sie warf Lasi≠læ einen vernichtenden Blick zu.
»Und für wie viel weitere durchschnittliche Sterne reicht dieses Material hypothetisch? Hm, Vaðï?«
Mist, jetzt hatte er ihren Blick also auch noch bemerkt. Dies war dann wohl eine Retourkutsche auf Umwegen. Sie hasste diese Sternstunden.
Da sie die Antwort nicht wusste, gab sie nur ein klägliches, rosa Leuchten von sich und hüllte sich anschließend in eine finstere Materiewolke.
Gerade, als Lasi≠læ an ihrer statt antworten wollte, ließ Δhorrm einige Gase ab, die er bei seiner Verstoffwechselung produziert hatte. Die Druckwelle warf seine zwei Meteoriten aus ihren angestammten Bahnen. Einer trudelte in einer Ellipse an Lasi≠læ vorbei, bevor er zurückkehrte. Da kam Vaðï eine Idee. Sie griff in ihre Wolke und wob aus einer Silizium-Nickel-Legierung in Verbindung mit einer Salpetersäurelösung ein röhrenförmiges Wesen, das sie mit einem Hakenfuß auf Δhorrms verirrten Meteoriten verankerte. Gierig reckte es seinen Rüssel und sog die Wasserstoffmoleküle aus der näheren Umgebung auf. Rasch füllte es sein Reservoir, wandelte anschließend einen Teil des eigenen Siliziums durch die erzeugte Betastrahlung in Phosphor um. Dann - genau zum berechneten Zeitpunkt - stieß es die überschüssige Energie in Form eines pyroklastischen Brockens senkrecht aus seinem Rüssel. Sollte dieser zufällig auf weitere Nickel-Eisen-Meteoriten treffen, würden er sich dort ebenfalls verankern und ein weiteres, wasserstoffschlürfendes Wesen entstehen. In diesem Fall jedoch traf der glühende Brocken gut berechnet die weiche Oberseite von Lasi≠læs Zentrum. Der dortige, angesammelte Wasserstoff verpuffte durch die Hitze in einer hübsch anzusehenden Wolke und verbrannte umliegende Wimpern und Tasthaare.
Vaðïs Tentakeln leuchteten rhythmisch auf. Freude, Genugtuung. Manchmal waren Sternstunden doch nicht ausschließlich sinnlos.
Sollten sich hier astronomische oder physikalische Fehler in diesem Text verbergen, bitte ich darüber hinwegzusehen. Ich beanspruche keinerlei Anrecht auf Genauigkeit. Diese Geschichte dient lediglich der Unterhaltung, Fakten und Naturgesetze wurden entsprechend der erzählerischen Notwendigkeit verändert und angepasst.