☣Last Kids Standing☣: Kapitel 13
Im Türrahmen geriet Shaun ins Straucheln. Die Wunde an seinem Rücken begann bei der Bewegung erneut zu brennen.
Besorgt trat Mooni neben ihn: »Alles klar, Bruder?«
Doch er nahm ihr Worte überhaupt nicht wahr. Mit aufgerissenen Augen starrte er auf die Messinstrumente und Mikroskope, die Computer und Glaszylinder. Überall im Raum waren Ordner und Papierstapel auf Stühlen und Tischen aufgetürmt. Auf einem Whiteboard hatte jemand mit einer schrecklichen Sauklaue Zeichen und Formeln geschmiert.
Alles in allen schien es ein ganz normales Labor zu sein, wie man es in jedem Institut oder jeder Forschungseinrichtung hätte vorfinden können. Zumindest bis zum Untergang der Zivilisation.
Doch Hier und Jetzt?
In einer Zeit, in der die letzten Menschen wieder in Laubhütten lebten und mit Stöcken und Schleudern verzweifelt gegen Insekten kämpften? Alles hier wirkte auf Shaun seltsam vertraut – und dennoch völlig deplatziert. Das Überbleibsel einer untergegangenen Welt. Etwas, das er nie wiederzusehen geglaubt hatte.
»Wahnsinn! Wo bekommt ihr den Strom her?« Er deutete auf die grelle Deckenbeleuchtung und die Computer. »Ich hab gedacht, das gäbs alles längst nicht mehr.«
Mooni starrte ihn an.
»Alter, was geht denn mit dir? Hast du etwa am Kaffee geschnüffelt? Oder wieder zu viel Teletubbies gesehen?«
»Zu viel WAS?«
»Ach, egal. Heul nicht rum, Holzkopf. Ne Switch gibt es hier nämlich nicht, die hab ich auch schon gesucht.«
Sie deutete entrüstet auf einen uralten Monitor, auf dem sich gerade die Balken eines Diagramms träge vorwärts schoben. »Die haben nicht mal Solitär auf ihren blöden Rechnern!«
Shaun schürzte die Lippen. »Und ich sehe hier auch keinen richtigen Fernseher.«
Mooni strich ihm tröstend über den Kopf. »Netfix ist eh down. Wenn du unbedingt Walking Dead sehen willst, geh zurück in den beknackten Freizeitpark.«
»Ich vermute, du würdest er eher Denver-Clan sehen wollen«, konterte er.
»Ey, DAS war gemein! Du kannst froh sein, dass ich keine Behinderten schlage, du Absturzkönig.«
Professor Nemori sah den beiden eine Zeitlang amüsiert bei ihren Sticheleien zu, bevor sie auf einen Glaskasten in der Ecke deutete. Purzel hockte dort, strich mit zwei Füßchen über das dicke Glas.
»Dein Haustier hat uns übrigens sehr geholfen«, sagte sie, an Shaun gewandt.
Der überhörte die letzte Stichelei von Mooni und trat interessiert auf den Kasten zu. In zwei Schritten Entfernung blieb er stehen, als er den Inhalt erkannte. Ein grauer Stein, so groß wie seine Hand, darauf etwas Moos. Sonst nichts. Langweilig. Da war absolut nicht außergewöhnliches.
»Soll das da etwa diese fantastische Sache sein?«
Die Forscherin nickte enthusiastisch.
Wissenschaftler waren echt seltsam, dachte der Junge. Er fühlte sich so gar nicht von diesem fast leeren Kasten begeistert. Steine gab es draußen überall, und Moos … Er schüttelte sich, dachte an all diese anderen Pflanzen dort draußen, die unter akutem Riesenwuchs litten. Nein, Grünzeugs fand er im Allgemeinen nicht fantastisch, eher erschreckend. Besonders, wenn sie sein Heim über Nacht einstürzen ließen. Blödes Gemüse! Auch, wenn dieses Moos hier zur Abwechslung mal klein und harmlos aussah. Genauso retro wie der Rest der Einrichtung.
Die Spinnmilbe hingegen krabbelte aufgeregt zirpend um den Glaskasten herum. Etwas ungewöhnlich erschien ihr Verhalten schon. Shaun trat nun doch näher heran, blickte durch das Glas und erschrak.
Der Stein hatte plötzlich riesige Stielaugen, die ihr anstarrten. Er riss sein gewaltiges Maul voller nadelspitzer Zähne auf. Ein bedrohliches Knurren erscholl.
»Scheiße!«
Shaun sprang zurück, als das Steinwesen vor ihm gegen die Glasscheibe prallte. Ein gezackter Riss entstand. Das war nicht fantastisch, das war äußerst gefährlich! Nicht auszudenken, was passierte, wenn diese Scheibe endgültig zerbrach. Die Forscher hier unten mussten absolut irre sein. Hatten sie denn niemals die Filme gesehen, in denen Monster in U-Booten oder Raumstationen ausbrachen? Hier saßen sie regelrecht in der Falle.
Er wandte sich um, um dieser Alexandra Nemori gehörig die Meinung zu geigen und dann möglichst schnell von hier zu verschwinden. Vielleicht sogar besser anders herum!
»Was hast du?« Mooni trat neben ihn, blickte ihn verunsichert an.
»Hast du das gerade nicht gesehen?« Shauns Stimme überschlug sich. Sein Herz pochte wie ein Presslufthammer.
Doch Mooni legte ihm nur stirnrunzelnd eine Hand auf die Stirn. »Öhm, was denn? Dass du Angst vor nem harmlosen Stein hast? Ist mir irgendwie aufgefallen, jo.«
Shaun starrte sie wortlos an, rang mühsam nach Atem.
»Mooni hat sogar recht. Nicht der unscheinbare Stein, sondern das Moos ist das Besondere daran«, sprang Professor Nemori ein.
Sie ging an den Kindern vorbei, schob die Abdeckungen des Behälters zur Seite und holte den – nun wieder reglosen – Stein hervor. Shaun wich zwei Schritte zurück.
»Geh besser in Deckung«, riet er seiner belustigten Freundin.
»Dieses Moos besitzt telepathische Fähigkeiten«, erklärte die Professorin geduldig. »Ich vermute, es nutzt Quantenverschränkungen, um die elektrischen Impulse in den nahen Gehirnen von potenziellen Fressfeinden zu manipulieren.«
»Was?« Shaun sah sie fragend an.
»Es manipuliert deine einfältigen Gedanken, was ja nicht wirklich schwer ist«, übersetzte Mooni liebenswürdig.
»Aha!?« Shaun hielt dies für eine äußerst geistreiche Antwort – gemessen an dem Chaos, das gerade im Hohlraum zwischen seinen Ohren herrschte. Egal, was die anderen sagten, das Zeug da war extrem gefährlich! Sie alle sollten hier raus!
Mooni trat vor und streckte die Hand nach dem Stein aus. Shaun sprang vor, wollte sie zurückzureißen – doch das Mädchen wich aufquietschend von alleine zurück.
Verblüfft sah sie ihn an. »Whooza, das ist aber ein verflucht kreatives, kleines Scheißerchen.«
Prof Nemori nickte. »Darum habe ich diese Entdeckung auch Splachnum luisparkerinski genannt.«
»luisiparwas?« Shaun blickte irritiert vom Stein zu der Frau im weißen Kittel.
»Splachnum luisparkerinski! Es ist eine neue Schirmmoosart. Ich habe es entdeckt, daher durfte ich ihm den Namen geben. Ich kannte da mal einen extrem kreativen Typen, an den erinnert mich dieses Moos irgendwie …« Sie kicherte mädchenhaft.
Mooni brach in schallendes Gelächter aus.
Zögernd trat Shaun etwas näher heran. Zwar war ihm dieses teledingsbumsfähiges Moos noch immer nicht geheuer, aber andererseits schien bisher auch niemand ernsthaft verletzt worden zu sein. Selbst Purzel kletterte gerade an Mooni hoch und reckte seine Füße besänftigend schnurrend nach dem Stein.
»Darf ich mal halten?« Mooni griff vorsichtig nach dem Ding.
Die Forscherin reichte ihr den Stein. Mooni zuckte zuerst kurz zurück, dann griff sie beherzt zu. Unter Ausrufen von Verblüffung hob sie ihn zum Gesicht und betrachtete ihn staunend.
Shaun trat neben sie. Als er noch einen Meter von Mooni entfernt war, wuchsen dem Stein erneut die schon bekannten Augen, er bleckte die Zähne und grollte. Als er noch näher kam, verwandelte sich der Stein in flüssige Lava, die Mooni über die Hände lief. Sie lachte jedoch nur, strich dann vorsichtig über das Moos. Nun brach der Stein in Flammen aus, die brüllend nach ihren Gesichtern leckten. Selbst Purzel schien davon belustigt, wenn man die kurzen, zirpenden Laute der Spinnmilbe als Kichern deutete.
»Wenn ihr das Moos hier unter die Kamera legt, könnt ihr auf dem Bildschirm erkennen, wie es in Wirklichkeit aussieht. Die Technik kann es nämlich nicht überlisten. Anfangs hatte der kleine Racker sogar versucht, sich in unseren Augen gänzlich unsichtbar zu machen. Erst durch die Spinnmilbe bin ich auf die Probe aufmerksam geworden.«
Alexandra Nemori wies auf einen Tisch in der Ecke, neben dem ein Stativ mit einer Kamera stand. Mooni legte den Stein mit dem Moos vorsichtig dort ab. Die Professorin schaltete Kamera und Bildschirm ein. Alle drei traten zurück und sahen gebannt auf das Bild.
Der gleiche, langweilige Stein mit dem gleichen, langweiligen Moos erschien nun in Großaufnahme. Nichts geschah. Shaun streckte die Hand aus. Sofort schlugen ihm Flammen entgegen. Auf dem Bildschirm jedoch war noch immer lediglich der reglose Stein mit dem Moos zu erkennen – und seine Hand, nun in doppelter Größe.
So langsam dämmert es ihm. »Es läßt mich etwas sehen, was gar nicht da ist!«
»Bingo, Holzkopf!« Mooni gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
»Aber das Beste kommt noch!« Die Professorin trat zwischen die beiden und griff nach einer Fernbedienung. »Es redet mit uns!«
Die Kinder sahen ihr neugierig zu, wie sie den Volumenregler aufs Maximum schob.
Ein Grummeln und Brummen drang aus dem Lautsprecher des kleinen Bildschirms.
»Bei diesen Lauten handelt es sich nicht Telepathie, sie stammen wirklich vom Moos.«
Mit diesen Worten reckte sie die Hand, strich langsam über den grünen Bewuchs auf dem Stein.
Aus den seltsamen Geräuschen wurden plötzlich verständliche Worte. Eine tiefe, knurrige Stimme verlange: »Verpiss dich! Nimm deine scheiß Hand da weg! Ich fresse dich auf! Das ist die letzte Warnung! Hörst du nicht? Du wirst sterben!«
Mit einem strahlenden Lächeln zog sie sich wieder zurück und sah die beiden Kinder an.
»Und? Was sagt ihr? Ist das nicht absolut fantastisch?«
Shaun und selbst Mooni waren jedoch sprachlos. Wie konnte so etwas sein?